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Die Gau-Versammlungen.
Äkll ^8» Akhl'uar Beilage zum Nagoldcr Jntclügknzblati. I 8 ^l. 8»
Protokoll
der zweiten Gauversammlung der Bezirke von
Herrenberg, Rottenburg, Tübingen.
(Fortsetzung.)
4) Was sprickt für oder wider die Maul-
becrbaumzuckt von größerer Ausdehnung
in den Bezirken unseres Gaues?
Borst and: Es ist über diesen Gegenstand ein ausführlicher Vorirag des Herrn Oberamtsrichter Gmelin in Nolienburg eingekommcn, der eine vieljährige Erfahrung in dieser Sache hat. Er empfiehlt die Seidenzucht und siebt in ibr ein hauptsächliches Mittel lohnender Beschäftigung der Armen. ES wird wohl von allgemeinem Interesse seyn, diesen Vortrag zu vernehmen:
Das Programm für die zweite Gauversammlung der landwirthschastlicben Bezirks-Vereine Herrcnberg, Rotten- burg und Tübingen kündigt als Berathungs - Gegenstand der auf den 3. Februar nach Herrenberg bestimmten Versammlung unter Nro. 4 die Frage an:
Was spricht für oder wider die Maulbeerbaumzucht von größerer Ausdehnung in den Bezirken unseres Gaues?
Nachdem ich mich nunmehr fiebenzebn Jahre hindurch mit der Anlage und Verwaltung einer Maulbeer - Pflanzung und Scidezucht-Anstalt beschäftigt habe, halte ich mich, sowohl iin vaierländischen Interesse im Allgemeinen, als in meiner Eigenschaft als Mitglied des landwirthschaNli- chen Bezirks-Vereins z» Rottenburg, für verpflichtet, das Eraebiuß niemer gewissenhaft gesammelten Erfahrungen der verehrten Versammlung vorzutragen.
Znvöiterst aber werden Sie mir gestatten, emleiiend meine Ansicht darüber auszusprechen, wie sehr eben jetzt diese Frage zeitgemäß ist, und wie sehr sie es verdient, nnl Unbefangenheit und mit Beseitigung aller durch frühere falsche Maaßrcgeln auigekommenen Vorurtheile gründlich gewürdigt zu werden.
Die Klage über zunehmende Verarmung tm Vaier- lande tritt immer allgemeiner hervor und cs kann an ihrer Begründung nicht mehr gczwcifelt werden. Die Sorge des Besitzenden, daß er zu Ernährung der Armen überfeine Kreme in Anspruch genommen, und so nach und nach selbst der Armuih und Unrerstützungs - Bedürftigkeit näher gebracht werde, spricht sich immer allgemeiner aus. Daß dieser beängstigende Zustand nicht sich selbst überlassen, sondern daß Abhülfe getroffen werden muß, darüber ist umer den gebildeten Freunden des Vaterlandes nur Eine Stimme.
Wie abgeholfen werden kann und soll, darüber sind die Stimmen sehr verschieden. Gewöhnlich meint Jeder, daß da zunächst geholfen werden könnte und sollte, wo ihn der E chuy drückt. Der Fabrikant sucht das He«l des Vaterlandes in hohen Schutzzöllen; der Gewerbsmann glaubt nur bei einem gesteigerten Zunftzwang besser bestehen zu können; Gemeinderäthe und Bürgerausschüffe hoffen Lurch
I Beschränkung des Uebersiedlungsrechts und Erschwerung der Verbeirathung armer Personen die Armuth aus ihren Gemeinden verbannen zu können u. s. w.
Wir als Mitglieder eines landwirthschaftlichen Vereines lassen es billig dahingestellt seyn, ob und wie weit diese Anträge zum Zweck führen können.
Es bilden sich da und dort Armen - Vereine, durch welche das Untcrstützungs - Bebürfniß und die Würdigkeit des einzelnen Armen näher nur zuverläßiger erkundet werden soll, als cs durch die öffentlichen Behörden (die Stif- tungsräihe) bisher geschehen ist.
Ob nicht auch hier Menschlichkeiten, ich meine Begünstigungen und Gehässigkeiten mit unterlaufen werden, ob nicht das Betteln (man nennt es hier Sammeln) unter öffentlicher Autorität bis auf eine dem anständigen Bürger höchst lästige und bald unerträgliche Höbe getrieben werden wird, da es einen gar großen Reiz hat, auf Kosten Anderer als Wohltbäter der Armen zu erscheinen, können wir bei unserer landwirthschaftlichen Versammlung ebenfalls ohne nähere Erörierung lassen.
Ebenso sind an vielen Orten Armenbeschäftigungs- Anstalten und Industrie-Schulen gegründet worden, und vielen Abgeordneten zum handtag ist von ihren Wählern dringend empfohlen worden, auf vermehrte, öffentliche Beschäftigungs-Anstalten anzutragen.
Wer es weiß, wie schwierig es ist, für zusammengedrängte Leute mit den verschiedensten Eigenschaften und Fähigkeiten eine passende und lohnende Beschäftigung aufzufinden, und welche enorme Kosten dafür aufzuwcnden sind, wird sich davon keinen Erfolg versprechen. Wer aber auch diese Erfahrung in Spitälern, Straf- und Beschäftigungs-Anstalten noch nicht gemacht bat, und der Meinung ist, vaß diese Schwierigkeiten so schwer nicht zu überwinden wären, der wird doch zugeben müssen, daß regelmäßig der Arbeits-Verdienst, Len sich eine solche Beschäftigungs-Anstalt erwirbt, andern Personen, die bisher davon gelebt haben, nolbwcndig entgehen muß, und daß dadurch diejenigen Personen, welche bisher sich selbst notbdürftig ernährt haben, den Armen-Versorgungs-Anstalten überliefert werden. So manche edeldenkende Frau ist mir bekannt, die beim Aufkommen einer Armen - Beschäftigungs- Anstalt ihren Flachs und Hanf nicht mehr ihren bisherigen Spinnerinnen (mit deren Arbeit sie übrigens vollkommen zufrieden war), sondern dem neu aufgekommenen Institut, das ihr minder gutes Garn lieferte, übergeben bat, indem sie glaubte, damit an den Annen ein gutes Werk zu thun, sie bedachie nicht, daß ihre bisherige Sv nnerinneii nur durch die Nachhülfe, die ihnen der Spinne.,ohn gewährte, selbstständig aber ärmltch zu leben im Eiande waren, und durch die Entziehung dieses ihres Verdienstes nun auch genötbigt wurden, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Auch diejenigen Vereine, welche Spinn-Material aufkauften, um das in der Beschäftigungs-Anstalt gesponnene Garn wieder zu verwcnhcn, haben unvermeidlich auf die-