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Nr. 234
Donnerstag, den 6. Oktober 1932
Jahrgang 105
Der Londoner Konferenzplan gescheitert
England will angesichts unannehmbarer französischer Forderungen seinen Konferenzvorschlag fallen lassen — Abrüstungskonferenz ohne deutsche Teilnahme?
TU. London, 6. Okt. In politischen Kreisen Londons herrschte am Mittwoch abend fast durchiveg der Eindruck, daß die englische Regierung den Plan einer Londoner K o n f e r e n z, auf der zwiscl>en den vier Mächten England, Deutschland, Frankreich und Italien die deutsche Gleichbe- rcchtigungssorderung besprochen werden sollte, nicht mehr w e i t e r v e rs o l g e n w i r d. Die von Herriot vorgebrachten Einwäude ließen keineHosfnung mehraufeine französische Zustimmung. Eine amtliche englische Mitteilung darüber, daß die Konferenz nicht stattfinden wird, ist in London noch nicht ausgegeben worden, vielmehr wird erklärt, daß die Angelegenheit noch erwogen würde.
Berliner Blätter bringen eine Meldung des Neutter- Vüros. In der es heißt, daß in unterrichteten politischen Kreisen jetzt der Meinung Ausdruck gegeben werde, daß die Arbeiten der Abrüstungskonferenz unbedingt fortgesetzt werden müßten und daß ebenso wie bei den Erörterungen des Abrüstungsbüros die deutsche Nichtbeteiligung in Kauf genommen werden müsse. Man hoffe, daß der weitere Gang der Abrüstungskonferenz eine Lage ergeben werde, die es Deutschland ermögliche, keine fortgesetzte Mitarbeit am Abrüstungswerk mit den von ihm vorgebrachten Wünschen zu vereinbaren.
Die von England für die Konferenz vorgeschlagene Verhand- lungsgrnndlage
ließ sich in folgende ö Punkt« zusammenfassen:
1. Grundsätzliche Annahme der GleichheitdesMili- tärstatus, ohne daß daraus eine Aufrüstung erfolgt.
2. Die Gleichheit wird durch allmählicheAbrüstung der am stärksten gerüsteten Mächte erreicht. (Ungleichung nach unten.)
8. Die Gleichheit des Militärstatus bedeutet nicht mengenmäßige Gleichheit.
4. Wenn Deutschland das Recht zuerkannt wird, alle Waffengattungen zu besitzen, darf Deutschland deswegen noch nicht ebensoviel Waffen besitzen wie die ehemaligen Verbündeten.
5. Die im Versailler Vertrag vorgesehenen Beschränkungen sollen mit noch vorzunehmenden Aendcrungen in das neue Abrüstungsabkommen ausgenommen werden.
Herriots unmögliche Bedingungen.
Herriot hat in seiner Unterredung mit Sir John Simon zwar grundsätzlich den Vorschlag einer Konferenz angenommen, daran aber verschiedene Bedingungen geknüpft. Er erklärte:
t. Er würde eine Konferenz in Genf einer Zusammenkunft in London vorzichen;
2. er wünsche, daß die kleineren Staaten ihre Zustimmung zu der Konferenz geben sollen;
3. die Konferenz dürfe keine Entscheidungen treffen, sondern solle sich auf den Entwurf von Entschließungen und die Vorbereitung von Lösungsvorschlägen beschränken, die von der Abrüstungskonferenz zu ratifizieren wären;
4. Deutschland solle vor Einberufung der Konferenz eine Garantie abgcbcn, daß es von jetzt an loyal und ehrlich mit der Abrüstungskonferenz Zusammenarbeiten will.
Herriot hat sein Einvernehmen mit den englischen Besorgnissen über das Schicksal der Abrüstungskonferenz und die Notwendigkeit znr Wetterführung der Verhandlungen aus- gedrückt, aber gleichzeitig auch die ernste Auffassung zum Ausdruck gebracht, die man In Frankreich von der Lage habe und
erklärt, baß Frankreich niemals einer Lösung zustimmen könne, die darauf hinauslaufe, Deutschland die rechtliche Erlaubnis zur Wiederbewaffnung zu geben oder durch Herabsetzung der französischen Rüstungen eine theoretische Gleichheit zwischen der französischen und deutschen Landmacht schaffen würde.
Der Pariser Korrespondent der „M o r n i n g p o st" berichtet, daß der englische Außenminister angeboten habe, auch Belgien und P o l e n zu der Londoner Konferenz einzula- -en, so daß Frankreich sich nicht isoliert fühlen würde. Herriot habe daran erinnert, daß der Völkerbunbsrat die einzige Stelle für die Erörterung der deutschen Ansprüche sei. Es sei Sache Deutschlands, von sich aus wieder den Anschluß an die Abrüstungskonferenz zu finden. Nach englischer Auffassung sei sicher, daß keine Entscheidung über ein Rüstungsabkommen getroffen werden könne, solange Deutschlands Absichten unsicher seien. Eine Abrüstungsvereinbarung ahne Mitwirkung Deutschlands zu entwerfen, sei in keinem Falle möglich, solange Deutschland sich fernhalte.
Berliner Stimmen zum Scheitern der Gleichberechtigungs- Konferenz.
Die Berliner Blätter nehmen bereits zum Scheitern des Londoner Konferenzplanes Stellung. Der „Lokalanzeiger" sagt, bah für die Reichsregierung eine sehr klare Lage entstanden sei. Sie könne abwarten, was ihr von Genf angeboten werde. Die englische Regierung habe im übrigen in ihrer sehr vorsichtigen und offiziösen Reuttererklärung durch die Hervorhebung der „ablehnenden Haltung der französischen Regierung" selbst festgestellt, Saß die sogenannte „Schuld" am Scheitern der Londoner Konferenz nicht in Berlin, sondern in Paris zu suchen sei. Offenbar wolle die englische Regierung jetzt in Genf eine Art Kompromiß für die deutsche Forderung auf Gleichberechtigung zustande bringen und dann Deutschland vor die Wahl stellen, ob es dieses Kompromiß annehme oder ablehne. Der „Tag" spricht von der erfolgreichen Sabotage Frankreichs. Die „Rassische Zeitung" meint, die englische Regierung wolle jetzt offenbar der Entwicklung Zeit lasten. Für Deutschland sei diese Wendung äußerst überraschend und wenig erwünscht. Offenbar habe die Aussprache zwischen Simon und Herriot in Paris ergeben, daß Frankreich die deutsche Gleichberechtigung nicht zugestehen wolle und darauf dürfte es zurückgehen, daß England seinen Konferenzplan ausgebe. Die „D AZ." hebt hervor, Laß das Scheitern der Londoner Konferenz in Berlin nicht minder bedauert werde als in London, denn Deutschland sei bet den Vorbereitungen zu dieser Konferenz bis an die Grenze des Möglichen gegangen, um dem Kampf gegen die Abrüstung ein Ende zu bereiten. Durch die Schuld Frankreichs habe die europäische Politik wieder einmal eine große Chance versäumt. Wenn England jetzt die ganze Frage ohne deutsche Beteiligung weiter zu treiben versuche, so wünschten wir ihm dazu besten Erfolg. Die Reichsregierung müsse sich vor- läufig auf die aufmerksame diplomatische Beobachtung der Abrüstungssaboteure beschränken. Die „Börfenzei- tung" weist darauf hin, daß man in gut unterrichteten politischen Kreisen Berlins noch kur- vor dem Eintreffen der Londoner Meldungen das Zustandekommen der Konferenz etwas optimistischer beurteilt hat. Aber Herriots Jn- transigenz sei wieder einmal stärker gewesen als der gute Wille Englands.
Das Urteil im „Angriff"-Prozeß
Gefängnisstrafen wegen übler Nachrede.
TN. Berlin, 8. Okt. In dem Prozeß gegen die „Angriff Redakteure Dr. Lippert und Krause wegen Beleid gnvg des ehemalige» Polizeivizepräsidenten Dr. Weiß m des ehemaligen Polizeipräsidenten Grzesinski verurteil die 5. Gros;« Strafkammer beim Landgericht 1 Dr. Lippe wegen übler Nachrede und Beleidigung auf Grund d strasurrschärscnden Ehrenschutzbestimmungen der Notveror vttng des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931 zu dr, Monaten Gefängnis „nd den Redakteur Krause - fünf Monaten Gefängnis.
In der Urteilsbegründung heißt es, daß d< -'lngriss-Ncüaktcnrcn in keinem Punkt der Wahrheitsbewe gelungen fei. Es entspreche nicht den Tatsachen, daß T m/r-i Freunde. Generalkonsul Krojanker, unrech
de,, »» einer Baukonzession verholfen habe. Wc
denen baß Dr. Weiß Mitglied von verschi
werden ^ielklnbS gewesen sei, so müsse festqestel
werden, daß Dr. Weiß bis zum Jahre 1925 Mitglied d.
Spielklubs „Theaterklub" gewesen sei, dann aber in dem Moment ausgetreten wäre, in dem er Leiter der Abteilung IV im Polizeipräsidium geworden sei. Keiner der gegen Dr. Weiß erhobenen schweren Vorwürfe sei berechtigt gewesen. Das Gericht habe den Angriff-Redakteuren die Wahrung berechtigter Interessen versagt, denn es gebe kein allgemeines Recht der Presse, politische Gegner zu verunglimpfen. Die ftrasverschärfenden Be- stimmungen der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 hätten Anwendung finden müssen, weil die Beleidigten, Polizei- vizepräsiüent Dr. Weiß und Polizeipräsident Grzesinski, im öffentlichen Leben gestanden hätten und noch ständen. Sie ständen heute noch im Brennpunkt beS politischen Lebens, weshalb ihre Ehre geschützt werden müsse. Das Gericht führte schließlich aus, daß es unvermeidlich gewesen sei, die Angriffsredakteure mit Gefängnis zu bestrafen. Selbst ohne Anwendung der Notverordnung würde bas Gericht auf Gefängnisstrafen erkannt haben, weil die Beschimpfungen schwerer Natur und wenig sauber seien, außerdem «ine groß« Gehässigkeit zeigten.
Tages-Spiegel
Der Plan einer Fünfmächtekonserenz in London znr Rege» lung der Gleichberechtigungssrage gilt als gescheitert. Schuld hieran tragen unmögliche Forderungen Frank» reichs.
Frankreich soll Genfer Meldungen zufolge eine« neuen Plan fertiggestellt haben, der Sicherheit «nd Abrüstung verbindet.
Im Zuge neuer Ersparnismaßregeln im Auswärtige» Dienst sollen insgesamt SV Konsulate ausgehoben werden. Der Haushalt sah die Beseitigung von 7 Sonsnlaten vor.
»
Der Berliner Magistrat hat beschlossen, der Stadtverordne» tenversammlung für die Bürgerstener 1933 eine« Steuer» satz von SVV Prozent vorznschkagen.
*
Der französische Einfluß in Oesterreich breitet sich immer stärker aus. Durch Uebernahme der Aktienmehrheit der „Wiener Neuen Freien Presse" durch eine Pariser Bank hat Frankreich ein einflußreiches Presseorgan gewonnen.
«
I« Danzig wurde in Anwesenheit von Vertretern von 45 deutsche« Hochschulen der 7. deutsche Hochschultag eröffnet.
Die Konlingenlpolitik
Keine Meinungsverschiedenheiten im Kabinett.
TU. Berlin» 8. Okt. In der Presse ist die Behauptung auf» gestellt worden, daß zwischen dem Reichswirtschaftsminister Warmbold und anderen Kabinettsmitglieüern Meinungsverschiedenheiten über die Kontingentspolitik der Regierung beständen, die «um Rücktritt des Retchsxoirtschaftsministers führen könnten. Wie von zuständiger Stelle mitgeteilt wird- entspricht diese Meldung in keiner Weise den Tatsachen. Es besteht kein Konflikt -wischen Warmbold und anderen Kabinettsmttgliebern. Im Gegenteil herrsche über die Kontingentspolitik der Regierung im Kabinett volle Einigkeit. _
Die Berliner Schlichter-Konferenz
TU. Berlin, 8. Okt. Dem Reichsarbeitsminister berichteten am Mittwoch die Schlichter über ihre Erfahrungen bei der Durchführung der Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung -er Arbeitsgelegenheit. Die allgemeine Meinung war, -aß die stellenweise sich ergebenden Schwierigkeiten, die übrigens in der Oeffentlichkeit übertrieben würben, keinen Anlaß geben, an der Verordnung oder an den Weisungen, die bisher den Schlichtern erteilt worden sind, etwas z« ändern. Da jetzt auch die Anwartschaft auf die B e s ch S f t t» gungSprämi« wirksam geworden ist, rechnen die Schlich- ter mit zahlreichen Neueinstellungen von Arbeitern für die nächste Zeit. _
Kommunistenunruhen in Spanien
Ueberfälle «nd Plünderungen an -er Tagesordnung.
TU. Madrid, 6. Okt. An verschiedenen Orten Spaniens haben die Kommunisten die Arbeitslosen zu Gewaltätig- keilen aufgehetzt. So haben in Cuenca arbeitslose Kellner mehrere Restaurants und Kaffeehäuser mit Steinen beworfen. Auch eine Schule wurde von einem Steinhagel getroffen, wodurch die Kinder schwer gefährdet waren. Die Arbeitslosen sind vor Las Zivilgouvernement gezogen und belagern das Regierungsgebäude. Polizeiverstärkung ist auS Madrid angefordert worben. In mehreren Dörfern der Provinz Badajoz haben die Arbeitslosen die Gutshöfe über, fallen und rauben die Schafherden und plündern die Mühlen. In Vigo haben streikende Fischer die Wohnhäuser der Schiffseigner angezünbet und greifen diese auf der Straße mit Pistolen an. In Ferrol haben unbekannte Täter eine Kirche eingeäschert.
Die englisch-irischen Beziehungen
TU. London, 6. Okt. Aus einer Konferenz zwischen dem irischen Ministerpräsidenten de Valero und mehreren englischen Ministern wurde beschlossen, am 14. Oktober in London Verhandlungen zwischen der englischen und irischen Regierung über die Frage der irischen Landentschädigungen und anderer von Irland einbehaltenen Zahlungen an England zu eröffnen. Es ist insofern ein Fortschritt ln den englisch-irischen Beziehungen erzielt worden, als bisher alle Versuche, in erfolgreiche Verhandlungen einzutreten, von vornherein an dem unnachgiebigen Verhalten der beiden Regierungen gescheitert waren. Man hält es für möglich, daß de Balera nach dem von ihm er. zwungenen Rücktritt deS irischen Generalgouverneurs in -er «inen oder andere« Krage zu Zugeständnisse« bereit tü.