Menschen und den kleinen Ereignissen, welche sie andenten, läugnen zu wollen. Die Geheimnisse der Welten sind unergründlich, und wehe Denen, welche nur glauben, was Sie begreifen. Auch über den Schicksalen der Menschen schweben Geheimnisse, und vielleicht, wenn wir diese cnträthseln konnten, würden wir unser Schicksal lenken können. Es hat seine Phasen und seine Verpuppungen, und wenn wir sie kennten, würden wir daraus ans die Weiterbildung schließen und unsere Vorkehrungen treffen können. Man soll also die Zeichen, welche uns gegeben werden, und sich an große Begebenheiten in dem Leben der Menschen knüpfen, nicht gering achten, sondern ihnen nachspürcn, um zu erforschen, worauf sie hindeuten.
Gibt cs noch mehr solcher Zeichen im Leben des Königs?
Wollen Sie dieselben noch weiter verfolgen, so denken Sie doch an all' das, was sich zutrug bei der Vermahlung des Dauphins mit der Erzherzogin von Oestrcich. An der Gränze von Frankreich' betrat Marie Antoinette, nachdem sie ihre deutschen Begleiterinnen verlassen hatte, das Zelt, in welchem sie, der Etiquette gemäß, ihre Kleider wechseln, und in Frankreich gewebte Stoffe anlegen sollte. Die Wände dieses Zeltes waren mit den kostbarsten Gobelins verhangen, aber die Gobelins stellten alle Sccnen voll Blut und Greuel vor, und man sah da das Massacre der unschuldigen Kinder, die Niedermachung der Makkabäer in furchtbar lebendigen Gruppen dargestellt. Marie Antoinette bemerkte es; sie sprach kein Wort, aber ihre Wangen erbleichten, und ihre Hand erhebend, deutete sie mit Thränen in den Augen auf diese Bilder hin.
An demselben Abend und unter demselben Zelt starben zwei von den Frauen, welche bei der Toilette der Dauphine beschäftigt gewesen. Freilich sagte man, sie seien am Genuß von Champignons gestorben, aber sie starben doch! — Und nun denken Sie an den furchtbaren Sturm, welcher in der Hochzeitsnacht des Dauphins in Versailles wüthete, und Bäume entwurzelte und brach, welche den Stürmen von Jahrhunderten getrotzt hatten; denken Sie an das Gewitter, das mit seinen rollenden Donnern das Schloß von Versailles in seinen Grundfesten erbeben machte, und endlich denken Sie an das furcht- j bare Unglück, welches den Einzug der Dauphine in Paris begleitete und Hunderte von Menschen das Leben kostete, und dann sagen Sie mir, ob es nicht erlaubt ist, an Vorzeichen zu glauben?
Und wenn man auch daran glaubte, was nutzen uns diese Vorzeichen! Was können sic verhindern? Sie haben meine ganze Seele mit Furcht und Schrecken erfüllt, durch das, was Sie mir mittheiltcn; aber wozu nützt es, was wird dadurch erreicht, wenn wir die Zeichen kennen, aber ihre Anwendung nicht verstehen?
Wozu es nützt, daß ich Ihnen das Alles sagte? fragte Rousseau, indem er mit einem sanften Lächeln in das bewegte Antlitz des Fragenden schaute. Es nützt dazu, daß Kaiser Joseph, der Mann mit dem warmen Herzen und dem Hellen Verstand, hingehcn kann, um seinen Schwager und seine Schwester zu warnen, um ihnen zu sagen, was ihnen Noth thut, um sie aufmerksam zu machen, daß sie am Rande eines Abgrundes stehen, und in ihm versinken werden, wenn sie die drohenden Zeichen nicht verstehen wollen, die das Schicksal mit schwarzem Finger über ihrem Haupte in die Luft malt. Thun Sie das, Sire, gehen Sie zu Ihrer Schwester und warnen Sie dieselbe!
Wie! rief Joseph erstaunt. Sie haben mich erkannt?
Wenn ich das nicht gethan hätte, sagte Rousseau lächelnd, würde ich dann so offen und ausführlich zu Ihnen gesprochen haben? Ich bin nicht immer so mittheilsam, und ich liebe die Menschen nicht mehr genug, um vor Fremden mein'Herz aufzurecken, und sie meine Gedanken sehen zu lassen. Ich habe Sie in Paris gesehen, Sire, und ich habe Sie beobachtet im Theater, als das Publikum Ihnen huldigte. Ich habe auf Ihrer Stirn große Gedanken, und in Ihren Augen ein warmes, edles Herz gelesen, und darum habe ich zu Ihnen gesprochen, wie ein warmer, aufrichtiger Freund.
Und so lassen Sie mich jetzt auch zu Ihnen sprechen, sagte Joseph, dem Philosophen seine Hand darrcichend. Gönnen Sie es mir, Ihnen nützlich sein zu können! Sie sind hier in einer Umgebung und einer Lage, die sich nicht für den Dichter und
Philosophen geziemt, welchen ganz Europa liebt und bewundert. Sie verlieren Ihre Zeit und Ihre Kräfte mit elenden Brod- arbeiten, während Sie es der Menschheit schuldig wären, ihr ferner mit dem Licht und der Kraft Ihres Geistes zu nützen und zu dienen, wie Sic cs sonst gethan. Gönnen Sie mir die Freude, Sie Ihren Studien, Ihren Phantasieen und Dichtungen zurückzugeben, indem ich Ihre Existenz sichere, und Sie vor Noth und Mangel bewahre! Sagen Sie mir, nicht mehr dem Kaiser, sondern mir dem Freunde, was kann ich für Sie thun?
Was Sie für mich thnn können? fragte Rousseau leise. Nichts! Ich bin ein alter Mann mit geknickten Wünschen, mit vernichteten Hoffnungen, mit zerstörten Illusionen. Ich bedarf nichts mehr, als ein wenig Sonnenschein, um meinen kahlen Scheitel zu wärmen, und ein Stück Brod, um meinen Hunger zu stillen. Das bedarf ich für mich und meine Frau, weiter nichts, und das muß ich mir mit meiner eigenen Arbeit und Kraft verdienen können, dafür darf ich Niemand auf der Welt dankbar und verpflichtet sein, denn einen Sonnenstrahl und ein Stück Brod zu haben, ist das natürliche Recht des Menschen, und es wäre zerschmetternd, wenn der Mensch auch das nicht einmal von sich selber haben könnte.
So kann ich also gar nichts für Sie thun? fragte der Kaiser schmerzlich. So wollen Sie mir also nicht die Freude gönnen. Ihnen —?
Der Kaiser verstummte, denn draußen vernahm man jetzt eine laute, kreischende Stimme, welche sagte: warten Sie nur hier! Ich werd' sogleich hinaufgeben und die Noten holen. Sie sind fertig und sie müssen fertig sein, denn wir brauchen das Geld. Zählen Sie es also nur immer da auf dem Tisch auf, während ich zu meinem Mann gehe, und Ihnen die Noten hole.
Mein Gott, murmelte Rousseau angstvoll und erschrocken, mein Gott, und ich bin noch nicht fertig! Und ich hatte es Theresen so fest versprochen, nicht eher aufznstchen von meinem Stuhl, als bis ich die Abschrift fertig hätte, denn sie braucht das Geld so nothwendig. Was soll'ich ihr nun sagen? Womit mich entschuldigen? — und indem Rousseau sich lebhaft dem Kaiser zuwandte, fuhr er fort: Sie fragten mich eben, was Sie für mich thun könnten, Sire? Nnn, Sie können mir einen großen Gefallen erzeigen, mein Herr. Therese wird kommen! Ich höre schon ihren Schritt auf der Treppe. Wenn sie einen Fremde» bei mir findet, während ich ihr versprochen hatte, Niemand zu empfangen, und meine Arbeit fertig zu machen, wird sie mit vollem Rechte sehr böse auf mich werden. Wenn sie aber erzürnt ist, pflegt die arme, gute Therese sehr laut zu sprechen und das greift meine schwachen Nerven an. Gehen Sie also, ich beschwöre Sie um diesen Dienst, gehen Sie!
Aber wenn ich da hinaus gehe, werde ich ihr doch ohne Zweifel begegnen, und außerdem, wenn sie mich auch nicht sieht, wird sie doch sehen, daß Ihre Arbeit nicht fertig ist?
Ich werde ihr sagen, baß ich mich ein wenig ausgeruht habe, daß ich mich matt fühle, und dann wird sie mir schon eher vergeben, denn sie hat ein gutes und großmüthigcs Herz. Nein, fuhr Rousseau erröthend fort, ich werde nicht lügen, ich werde ihr die Wahrheit sagen, aber ich will nicht, daß Sie dabei sind, es würde mich zu sehr beschämen, wenn Sie Zeuge wären, wie ich gescholten werde! Sie kommt! Ich bitte Sie um den Liebesdienst, Sire, gehen Sie fort! Da hinaus durch diese kleine Thürc. Sie führt in mcine-Schlafkammer. Durch die entgegengesetzte Thür kommen Sie zur Treppe, und können ungfährdet hinabfleigen!
Und zitternd vor Aufregung drängte Rousseau den Kaiser nach der kleinen Thür hin, die er öffnete. Treten Tie ein, Sire, sie ist schon vor der Thür, flüsterte er.
Der Kaiser nickte ihm lächelnd einen Abschiedsgruß zu, und trat in die Kammer ein, deren Thür er hinter sich schloß.
Bald darauf vernahm man von der Straße her das Fort- rollcn des Wagens, in welchem der Kaiser von dannen fuhr, und von Rousseau's Studirstube her die laute, keifende Stimme der Therese Levasseur, welche dem Philosophen eine Scene machte, weil er mit seiner Absch rift nicht fertig geworden.
Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung. Redaltion: Höljlc.