GenerMrsaininlW des LündwirtsAstl. Bezirdsvereins Clilw

Am Nachmittag des Lichtmcßfeicrtages hatten sich die Mitglieder des Landwirtschaftlichen Bezirksvcretns Calw in gewohnt großer Zahl im Weitzschen Saal zur Generalver­sammlung eingefunden. Der stellv. Vorsitzende, Landwirt­schaftslehrer Pfetsch, eröffnete an Stelle des bedauer­licherweise erkrankten Vorstandes, Reichs- und Landtags, abgeordneter W. Dingler, dessen Grüße er den Versam­melten überbrachte, die Versammlung mit einer Begrü­ßungsansprache, in welcher er besonders Landrat Kipp­ur a u n und die beiden Referenten des Tages, Dr. Gra m- mer von der Württ. Landwirtschaftskammer und Direktor Gemmrig von der Landw. Vichverwertungsstelle Stutt­gart, willkommen hieß.

In einem Rückblick avf das verflossene Wirtschaftsjahr kennzeichnet«: der Vorsitzende noch einmal dessen Schwere und Mißgunst für die Landwirtschaft. Die zweite Hälfte des Jahres 1931 mit Hagelverheerungen und Abschwem­mungen war für die heimische Landwirtschaft geradezu kata­strophal,- die Ernte fiel nach Qualität wie nach Menge gleich unbefriedigend aus. Infolge des starken Auswinterns und von Erkrankungen sRostj war das Ernteergebnis des Win- tergetretdes sehr gering. Ebenso das der Gerste, während der Hafer etwas besser gedie-h. Bei den an sich befriedigen­den Kartoffelertrügnissen stellte sich eine bedeutende Er- tragsminüerung durch Kraut- und Naßfäule eilt. Die Rtt- bcuernte war befriedigend, während der Hopsen einen Fehl­schlag brachte. In Futter und Obst waren Rekordernten zu verzeichnen, doch ließ ersteres an Qualität viel zu wünschen übrig, und letzteres konnte nur sehr schwer und zu Schleu­derpreisen verkauft werden. Die Pretsverhältnisse beim Ge­treide waren infolge der Schutzzölle annehmbar, dagegen waren besonders Obst und Hopsen überaus schwer abzn- setzeu. Die niedrigen Preise verursachten in den landwirt­schaftlichen Betrieben starke Ausfälle. Dazu kam »och das gerade die Landwirtschaft des Schwarzwaldes besonders hart treffende katastrophale Sinken der Viehpreise in der zweiten Hälfte des letzten Jahres. Gegenüber 1913 sind die Lebendgcwichtpretse für Ochsen heute um 40,2, für Farren um 47,7, für Jungrinder um 40,4. für Kälber um 44,8 und für Schweine um 23 Prozent gefallen. Gründe für diesen Preisrückgang sind das Ueberangebot von Vieh an den Märkten, hervorgerufen durch Intensivierung der Grüu- landwirtschaft und Vermehrung des Viehstandcs, und die geringe Kaufkraft der Bevölkerung. Die gleichen Ursachen hat das Ueberangebot auf dem Butter- und Käsemarkt, das auch der neue Bntterzoll nicht beseitigen wird. Am heutigen Notstand der Landwirtschaft ist ferner die Krise der Wald­wirtschaft mitschuldig. Der Rückgang der Holzpreise bis zu 60 Prozent bringt Staat, Gemeinden und Privatwaldbcsit- zcrn Millioucnvcrluste. Alles in allem sind die Betriebs- ergebnisse der Landwirtschaft in 1S31 sehr unbefriedigend ausgefallen. Bei steigender Verschuldung ist die Kaufkraft der Landwirte weiter gesunken. Betrug die Verschuldung der württ. Landwirtschaft 1924 noch 74 RM. pro Hektar, so ist sie 1932 auf 496 NM. pro Hektar angcwachsen. Wenn der Staat nicht bald hilft, wenn nicht bald die Verschleuderung landw. Besitzes durch Zwangsmaßnahmen ein Ende findet, steht der Zusammenbruch bevor. Die Folgen des mangeln­den Betriebskapitals im Frühjahr werben der Uebergang von der Intensiv- zur Extensivwirtschaft sein. Mit den sin­kenden Erträgen aus Wiese, Acker und Stall ivächst aber zugleich die Gefahr, baß die eigene Scholle nicht mehr das Volk zu ernähren vermag. Deshalb mutz es Aufgabe des Staates sein, die Rentabilität der Landwirtschaft sicherzu­stellen. An der notwendigen Selbsthilfe wird es der Land­wirt nicht fehlen lassen. Der Vorsitzende schloß mit dem Wunsche, Staatshilfe, Selbsthilfe und günstige Witterung möchten im Jahre 1932 eine Besserung in der schweren Lage der Landwirtschaft herbeiführen.

Der Kassenbericht über das Rechnungsjahr 1931 wurde vom Geschäftsführer des Vereins, Kfm. Knecht, vorgctragen. Die auf 31. Dez. 1931 ausgcfertigtc Bilanz schließt in Einnahmen und Ausgaben mit 31 688,92 NM. ab. Der Umsatz hat sich gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel gehoben. Das Vcreinsvermögcn beträgt 27 866 RM., die Warenvorräte sind mit 7341 RM bewertet, an Forde­rungen stehen 11996 RM. aus. Wenn auch der allgemeine Geschäftsgang in den Lagerhäusern des Vereins in Calw und Älthcngstctt in Auswirkung der Zeitvcrhältnisse litt, darf die Geschäftstätigkeit doch befriedigend genannt wer­den. DaS stellte auch im Verlauf eines RcvisivnSbcrichtes Verwaltungsdirektor S ch m i ö t - Teinach fest. Im übrigen spendete er der gewissenhaften Geschäftsführung von Kfm Knecht ungeteilte Anerkennung und trat für eine Verlän­gerung der kurzen Zahlungsfristen bis zu 6 Wochen lzins- loss ein. Der Ausschuß des Vereins wird sich mit diesem Vorschlag befassen. Den Bericht der Kontrollkommission bestehend aus den Herren Pfetsch-Calw, Hanselmann-Lie- belsberg und Noller-Stammheim erstattete der Vor­sitzende: er besagt, daß die Lagerbestände des Vereins in bester Ordnung befunden wurden. Im Geschäftsbe­richt ist die Zahl der Vercinsmitglicdcr 1931 mit 1911 l193g: i» 80 j angegeben. Die anfallenden Arbeiten wurden in vier Vorstands- und einer Ausschußsitzung erledigt. Ver­anstaltet wurden vom Verein eine Versammlung in Brei- tenbcrg zur Gründung eines OrtSvereins und ein Wald- lehrgang in Neuwctlcr. Nach Erstattung der Geschäftsbe­richte wurde dem Ncchnungsführcr Dank und Entlastung erteilt. Anschließend gab der Vorsitzende neben dem Be­dauern über dessen Erkrankung dem wohlverdienten Dank gegenüber Vorstand Dingler Ausdruck, der in außerordent­licher Mühewaltung um das Wohl des Vereins besorgt ist. Der allgemeine Wunsch, de» im weiteren Verlauf der Ver­sammlung auch Bürgermeister Lehrer-Dachtel nochmals in dankbarer Anerkennung bekräftigte, ging dahin, Herr Dingler möge bei bald wiederhergestelltcr Gesundheit noch viele Jahre den Verein führen.

Die Tagesordnung brachte nunmehr zivei interessante Re­

ferate. Dr. Gramm er von der Württ. Landwirtschafts- kammer sprach über die wirtschaftliche Lage der Landwirt­schaft und Direktor Gcmmrig von der Landw. Vich- verwertungsgesellschaft Stuttgart über genossenschaftliche Viehverwertung. In seinem vortrefflich aufgebauten und klar durchdachten Vortrag untersuchte Dr. Grammer Ur­sachen und Wirkungen der Vauernnot, um zuletzt geeignete Abwehrmöglichkeiten anfzuzeigcn. Die Hauptursache der deutschen Not sah der Vortragende im verlorenen Kriege und den hierdurch eingetretenen Gebietsverlusten. Nnserm Volk fehlt es an Raum. Nicht minder aber trägt die ver­fehlte Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte Schuld an der gegenwärtigen Not. Zu Gunsten der Industrie hat man das deutsche Volk entbaucrt, d. h. proletarisiert. Und heute sieht man sich gezwungen, bas Bauerntum durch Siedlung mühsam wieder aufzubauen. Materialismus und Ucber- zivilisation, Geldgier und Goldrausch, Zerrüttung der Familie und der Grundlagen des Staates hatte die In­dustrialisierung im Gefolge, während sich die staatserhal­tende Agrarverfassung bis zum heutigen Tage bewährt hat. Die Industrie befindet sich gegenwärtig in einer Krise, die nicht vorübergehend ist. Jahrzehntelang wird es dauern, bis sie die ausgestoßenen Arbeitslosen wieder aufnehmen kann. Deshalb erivächst dem Bauernstand die große Auf­gabe, die zweiten und dritten Bauernsöhne, die seither zur Industrie abwandertcn, selbst zu erhalten. Für diese Jugend müssen Raum und Bcrufsmöglichkeiten auf dem Lande ge­schaffen werden. DaS ist überaus schwer, denn die Lage des Bauernstandes ist heute durch gedrückte Lebenshaltung und Ueberschuldung selbst eine gefährdete und der Bauernjugend wird eine Existenz so gut wie unmöglich gemacht. Diese Schwächcerscheinungcn im bäuerlichen Berufsstand bergen große Gefahren für die künftige Entwicklung in sich, Und doch ist die Lage nicht hoffnungslos, hat es sich doch gezeigt, daß die ländlichen Betriebe am krisenfestesten sind. Ja, es scheint die Zeit gekommen zu sein, den Bauernstand seiner ursprünglichen Aufgabe im Volk wieder zuzuftthrcn. Die Landwirtschaft kennt ihre Pflichten der Allgemeinheit gegen­über, aber sie braucht die Hilfe des Staates, wenn sic ihrer Aufgabe gerecht werden soll. Den landwirtschaftlichen Sclbst- hilfemaßnahmen, der Produktionsvcrbilliguug und Quali­tätsverbesserung muß eine Senkung der Preise der land­wirtschaftlichen VedarfSprodukte voraufgeben. Der Bauern­stand will verantwortliche Arbeit im Dienste des VolkS- ganzen leisten, indem er dem Materialismus echten Bauern- geist entgegensetzt. Dazu muß aber in seinen eigenen Reihen der Geist der gegenseitigen Hilfsbereitschaft und der prak­tischen Nächstenliebe, kurz die wirtschaftliche Gesinnung des Dienstes am Nächsten, wie sie in den Grundsätzen der Vor­fahren verankert war, wieder auflcben. Wenn der Bauern­stand sich auf seine sittlichen Kräfte besinnt und in Trene zusammenstcht, so schloß der Redner, wird auch einst die Freiheitsstunöe schlagen. Es geht ums Ganze: Bauernstand und Volk dürfe» nicht untergehen! Direktor Gemm- rig führte in seinem Vortrage den Landwirten die Vor­züge der genossenschaftlichen Viehverwertung vor Augen. Die seit 1912 bestehende Landw. BiehverrvertungSstellc Stuttgart bringt gemeinsam mit ihren Schwestcrorganisatio- nen in Mannheim und Frankfurt die Ware des Landwirts direkt auf den Großmärkten unter und erzielt so für diese den bestmöglichen Preis. Die Vcrwertnngsstclle ist bestrebt, möglichst billig zu arbeiten. Sic braucht und will nicht am Vermittlungsgeschäft verdienen, denn sie ist in der Lage, aus inneren Reserven zu leben. Der Landwirt kommt neben dem Vorteil der sofortigen Barauszahlung des Vieherlöscs auch tu den Genuß einer SchadcnShastnng seitens der Ge­sellschaft sür gesund verladenes Vieh. Daß daS Vertrauen der württ. Landwirtschaft zur Stuttgarter Verwertuilgs- stelle in dauerndem Wachsen begriffen ist, beweist Sic Tat­sache, daß im Jahre 1931 42 406 Stück Vieh jlOOOO Stück mehr wie 1930) durch sie verkauft wurden. Der Redner erklärte zur Preisgestaltung auf den Viehgroßmärkten, daß vorerst mit einem weiteren Rückgang der Preise zu rechnen sei. Günstigere Aussichten beständen vielleicht für Bulle». Den Landwirten sei anzuraien, schlachtreifes Vieh nicht un­nötig lang zurückzuhalten, sondern rechtzeitig zu verkaufen und sich den gegenwärtig bestehenden Vorteil des billigen Einkaufs von Jungvieh zunutze zu machen. Das Ueber- füttcrn von Vieh vor dem Verkauf sei zwecklos. Als emp­fehlenswert wurde ein orts- vöcr bczirksweiser Zusammen­schluß der Landwirte zwecks Verbilligung der Vichanlieic- rung und der Frachten bezeichnet. Den Grund für die rückläufigen Viehpreise sah Ser Vortragende in der man­gelnden Kaufkraft der Bevölkerung: die Einfuhr von Vieh wie von Frisch- und Gefrierfleisch aus dem Ausland sei heute so unbedeutend, daß sie auf die Preisbildung nicht den geringsten Einfluß habe.

Nach den mlt viel Beifall aufgenommenen Referaten nahm der Vorsitzende die Verteilung der Preisurkundcn von der LandeSgetreibeschau der Württ. Landwirtschafts­kammer und den prämiierten Gemcinüesaatgutäckcrn in Oberhaugstett und Dachtel vor. (Die Namen der Preisträ­ger wurden bereits imC.T." veröffentlicht.) Dann wur­den die Anwesenden durch eine Gratisverlosung kleiner landwirtschaftlicher Gebrauchsartikel auch der Gemeindc- verband Elektrizitätswerk Teinach hatte wiederum wie all­jährlich einige schöne Gaben gestiftet erfreut. Nach 3ZL- stündiger Dauer schloß darauf der Vorsitzende die harmo­nisch verlaufene Generalversammlung mit der Mahnung zu treuem Zusammenhalten und der Hoffnung auf ein für Landwirtschaft und Vaterland besseres Jahr 1932.

Wetter für Freitag und Samstag

Der Hochdruck über Großbritannien übt nur noch mäßi­gen Einfluß auf die Wetterlage in Süddeutschland aus. Für Freitag und Samstag ist zu Unbeständigkeit und geringen l Niederschlägen geneigtes, vielfach bedecktes Wetter zu er­warten.

Aus Stadt und Land

Calw, den 4. Februar 1932.

Oberlehrer Sceber tritt in de» Ruhestand In aller Stille, ganz so, wie er es gewünscht hatte, trat am 1. Februar Oberlehrer Sceber in Calw in den Ruhe­stand ein. 18 Jahre lang hat er seine ganze .Kraft der Calwer Schule gewidmet und sieht heute mit Befriedigung auf ein schönes Wirken an der Calwer Jugend zurück, die in treuem Andenken und aus Dankbarkeit ihn am Morgen des 1. Februar mit Blumen überraschte. Aber auch ander­weitig wurde, wenn auch nicht in der großen Oeffeutlich- keit, des Weggangs des verdienten Lehrers gedacht. Tie Oberschulbehörde hob in ihrem EntlassuiigSschreiben die Verdienste des Scheidenden gebührend hervor und dankte ihm für alle seine im Beruf geleistete Arbeit. Bei der amt­lichen Verabschiedung im Ortsschulrat erwähnte Rektor Beutelals Vorsitzender die großen Leistungen von Herrn Seeber: desgleichen sprach Schulrat Knöbler den Dank und die Anerkennung des Bczirksschulamtcs aus, und Bürgermeister Göhner bedauerte den Weggang des ver­dienten Lehrers. In einer sich anschließenden Abschicdsfeier imWaldhorn" gedachten dieselben Herren nochmals der besonderen Leistungen von Herrn Sceber und würdigten in anerkennenden Worten seine langjährige Arbeit. Hiebet überreichte der Stadtvorstand als äußeres Zeichen der An­erkennung Herrn Seeber eine feine Radierung eines Cal­wer Künstlers. Sichtlich gerührt und dankbar erfreut ob der vielen ihm zuteil gewordenen Ehrungen und Wünsche zu seinem Ruhestand erwiderte Oberlehrer Seeber in kurzen Worten und verabschiedete sich bald darauf aus dem kleine» Kreis, der seiner so vielseitig und rühmend gedacht hatte.

Stahlhelm-Versammlung in Calw Mussolini, der Manu und sein Werk DerStahlhelm, Bund deutscher Frontsoldaten", Orts­gruppe Calw, hatte ans Dienstag abend in de» Weißschen Saal zu einem Vortragsabend «ungeladen, tu dem Herr Studtenrat S a u t t c r - Stuttgart, belanntlich der Spitzen­kandidat Ser Deutsch-Nationalen Volkspartci für den Be­zirk Calw anläßlich der LanötagSwahl am 8. Mai 1932, über das Thema:Mussolini, der Mann und sein Werk" auf­schlußreiche Ausführungen machte. Au Stelle des noch uirbt eingetroffenen Versammlungsleiters, Gaufnhrcr Märkel von Stuttgart, begrüßte Herr Kistowski - Hirsau die zahl­reich erschienenen Anwesenden und den Redner des Abends, der seinen Ausführungen die Vorbemerkungen voraus­schickte, daß wir Deutsche es nicht notwendig haben, uns in fremde» Ländern unsere Ideale zu suchen, und baß seine Worte weder eine Aufforderung zur Einleitung eines deutsch-italienischen Bündnisses noch eine Einladung zu Jtalienreiscn bezwecken wollen, sondern daß eS gerade in der Notzeit mit ihren Kämpfen nach Rettung und Befrei­ung nur von Nutzen sein könne, auf andere als nur deutsche Staatsmänner zu achten, und Deutschland auch von außen, im Denken und Fühlen eines andern Voltes, zn betrachten. In fesselnder Darstellung zeichnete der Redner, der Italien aus eigener Anschauung 1914 und 1928 kennt, ein markan­tes Bild des Menschen Mussolini, der, 1883 geboren, im Alter von erst 39 Jahren durch den Marsch auf Nom am 28.30. Okt. 1922 oberster und alleiniger Beherrscher Ita­liens wurde. Wie sein Vater, ein einfacher Schmied, war er in seiner Jugend und bis zur Machtergreifung Sozialist und begeisterter Revolutionär, sowohl als unständiger Leh­rer in Italien wie als Arbeiter in der Schweiz und Deutsch­land, wo er sich insbesondere in seinen Mußestunden, die er in eifrigem Mühen ganz der Vervollkommnung seines Wissens widmete, mit Hegel und Fichte, Klopstock und Nietzsche einer eigenartigen Zusammenstellung be­schäftigte, ohne das Studium von Marx und Lasallc auf die Seite zn setzen. 1909 kehrt er, nachdem die Gefahr seiner Verhaftung in Italien beseitigt ist, wieder in seine Heimat zurück, wird eifriger sozialdemokratischer Funktionär und 1912 Chefredakteur des einflußreichsten SozialistenblatteS Italiens, desAvanti", in welcher Stellung er mit glühen­dem Haß und unerschütterlichem Kampfeswillen für den Sozialismus, gegen Monarchie, gegen die Bourgeoisie, ge­gen das Privatkapital stritt,- die Auflage desAvanti" stieg von Monat zu Monat, mit heiligem Eifer setzte er sich ittr die Ideale der Sozialisten ein. 1914 war er zuerst Gegner des Eintritts Italiens in den Krieg an der Seite der Entente, wurde dann aber zum eifrigsten und erfolgreich­sten Befürworter des KricgscintrittcS Italiens, so daß ein deutscher Diplomat schrieb, Mussolini sei es in der Haupt­sache z» verdanken, daß Italien gegen Deutschland und Oesterreich marschiere. Gegen Zersctzungserscheinungen im italienischen Heer, gegen Dcsertismns, kämpft er bis zum erfolgreichen Kriegsende mit nie erlahmender Spannkraft, und vom Kriegsende bis zur Machtübernahme 1922 arbeitet er für seine Ncbcrzcugungcn mit unbeugsamer Energie, öle er auf seine Schwarzhcmden durch die wunderbare Gabe sei­ner Rede und UebcrzengnngSkraft überträgt, läßt sich durch keine Rückschläge entmutigen und wagt am 28. Okt. 1922 de» berühmten Marsch auf Nom, der ihm am 30. Okt. die Miui- sterpräsidentschaft Italiens und am 15. November durch Kammer und Senat die unumschränkte Gewalt über Ita­lien gab. Sofort erwies sich Mussolini als ein kluger Ken­ner der Volkspsyche, als er mit seinem ersten Erlaß, daß in jedem öffentlichen Raum neben dem Bild des Königs das Bild Jesu anfzuhängen sei, die Masse der Gläubige» und mit seinem 2. Erlaß, das; die Gehälter der Landgcist- lichen um das Doppelte zu erhöhen sind, den einflußreichen Pricstcrstand neutralisierte und schließlich auf seine Seite brachte. Zur Behebung der Arbeitslosigkeit, zur Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse schlug der Allgewaltige ver­schiedene Wege ein,- zuerst versuchte er mit sozialistischen Methoden zum Ziel zu gelangen,- dann huldigte er einem Wirtschastsliberalismus, in dessen Herrschaft er sogar staat­liche Monopole wieder in Privatbcsitz übergehen ließ, um schließlich wie es heute noch ist einem Korporativ- system den Vorzug zu geben, wobei die Arbeiter für sich in faschistischen Syndikaten, die Unternehmer für sich in fascht-