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Samstag, 15. November 1947

Die Bernadottes

fen, und habe auch gegenwärtig nicht vor, nach Deutschland zurückzukehren. Brüning wolle seine Lehrtätigkeit an der Harvard- Universität fortsetzen.

GF. Es'ist eine, lange klare Linie, die von dem napoleonischen General Bernadotte bis zu dem Graf Folke Bernadotte führt, der in diesen Wochen wieder einmal durch Deutsch­land reist, um nachzuprüfen, ob die 35 Mil­lionen Kronen, die Schweden zur Hilfe nach Deutschland geschickt hat, den wirklich Bedürftigen zugeteilt werden. Unter der Re­gierung der Bernadottes, die seit 1818 auf dem schwedischen Königsthron sitzen, ist das Volk zu Wohlstand gekommen und von Kriegen oder mörderischen Katastrophen ver­schont geblieben. Das war nicht nur das Verdienst der Könige, aber es war, als habe das Schicksal ihr Lebenswerk gesegnet. Ein schwedischer König vermittelte im deutsch­dänischen Streit von 1848. Unter einem Ber­nadotte löste sich Norwegen aus dem ge­meinsamen Staatsverband, ohne daß es zum Kriege mit Schweden kam. Gustav von Schweden blieb es erspart, sein Volk 1914, 1939 und 1941 in den Krieg verwickelt zu sehen. Die Bernadottes haben zu allen Zei­ten der Wissenschaft und der öffentlichen Wohltätigkeit tüchtige Männer und Frauen gestellt. Erinnert sei nur an den Bruder des regierenden Königs, den Maler Prinz Eugen, erinnert sei an Gustavs V. jüngeren Sohn, Prinz Wilhelm, der sich als Schriftsteller einen Namen machte. Der Kronprinz gilt als Wissenschaftler von Rang. Belgische Sozial­gesetze werden dem Einfluß der Königin Astrid zugeschrieben, die eine geborene Ber­nadotte war.

Graf Folke Bernadotte, ein Neffe des Kö­nigs, nahm mit 35 Jahren als Major seinen Abschied, heiratete eine Amerikanerin und sah von da an seine Lebensaufgabe darin, als Präsident der Schwedischen Pfadfinder­bewegung, später des SchwedischenRoten Kreuzes praktisches Christentum zu leben. Er besitzt die Insel Mainau, auf der er vielen deutschen Kindern Gastfreundschaft gewährt hat. Als im Frühjahr 1945 das Regime Hitler zusammenbrach, war es Graf Bernadotte, der zwischen Deutschland und den Alliierten vermittelte. Ein objektiver Beobachter, hat er darüber ein Buch geschriebenDas Ende.

Nun war der Graf wieder in Deutschland und reiste durch die britische Zone, um sich von dem Gesundheitszustand der betreuten Kinder zu überzeugen. Dabei hat er nach seinen eigenen Worten festgestellt, daß die Hilfssendungen, die in erster Linie von caritativen und kirchlichen Organisationen in Schweden aufgebracht werden, in die rich­tigen Hände kommen. Die Lebensmittel kom- 'men nicht auf den Schwarzen Markt, son­dern wirklich zu denen, die sie nötig haben. Bei Besuchen in den Häusern der Kinder, die Kleidungsstücke erhielten, konnte fest­gestellt weren, daß auch diese Spenden dort verwendet wurden, wo sie nötig waren.

Kampf um die Zelle

J.. Nürnberg. Bei seiner Rück­kehr aus Frankfurt kam Ter Meer, einer der .3 angeklagten I.G.-Direktoren, in die unge­wöhnliche Situation, sich gewaltsam wieder den Zutritt zum Nürnberger Gerichtsgefäng­nis verschaffen zu müssen. Das Gericht hatte Ter Meer erlaubt, mit seinem Vertei­diger besondere Dokumente in Frankfurt zu holen. Als er jedoch durch die Postenkette im Justizpalast gehen wollte, verweigerte ihm der Posten den Zugang, weil er keinen ord­nungsgemäßen Paß hatte. Ter Meer wurde ärgerlich und erklärte, er wolle endlich in seine Zelle, er sei von der Reise müde und abgespannt. Schließlich gelang es dem An­geklagten, durch den endlich herbeigerufe­nen Gerichtsoffizier wieder in seine Zelle zu gelangen, ,3s ist manchmal doch leichter, aus dem Gefängnis herauszukommen, als wieder herein, sagte der amerikanische Offizier, als Ter Meer endlich die Paßkon­trolle hinter sich hatte.

Schweden will weiterhelfen, es kann aber seine Hilfe, die durch eigene wirtschaftliche Schwierigkeiten erschwert wird, nicht auf andere Zonen ausdehnen. Bis zum März 1948 ist die Hilfe im bisherigen Rahmen sicher­gestellt, Schweden wird Lebensmittel nach Hamburg, ins Ruhrgebiet und in die nicht­sowjetischen Sektoren Berlins liefern.

Graf Bernadotte ist einer der Menschen, die, wie Hoover oder Elsa Brandström, ohne viel Worte Taten tun, welche die Nationen mehr verbinden als Reden und Verträge.

Brüning bleibt in Boston

Berlin. Der Herausgeber derDeut­schen Rundschau, Dr. Rudolf Pechei, der mit Dr. Heinrich Brüning in Verbindung steht, teilt mit, der ehemalige Reichskanzler beabsichtige nicht, in nächster Zeit wieder in das deutsche politische Leben einzugrei-

Teildemontierte Betriebe

Tübingen. Am Montag wurde be­kannt, daß von den südwürttembergischen Betrieben, die auf der Demontageliste stehen folgende nur teilweise demontiert werden:

Fürstl. Hohenzollerische Hüttenverwaltung, Lauchertal;

Zahnradfabrik Friedrichshafen (33 Prozent);

Fr. Henning, Metzingen (die Schmiede bleibt erhalten);

J. Hengstier, Aldingen (50 Prozent);

Junghans, Schramberg (50 Prozent);

Kienzle, Uhrenfabrik, Schwenningen (50 Prozent);

Mauthe, Schwenningen (50 Prozent);

Schlenker-Gruson, Schwenningen (50 Pro­zent);

Die übrigen in der Liste enthaltenen Be­triebe werden vollständig demontiert.^

DIE KURZE NACHRICHT

Clay vom Papst empfangen Der Militärgouverneur der ame­rikanischen Besatzungszone in Deutschland, General Lucius D. Clay, ist vom Papst empfangen worden.

Niedersachsen hilft Flüchtlingen Der niedersächsische Landtag verabschiedete ein Gesetz zur Beschaffung von Hausgerät für Flüchtlinge, das am 1. Januar 1948 in Kraft treten wird. Haus­gerät, Möbel und Gegenstände des persönlichen Bedarfs sollen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und persön­lichen Verhältnisse der Besitzer angefordert werden. Ein Ein­spruch kann erfolgen, er hat aber keine aufschiebende Wir­kung.

Untergewicht der Eisenbahner Eine ärztliche Untersuchung von Eisenbahnern ergab bei 378 Per­sonen nur 68 mit Normalgewicht. 130-Personen hatten ein Unter­gewicht von eins tote neun, IW von zehn und mehr Kilogramm.

Mißlungene Flucht Der ehemalige Leibphotograph Hitlers, Heinrich Hoffmann, der vor einigen Tagen aus dem In­ternierungslager Moosburg, ent­flohen war, ist in der Nähe von Nürnberg von amerikanischer Militärpolizei wieder festgenom­men worden. Die Spruchkam­merverhandlung gegen seine Frau wurde vertagt, weil die Anwesenheit ihres Mannes bei der Verhandlung von entschei­dender Bedeutung für die Klä­rung der Vermögensverhältnisse ist.

Röchling ausgeliefert Der ehemalige saarländische Stahlkönig, der Großindustrielle Hermann Röchling, der seit eini­ger Zeit im Nürnberger Gefäng­nis inhaftiert war, ist cfen fran­zösischen Militärbehörden an der Saar zur Aburteilung in einem Kriegsverbrecherprozeß überge­ben worden.

Sozialist bildet Kabinett Der dänische König hat den So­zialdemokraten Hodtoft beauf­tragt, ein neues dänisches Ka­binett zu bilden. Seit 1939 ist Hodtoft der Führer der Sozial­demokratischen Partei. Im Jahre 1945 wurde er Arbeitsminister.

Besuch zur Hochzeit Man rechnet in England damit, daß zur Hochzeit der Prinzessin Elisabeth etwa 50 000 ausländische Besucher nach England reisen.

Eingeschränkte Rechte Das britische Unterhaus billigte im Prinzip den Plan der Re­gierung, die Machtbefugnisse des Oberhauses dahingehend einzu­schränken, daß das Recht der Lords, eine Gesetzgebung der Regierung zu verzögern, von zwei Jahren auf ein Jahr redu­

ziert wird. Mit 345 gegen 194 Stimmen wurde der Zusatzantrag der Opposition auf Zurückwei­sung des Gesetzentwurfes abge­lehnt. Der Entwurf gelangte dann zur zweiten Lesung.

Unterlegene Kommunisten Nach den slowakischen Wahlen, bei denen die Christlich-Demo­kratische Partei 62 Prozent der Stimmen erhielt, ist es zu scharfen Gegensätzen zwischen dieser Partei und den Kommu­nisten gekommen. Die unter­legenen Kommunisten haben versucht, die zwar unpolitischen, aber doch von ihnen kontrollier­ten Organisationen, wie den Ge­werkschaftsverband, den Land­wirteverband und die Wider­standsbewegung, in die nationale Front der Parteien hineinzu­bringen. Die Bemühungen des slowakischen Ministerpräsiden­ten Gottwald, zwischen den Par­teien zu vermitteln, sind ge­scheitert. Sein Kompromiß soll den Vorschlag enthalten haben, daß die tschechoslowakische Re­gierung die Ernennung der slo­wakischen Regierungskommissare Übernehmen sollte, die bisher von der Slowakei selbst ernannt worden sind. Es heißt aus Prag, daß man keinen anderen Aus­weg mehr sieht, als einen er­neuten Vermittlungsversuch durch den Präsidenten Benesch.

Entführungsgefahr Ferenc Nagy, der Sekretär der ungarischen Unabhängigkeitspar­tei des unlängst nach Oesterreich geflüchteten Abgeordneten Pfeif­fer, ist ebenfalls nach Oester­reich geflohen, um der Verhaf­tung durch die kommunistisch beherrschte ungarische Polizei zu entgehen. Nagy sagte, in Ungarn herrsche offener Terror. Er werde seinen Aufenthaltsort in Oesterreich nicht bekannt­geben, weil die Kommunisten ein wirkungsvolles Entführungs­system entwickelt hätten.

Alles ist erfunden!

In Anwesenheit der Angeklag­ten wurde in Bukarest das Ur­teil im Maniu-Prozeß verkündet. Juliu Maniu wurde zu lebens­länglicher Zwangsarbeit ver­urteilt. Die Strafe wurde seines hohen Alters wegen in eine lebenslängliche Gefängnishaft umgewandelt. Seine Mitange­klagten erhielten ebenfalls lang­jährige Zwangsarbeit- oder Ge­fängnisstrafen. Alle Verurteilten haben gegen das Urteil Revision eingelegt. In seinem Schlußwort sagte Maniu, nachdem der Vor­sitzende die Hauptangeklage- punkte gegen ihn verlesen hatte: Alles ist Phantasie und Erfin­dung! Man könne leicht einen Menschen anklagen, ohne diese Anklage durch Beweise zu be­legen. Es sei nicht seine Sache, einen negativen Beweis zu füh­ren, sondern die Sache des Staatsanwaltes, die Anklagen zu

beweisen. Das aber hätte er er nicht getan.

,»Abscheuliches Verbrechen Vier ehemalige rumänische Re­gierungsbeamte, die in Bukarest in Abwesenheit im Maniu-Pro­zeß verurteilt worden waren, gaben in Washington, wo sie im Exil leben, eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie das Gerichtsverfahren gegen Maniu und seine Mitangeklagten als eines der abscheulichsten und offensichtlichsten Verbrechen der Menschheit bezeichnen. Die vier Unterzeichner der Er­klärung sind: Alexander Gretze- anu, der frühere rumänische Botschafter in Ankara, Buzesti, ehemaliger rumänischer Außen­minister, beide wurden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, der frühere Außen­minister Gefencu, der zwanzig Jahre Gefängnis erhielt, und der frühere Außenminister VI- soianu, den das Gericht zu fünfzehn Jahren Gefängnis ver­urteilte.

Einigung über Palästina Die Sowjetunion und die Ver­einigten Staaten haben sich in Lake Success über eine gemein­same Formel für die Durchfüh­rung de* Teilung Palästinas ge­einigt. Nach diesem Plan wird die britische Mandatsherrschaft über Palästina am 1. Mal 1948 ab­laufen. Auch die britischen Streitkräfte sollen bis zu diesem Zeitpunkt abgezogen worden sein. Der arabische und der jü­dische Staat sollen bis zum l. Juli 1948 gebildet sein. Die Vollver­sammlung der UNO wird Eng­land auffordern, weiterhin die Verantwortung für die Ordnung in Palästina bis zum Ablauf der Mandatsherrschaft zu überneh-. men.

Militärputsch ln Siam

Der siamesische General Song­kram hat in einem Militärputsch die Regierungsgewalt an sich gerissen. Er hat die, Bevölkerung zur Ruhe ermahnt und gesagt, er wolle die Schwierigkeiten be­seitigen, ln denen sich das Land befände. In offiziösen Kreisen des Auslandes befürchtet man, daß die undurchsichtige Führung der Militärdiktatur in Siam sich als dauerhaft erweisen könnte. Das britische Außenministerium prüfte die Lage in Siam. Es heißt aus London, daß es schwie­rig sein würde, Einsprüche gegen die Macht des Generals Song­kram zu erheben, der den Alli­ierten 1942 den Krieg erklärte, da es im siamesischen Friedens­vertrag im Gegensatz zu den europäischen Verträgen keine Bestimmungen gibt, nach denen Personen vor Gericht gestellt werden können, denen Kriegs­verbrechen vorgeworfen wer­den. Der General hat alle inter­nationalen Verpflichtungen Siams anerkannt.

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Nachtwächterrufe

J. S.Der Württemberger, von dem man gewöhnt ist, daß er friedsam wie ein Nacht­wächter seinem Gewerbe als Organ der so­zialdemokratischen Partei in .Südwürttem­berg und Hohenzoliern nachgeht, hat das Kriegsbeil ausgegraben. Sein erstes Opfer ist der Emährungsminister Weiß, der ihm zu­viel verspricht und zuwenig hält. Er nagelt ihn zwar nicht gleich an die Wand, aber er nagelt ihn auf ein Interview fest, das er ihm gelegentlich einmal unter die Nase halten will, mit leisem Augenzwinkern übrigens, daß es nicht so schlimm gemeint sei. Denn im allgemeinen gibt sich derWürttemberger große Mühe, mit den Ministern gut zu stehen. Das zeigt sein zweiter Waffengang. .Denn kaum hatte er sich den Skalp des weißen Mannes an den Gürtel geheftet, so faßte er den Spieß fester und bohrte ihn derSchwä­bischen Zeitung erbarmungslos in die Wei­chen. DerWürttemberger wirft uns Be­amtenhetze vor. Aus dem ArtikelDer Be­amte und der Staat zitiert er folgende zwei Sätze:Die Zeiten, als selbst Minister sich auf die Straßenbahn setzten, um in ihr Büro zu fahren, oder hohe Beamte mit der Bahn eine Dienstreise machten, sind längst vor­bei. Ehedem galt Sabotage Und Dienst­verweigerung als Schwerverbrechen, heute verdanken manche Beamte ihre Stellung ebensolchen Delikten. Wir hatten zwar et­was anders geschrieben, und es wäre uns auch lieber gewesen, man hätte beide Zitate nicht aus dem Zusammenhang gerissen, um ihnen so eine falsche Wirkung zu geben, aber auf eine so ^kleine Falschmünzerei kommt es demWürttemberger nicht an. Er fährt dani^ fort:Die CDU-Minister, die ebenso wie die Minister der anderen Parteien sich den Luxus einer Bahnfahrt überhaupt nicht mehr leisten können, weil sie nämlich nicht acht, sondern zumeist 12 oder 15 Stunden am Tage zu ar­beiten haben, werden sehr erfreut darüber sein, wenn ihnen ihr Parteiblatt solchermaßen die Leviten liest. Und was die sabotierten (er meint wohl die sabotierenden. D. R.) Schwerverbrecher angeht, so wird die Freude ebenso groß sein: Da bekanntlich die CDU- Minister die Mehrheit in der Staatsregierung bilden, werden sicher auch einige der Schwer­verbrecher in den Ressorts der CDU-Minijäter zu finden sein. Abgesehen davon, daß es wiederum ein kleines Falschmünzerkunst­stück ist, das, was wir über den Beamten überhaupt geschrieben haben, den CDU- Ministem anzuhängen mag sich derWürt­temberger über die Wirkung unseres Be­amtenartikels auf die CDU-Ressorts beruhi-' gen. Nur wer sich getroffen fühlt, schreit. Aber das ist weniger wichtig. Wichtiger ist etwas anderes: Wie ahnungslos muß dieses Organ des werktätigen Volkes sein, daß es zu dem Problem Volk und Staat, das heute die Grundfesten unserer neuen Ordnung er­schüttert, nichts anderes zu sagen weiß, als solche Albernheiten von Ministem, die sich den Luxus einer Bahnfahrt nicht leisten könnten.

In Berlin müssen nun auch die Schulkinder Fragebogen ausfüllen. Das Hauptschulamt will sich auf diese Weise Einblick in diehäuslichen Verhältnisse" der 400 000 Schüler verschaffen.

In allen städtischen Aemtern Münchens findet man Verbotsschilder folgenden Wortlauts:Jeder Versuch, Beamte der Stadtverwaltung zu beste­chen, wird strafrechtlich verfolgt.

Die Zentralverwaltung landeseigener Betriebe in der Sowjetzone hat den landeseigenen Betrie­ben Thüringens die Herstellung von Feuerzeugen ohne Stfeine, von Wandsprüehen aus Holz oder Papier und von Einkaufstaschen ans Pappe als unnütz untersagt. '

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Redaktion: Albert Komma» Johannes Scbmid. Verlag: Schwäbischer Verlag, KG., Friedrichshafen, in Leutkirch. Druck: Kottweiler Verlags- und Drnckereigenossenschaft, Kottweil.

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1. Von Max Mell

In eine kleine deutsche Residenz kam im Frühling des Jahres 1776 Herr Elliot, der englische Gesandte, für Bayern; jener kleine Hof hatte keine auswärtigen Geschäftsträger. Der Fürst, von dem so viel bekannt getan sei, daß er opulente Mahlzeiten, übermäßige Jag­den und schöne Weiber nicht verachtete, ließ dem Herrn Elliot zu Ehren einige Festlich­keiten aufführen und veranstaltete an einem Samstag eine Parade seiner Truppen. Da hatten die Soldaten am Freitag rechte Plage, ihre weißen Hosen zu waschen, die Knöpfe blank zu putzen und ihre Montur vor jedem Fleck zu behüten; und zuletzt setzten sie sich m Kasemenhof Stuhl vor Stuhl im Kreis, und einer mußte dem anderen das Haar pomadisieren und den Zopf flechten; und da­mit die ganze Pracht nicht über Nacht wieder zerstört werde, blieben sie auf den Stühlen sitzen und wachten. Es waren nun darunter zwei Soldaten, die recht herzlich zueinander hielten' das. waren Heinz Dederdinger und Philipp Jnfang, und Heinz, die treue Seele, saß hinter Philipp und hatte ihn besonders zart pomadisiert und ihm mit Liebe den Zopf steif gemacht, während Philipp seinen Vordermann ein wenig gezaust und sich an seinen kräftigen Flüchen ergötzt hatte. Und nun verplauderten sie die Nacht, indem Phi­lipp sich auf seinem Stuhl zu seinem Freunde umkehrte. Heinz, die treue Seele, kam so recht in ein Plauderfieber hinein und begann on seinem Schatz zu erzählen, der schönen Katharina, die im zweiten Hause links vom Vlüßleinsreuter Tor wohnte; die er freilich unter der Woche nur in kurzen dienstfreien Momenten selten genug zu sehen bekam; aber am Sonntag, wenn die Eltern zu einer

alten Verwandten Ins Stift gegangen waren, empfing sie ihn in ihrem Kämmerlein, oder sie gingen mitsammen ins Grüne. An der Wand des Hauses oben, erzählte Heinz, stünde in einer Nische eine Marienstatue; aus ihrem Fenster konnte sie dorthin greifen. War sie mit Blumen geschmückt, bedeutete das: die Eltern sind schon fort. War sie schmucklos, hieß es: sie sind noch da, komm später wieder! Hatte sie jedoch der Maria einen Reisigkranz aufgesetzt, so hieß es: heute gehen die Eltern nicht fort, heute ists nichts! Die Leute hielten den Putz für from­mes Tun oder für Schnickschnack, und gegen­über wohnte ein alter Sonderling, der gab nicht darauf acht, was da geschah. Wie Heinz das recht treuherzig berichtete, merkte Phi­lipp in seinem Sinn, daß er auch gerne so einen lieben Schatz besäße, und auf einmal brannte sein ganzes Herz so lichterloh auf vor Sehnsucht, als wäre es selbst aus Reisig, das wegbrennen sollte, damit nur wieder Liebende zusammenkämen. Wie er nun dar­über klagte und ihm ein Kamerad, der ein Wort davon auffing, die Häuser und Wirt­schaften nannte, wo man sich mit Weibs­personen durchaus amüsieren konnte, da sal- vierte sich Philipp dagegen und sagte ernst­haft, wie schuftig der Dienst und der Sold wäre, auf den hin man nicht einen eigenen Hausstand gründen könnte. Heinz besänf­tigte ihn, pries Soldatenehr und Lagerleben und machte ihm zuletzt den Vorschlag, am Sonntag, der nach der Parade festlich genug wäre, mit ihm und Katharina vor das Tor nach Müßleinsreut zu ziehen, da tummle sich junges Volk genug, da möchte er leichtfertige Umschau halten, da fände er wohl ein schmuckes Ding, das am Herzen und Kosen Gefallen hätte. Inzwischen war Mitternacht vorbei, und manche Stirn sank- auf die harte Stuhllehne zu ungemütlichem Schlummer; Philipp aber saß da und fröstelte.

Nachdem die Parade vor dem englischen Herrn, dem Landesfürsten und seinem Stabe glänzend verlaufen war, machten sich richtig die beiden herzlichen Freunde am Sonntag­nachmittag vergnügt zum Tor auf, und die Marienstatue am zweiten Haus links prangte im Blumenschmuck; ein kleines Sträußlein war herabgefallen und lag neben den drei runden Stufen zur Haustür, in die Heinz hurtig seine Liebste abholen lief. Alsbald kamen sie heraus, das Mädchen fein geputzt im geblümten Kleidchen und mit seidenem Busentuch; die Aeuglein lachten und rollten vergnügt in ihrer elfenbeinernen Fassung bald auf die, bald auf jene Seite, und das Schnäbelchen schien schon die ganze Treppe herab in steter Bewegung gewesen. Philipp hatte das Sträußchen von der Erde gehoben und sagte:Mit Erlaub, Mademoiselle, das steck ich mir an, was die heilige Jungfrau verloren hat! Und sie blitzte ihn lustig an: Ich bin doch gar keine heilige Jungfrau! und dann tat sie sofort ängstlich:Gott, nur aus dem Tor, daß uns nur niemand sieht! Sie zogen also in der Pappelallee die Chaussee entlang, und schwere Karossen rasten vorbei und hüllten sie in Staub. Das waren die vornehmen Herrschaften, die alle auf das Lustschloß fuhren. Mit einem schönen Gebäude und Salaterrena lag es auf der Mitte eines Hügels oder angenehmen Berges und hieß jetzt Bellevue, während der ge­meine Name Müßleinsreut für das Volk und die niederen Standespersonen aufbehalten blieb. Denn zu Füßen des Schlosses lag eine artige Wirtschaft zwischen Hecken und Wie­sen, es gab dort eine Kegelbahn, eine Schaukel und Honigkuchenbuden, und das Volk belustigte sich dort mehrfach. Katharina trieb es recht ausgelassen, und den beiden Soldaten behagte ihr imgebundenes Wesen; Heinz hatte im langsamen Schlendern eine Gerte abgerissen und in der Hand, und

Katharina entblätterte sie rasch mit einem Zug ihrer Finger, die ihr dann recht brann­ten, und ließ sich von Heinz die geröteten Stellen der Handfläthe küssen, und als Phi­lipp bat: Ich auch! ließ sies auch von ihm sich gefallen; es drang ihm aber dabei das heiße Blut in den Kopf. Sie setzten sich an einen Tisch, wo sie bei einem Grenadier und seiner alten Mutter sowie einem Handwerks­mann, der am Erblinden war, noch Platz fanden.

Denn es gab rechten Lärm, die Tische wa­ren voll besetzt; die Kinder tanzten und kol­lerten auf der Wiese umher, auch erwachsene neckische Weibspersonen nebst ihren Gala- nen, und die Schaukel war niemals frei, worüber sich Katharina bitter beklagte und oftmals umsah. Sie tranken Kaffee und dann Wein und sprachen von den Weltläuften, wozu einer den Dudelsack blies und ein an­derer die Flöte, und hinein klang das dumpfe Rollen der Kugel und das Aus- einandersplittem der Kegelschar. Endlich waren die Kinder weg von der SclfüTukel, und hui! lief Katharina dahin.Wer ist der erste! rief sie; und Philipp flog mit einem Satz ihr nach, während Heinz sich aus einem ernsthaften Gespräch mit dem Grenadier bloß flüchtig hinwandte. Sie setzten sich beide auf das lange Schaukelbrett gegen­einander und taten die Schuhsohlen zusam­men und drängten so einander, wobei es dem Philipp war, als flösse durch die dün­nen feinen Schuhsohlen des Mädchens und durch seine ungeschlachten das Wonnegefühl ob ihres schönen Wuchses bis in sein Hirn herauf. So kamen sie in Schwung und sahen däbei einander an, Philipp hitzig und etwas verwirrt, Katharina aber übermütig mit den Augen zwinkernd und reizend ein leichtes Liedchen trällernd, wobei sie das Köpfchen neigte und die Kehle hob wie ein allerlieb­ster Sommervogel. (Fortsetzung folgt)