" Haushallssorgen für 1932

Ungewißheit für die Gemeinden.

Berlin, 14. Ja». Da das Reich einen eigentlichen Haushaltsplan für das neue Etatsjahr diesmal nicht wie sonst üblich zum 1. April ausstellt, sonder» erst zum 1. Juli und sich bis dahin mit einer provisorischen Verlängerung des laufenden Etats begnügen wird, fehlt den Ländern und Gemeinden die sonst übliche Zusammenarbeit mit dem Reich bet der Aufstellung ihrer Haushaltsvoranschläge für das Rechnungsjahr 1832. Die Einnahmen- und Ausgaben- Schätzungen können nicht auf die des Reiches abgestimmt werden und bei den Ueberweisungssteuern fehlen überhaupt kn vielen Fällen die notwendigen Grundlagen.

Trotz dieser Schwierigkeit werben aber, wie wir hören, weder die Länder noch die Kommunen dem Beispiel des Rei­ches mit der Verlegung des Rechnungsjahres zum 1. Juli folgen, sondern nunmehr versuchen, soweit dies möglich ist, eigene Haushaltsvoranschläge aufzu st ei­tlen, wobei angesichts der allgemeinen Ungewißheit nnge- chrure Schwierigkeiten zu überwinden find. Im einzelnen spielt für die Kommunen di« weitere Entwickelung der Wohlfahrtslaste» die entscheidende Rolle. Man glaubt davon ausgehen zu können, daß nach den Erfahrungen des letzten Jahres der Stand der Wohlfahrtserwerbs- losen vom März zuzüglich eines Zuschlags von 28 Pro­zent für den Jahresdurchschnitt annähernd maßgebend sein wird. Im Dezember wurden 1,6« Millionen Erwerbslose gezählt, und da man weiter für den März mit einem An­wachsen bis auf 1,9 Millionen rechnet, würde sich der Jah­resdurchschnitt auf 2,06 Millionen Wohlfahrtserwerbslose im ganzen Rechnungsjahr 1932 nach dieser Voraussetzung be­laufen.

Diese Durchschnittszahl liegt erheblich höher als die des vergangenen Jahres, aber selbst bet aufsteigender Konjunk­tur finkt die Wohlfahrtserwerbslosenkurve erst nach einer größeren Zeitspanne. Die persönlichen Ausgaben werden bei den Kommunen dagegen etwas zurückgehen, ebenso wie die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung, wo man die gesamten Ersparnisse auf rund 100 Millionen schätzt. Man reWnet damit, daß wettere Ausgabenab st rtche für die Kommunen unvermeidlich sein werden. Bei den Ueber­weisungssteuern dürften 1932 die Eingänge im Durchschnitt noch unter den Erträgnissen von Februar und März liegen und teilweise um mehr als 40 Prozent unter dem Voran- schlagsfoll von 1931.

Gewinnzuschlag auf die Selbstkosten, der bisher 20 bzw. 30 v. H. betrug, aus 10 v. H. herabgesetzt worden.

Die Strompreise sind in folgenden Städten gesenkt worden: Altona (Elektrizitätswerk Unterelbe) Haushalts­tarife von 16 auf 12 Pfg. pro Kilowattstunde, in Hamburg sLichtstrompreis) von 42 auf 99 Pfg., in München ist eine allgemeine Senkung um 10 v. H. vorgenommen worden.

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Neuorgauifierung d«S gesamten Treibstofswefeus.

Nach Informationen des DHD. schweben zurzeit Ver­handlungen über di« Schaffung eines Treibstoff­gemisches, das als einziger Treibstoff in Deutschland zu­zulassen wäre. Man geht von dem Gedanken aus, daß einer­seits die Lage Deutschlands eS verlangt, dem deutschen Er­zeugnis den größtmöglichen Absatz zu verschaffen, anderer­seits auch der Lage der Landwirtschaft Lurch starken Verbrauch von Spiritus zu Treibstoffzwecken Rechnung zu tragen ist. Technische Untersuchungen haben ergeben, daß der geeignetste Treibstoff folgendes Gemisch ist- 70 v. H. Benzin, 10 v. H. Benzol, 10 v. H. Spiritus und 10 v. H. Methylalkohol. In diesem Treibstoffgemisch wären nach der Lage der heutigen deutschen Benzinerzeugung etwa 50 v. H. deutsche Erzeugnisse enthalten. Gedacht ist an die Gründung einer Gesellschaft, vielleicht in gemischtwirtschaftlicher Form, die den Bedarf an Auslanüsbenzin für das Gemisch von Jahr zu Jahr fest­setzen und quotenmäßig auf die ausländischen Gesellschaften verteilen würde. Man glaubt, auf diese Weise auch den Venzinpreis senken zu können.

Im Nahmen der allgemeinen Preissenkungsaktion hat der Neichsverkehrsminister die den amtlich anerkannten Sachverständigen zustehenden Gebühren für die Prü­fung von Kraftfahrzeugen, Kraftfahrzeugführern, Fahrlehrern, Lehrwagen und Lehrmitteln herabgesetzt. Die Gebühren sind im allgemeinen um 10 v. H., die Gebühren für die Prüfung von Kleinkrafträdern und für gewisse Füh- rerprüfnngcn um 20 v. H. g e s e n k t worden.

Kleine politische Nachrichten

Reichspräsidentenwahl am 13. März? DieGermania* beschäftigt sich mit dem Versuch, durch einen überparteilichen Ausschuß eine Sammlung des deutschen Volkes und seiner Parteien auf die Kandidatur des gegenwärtigen Reichsprä­sidenten vorzubereiten und durchzuführen. Sie schreibt dazu: Je nach dem Ausgange dieses Versuches wird es unter Umständen notwendig werden, den Reichstag früher etnzu-

berufen als es bisher vorgesehen ist, damit er den Termin für die Präsidentenwahl festseyen kann. Als Termin wird vorläufig der 13. März genannt.*

Die Bayrische Notkspartci zur Reichspräsidcnteuwahl. DieKorrespondenz* der Bayrischen Vvlkspartei bedauert, daß der von der Reichsregierung unternommene Versuch, durch ein verfassungsänderndes Gesetz eine Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsidenten herbeizuführen, ge­scheitert ist.Gerade angesichts der bevorstehenden überaus wichtigen außenpolitischen Verhandlungen sei es »»begreif- ltch, daß die sogenannte Nationale Opposition sich der Ver- wtrklichung des Planes widersetzt habe.

Keine Entwaffnungsaktiou in Berlin. Wie das Berliner Polizeipräsidium mttteilt, ist einstweilen eine Entwasfnungs- aktton in Berlin auf Grund der vierten Notverordnung nicht beabsichtigt. Allerdings müßte, so wird erklärt, mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß in unruhigen Zeiten eine solche Entwaffnungsaktion durchgeführt werde.

Neue österreichische Stillhalteverhandlnnge«. Nach einer offiziellen Verlautbarung Ser österreichischen Nationalbank sind die Stillhaltezahlungen Ser österreichischen Privatban­kiers mit Ausnahme der Oesterreichischen Kreditanstalt ge­kündigt nnd Verhandlungen mit den Emissivnsgläubigern eingeleitet worben. Die Vorschläge, die die Grundlage für diese Verhandlungen bilden sollen, laufen darauf hinaus, die Kapitalabzahlung auf 6N vierteljährlich herabzumindern.

Bor einer Aenderuug -es ungarischen Tra«sfermorato» riums. In einer Versammlung der Regierungspartei er­klärte Ministerpräsident Gras Carolyt, daß nach der Rück­kehr des Ftnanzministers aus Genf die Regierung dringend eine Neuregelung des Transfermoratoriums burchzusühren habe. Dabei sei ein Einvernehmen mit den Gläubigern un­bedingt nötig. Ungarn sei in einer anderen Lage als Deutschland. Es habe nicht die Kraft, um sich zu seinen Gläu­bigern in Gegensatz zu bringen.

Caillanx gegen weitere Tribute. DerBörsenkurier* ver­öffentlicht einen Artikel des ehemaligen französischen Mini­sterpräsidenten und Finanzministers Joseph Caillanx, in dem dieser sagt: Es sei ein hervorragender Journalist ge- wesen, der die Forderung ausgesprochen habe, daß Frank­reich freiwillig auf die restlichen Reparationszahlungen ver­zichten solle. Er ist überzeugt, daß seine Mitbürger diesem Rate gefolgt wären unter der Voraussetzung, daß der Ver- ztcht, den sie zugelassen hätten, als Gegenleistung wirtschaft­liche Abmachungen zwischen den beiden Nachbarländern zur Folge gehabt hätte.

Deutschlands Handelspolitik 1931 "

Berlin, 14. Jan. ImVolkswirtschaftsbienst* der Deutschen Welle sprach Ministerialdirektor Dr. Posse über die handelspolitische Betätigung Deutschlands während des letzten Jahres. Er ging davon aus, daß die deutsche Han­delspolitik im Jahre 1931 sich ausschließlich bemühen mußte, der deutschen Ware den Zugang zum Weltmarkt so weit offen zu halten, baß wir aus den Ueberschüffen der Handelsbilanz in Len Stand gesetzt blieben, ungeachtet der Einschränkung des deutschen Kreöttvolumens die deutsche Währung zu er­halten und der wachsenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwir- ken. Das Jahr 1931 habe mit einer Aktivität der Handels­bilanz von 1642 Millionen abgeschlossen, der Ueberschuß der Handelsbilanz sei auf annähernd 2,9 Mil­liarden zu veranschlagen. Es sei fraglos, - die deutsche Krise des vergangenen Jahres noch viel schlimmere Aus­maße angenommen hätte, wenn das Exportventil nicht in dem tatsächlichen Umfange verfügbar gewesen wäre. Dr. Posse ging dann auf die bekannten Präferenzverträge mit Ungarn und Rumänien ein und bezeichnete die Aussichten für die Zustimmung der meistbegünstigten.Staaten zu diesen Verträgen als nicht schlecht. Bei Erwähnung des im Keime erstickten Projektes einer Zollunion zunächst zwischen Deutschland und Oestereich stellte Dr. Posse fest, - poli­tische über wirtschaftliche Erwägungen auch bann obsiegen, wenn die wirtschaftlichen noch so offensichtlich von Motiven der Vernunft eingegeben sind.

Mit Bezug auf die innerhalb Europas immer mehr zu­nehmenden Tendenzen zum Protektionismus und zur Autar­kie wies Dr. Posse darauf hin, daß die ungünstige Wirkung dieser Entwickelung aus die Gestaltung der deutschen Han­delsbilanz natürlich nicht ausbleiben könne. Das Vorgehen der Schweiz ebenso wie die sonst mancherorts auftretenden Einfuhrbeschränkungen ließen für Außenhandel und Handels­politik das Jahr 1932 nicht unter einem günstigen Stern erscheinen. Eine wesentliche Verschlechterung der deutschen Handelsbilanz zum mindesten gegenüber den Rckordmonaten September und Oktober 1931 sei zu erwarten. Gewiß haben wir, betonte der Redner, keinen Anlaß, durch aggressive Maßnahmen dazu beizutragen, baß sich die Abmehrbewegung gegen die deutsche Ware noch verstärke und beschleunige. Will man aber durch Versperrung der Exportmärkte uns zu einem anderen handelspolitischen Weg zwingen, dann werben wir wohl oder übel den Fehdehandschuh aufzunehmen haben; für den bevorstehenden Ouotenkampf können wir es nicht ruhig mit ansehen, daß ein anderer sich gegen die Aufnahme der deutschen Ware abschließt und bah wir den sremden Produk­ten einen unbeschränkten Zugang gestatten solle».

Der Preiskommissar an der Arbeit

Preissenkungen der Installateure und Schneider.

TU. Berlin, 14. Jan. Der Reichskommisiar für Preis­überwachung hat neue wichtige Verhandlungen zum Abschluß gebracht, so vor allem mit den Vertretern des Elektro- i n st a l l a t t o n s g e w e r b e s. Er hat erreicht, daß die Dezember-Richtpreise um 10 v. H. mit sofortiger Wirkung gesenkt wurden. Ferner ist eine Bereinigung der Kalkula­tionsrichtlinien vorgenommen worden. Endlich fällt die bis­herige Bestimmung fort, daß bei jeder, auch der kleinsten Ar­beit, mindestens ein Stunbenlohn berechnet werden mutz.

Auch die Verhandlungen mit dem Schnetderhand- werk sind zu Ende geführt worden. Das Schneiderhand­werk wird auf die Herausgabe seiner Richtpreise und Kalku- lativnsschematas in Zukunft verzichten, so daß jeder Schnei­der sich seine Unkosten selber berechnen kann. Ferner ist -er

Mein letztes Gespräch mit Rasputin

Der Wundermönch erzählt seine Lebensgeschichte. Sonder, bare Unterhaltung bei einer Audienz. Rasputins Tod, Rußlands Freude.

Von Prinzessin Lucian Murat.

Von Rasputin hörte ich zum ersten Mal 1913 in einem Petersburger Lichtspielhaus. Der Fremde, der damals seinen Namen aussprach, hatte Wohl noch keine Vorstellung von der beginnenden Macht dieses Mannes. Denn ich hörte einen Russen flüstern:Vorsicht! Niemand spricht den Rainen aus. Wenn Sie sich nicht in acht nehmen, finden Sie sich eines schonen Tages in Sibirien wieder.*

Im Jahre 1916 war Rasputin die mächtigste Persönlich­keit Rußlands. Ueberall aber hörte man seinen Namen als den des nationalen Sündenbockes. Er wurde für alle Fehler des sich aushöhlenden alten Regimes verantwortlich gemacht.

Meine Neugier trieb mich, diesen Mann zu sehen, von dem nun alle redeten. Die einen fluchten ihm; andere fragten sich, was er Wohl morgen an neuem Unheil anrichten würde. Ich wollte auf jeden Fall die Bekanntschaft dieses schlauen Bauern machen, der entdeckt hatte, daß im zwanzig­sten Jahrhundert das Prophetenamt am sichersten zur Macht führte.

Es war nicht leicht, an Rasputin heranzukommen. Seine Umgebung, die immer fürchtete, irgend eine neue Person könnte Einfluß auf ihn gewinnen, umgab ihn mit einer Chinesischen Mauer, deren Tore sich nur ganz wenigen öffneten. Irgend jemand sagte mir im Spaß, ich sollte doch Rasputin zu ermorden veijuchen. Ich lehnte das ehrende Angebot dankend ab:Wir behalten unsere Charlotte Cordahs zum eigenen Gebrauch im Lande."

Nach vielen Mühen gelang es einem Bildhauer ans meinen Bekanntenkreisen, eine Audienz für mich zu erreichen. Rasputin wollte mir sogar sitzen.

Es war kalt an diesem Tage. Ueber den Kanälen lag eine Eisdecke, und die Stadt ruhte in lautloser Stumpfheit. Ich klingelte an der Tür im ersten Stock eines recht einfachen Hanfes. Auf der Treppe standen alle möglichen Menschen, die nach Geheimpolizisten aussahen. Ich mußte über ihren oft sonderbaren Aufzug lächeln.

Dann trat ich mit zwei Bekannten ein, die ich gewisser­maßen zum Schutz mitgenommen hatte. Ein Mädchen von vierzehn Jahren, die Tochter des Wnndermönches, hatte uns geöffnet. Sie trug ein rotes Taschentuch über dem Kopf. Aus ihren Augen sprach Intelligenz, doch sonst sah sie aus wie ein Bauernmädchen, das sich in die Stadt verlausen hatte. Sie führte uns in einen recht einfach eingerichteten Raum. Da standen ein grünes Velvetsofa, ein Schreibtisch und ein paar Stühle.

Während wir warteten, erklang dauernd die Flurglocke. Generäle in Uniform, Damen der Aristokratie, die es scheinbar sehr eilig hatten, sahen einen Augenblick zur Tür herein. Schließlich kam er selbst, bat, sein Spätkommen zu ent­schuldigen, und küßte meine Bekannten nach russischer Art auf den Mund. Ich fürchtete mich schon vor der gleichen Be­handlung, doch er beschränkte sich daraus, mir die Hand zu geben.

Wir wollen einen Kreis bilden", sagte er dann,so daß jeder den anderen berührt und unsere Seelen in einander übergehen." Wir stellten also unsere Stühle eng zusammen, und ich sah ihm in die tiefblauen Augen. Sie hatten etwas Faszinierendes. Ich wollte ihn nun zeichnen, doch dabei fiel es mir schwer, den beherrschenden Ausdruck, den er besaß, richtig wiederzugeben. Obwohl ich mich dagegen wehrte, fühlte ich Plötzlich Sympathie für ihn, und ich hätte damals geschworen, daß er ein guter Mensch war. Sein braunes Haar fiel ihm unordentlich über die breiten Schultern, seine etwas starke Nase war edel geformt, die Stirn hoch, der Mund ansprechend mit ewas schweren, sinnlichen Lippen, das Kinn ausgeprägt und vorgeschoben unter seinem schlecht gekämmten Bart. Man sah ihm seine 50 Jahre nicht an, und er war gut gebaut. Zweifellos saß ein durchaus intelligenter Mensch vor mi r, ein unbedingter Meiste? seiner Leidenschgflen.

Nacyoem ich einige Zeit gezeichnet hatte, bat ich:Sagen Sie uns doch, wie es kommt, daß Sie über die Großen dieser Erde Macht ausüben!"

Nur durch die Liebe, mein Täubchen", antwortete er. Dann griff er nach Papier und schrieb:Die Liebe ist unser Trost, unser Kummer, unser Schmerz." Er stand sichtlich im Kampf mit der Rechtschreibung und schrieb die Worte etwas mühsam, wie ein Bauer, der seinen Acker Pflügt. Sein Gesicht war in diesem Augenblick das eines Apostels. Ich erinnerte mich daran, daß ihn der Mönch Heliodor in einer Predigt dengrößten Heiligen im Rußland der Gegenwart" ge­nannt hatte.

Schön", sagte ich,doch nun erzählen Sie uns, wie Sie dazu kamen, ein solcher Mensch zu werden. Uebrigens erzählt man sich, Sie seien ein liederlicher Trunkenbold, der die Frauen nicht ungeschoren lassen könne."

Er stritt das nicht ab und erzählte seine Lebensgrschichte, wobei er sich, selbst oft durch Wehklagen und Gebew unter­brach:Ich war damals ein Fuhrmann und kam ab und zu einmal bis nach Tobolsk. Eines Tages fuhr ich Milaly Zolowosky, einen Studenten der Gottesgelahrtheit. Als wir uns trennen wollten, packte er mich an der Schulter: ,Gregory Effernowitsch, sieh empor zu Gott! Alle Leute reden hier von Deinen Ausschweifungen, Mütter weinen, und Männer klagen. Lu wirst noch einmal die Knute bekommen, wenn Du Dich nicht besserst und Deine Zuflucht zu Gott nimmst?

Da schien es mir, als ginge Plötzlich in meinem Inneren ein Licht auf. Ich sagte meiner Frau und meinen Schwestern liebevoll Lebewohl und ging in den Wald, um zu grübeln, bevor ich meine Pilgerfahrt nach Jerusalem antrat. Unter­wegs betete ich in allen Klöstern. Zwei Jahre lang vertiefte ich mich in die Geschichte der Kirche und in die Heilige Schrift, und dann begann ich zu predigen.

Ich wurde dem Bischof Theophanus und Vater Iwan von Kronstadt empfohlen, und ich vertauschte Sibirien mit den großen Städten."

Hier überreichte er mir ein Schriftstück. Ich fand darin hier und dort gute, wenn auch nicht ganz klare Gedanken, mit deren Hilfe ich langsam begriff, wie es Naspiitin möglich ge­wesen war, solchen Einfluß auf den Zaren und die Zarin

zu gewinnen.

Ich sah Rasputin an. Aus seinem Gesicht las ich einiges von den beiden Naturen, die in ihm wohnten, von dein Fanatiker und von dem Trunkenbold, von dem Träumer und von dem Satyr. Er war ein Mensch, der seine beiden Naturen den Umständen entsprechend anzuwenden wußte.

Schließlich wurde er müde, mir noch länger zu sitzen. So machte er mir den Vorschlag, er wollte mich zu einer Gesellschaft mitnchmen, die am gleichen Abend ihm zu Ehren stattfinden sollte. Das Gerücht ging, daß Rasputin bei solchen Gelegenheiten in einem Lehnstuhl zu liegen und sich mit der Selbstverständlichkeit des Herrschers eine Gefährtin jür die Orgien dieser Nacht auszusuchen Pflege.

Ich lehnte seine Einladung ab. Da sagte er:Das ist nicht recht von Ihnen. Denn in mir wohnt etwas vom Höchsten, und die Rettung kann nur durch mich kommen. Deshalb müssen Sie sich mit mir körperlich und geistig ver­einigen. Kommen Sie diesen Abend, wenn die Sterne blinken und der Weihrauch auf dem Dreifuß schwelt. Dann wolle,« wir gegenseitig unsere Hände halten."

Während er sprach, schienen seine Augen die Hohlen verlassen zu wollen, und er bewegte seinen Körper hin und

her wie ein Derwisch. .

Unsere Unterhaltung wurde durch ein ungeduldiges Schellen unterbrochen. Eine stämnnge Frau trat cm und flüsterte Rasputin etwas ins Ohr. Er sagte mir daun, man erwarte ihn in Tsarsköe Selo. Ich horte spater, die Frau sei eine Hofdame der Zarin gewesen.

Ein paar Wochen verstrichen. Am 30. Dezember 1916, abends fünf Uhr herrschte in der Stadt allgemeine Freude. Ein Mensch wünschte dem anderen Glück, Droschkenkutscher lehnten das angebotene Trinkgeld ab und warfen ihre Mützen vor Freude in die Luft. Fremde umarmten sich auf der Straße wie zu Ostern. Petrograd hatte eben die Nachricht von RaivutinS traaifchem Tode erhalten.