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Nr. 135
Montag, den 13. 2uni 1932
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Jahrgang 105
Reichsregierung und Landwirtschaft
Kanzler und Ernährungsminister sprechen vor dem Deutschen Landwirtschastsrat
- Berlin, 13. Juni. In Ser Vollversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrats am Samstag nahm Reichskanzler v. Pape« das Wort zu folgender Ansprache: In einer Ser entscheidungsvollsten Stunden der Nachkriegsentwicklung hat der Herr Reichspräsident mich zu meinem neuen Amt berufen, und ich lege Wert darauf, zu betonen, daß die Bildung der neuen Regierung wenig zu tun hat mit dem gewohnten, üblichen Wechsel parlamentarischer Kabinette, sondern daß es sich um die Dokumentie- rung einer grundsätzlich neuen Richtung der Staatsführung, selbstverständlich im Nahmen der Reichsverfassung, handelt. Die unerhörte geistige und materielle Not des deutschen Volkes verlangt eine Loslösung der Führung von den Fesseln parteipolitischen Denkens und parteipolitischer Doktrine. Sie verlangt eine Zusammenfassung aller Kräfte zur Wiedergeburt Deutschlands. Die gesamte Lage, welche die Regierung vorfindct — Las ist, ich stelle es ausdrücklich fest, nicht die Schuld der letzten Regierung, die bemüht gewesen' ist, eine klare Bilanz zu ziehen — ist auf allen Gebieten fast verzweifelt. Die Privatwirtschaft jeder Art ist in einem Ausmaß zerstört, dessen Furchtbarkeit noch nicht erkannt ist. Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen, finanziellen und nicht zuletzt der politischen Ordnung erfordert von der neuen Regierung ein sosortiges Anfassen der grundlegenden Probleme, deren Lösung allen Volkskreiscn zugleich schwere persönliche Opfer, Entsagungen und Entbehrungen auserlesen wird.
Diese Opfer sind nicht vertretbar, wenn es nicht gelingt, die dem deutschen Volke innewohnende ungeheure moralische Kraft offenkundig auf bas eine große gemeinsame Ziel zu lenken: Die Wiedergewinnung der inneren und äuße^e-n Freiheit und der Lebens» Möglichkeit von Volk und Land. Demgemäß wird das Ziel dieser Regierung sein, eine neue, einheitliche Willensbildung der Nation herbeizuführen. Die Regierung ist der Ansicht, daß der neue Reichstag eine eindeutige Mehrheit für die Politik geistig-sittlicher Gesundung, wirtschaftlicher Neuordnung auf christlicher, nationaler und sozialer Grundlage erbringen muß. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhänge ein Wort über die Aufsagung der neuen Reichsregierung von ihren sozialen Pflichten sagen: Eine der unerfreulichen Arten, das Ziel der neuen Regierung zu verfälschen, ist die Unterstellung, oaß ihre Haltung unsozial sei. Wir sind der Ansicht, daß es versäumt worden ist, den Aufbau eines rein staatlichen Versicherungsschutzes seinem Umfange nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten anzupassen, die ein so verarmtes, wirtschaftlich darniederliegendes Land im Augenblick noch hat. Ls ist aber auch ein grundlegender Irrtum, daß der omnipotente, unpersönliche Staat an die Stelle der persönlichen Verpflichtung des Arbeitgebers treten könne. Die Verantwortlichkeiten. die aus der gottgewollten organischen Regelung der Dinge erwachsen, müssen wieder aufgerichtet, die Verbundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer wiederhergestellt werden. Gewiß hat angesichts der Größe und des Umfanges Ser Notlage unseres Volkes auch der St rat klare Verpflichtungen zu sozialer Hilfe, und die Regierung wird es als ihre vornehmste und ernsteste Pflicht betrachten, die dahingehenden Einrichtungen den notleidenden Volksgenossen auch über diese Krise hinweg zu erhalten. Darüber hinaus aber sicht sie den besten Weg sozialer Fürsorge in dem Bestreben, alles zu tun. um su.ch einen organischen Umbau der Wirtschaft die Fehler dc-3 kapitalistischen Systems auszumerzen und den Volksgenossen Arbeit und Brot zu verschaffen.
Wir sind mit dem Deutschen Landwirtschaftsrat einig in der Auffassung, daß eine gesunde Landwirtschaft und die Liebe zur Scholle die Vorbedingung nicht nur der materiellen Ernährung, sondern mehr noch der geistigen Erneuerung des Landes ist. Eine gesunde Landwirtschaft aber ist auch ein dringendes nationales Erfordernis, « inmal gilt es, das Letzte hcrzugcben. um Deutschlands heimische Ernährungsbasis zu erhalten, darüber hinaus aber verlangt die Lage in den Grenzgebieten Maßnahmen, die der Stärkung des nationalen Sclbstbchauptungswillcns dienen. Eine starke zielbcwußte Agrarpolitik ist das Fundament jeder gesunden Entwicklung, die in sorgsamer Abwägung der Interessen auch der anderen Berufsstände der Gesamtheit der deutschen Wirtschaft gerecht wird.
Die Grundzüge der künftigen Agrarpolitik der Reichsregierung wurden dann von Reichscrnährungsminister Freiherr« von Braun entwickelt. Die Notlage in der Landwirtschaft sei allgemein. Nach den neuesten Verschuldungserhebungen der Rentenbankkreditanstalt seien mehr als 12 Millionen Morgen landwirtschaftliche Nutzfläche zu mehr als IM Prozent des Einheitsivertes ver
schuldet. Seit zwei Jahren sei zu beobachten, daß in Westdeutschland, wo die bäuerliche Struktur durchweg vorherrscht, die Verschuldung schneller zunimmt als im Osten. Nach den Buchführungsergebnissen des Deutschen Landwirtschaftsrates sei nur noch etwa ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe in der Lage, die Zinsen aus den Reinerträgen zu bezahle». Wesentlich für die Ursachen der Berlustwirtschäft in der ganzen Nachkriegszeit sei das Mißverhältnis zwischen den Produktionskosten und den Einnahmen. Die Preisschere habe sich in den letzten Jahren zwar etwas verringert, jedoch wirke sie auch in ihrer jetzigen Höhe noch für die Landwirtschaft vernichtend. Eines der Ziele der Agrarpolitik müsse die Schließung der Preisschere sein. Auf den Märkten für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse mache sich durchweg die Verarmung unserer Bevölkerung bemerkbar. Infolge Kauskrastverringerung hätten wir zu verzeichnen eine Ve- darfsvermindcrnng bei Weizen um mindestens 10 Prozent, i,-i Milch um etiva 10 Prozent, bei Butter um 8 Prozent, bei Zucker um 13—18 Prozent, bei Bier um 40 Prozent und bei Branntwein um 78 Prozent. Beim Fleisch konnte ein Konsumrückgang nur durch den ungeheuren Tiefstand der Kleischpreise vermieden werden. Somit werbe das Arbeitslosenproblem in hohem Maße auch ein agrarisches Problem — eine Absatzfrage.
Der Minister ging sodann auf das Problem der A u ta r- kie ein und erklärte, daß selbstverständlich keine Rede davon sein könne, uns völlig von der Welt loszulösen. Die Autarkie sei kein Ziel, sie sei Schicksal. Die alten Methoden der Handelspolitik würden bei der völlig veränderten Struktur der Weltwirtschaft unseren Interessen nicht mehr gerecht. Der Minister skizzierte dann die Probleme, die besonders vordringlich behandelt werden müssen. Auf dem Getreidegebiet müsse für eine auskömmliche Verwertung der kommenden Ernte durch das Zusammenwirken von handelspolitischen und finanzpolitischen Maßnahmen gesorgt werden. In aller Kürze werde er aus diesem Gebiete die nötige Klarheit schaffen. Auf den Märkten der Veredelungsprodukte sei die Lage katastrophal. Die Reichsregierung müsse daher der gesamten Veredelungsproduktion ihr besonderes Augenmerk schenken, da es sich hier um eine Existenzfrage für den deutschen Bauern handelt. In der Kartoffel f r a g e wird der erhöhten technischen Verwertung, wobei der Minister auch die Treibstoff-Frage erwähnte, besondere Aufmerksamkeit zuzuwcnden sein. Beim Zucker müsse wenigstens dem verminderten Rübenanbau ein angemessener Preis gesichert bleiben. Aus dem Gebiete des Gemüse-, O b st- und Weinbaues sei eine Besserung der Lage mir durch Aenderung der biShergien Handelspolitik und von der Einsicht der Verbraucher zu erwarten, die endlich einmal deutschen Erzeugnissen den Vorzug geben sollten. Schwerste Sorge bereite der Reichsregierung die Lage der deutschen Forst- und Hol-Wirtschaft. Hier sei dringend Abhilfe geboten. Eine auf zollpolitischem Gebiet liegende Maßnahme werde in den allernächsten Tagen veröffentlicht werden. Im Rahmen der allgemeinen Maßnahmen werde die Hilfsaktion für den Osten in beschleunigtem Tempo fortgesetzt werden.
Bezüglich der Siedlung erklärte der Minister, daß er die Ansiedlung deutscher Bauern im Osten aus nativnalpoli- tischen, wirtschaftlichen und menschlichen Gründen als eine der dringendsten Aufgaben von Reich nnd Staat ansvhe.
Die Sitzung der Reichsratsa«Aschüsse.
Amtlich wird mitgeteilt: Die Rcichsregierung gab den Bereinigten Ausschüssen des Reichsrats Auskunft über Sen Hanshaltplan des Reiches und über die Grundzüge der von ihr geplanten Notverordnungen zur Sicherstellung der Finanzen von Reich, Ländern und Gemeinden sowie Mi Rettung der Sozialversicherung. Der Reichs-Minister der Finanzen und der Reichsarbeitsminister erläuterten und begründeten die Absichten der Reichsregiermrg. Im Anschluß an diese Ausführungen fand eine eingehende Aussprache statt, in der die Vertreter der Länder ihre Stellungnahme darlegten.
Die süddeutschen Minister bei tzindenburg
TU. Berlin, 13. Juni. Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichspräsident empfing am Sonntag in Gegenwart des Reichskanzlers von Papen den Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Held, den württ. Staatspräsidenten Dr. Bolz, und den badischen Staatspräsidenten Dr. Schmitt zu einer eingehenden gemeinsamen Besprechung der politischen Lage. Die Anssprache berührte das Verhältnis des Reiches zu den Ländern, den Finanzausgleich, die Wirtschaftspolitik und eine Reihe von innerpolitischen Fragen.
Me Telegraphrn-Union erfährt von gut unterrichteter Seite noch folgendes: Die Staats- und Ministerpräsidenten
Tages-Spiegel
Reichskanzler v. Papen und Ernährungsmiuister ». Brau« entwickelte« vor dem Deutsche« Landwirtschans'.ut das Agrarprogramm der neuen Rcichsregierung.
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Reichsbankpräsident Dr. Luther lehnte in einem im Lang« namverein gehaltenen Bortrag über Wiihrnngsk ragen die Einsiihrnng einer Binnenwährung, die identisch mit einem Außenhandelsmonopol sei, wiederholt ab.
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In Berlin verhandelt man gegenwärtig über die Bildung einer ne«e« Partei -er Mitte. Beteiligt sind Wirtschastü-, Volks- nnd Staatspartei. Die Führung soll Dr. Eckener übernehmen.
Die Pariser Aussprache Macdonald-Herriot verlies in „freundschaftlicher Form". Man mutmaßt, -aß eine Verlängerung des deutschen Zahlungsausschubs für sechs Monate beraten wurde.
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In Westfalen verunglückte infolge einer Bodensenkung ei« Perfonenzng. Eine Fra« wnr-e getötet nnd 44 Personen z. T. schwer verletzt.
brachten ihren Standpunkt gegen die Einsetzung eines Reichskommisiars in Preußen und gegen die Aufhebung des SA.- nnd SS.-Verbotes vor. Ferner wurde allgemein die Frage des Verhältnisses zwischen Reich nnd Ländern und vor allem die Frage des Finanzausgleichs erörtert. Die Besprechungen, die bereits am Samstag zwischen dem Reichskanzler und den süddeutschen Staats- und Ministerpräsidenten hierüber geführt worden sind, dürften wohl im wesentlichen schon Klarheit darüber geschaffen haben, daß die Reichsregierung keiner- ket Pläne gegen die. verfassungsmäßige Selbständigkeit der Länder hat. Auch die Bedenken der süddeutschen Staats- und Ministerpräsidenten gegen die Aushebung des SA.- und SS.-Verbotes dürsten im wesentlichen zerstreut worden sein, da die Verbände künftig keinen militärähnlichen Charakter mehr haben sollen und außerdem eine fortlaufende Ueberwachung durch das zuständige Ministerium geplant ist. Nach Lage der Dinge dürften demnach die geplanten Maßnahmen der Reichsregierung durch den Besuch der süddeutschen Staats- und Ministerpräsidenten eine grundsätzliche Aenderung nicht erfahren. Die Besprechung ging im übrigen in durchaus freundschaftlicher Form vor sich. Man trennte sich in ziemlichem Einverständnis.
Der englisch-französische Meinungsaustausch
— Paris, 13. Juni. Die am Samstag und Sonntag zwischen Herriot, Macdonald, Außenminister Simon und Fiuanzminister Germain Martin hier geführten Besprechungen haben nach einer amtlichen Verlautbarung zu einer Uebereinstimmung geführt, die eine gerechte und wirksame Lösung für die Lausanne! Konferenz und die Wiederherstellung des Vertrauens sowie die Aufrechterhaltung des Friedens unter den Völkern voraussohen laffen.
Nach den bis jetzt vorliegenden Informationen scheinen die Engländer in der Rcparationsfrage ihren bisherigen Standpunkt aus vollkommene Streichung verlassen zu haben. Macdonald soll jedoch Sen lebhaften Wunsch geäußert haben, Frankreich möge zuerst aus den Nektosalöo verzichten, um damit gegenüber Amerika ein« Geste zu tun, die vielleicht zu einem gewissen Einsehen Amerikas in bezug auf die interalliierten Schulden führen könnte. Man arbeitet im Augenblick aus eine Lösung hin, die in einer vorläufigen Verlängerung des, Hoovermoratoriums bis Dezember besteht. Während dieser Zeit soll ein besonderer Ausschuß damit beauftragt werden, diejenigen Mittel und Wege zu prüfen, die geeignet sind, entweder zu einem „System der ewdgülti- gen Regelung" oder aber zu einer vollkommenen Abschaffung der Reparationen zu führen. Man hofft auf diesem Wege gleichzeitig den Widerstand der Reichsregierung zu brechen, da die Türen für später offen geblieben seien.
In der Abrüstungssrage sind sich beide Teile darin einig, daß die Genfer Konferenz unbedingt zu irgendeinem greifbaren Ergebnis führen müsse, um das Vertrauen der Oeffentlichkeit wenigstens teilweise wiederherzustellen. Mit einem Rüstungsstillstand — man spricht von einer 1V- jährigen Dauer — scheint man sich französischerseits einverstanden erklären zu wollen. Die englischen Pläne gehen jedoch noch weiter. Macdonald wünscht eine qualitative und quantitative Abrüstung der französischen Streitkrüfte.