NeueAuftüstungsbestrebungeninSowjetrußland
Die Niederlage Litwinows bei der Genfer Abrüstungskonferenz kam der Sowjetregierung durchaus nicht ungelegen. Für den Vertreter Ser Räteunion gab es im Grunde genommen gar keine bessere Werbetätigkeit gegenüber dem Auslande als dieses Wedeln mit der Friedenspalme, das zu nichts verpflichtete und doch im In- und AuSlande den Eindruck erweckte, die Sowjetregierung betreibe die Weltabrüstung mit größter Tatkraft und Ehrlichkeit. In Wirklichkeit wäre der Vertreter Rußlands weniger großsprecherisch gewesen, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, ihn unverzüglich beim Wort zu nehmen. So konnte es sich die russische Presse leisten, gegen die Intrigen der bürgerlichen Länder vom Standpunkt eines Pharisäers loszuwettern und die Sowjetunion als einzige Macht der Welt hinzustellen, die von allen Kriegshetzern und Rüstungssabrikanten ohne Unterschied der Nation auf bas heftigste bekämpft werbe.
Besonders die englische Rüstungsindustrie muß es sich gefallen lassen, von den Sowjets am meisten uirb auffälligsten angegriffen zu werden. Man kann im Kreml allerdings auch mit entsprechenden Tatsachen aufwarten. Nach dem jüngst herausgegebenen statistischen Jahrbuch des Völkerbundes über den Waffen- und Munitionshandel ist England zurzeit tatsächlich das größte Waffenausfuhrland der Erde. In den vom Völkerbünde kontrollierten Jahren 1925 bis einschließlich 1930 wurden Waffen und Munition im Gesamtwert von rund 1340 000 000 Mark nach etwa 35 Ländern und Kolonien ausgeführt. Den größten Prozentsatz dieser Lieferungen bestritt von allen Ländern England. Im Jahre 1930 wurden insgesamt für 227 Millionen Mark Waffen und Munition ausgeführt, daran waren England mit 30ch v. H., Frankreich mit 12,9 v. H., die Vereinigten Staaten mit 11,7 v. H., die Tschechoslowakei mit öch v. H. und Schweden mit 7F v. H. beteiligt. Wer die russischen Presseausfälle gegen bas „kriegslustige" England aufmerksam verfolgt, gewinnt allerdings den Eindruck, als handle es sich hier um bestellte Arbeit.
In Moskau brüstet man sich heute damit, den Frieden durch den Abschluß zahlreicher Nichtangriffspakte mit anderen Staaten besser als die Genfer Abrüstungskonferenz befestigt zu haben. Am 25. Juli dieses Jahres wurde bekanntlich der ruffisch-polnische Nichtangriffspakt unterzeichnet, und drei Tage später erfolgte die Auswechselung der Ratifikationsurkunden betreffs des ruffisch-lettländischen Nichtangriffspaktes. Gleichzeitig stattete der russische Botschafter in Paris, Dowgalewski, dem französischen Ministerpräsidenten Herriot einen Besuch ab, in dessen Verlauf die Möglichkeiten für den noch immer nicht Unterzeichneten ruffisch-französischen Nichtangriffspakt sehr eingehend und scheinbar nicht erfolglos erörtert wurden. Doch ist es bezeichnend für die innere Unsicherheit der Sowjets, daß ihnen selbst dieses System bestehender und neu hinzu gekommener Sicherungsverträge
noch immer nicht genügt: sie fühlen sich trotzdem nach wie vor durch die kapitalistischen Länder bedroht! In einem kürzlich erschienenen Artikel, betitelt» Für verstärkte Wachsamkeit und weitere Festigung der Landesverteidigung", den die Moskauer Militärzeitschrift „Wojenny Wiestnik" verbreitete, heißt es unter anderem, der seinerzeit erfolgte Anschlag auf den deutschen Botschafter in Moskau habe erneut gezeigt, baß die Feinde der Bolschewisten danach streben, die Sowjetunion in Konflikt mit fremden Mächten zu bringen. Die arbeitende Bevölkerung Rußlands müsse die drohenden Gefahren erkennen und alle Kräfte zur Gegenwehr einsetzen. Eine ähnliche Haltung nahm unlängst auch die Leningraöer „Prawda" ein. Sie wies auf die wachsende Bedeutung der Ossoaviachim, der Gesellschaft für Luftflugwesen und chemischen Krieg, hin und verlangte angesichts der Bedrohung Rußlands durch imperialistische Mächte einen Umbau und Ausbau dieser Organisation, die mit ihren 19 Millionen Mitgliedern längst nicht mehr den Anforderungen einer modernen Landesverteidigung gewachsen sei ll). Der Zentralrat der Ossoaviachim wird deshalb aufgefordert, „jede russische Fabrik in eine uneinnehmbare Festung des Bolschewismus umzuwanbeln" Man könnte annehmen, es handle sich hier lediglich um Phrasen einiger mit militärischen Fragen wenig vertrauter Parteifunktionäre. Dem ist nicht so. Di« Räteregierung bemüht sich, durch theoretischen und praktischen Unterricht die Belegschaften der großen Jnbustrieunternehmungen des Landes tatsächlich zu militarisieren und nach dem Vorbild Frankreichs ein „Ivvor wasso" vorzubereiten. Die Aufrüstung der russischen Militärverbänbe, die Mechanisierung der Roten Armee, die Vergrößerung der einheimischen Armierungswerften und Munitionsbepots und noch manches andere beuten ebenfalls auf dieses Ziel hin.
Es mußte naturgemäß überall Aufsehen erregen, daß sich der Generalstabschef der amerikanischen Armee, Douglas Mac Arthur, entschlossen hat, sich nach Moskau zu begeben. Diese Reise steht angeblich in Verbindung mit den schon Wochen währenden Versuchen, die eine aus russischen Generalstäblern und Technikern bestehende Kommission mit der geheimnisvollen Kriegserfindung des amerikanischen Ingenieurs Barlow anstellt. Es soll sich dabei um einen ferngelenkten neuartigen Flugzeugtyp handeln, der Raketenbomben von ungeheurer Zerstörungskraft abwirft. Diese Waffe würde nach Ansicht russischer Offiziere genügen, um eine Großstadt wie Berlin binnen 24 Stunden dem Erdboden gleichzumachen. Das Interesse amerikanischer Rüstungsindustrieller an einem Rußlandgeschäft offenbart sich nicht nur in Ser Zunahme von Studienreisen amerikanischer Offiziere und Techniker quer durch Rußland, sondern auch in ihrer engen Fühlungnahme mit maßgeblichen Kreisen der Roten Armee.
Dr. K. Brennert.
Verzögerung der französischen Antwort
TU. Paris, 9. Sept. Wie soeben halbamtlich verlautet, wird der Ministerrat frühestens am Samstag stattfinden. Diese Verschiebung ist darauf zurückzuführen, daß der Kabinettschef des Ministerpräsidenten Herriot, Marcel Ray, zur Zeit noch in London weilt, um dort mit der englischen Regierung Fühlung zu nehmen. Nach seiner Rückkehr — d. h. also nach dem Bekanntwerden des englischen Standpunktes — wird der Ministerrat zusammentreten, um endgültig über die französische Antwort an Deutschland zu beschließen. Diese Antwort wird, wie ausdrücklich betont wird, eine „französische Antwort darstellen, der die Regierungsäußerungen der übrigen Mächte nur gewissermaßen als Gutachten zugrunde liegen".
Von den englischen zuständigen Stellen wird mitgeteilt, daß sie über die französischen Absichten und den voraussichtlichen Inhalt der französischen Antwortnote auf die deutsche Forderung nach Rüstungsgleichheit auf dem Laufenden gehalten und unterrichtet worden sind
Amerika nimmt nicht Stellung.
Der amerikanische Unterstaatssekretär Castle erklärte nach einer Meldung Berliner Blätter aus Washington in der Pressekonferenz, daß der französische Geschäftsträger ihn über die Ansicht der französischen Regierung bezüglich der deutschen Wehrbenkschrift unterrichtet habe. Amerika habe jedoch, so fügte der Unterstaatssekretär hinzu, sich n ich t o f f i z i e l l mit der Angelegenheit befaßt und daher müsse es eine Stellungnahme ablehnen.
Henderson für durchgreifende Abrüstung.
Der Vorsitzende der Abrüstungskonferenz und ehemalige englische Außenminister Arthur Henderson hielt auf dem Gewerkschaftskongreß in Newcastle eine Rede, in der er für durchgreifende Abrüstung der Milttärstaaten eintrat und der deutschen Gleichberechtigungsforderung Rechnung trug.
Zur deutschen Gleichberechtigungsforde- rung erklärte er, man habe behauptet, daß Deutschland sich möglicherweise an den Arbeiten der Abrüstungskonferenz nicht mehr beteiligen werde, wenn seine Forderungen nicht erfüllt werden. Für die Abrüstungskonferenz würde es ein« Katastrophe bedeuten, wenn Deutschland fern bliebe. Dieses würde voraussichtlich zu einer Verstärkung und Verschärfung des alten Rüstungswettstreites führen. Zum Schluß richtete Henderson an die Siegerstaaten die dringende Mahnung, das Abrüstungsprogramm praktisch auszuführen. Insbesondere müßten alle Angrifsswaffen, die Deutschland und anderen Staaten auf Grund der Friedensverträge verboten seien, in großem Umfange vermindert werden.
Die Anerkennung der Gleichberechligungs- forderung ein Prüfstein für den Völkerbund
TU. London, 9. Sept. In einer längeren Meldung des römischen Berichterstatters der konservativen „Morningpost" heißt es, daß die italienische Politik vor neuen schweren Entscheidungen stehe, die möglicherweise zum AustrittJta- ltens aus dem Völkerbund führen könnten, obwohl
Italien alles tun wolle, um diesen Schritt zu vermeiden. Das störende Element in der europäischen Politik sei die Haltung Frankreichs, das zivar internationale Fricdenspakte unterzeichne, andererseits aber seine Sicherheit durch Beibehaltung seiner militärischen Vorherrschaft schützen wolle und den Völkerbund zu seinen Sonderzwecken ausnütze. Italien betrachte den deutschen Anspruch auf Rüstungsgleichheit als den Prüfstein. Es sei der Ansicht, daß eine Ablehnung dieser Forderung durch Frankreich einen Bruch besVersaillerVertrages bedeute. Italiens Augen lenkten sich auf England und der neue Botschafter in London, Grandi, werde nach der Rückkehr auf seinen Posten England zu überreden haben, einen Druck auf Frankreich auszuüben. Das Schicksal Europas liege zum großen Teil in den Händen Englands.
In einem Leitartikel weist die „Morningpost" auf die großen Gefahren hin, die sich aus einem italienisch-französischen Gegensatz ergeben würden. Das Blatt hofft, daß es gelingen werde, diese Entwicklung zu vermeiden. Gleichzeitig sagt die Morningpost, daß man den deutschen Forderungen Rechnung tragen müsse, fügt aber hinzu, daß man ein etwaiges Einvernehmen zwischen der deutschen Reichswehr und Rußland nicht außer Betracht lassen dürfe.
Die liberale Londoner „News Chronica!" schreibt, es müsse immer wieder betont werden, daß Deutschland nicht die praktische, sondern die theoretische Rüstungsgleichheit fordere. Die deutsche Forderung lei logisch unwider st ehlich und die englische Regierung könne unmöglich die Berechtigung der Forderungen zurückweisen. Auch andere englische Blätter, so der „Daily Herald", äußern sich in ähnlichem Sinne. _
Neue französische Fliegermanöver
gegen Italien
Wenige Wochen nach Abschluß der riesigen Luftmanöver in Lothringen, die einen deutschen Fliegerüberfall zur Voraussetzung hatten, erhalten die französischen Milttärflug- häfen den Befehl, sich für neue Uebungen vorzubereiten. Der französische Generalstab hat den Manöverplan veröffentlicht. Diesmal soll es „gegen Italien" gehen.
Angenommen wird ein Ueberfall der französischen Kriegshäfen am Mittelmeer und eine Bedrohung des unteren Rhone-Gebietes durch Bombenabwürfe. Marseille gilt als besonders gefährdet. Für die Abwehr des feindlichen Angriffs werden die Jagdstaffeln und Batterien von Toulon, Heyeres und St. Raffael eingesetzt, die durch Geschwader aus den übrigen Kriegshäfen an der Atlantikküste und Wasserflugzeuge ergänzt werden sollen.
In französischen Militärkreisen glaubt man, daß Sie mobile schwere Artillerie in der italienischen Armee in einem kommenden Krieg eine große Nolle spielen werde. Dies sei eine ganz neue Tatsache, mit der Frankreich zu rechnen habe.
Deutschnationale gegen Nationalsozialisten
— Berlin, 9. Sept. Die deutschnationale Neichstagsfrak- tion hielt in Anwesenheit des Parteiführers Dr. Hu gen
berg eine Sitzung ab, die sich zunächst mit Wirtschaftsfragen beschäftigte. Im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsprogramm der Regierung wurden Anträge vorbereitet, bi» insbesondere eine Berücksichtigung der mittelständischen Wirtschaft und sozialpolitische Forderungen bei den neuen Maß. nahmen zum Ziele haben.
Die Fraktion nahm dann eine Entschließung an, iv der es heißt, baß sie mit Empörung von den lügnerischen Veröffentlichungen Kenntnis nahm, die besonders die nationalsozialistische Presse planmäßig im ganzen Lande über die Deutschnationale Volkspartei und ihren Führer verbreite Diese unwahren und gehässigen Behauptungen hätten nur den Zweck, von der in den Kreisen der Nationalsozialisten herrschenden schweren Unruhe abzulenken, die durch bas par- lamentarische Kuhhandeln der nationalsozialistischen Führer mit der „nationalen" Zentrumspartei entstanden sei.
Protest der rheinischen Landwirtschaft
gegen die Notverordnung vom 4. September.
TU. Köln, 9. Sept. Der Hauptvorstand der Vereinigung des Rheinischen Bauernvereins und des Rheinischen Land- bundes hat zum Wirtschaftsplan der Reichsregierung eine Entschließung angenommen, in der betont wirb, baß di« Rettung von Wirtschaft und Nation nur möglich sei durch die Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Rentabilität Mit Bedauern habe die rheinische Landwirtschaft feststellen müssen, daß in der Verordnung vom 4. September wirkungsvolle Maßnahmen zur Rettung der Landwirtschaft, insbesondere der Verebelungswtrtschast, durch Umstellung der Handelspolitik auf bas Kontingentsystem, sowie durchgreifend« Maßnahmen zur wirkungsvollen Zins- und Lastensenkung nicht enthalten seien. Ferner fehlten die Maßnahmen zur Umlagerung der Konsumbelastung vom heimischen auf baS ausländische Produkt, so in erster Linie die Ermäßigung der Zuckersteuer und der Umsatzsteuer für die Erzeugnisse bet bäuerlichen Wirtschaft sowie der Fortfall der Schlachtsteuer.
Der Reichspräsident wieder in Berlin
Reichspräsident von Hindenburg ist aus Neudcck nach Berlin zurückgekehrt, um hier die letzten politischen Entscheidungen zu treffen. Links vom Reichspräsidenten, der, aus dem Bahnhofsgebäude heraustretend, sein Auto besteigt, steht man seinen Sohn.
Aktion zur Entlastung des Roggenmarkles
Gerftenscheine zur vollverbilligten Einfuhr von Futtergerste TU. Berlin, 9. Sept. Amtlich wird mitgeteilt: Die Vorarbeiten für die bereits angekündigte Aktion zur Entlastung des Roggenmarktes sind beendet. Die Deutsche Getreide-Han- dels-Gesellschaft ist in den Stand gesetzt worben, in umfas. sender Weise in den Markt einzugreifen. Sie wirb künftig nicht nur in Berlin oder an anderen vereinzelten Marktplätzen, sondern in allen Roggenüberschußgebieten, in denen es die Marktlage erfordert, Roggen zu marktmäßigcn Prei- sen kaufen. Die Aufkauftätigkeit wird sich bis zu dem Zeitpunkt erstrecken, in deU sich zwangsläufig aus der Versor-
agslage eine Erleichterung ergibt.
Die von der DGH. aufgekauften Roggenmengen sollen ht eingelagert, sondern sofort der Verfütterung zugeführt rden. Der Roggen wird evsiniert frachtfrei der im nord- stbeutschen Schwcinemastgebiet gelegenen Empfangsstation m Preis von 140 je Tonne, bis Küstenhafen des in age kommenden Gebietes zu 137 ^ je Tonne "gegeben, eser Preis wird für den Roggen umfangreiche Absatzmög. -ketten erschließen. Zum Ausgleich der für die DGH. en > ndenen Preisspanne zwischen den höheren Etnstanös- und n niedrigeren Abgabepreisen des Roggens werben der NH. — dies wird durch eine demnächst im Reichs- zeiäer erscheinende Verordnung geregelt werden — Gernscheine zur Verfügung gestellt, die zur zollverbilligten nfuhr von Futtergerste berechtigen. Diese Scheine werden n der DGH. jedoch erst dann nach und nach verwertet wer» n, wenn es die Marktlage in der zweiten Hälfte des Wirk aftsjahres gestattet. Handel und Genossenschaften werden
die Aktion sowohl beim Aufkauf als auch bei der Ab- chme des Roggens in der bisherigen Weise eingeschaltet -rden. Die DGH. ist in der Lage, gegebenenfalls auch im erhältnis zur Ernte sehr große Roggenmengen aufzukau- q. Jedoch wird dafür Sorge getragen, daß die Brotversor- mg immer ausreichend gesichert bleibt und keine über das orjahr hinausgehenden Brotpreiserhöhungen emtreten.
Bestelle« Sie 1>«s Eastvcr TaOlalt!