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Nr. 280
Dienstag, den 29. November 1932
Jahrgang 105
Bildung eines Uebergangkabinetts v. Schleicher?
Verständigung mit der NSDAP, gilt als Voraussetzung Fühlungnahme v. Schleichers mit Zentrum und Gewerkschaften
TU. Berlin, 29. Nov. Der Montag hat immer noch nicht die Neubildung der Neichsregierung gebracht. In politischen Kreisen verstärkt sich jedoch nunmehr der Eindruck, bah die Entscheidung nähergerückt ist. Man nimmt an. daß der heutige Dienstag eine entscheidende Klärung bringen wird. Im Vordergrund der Erörterungen stehen nach wie vor sowohl ein Kabinett von Popen wie ein Kabinett von Schleicher. Reichswehrminister von Schleicher hatte gestern eine Unterredung mit dem Führer der Zcntrumspartei, dem Prälaten K a a s. Die Unterredung dauerte über zwei Stunden. Ergebnis und Inhalt wurden für streng vertraulich erklärt. Wie jedoch aus Zcntrumskreisen verlautet, hat der General von Schleicher in der Unterredung über Art und Umfang dcö ihm vom Reichspräsidenten zuteil gewordenen Auftrages berichtet. In der Unterredung wurde hieraus die Stellungnahme des Zentrums zu diesem Auftrag erörtert. Wie es heißt, ist der G e s a m t e t n d r u ck beim Zentrum günstig und es wird nicht für ausgeschlossen gehalten, daß auf der Grundlage dieses Auftrages eine Berstän- dtgung zu erreichen sei. Als Begründung hierfür wird angeftihrt, daß die gesamte Lage neuerdings auch bei der Linken nüchterner als bisher beurteilt werde. Auch sei den Gewerkschaften ein starkes Entgegenkommen hinsichtlich der sozialpolitischen und lohn- politischen Notverordnungen, zum Teil sogar auch ihre Aufhebung zngesagt worden, jedoch rechnet man in Zcntrumskreisen damit, daß die Verhandlungen sich noch längere Zeit hinziehen werden, eventuell bis zum Zusammentritt des Reichstages, d. h. btS zum 6. Dezember. General von Schleicher beabsichtige jedenfalls nichts zu übereilen und die Verhandlungen in Ruhe zu führen.
NeichSwehrministcr von Schleicher hatte gestern mittag eine Unterredung mit dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer Leipart und eine halbe Stunde später eine weitere Unterredung mit dem sozialdemokratischen Rcichs- tagsabgeordneten Breitschetd. Nach einer Mitteilung des ADGB. wurden in der Besprechung die vordringlichsten wirtschaftspolittschen und sozialpolitischen Fragen erörtert. Die Vertreter der Gewerkschaften haben als die wichtigste Aufgabe die Arbeitsbeschaffung tm Wege öffentlicher Arbeiten bezeichnet und außerdem erneut die Aushebung der lohnpolitischen Bestimmungen der Notverordnung vom 8. September gefordert. Sie haben sich auch für eine unter wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten durchgeführte Siedlung eingesetzt.
Nach dem Ergebnis der Besprechungen, die General vov Schleicher und von Papen am Montag geführt haben, mutz es als nicht unwahrscheinlich gelten, daß es heute oder jedenfalls in wenigen Tagen gelingen wird, ein Uebergangs- kabtnett unter der Führung des Generals von Schlei- cher zu bilden. Bon Schleicher dürste in feinen Besprechungen, bet denen er u a. mit Leipart, Breitschetd, Gereke, Otte, Branweiler. Prälat KaaS und Persönlichkeiten der BolkS- partei verhandelte, vor allem klargcstellt haben, welche Haltung die Parteien gegenüber einem von ihm geführten Uebergangskabinett einnehmen. Hierbei dürste er weder grundsätzliche Zu- noch Absagen verlangt, sondern nur allgemein die Stimmung festgcstellt haben. In seinen Besprechungen mit Breitschetd hat sich ergeben, baß die SPD. grundsätzlich zu einem Kabinett Schleicher in Opposition steht, während sowohl Zentrum als auch BVP. und DVP nicht abgeneigt sein dürsten, ein Kabinett Schleicher zu tolerieren. Eine Besprechung zwischen von Schleicher und Hugenberg hat nicht staltgefunden. ebensowenig wie Hngenberg mit von Papen verhandelt hat. Die Entscheidung über das Zustandekommen eines Uebergangskabtnrtts von Schleicher häng, also nur noch von den heutigen Verhandlungen mit der NSDAP, statt. In politischen Kreisen glaub» man, daß eine Verständigung zwischen von Schleicher und der NSDAP, nicht ausgeschlossen ist, wenn von vornherein klargestellt wird, dah das Kabinett nur ein Uebergangskabinett für gan, kurze Zeit ist- Wenn dies eindeutig fest- gelegt wird und von Schleicher auch noch auf den Teil der sozialpolitischen Maßnahmen und der BersassungSresvrm verzichtet, die von den Parteien bekämpft wurden, dir sich nunmehr zn einer befristeten Tolerierung des Uebergangs- kabinetts bereit erklären, kann das Kabinett von Schleicher als gesichert gelten.
Die Aussichten für eine Schleicher-Lösung" sind nach der »DAZ." wieder langsam im Steigen begriffen, nachdem sie zeitweise bereits rückgängig bewertet worden waren. Heute abend, sv schreibt das Blatt, werde ein gemeinsamer Empfang des Reichskanzlers von Papen. des Neichs- wehrminlstcrs von Schleicher and deS Staatssekretärs Meist- ner beim Reichspräsidenten stattfindcn. Er solle die Grundlagen für dt« Entscheidung Hindenburgs bringe«. Nach
der »DAZ." wird als Nachfolger des Reichsarbeitsministers Tcbäsfer der Schlichter für Berlin, Brahn, genannt. Das Reichswehrministerium werde in einem Kabinett Schleicher vermutlich kommissarisch durch den Chef der Heeresleitung. General von Hammer st ein, verwaltet werden. — Di« »Vossische Zeitung" erfährt, daß Reichswehrmtnister von Schleicher heute den Besuch Gregor StratzerS erwartet. Das werbe wohl die ausschlaggebende Unterredung sein, nach der sich NeichSwehrmintiter von Schleicher ein genaues Bild davon werde machen können, ob eine Art politisches Moratorium für die Wintermonate erreichbar sei oder nicht. — Die »Kölnische Bolkszettung" tKV > schreibt zu den Bemühungen Schleichers um einen Tolertxrungsplan u. a.: Selbst wenn sich keine positiven Zusagen aster Parteiführer ergeben sollten, müßte der Weg bis zum Ende burch- geführt werden. Dazu würde gehören, daß das neue Kabinett mit seinem Programm vor den Reichstag trete. Es würde unter allen Umständen eine andere Position vorfinden als die Regierung Papen, und ein gut fundiertes WiN- schaftsprogramm könnte viel größere propagandistische Wirkungen haben als eS schon jetzt vorauszusehen ist. Tie Lösung Schleicher und ein Tolerierungspakt mit dem Reichstag ist gewiß alles andere als ideal, sie ist aber bester als ein« Konsliktpolitik, die mit dem Wiedererscheinen PapenS ihre verhängnisvolle Fortsetzung finden müßte. — Ter »Lokalanzeiger" beschäftigt sich mit den Maßnahmen, die für den Fall eines ScheiternS der Verhandlungen ergriffen werden könnten, und schreibt: Die Maßnahmen für den Fall eines ScheiternS aller Verhandlungen könnten in einer Auflösung des Reichstages mit fristgemäßen Neuwahlen oder in Maßnahmen deS Reichspräsidenten bestehen, bei denen eine Art Notstand in Anspruch genommen werde. Es könne sich dann theoretisch um
TU. Berlin, 29. Nov. In Berliner politischen Kreisen erregt die unmittelbar bevorstehende Unterzeichnung des russisch-französischen Nichtangriffsvertrages naturgemäß großes Interesse. Es wäre aber verfehlt, wenn man dem endgültigen Abschluß der Paktverhandlungen eine Bedeutung zu- mcssen wollte, die ihm nicht zukommt Nachdem seinerzeit die russisch-rumänischen Nichtangriffsverhandlungen als ge- lcheitert betrachtet werden mußten, konnte man mit polnisch- russischen und französisch-russischen Verhandlungen rechnen.
Der durch Havas bekanntgegebene Wortlaut -es russisch- sranzösischen Nichtangriffsvertrages entspricht dem bereits vor einem Jahr paraphierten Vertrag. Neu ist lediglich die Klansrl, dir sich auf Rumänien bezieht. Für Sowjetrußlanü dürfte der Hauptantrieb zum Abschluß deS Paktes darin gelegen haben. Sicherheit gegen Angriffe von außen zur Durchführung der wirtschaftlichen Maßnahmen imJnneren zu gewinnen. Bielleicht hat auch der Gedanke eine Rolle gespielt, gewissermaßen eine« Ersatz für die Nichtmitgliedschaft im Bölkerbnnd zu finden. Aber auch die Absicht, aus dem Vertrag mit Frankreich Nutzen auf wirtschaftlichem Gebiet zu ziehen, dürfte zweifellos mltgespielt haben. Es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß die Einbeziehung Sowjetrußlands i« den Kreis der europäischen Mächte auch in Berlin begrüßt wird.
Dabei ist festzuhalten, daß durch den Pakt kein« Aen - dernng der Sowjetpolittk gegen Deutschland eintritt. ES ist infolgedessen falsch, wenn in der französischen und in der polnischen Presse der Pakt als ein Mittel zur Isolierung Deutschlands hingestellt wird. Ein« Grenz- garantie ist den Polen in dem russisch-polnischen Pakt nicht »»gestanden.
Die polnische Absicht, sich zum Wortführer der Ost- staateu, von Rumänien bis »n den Ranbstaaten und Finnland, zu machen, ist angesichts der geschickten sowfetrnstifche» Politik als gescheitert zu betrachte«. Politisch darf der Abschluß der NIchtangriffspaktvcrhandlungen ohne Zweifel als ein Erfolg Sowjetrußlands bewertet werden. Die Nichtaugriffsverträge, die Sowfctrußlan- nunmehr abgeschlossen hat, verhindern aus jeden Faü die aknte Äon- fllktsgrsahr im Osten und dienen sicherlich auch de« Ab- rüstungsgedanken. Die Rußlanbpvlitlk Deutschlands beruht. daS muß -um Schluß nochmals ausdrücklich gesagt werde», »ach wie vor auf den bekannte» Verträge«.
Die englische Presse
schreibt ,u dem soeben abgeschlossenen russisch-französischen Nichtangriffspakt, baß er «i» Gegengewicht gegen den Rapvl- lovertrag und den Berliner Vertrag vom Jahre 192« dar-
Tages-Tpiegel
In Berlin rechnet man mit der Bildung eines UebergangS» kabinetts v. Schleicher. Voraussetzung ist, daß die Natio» «alsozialiste» ein solches Kabinett toleriere«.
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Zwischen Nationalsozialisten «nd Zentrum find in Preußen neue Verhandlungen ausgenommen worden- Die Wahl eines neuen preußischen Ministerpräsidenten kann «. U. schon nächsten Monat erfolgen.
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Der in Paris Unterzeichnete französisch-russische Nichtan, grissspakt wird in Berlin nicht als die deutschen Inter, essen schädigend angesehen.
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Die Ergebnisse der Kammerwahlen in Belgien zeigen starke Verluste der Liberalen. Sozialisten und Katholiken haben je S Sitze gewonnen. In den Bezirken Eupcn-Malmcdq und St. Vith haben die deutschen Parteien eine doppelte Mehrheit über die belgischen erhalten.
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Die für Mitte dieser Woche in Gens geplante Fünsmächte, besprechung über die deutsche Gleichberechtignngösordernng dürfte verschoben werde».
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Der Völlerbundsrat ist einer Entscheidung im Mandschurei« konslikt ausgewichen «nd hat diese der Vollversammlung zngeschoben.
die Hinausschiebung von Neuwahlen nach einer Auslösung deS Reichstags oder auch um den Versuch handeln, den Reichstag durch Anwendung des Art. 48 der Neichsverfas- sung für eine bestimmte Frist zu vertagen, sedoch mit der Zusicherung, daß der Auswärtige Ausschuß des Reichstages und der Ueberwachungsausschuß Ihre Beratungen fortsetzen können unL »ie Negierung in voller Anwendung der Bestimmungen der Verfassung sich nach Ablaus der Frist dem am 6. November gewählten Reichstag zur Verfügung stellt.
stellt. „Manchester Guardian" sagt, daß der Pakt für Frankreich in der Hauptsache von politischem und für Rußland in erster Linie von wirtschaftlichem Interesse sei. Vom realistischen französischen Standpunkt aus sei sein Zweck, Rußland von einer» möglichen dentsch-polnlschen Konflikt fernzuhalten, die diplomatischen Bande, die seit Rapallo -wischen Deutschland und Rußland be st ehe«, zu schwächen und ferner so weit wie möglich die Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und der russischen Armee zu verringern. Vom »idealistischen" Standpunkt aus sei er n. a. alS eine Vorbereitung für ein Ost- locarno gedacht.
Verschiebung der Fiinfmächlebtsprechung in Genf
TU. Berlin. S9. Nov. Es hat den Anschein, als ob die ursprünglich für Mitte dieser Woche in Aussicht genommene Bier- oder Füufmächtebesprechung -nr Glelchberechtigungs- frag« noch etwas verschoben werde« dürfte, da einige der beteiligten Persönlichkeiten zu diesem Zeitpunkt anderweitig« Verpflichtungen haben. Es ist deshalb noch ungewiß, wann die Besprechungen stattfinden werden. Wie io Berliner politischen Kreisen verlautet, hat Herriot wissen lassen, daß er wegen der amerikanische« Schuldenfrage einen Kristaufschub Vorschläge.
Völkerbundsrat weicht einer Entscheidung im Mondschureistreil ans
---- Genf, 29. Nov. Der DölkerbundSrat schloß am Montag die Verhandlungen über den mandschurischen Streit ohne wettere Aussprache ab und verwies die Angelegenheit an die außerordentliche Vollversammlung. Der Lytton-Ansschuß wurde ersucht, sich für die Verhandlungen der BölkerbnnbS- versammlung zur Verfügung zn hatten.
Der BölkerbnnbSrat und die im Rat vertretenen Großmächte sind damit einer Stellungnahme zur mandschurischen Krage ansgewichen- Die Schlichtung des Streites Ist nunmehr tn die Hände der anßerordentlichen Völkerbunbsver- sammlung gelegt, in der dir Stimmung und die politischen Gegensätze in der mandschurischen Frage für China wett günstiger liegen alS im Rat.
Die außerordentliche Vollversammlung des Völkerbundes ist vom Präsidenten, dem belgische» Außenminister Hpmans, für Dienstag den ü. Dezember in Genf etnberufen worden. Auf der Tagesordnung steht der Appell der chinesischen Ne- gternng an den Völkerbund zu dem Streit mit Japan.
Der russisch-französische Nichtangriffsverlrag
Die Auffassung in Berlin und London über die Bedeutung des Vertrages