Politische Kurzmeldungen

Der Reichsrat nahm den Entwurf neuer Ausführungs­bestimmungen zum Weingesetz an. Die neuen Vorschriften sollen dem Fortschritt in der Weinherstellung Rechnung tra­gen und die bisherigen Vorschriften der Rechtsprechung an­paffen. Sie wollen Ausbau des Qualitätsweinschutzes und dem Verbraucher Gewähr gegen Fälschung bieten. Der würt- tembergische Vertreter bedauerte, das; den württembergischen Wünschen in der Fassung der Bestimmungen über den Trau­bensüßmost nicht Rechnung getragen worden sei. Aus dem jetzt vorliegenden Reichshaushaltsplan und dem preußischen Haushaltsplan läßt sich Deutschlands Steuersystem ersehen. Nach diesen beiden Haushaltsplänen kennt Deutschland nicht weniger als 60 Steuerarten. Im Rechnungsjahr 1931/32 er­hielten die Länder vom Reich im ganzen rund 900 Millio­nen Steuerüberweisungen. Davon flössen nach Preußen allein SIS Millionen, während sich ganz Sübdeutschlanb mit rund 186 Millionen begnügen mußte. Die deutschnatio­nale Fraktion des Preußischen Landtags fordert in einem

Aus Stadt und Land

Calw, den 11. Juli 1932.

Ueber die Mitte

Wir sind über die Mitte des Jahres geschritten. Halb ktegt es hinter, halb vor uns. Man kann sich vorstellen, baß mancher besinnliche Mensch an diesem Zeitpunkt eine Zwi­schenbilanz des Jahres aufstellt, um zu erkunden, wo er ge­rade steht und wohin seine und seines Volkes Wege führen. Aber die nachdenklichen Stunden, zumal für bas persönliche Ich, sind nicht sehr zahlreich und im Sommer erst recht nicht. Da klingt ein Lachen hinein, denn die schönere Zeit steht uns ja noch bevor, zu was also das Grübeln? Tausend Stimmen rufen jeden Tag uns zu, die sommerliche Zeit zu genießen und unbeschwert zu sein. Ist es nicht so, daß alle Dinge des Sommers uns locken: Schau um dich! Wo sollte es da noch Zeit geben für einSchau in dich!"? Lassen wir uns nicht abhalten, uns Zeit zu nehmen. Der schönere Ab­lauf der Tage darf uns nicht verleiten, Weg und Richtschnur geringer einzuschätzen. Wie bald naht die Ernte des Som­mers und wie viele werden zu ihrem Leid erkennen, daß sie die Zeit des Säens nicht wahrgenommen haben, daß sie leer dastehen, während andere den Ertrag ihrer Arbeit ein­heimsen dürfen. Wie bald vollendet das Jahr seinen Lauf! Noch ist es Zeit, in ihn bestimmend einzugreifen, die großen, und die kleinen Lebenswege zu überprüfen und vielleicht da und dort zu ändern. Noch ist es Zeit, aufzubauen und zu wirken!

Wohltätigkeitskonzert in der Stadtkirche.

In einem zugunsten der Arbeitslosen der Stadt Calw veranstalteten Wohltätigkeitskonzert in der Stadtkirche bot Kirchenmusikdirektor August Wagner aus Marburg an der Lahn, ein Sohn unserer Stadt, zusammen mit Hermann Schnürte und dem Evangelischen Kirchengcsangnerein unter Leitung von Hermann Mall eine erhebende musika­lische Feierstunde und legte damit ein lebendiges Zeugnis ab von tätigem, dienendem Heimatsinn. Mit dem Prälu­dium und Fuge G-moll von Dietrich Buxtehude, dem größ­ten Orgelmeister vor Bach, dessen romantisch-dichterischer Stimmungsgehalt seiner Werke und kühne Akkordfolgen und Kadenzen wie sein gesamtes technisches Können von be­stimmender Bedeutung für Bach geworden sind, eröffnete der Veranstalter die Reihe der wertvollen Darbietungen und zeigte sich mit der zu tiefer Eindringlichkeit gebrachten Wie­dergabe des von erstaunlichem Reichtum und Kraft der For­mung zeugenden Werkes als ein auf hoher Stufe stehender Meister von eigenständiger, künstlerischer Gestaltung. Auch in der überzeugenden Meisterung der Werk« von Bach, Passacaglia und Fuge und Toccata in F-Dur, wie auch als feinsinnig, mit lebendig bewegtem Klairgausdruck mitgestal­tender Begleiter der Violin- und Chorvorträge stellte der Künstler sein großes Können unter Beweis. In der tiefen Ausprägung musikalischer Einzelzüge und in der im ganzen agogisch und rhythmisch elastisch beweglichen und zu starken Steigerungen geführten Gestaltung spürte man den be­schwingenden Einfluß des schöpferischen Geistes. Hermann Schnttrle spielte das Adagio von Archangelo Corelli, des in Nom zum Freund Handels gewordenen einflußreichen Musikers des 17. Jahrhunderts, und ein Arioso von Fivcco. Sein Spiel zeigte große Klarheit und Durchsichtigkeit, seine Auffassung ist natürlich und technische Eignung ist in ergie- »gem Maße vorhanden, so daß die Wiedergabe dieser bei- en ergreifenden Sätze zu einer wohlabgerunöeten und ge- unt^^ wurde. Auch der Evangelische Kirchengesangverein Hermann Mails kundiger und sicherer Führung er-

Veschluß unverzügliches Eingreifen der Reichsregierung, weil die Entwicklung in Preußen zum offenen Bürgerkrieg Hntrcibe. Der Hessische Landtag hat einen nationalsozia­listischen Antrag, der den Verfassungsfeiertag aufhebt, an­genommen und die Staatspräsidentenwahl auf den 14. Juli angesctzt. Reichsinnenminister v. Gayl hatte einen^für Sonntag geplanten SA.-Aufmarsch vor Hitler an der Ber­liner Siegessäule nicht erlaubt. Der Minister wird nun­mehr von der Presse der NSDAP, in schärfster Weise an­gegriffen,- die Nationalsozialisten lehnen es ab, sich in Ne­bengassen drängen zu lassen. Nach einer amtlichen Be­kanntgabe des Reichsschatzmeisters der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ist die Mitgliedersperre mit Wir­kung vom IS. Juli als erloschen anzusehen. Die Ortsgrup­pen können ab 16. Juli wieder Aufnahmeschcine entgegcn- nehmen. Der Goldbestand der Neichsbank ist erneut stark zurückgegangen. Das Deckungsmaterial ist durch Zinszah­lungen für Ausländsanleihen um 17 Millionen geschwun­den,- bas Deckungsverhältnis beträgt gegenwärtig noch 24,4 v. H.

freute mit der Darbietung von Chorälen Bachs und einer Kyrie in F-dur, die mit gut geklärtem und qusdrucksreich belebtem Klang gegeben wurden.

Dem Wohltätigkeitskonzert wäre um seines Inhaltes und Zweckes willen ein besserer Besuch zu wünschen gewesen. Die Darbietungen selbst hinterließen einen tiefen, nachhal­tigen Eindruck. Dem Veranstalter, dessen großes Können und meisterliche Vollgültigkeit in der Beherrschung seines Instruments und Lebendigmachuirg der Partitur wir gern« wieder in Calw hören werden, wie den in gütiger Weise Mitwirkenden gebührt herzlicher Dank.

Aus den Parteien

Wählerversammlung der Sozialdemo­kratischen Partei Calw

Vergangenen Samstag eröffnete die SPD. Calw ihren Wahlfeldzug für den 31. Juli mit einer öffentlichen Wähler­versammlung im Weitzschen Saal. Reichstagsabgeordneter Keil sprach vor überfülltem Saal über die Papen-Re- gierungundihreNotverordnungspolitlk. Der Referent übte in seinen Ausführungen Kritik an der gegen­wärtigen Reichsregierung und zugleich an der nationalsozia­listischen Bewegung, deren Führer das Kabinett und dessen Politik toleriere. Die erste Feuerprobe v. Papens in Lau­sanne, so führte Herr Keil aus, sei schlecht bestanden worben, v. Papen habe in persönlicher wie in sachlicher Hinsicht das deutsche Volk in den großen nationalen Fragen aufs emp­findlichste enttäuscht. Sein Auftreten in Lausanne v. Pa­pen bediente sich in den dortigen Verhandlungen offiziell der französischen Sprache habe nicht den Erwartungen ent­sprochen, die man auf den Führer eines Kabinetts der natio­nalen Konzentration setzen durfte, v. Papen habe nicht nur die juristische Grundlage des Noungplans freiwillig aner­kannt, sondern unter Verlassen der klaren, vom ganzen Volke gebilligten These des Kabinetts Brüning von der Un­möglichkeit weiterer Tributzahlungen selbst ein Zahlungs­angebot von 2,6 Milliarden gemacht. Nachdem die Zahlungs­unfähigkeit des deutschen Volkes bereits mit dem tatsächlichen Fall des Noungplans im Juni 1931 praktisch von allen Großmächten anerkannt worden sei, habe niemand in Deutschland erwartet, daß sich eine Regierung noch 3 Mil­liarden werde aufbüröen lassen. Ein schlechter Trost sei es, zu wissen, daß nach 3jähriger Schonfrist nur dann bezahlt werden muß, wenn Deutschland wieder kreditfähig ist, und daß die deutschen Schuldverschreibungen verfallen, wenn sie innerhalb von 12 Jahren nicht untergebracht werden können. Bei solchen Abmachungen müsse die psychologische Wirkung der Tributentlastung ausbleiben. Die Verkoppelung der Tri­butfrage mit politischen Forderungen (Kriegsschuld und Rüstungsgleichheit) durch v. Papen habe den Eindruck des Erkaufenwollens erweckt. Bei Unterlassen dieser mißglückten Taktik wären uns iveitere Belastungen erspart geblieben. Der Referent ging dann zur Notverordnungspolitik der Re­gierung über und bezeichnet« die neue Richtung der Staats­führung als brutalsten Klassenkampf von oben. Die Regie­rung v. Papen verteile ihre Wohltaten an die Besitzenden. (Großagrarier im Osten, Großbanken, Reedereien, Schwer­industrie.) Dem Großunternehmertum habe sie mit der Sen­kung der Jndustrie-Aufbringungsumlage ein Geschenk von 100 Millionen gemacht, dagegen dem Mittelstand und der Arbeiterschaft durch die Herabsetzung der Umsatzstcuerfrei-

Lefen Eie Ähre Heimatzeiturrg: dasLalwer Tagblatt".

grenze und die völlig einseitige Beschäftigtensteuer neue schwere Lasten auferlegt. Das Schlimmste jedoch sei die ge­radezu ungeheuerliche Behandlung der Arbeitslosen, Kriegs­opfer, Witwen und Waisen, Unfall- und Jnvalidenrentncr, die durch die Notverordnung in ihren kümmerlichen Bezü­gen unerhört gekürzt und der Verelendung preisgcgebcn seien; auch die Einführung der Salzsteuer bekämpfte der Redner als eine der rohesten und primitivsten Verbrauchs­steuern. Eine solche Politik der sozialen Ungerechtigkeit müsse folgerichtig zu einem Verdorren des Wirtschaftslebens führen, sei doch durch die Papennotverordnung die Kaufkraft der Massen um 1,S Milliarden geschwächt worden. Der Refe­rent kam hierauf auf die Aufhebung von Uniform- und De­monstrationsverbot zu sprechen. Die Aufhebung dieser Ver­bote sei von der NSDAP, durch Duldung der brutalen Not­verordnungspolitik v. Papens erkauft worden. Heute herrsche wieder der politische Straßcnterror, ohne baß die Negierung den zugesagten Einhalt gebiete. Die NSDAP, dulde trotz­dem die Regierung v. Papen nur als Uebergang zu einem noch brutaleren Kabinett, dessen Aufgabe die Errichtung des 3. Reiches sein werde. Die Entscheidung am 31. Juli gehe deshalb um Freiheit oder Knechtschaft. Angesichts der außen­politischen Erfahrungen in Lausanne, der sozialen Ungerech­tigkeiten der Notverordnung und des infolge Aufhebung des Uniformverbots wiedergekehrten Terrors der Straße sei eS endlich an der Zeit, daß den Geblendeten die Schuppen von den Augen fallen. Der Redner setzte sich schließlich mit der NSDAP, und ihren Zielen auseinander und wandte sich mit Schärfe gegen die Aufrichtung einer faschistischen Gewalt­herrschaft, die das deutsche Elend ins Riesenhafte steigern würbe. Demokratie, Gleichberechtigung und Freiheit wiesen den Weg zur Ueberwindung aller Notstände. Reichstags­abgeordneter Keil schloß mit einem Appell an die Wähler zum 31. Juli. Versammlungsleiter Schultheiß a. D. Meyle, bankte dem Referenten und schloß sich dessen Wahlaufruf an. Eine Aussprache kam nicht zustande, da die Versammlungs­leitung einem Wunsch von kommunistischer Seite, über die sozialistische Einheitsfront lSPD.KPD.) zu sprechen, nicht stattgab und die Nationalsozialisten der Versammlung fern­geblieben waren. Wie Reichstagsabg. Keil zur Einheitsfront- Frage äußerte, wünscht die SPD. getrenntes Marschieren» aber vereintes Schlagen gegen den Faschismus.

Automobil gegen geschloffene Bahnschranke.

Wie die Reichsbahndirektion Stuttgart mitteilt, durchfuhr am Sonntag vormittag 10,26 Uhr ein Personenkraftwagen die geschlossenen Bahnschranken beim Posten 40 zwischen Bad Teinach und Wilöberg kurz vor der Durchfahrt eines Personenzuges. Verletzt wurde niemand. Der Kraft­wagen wurde nur wenig beschädigt, die Bahnschranken wur­den verbogen.

Gebt euren Kindern deutsche Namens

Es kommt gegenwärtig nicht selten vor, daß Ettern ihren neugeborenen Kindern Vornamen gehen, denen schon an der Aussprache oder an der Schreibweise die fremdländische Her­kunft anzumerken ist. Warum zu fremdsprachigen Name« greisen? Die deutsche Sprache bietet genügend Auswahl. Deutsche Vornamen für Knaben und Mädchen aus dem Schatz deutscher Vergangenheit mit der Erklärung ihrer Be­deutung finden sich in der Literatur so zahlreich vor, daß ivohl alle Wünsche befriedigt werden können. Die Standes­ämter beraten auf Wunsch gerne die Eltern in der Vor­namensfrage.

Wetter für DienStag «nd Mittwoch.

Unter dem Einfluß westlichen Hochdrucks ist für Dienstag und Mittwoch zwar mehrfach aufheiterndes, aber zu Gewit­terstörungen geneigtes Wetter zu erwarten.

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SCB. Weilderstadt, 10. Juli. In körperlicher und gei­stiger Frische konnte Oberlehrer a. D. Götz seinen 80. Ge­burtstag feiern. 30 Jahre wirkte er an der hiesigen katho­lischen Volksschule und gleichzeitig als Chorleiter und Orga­nist an der Stadtpfarrkirche in segensreicher Weise.

SCB. Gärtringe«, O.-A. Herrenberg, 10. Juli. Der Posten des Bürgermeisters in hiesiger Gemeinde wurde auf 1. 6. ö. I. frei. Bürgermeister Heinrich Gärttner, der seit 1899 mit großer Umsicht und Tatkraft die Geschicke der Ge­meinde lenkte, trat aus gesundheitlichen Rücksichten und al­tershalber von seinem Amt zurück.

Nagold, io. Juli. Das Kaufmann Hellersche Geschäftshaus , ging um die Summe von 18 000 Mark in die Hände eines hiesigen Kaufrnanns über. Die Wiedereröffnung dürfte auf 1. September erfolgen. Noch in aller Erinnerung ist das furchtbare Unwetter in Sulz und Gültlingen während der Pfingsttage. Freitag morgen kamen schon wieder Hiobsbot­schaften aus dem unterhalb Nagold gelegenen Talabschnitt. Notfelden, Effringen, Schönbronn und Wilöbevg melden gro­ßen Schaben von den Feldern, ausgerissenc Straßen und Wege erheischen sofortige, tätige Hilfe. Offenbar ist auf den Höhen von Schönbronn, Effringen, Rotfelden ein außer­ordentlich schwerer Wolkenbruch gefallen, denn die Bächlein in den zum Nagoldtal führenden Schluchten wälzten unge­heure Wasser- und Schuttmassen zu Tal. Wo sie ins offen« Tal einmünden, liegen riesige Schutt- und Gesteinshalden. Auf dem Bahnhof Wildberg standen die Gleisanlagen fast einen Meter tief unter Wasser,- die Verheerungen sind groß.

SCB. Stuttgart, lg. Juli. Als Sonntag nachmittag gegen 3 Uhr ein Motorsturm der NSDAP., der sich auf einer Pro­pagandafahrt befand, Bernhausen passierte, wurde er von Kommünisten, die in Bernhausen ein Sportfest abhielten, mit Steinwürfen empfangen. Di« Nationalsozialisten setz­ten sich zur Wehr. Die folgenden Auseinandersetzungen zei­tigten eine Reihe Verletzte auf beiden Seiten. Die Zähl der verletzten Kommunisten ist noch unbekannt, die der verletz­ten Nationalsozialisten beträgt drei.

SCB. Stuttgart, 10. Juli. Die Reichsbahndirektion Stutt­gart teilt mit: Der Betrieb auf der Bahnstrecke Lcutkirch Jsny mußte eingestellt werden, weil der Bahndarpm infolge der anhaltenden Regengüsse am Samstag nachmittag und ia der Nacht zum Sonntag durch Hochwasser der Rauna an verschiedenen Stellen unterspült wurde. Der Personenver»

Wieder eine U-Boot-Tragödie

In der Nähe von Cherbourg ist das französische U-Boot Promethöe" aus bisher ungeklärter Ursache gesunken. Nur einig« Personen, die sich zufällig an Bord befanden, darunter auch der Kommandant, wurden gerettet. Die übrigen 66

müssen als verloren gelten, da keine Möglichkeit besteht, das 1S00 Tonnen schwere Boot zu heben. Der Untergang der Promethee" ist die siebzehnte U-Boot-Katastrophe nach Kriegsschluß.

Das «ntergegangeu« U-Boot.

Unsere Bilder zeigen:

Uebersichtskarte der Unglücksstelle, die durch ein Kreuz näher bezeichnet ist.

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