Die deutsche Ostpolitik

Der Kamps um die innerpolitische Neuordnung, die Tri- vute und kommerziellen Schulden, die handelspolitischen Ab­sperrungsmaßnahmen fast aller europäischen Länder lenken die Aufmerksamkeit vom Brennpunkt der europäischen Poli­tik im Naume von der polnischen Westgrenze bis an bas Schwarze Meer ab. In Deutschland begnügt man sich mit der Feststellung, bah die deutsch-polnischen Beziehungen auf dem toten Punkt fcstgefahren sind. Das gilt leider nur für die deutsche Außenpolitik: die Politik Frankreichs und Polens beharrt im Osten nicht auf dem toten Punkt, sie ver­sucht, den eisernen Ring um Deutschland auch nach dem ost­europäischen Naume hin zu schließen.

Seit dem deutsch-russischen Napollo-Vertragc hat die deutsche Außenpolitik in Osteuropa keine neuen Ideen ent­wickelt. Sie hängte ihre Ostpolitik an die deutsch-französische Verständigungspolitik an. Diese große Linie nach einem nebelhaften Ziel wurde auch mit dem Wirtschaftskriege ge­gen Polen nicht durchbrochen, denn die französische Politik sah es nicht ungern, baß eine deutsch-polnische Wtrtschasts- verständigung nicht zustande kam. Die deutsche Außenpolitik folgte dem Lockrufe des Meisters der Verschleierungstakttk, Briand, von Locarno bis Genf und zu den letzten Verhand­lungen in Paris und Berlin. Das wäre an sich kein falscher Zug gewesen: die deutsche offizielle Politik setzte aber alles Vertrauen auf die Möglichkeit der Verständigung in einer für Deutschland noch annehmbaren Form, llm diese Ver- ständigungsmöglichkctt nicht zu stören, verzichteten mir auf eine selbständige Außenpolitik. Die Willenslühmung war bei der Anbahnung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Oesterreich schon so weit fortgeschritten, daß ocr Versuch, der nicht nur in seiner strategischen Anlage verfehlt, sondern auch am falschen Zeitpunkt angesctzt war, scheitern mußte.

Während Deutschland ehrlich bestrebt war, viele der Ver­ständigung entgegcnstehcnde Hindernisse beiseite zu räumen, nutzte Frankreich die Zeit aus und zog den Ring um Deutschland immer enger zusammen. Während Deutschland von selbst sich einem politischen Sttllhalte-Abkommen unter­warf, fetzte jenes seine Kampfmabnahmcn mit Unterstützung seiner osteuropäischen Verbündeten weiter fort. In Wien und Budapest hat die französische Politik die Oberhand ge­wonnen: die Bildung einer Föderation der Donauländer ist nur noch eine Frage der Zeit. In Paris wird der Zeitpunkt bestimmt werden, wann Deutsch-Oesterreich und Ungarn sich zusammenschlteßen. Die Habsburger stehen vor den Toren Wiens und Budapests. Wcr sie kennt, weiß, daß ihr Haß ge­gen Deutschland sich mit dem Deutschenhaß der französischen Nationalisten messen kann. Der italienische Außenminister Grandt wirb bei seinem Besuch in Berlin seine Kenntnisse über die Pläne Frankreichs in Südosteuropa nicht für sich behalten haben. Er ist verstimmt wieder über den Brenner zurttckgefahren. In Berlin wartet mau noch. Seipel in Wien hat Zeit gewonnen.

Das deutsche Volk rechts der Elbe blickt nicht gern hin­über nach dem östlichen Gefahrenherde. Der Blick nach dem Osten scheint nur ein leeres Wort zu sein, obwohl es deut­sches Schicksal aussprtcht. Der Grund, warum das Wort so oft mißachtet wirb, liegt nicht zuletzt an der Entwicklung der deutschen Außenpolitik, die sich damit begnügt, die Ost-

auf dein toten Punkt

Politik als einen Teil der Verständigungspolitik mit Frank­reich zu betrachten. Die Spannungen in den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen müssen eines Tages zur Explosion führen oder zu einer Kapitulation des deutschen Nevisionswillens. Die französisch-polnische Politik bereitet diesen Zeitpunkt Zug um Zug vor. Die Bedeutung des rus­sisch-französischen Nichtangriffspaktes, der paraphiert, aber noch nicht ratifiziert ist, liegt für Frankreich im Osten: der Vertrag besäße für Paris nur geringen Wert, wenn er nicht der Vorläufer eines russisch-polnischen Nichtangriffspaktes wäre, über den augenblicklich zwischen Warschau und Mos­kau verhandelt wird. Die französische Diplomatie hat die unsichere wirtschaftliche und außenpolitische Lage der Sowjet­union geschickt ausgenutzt, durch die Unterstützung Japans im Mandschurei-Konflikt Polen und Rumänien vom russi­schen Druck befreit. Die kritische Lage der Sowjetwtrtschaft vcranlaßte Warschau zu einer diplomatischen Offensive in Moskau, die wiederum das japanische Vorgehen in der Mandschurei erleichterte. Noch im August lehnte man im Kreml die Grundsätze des polnischen Antrages als Verhand­lungsbasis für den Abschluß eines Nichtangriffspaktes ab. Der Inhalt des russisch-französischen Abkommens genügte den Polen nicht: sie verlangten von Moskau die Ausnahme der Bürgschaft für die polnische Wcstgrcnze in den Pakt. In­zwischen reiste Pilsudski nach Bukarest, Prinz Nikolaus von Rumänien flog nach Warschau, und die rumänische Presse ivußte zu melden, baß Pilsudski den Oberbefehl über die rumänische Armee erhalten habe. Der französische Botschaf­ter in Bukarest hatte sicherlich nicht viel Mühe, diese "Mel­dungen für einen bestirnten Zweck bei der. rumänischen Ne­gierung üurchzudrücken. In Moskau lenkte man nunmehr ein und nahm die Verhandlungen aus Grund des alten, erneuerten Antrages Polens auf. Ob der Pakt zustande kommen wird, ist noch ungewiß, ebenso, ob Polen irgend­welche Garantien durchsetzen wird. Die Nüssen sind Meister in der Formulierung zweideutiger Vertragstexte, und ihre wirtschaftliche Lage ist so schwierig, daß man ihrer Kraft, die Folgen eines Abbruches der Verhandlungen zu tragen, nicht allzu viel zutraucn kann.

Selbstverständlich würden Paris und Warschau den Ab­schluß der Nichtangriffspakte zunächst diplomatisch gegen Deutschland ausmünzen. Polens Rückendeckung im Osten würde den Druck auf die deutschen Ostgrenzen unerträglich steigern. Die Gefahren für den deutschen Osten wachsen von Tag zu Tag. Der Militarismus Polens lebt von dem Sie­danken, daß er erst noch die Errichtung des neuen polnischen Reiches besiegeln und die Geschichte Polend vom Stachel der Gnade fremder Mächte bereinigen muß. Bet dieser Gesin­nung. welche die polnischen Armeeführer beherrscht, würde der Abschluß eines Nichtangriffpaktes mit der Sowjetunion bas Heranrücken der großen Stunde im Westen bedeuten.

Die deutsche Ostpolitik steht auf dem toten Punkt. Der Ring um Deutschland droht sich zu schließen Worauf wartet die deutsche Außenpolitik? Bis man ihr das Gesetz des Han­delns vorschrcibt? Die Ostfragen drängen zu einer Entschei­dung, und es liegt an Deutschland, sie auszurollen und den toten Punkt zu überwinden.

Deulsch-fmnzösische Wirlschciflsbewreckiiimen in Berlin

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In Berlin sind 25 französische Wirtschastsführer etnge- trosfen, um die in Parts begonnenen Verhandlungen über eine Wirtschastsverständtgung zwischen beiden Ländern fort- zusctzen. Im Plenarsaal des Neichswtrtschaftsrates traten sie unter dem Vorsitz des früheren Staatssekretärs von Simson zur gemeinsamen Sitzung mit den deutschen De-

.--..-end von rechts nach links: Dr. Ha­mann, Ministerialdirektor Ritter, Lammers, Dr. Posse, Staatssekretär von Trendelenburg, von Stmson» dann di« französischen Delegierten Fongare, der Führer der Delega­tion, Elbel, Laurent, Hoschiller und Baudter.

Schutz der Lcindwlltjchast

Der Bollstrecknngsschutz in der neuen Notverordnung

Im Berliner Rundfunk sprach der Ministerialrat im Reichsmintsterium für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Quassowskt, über den landwirtschaftlichen Vollstrek- kungs schütz in der neuen Notverordnung. Der Redner schilderte einleitend die Notlage der Landwirtschaft und ihre Ursachen. Die gruppenmäßig einsetzenden Zwangsversteige rungen und die gehäuften Zwangsvollstreckungen, erklärte er, drohten zu einer Aushöhlung der Betriebe zu führen und die kommende Ernte zu gefährden. Hier nun greife die neie Notverordnung mit einer Senkung der Zinsen und einer Sondergestaltung des Zwangsvollstrek­kungsverfahrens für landwirtschaftliche Be­liebe ein. Die Vorschriften gälten für alle Teile des soweit nicht die Betriebe des Ostens dem Siche n nach der Sicherungsverordnung für den . Das Zwangsversteigerungsverfahren.

das durch die Notverordnung allgemein, also auch für die nicht landwirtschaftlichen Schuldner geregelt worden sei, er- fahre für die landwirtschaftlichen Grundstücke eine Erwei­terung des Schutzes der Grundstücksrechte.

Wenn zum Beispiel der landwirtschaftliche Schuldner mit seinen Leistungen über drei Monate im Rückstand sei und dem Gläubiger aus der Lage besondere Nachteile erwüchsen, so solle doch aus Antrag des Schuldners die Zwangsverstei­gerung des landwirtschaftlichen Grundstücks auf die Dauer von sechs Monaten, und wenn diese Frist vor dem S0. September ablaufen würde, bis zum M. September 1932 einstweilen eingestellt werden, wenn die ord- nungsmäßige Fortführung des Betriebs und die Einbrin­gung der Ernte bei einer Betriebsführung durch den Schuld- ner gewährleistet erschienen, aber bet Ablehnung der einst­weiligen Einstellung gefährdet sein würden. Beantrage der Gläubiger die Zwangsverwaltung, so sei fortan der land­wirtschaftliche Schuldner selbst zum Verwalter zu bestellen unter der Voraussetzung, daß er dazu bereit und befähigt

sei. Das Gericht habe eine Aufsichtsperson zu bestellen, unler deren Aufsicht der Schuldner die Verwaltung zu führe» habe. Komme der landwirtschaftliche Schuldner als Zwangs­vermalter nicht in Betracht, so sei das als Gläubiger betet- ligte Nealkreditinstitut berechtigt, einen Zwangsverwalter vorzuschlagen.

Wenn bewegliche Gegenstände des landwirtschaftlichen Be­triebes wegen Geldforderungcn gepfändet würden, dann sei auf Antrag des Schuldners die Zwangsvollstreckung dann aufzuheben, wenn dem Schuldner durch die Zwangsvollstrek­kung die Mittel entzogen würden, die zur ordnungsmäßigen Fortführung der Wirtschaft bis zur nächstjährigen Ernte be- nötigt würden, und der Schuldner die Gewähr biete, daß er den Erlös aus der Veräußerung der Gegenstände zur ord- nungsmäßtgen Fortführung der Wirtschaft verwende» werde. In der gleichen Weise wie die Eigentümer seien auch die landwirtschaftlichen Pächter geschützt.

Für alle diese Schutzvvrschriften, so schloß der Redner, gelte der gleiche Grundsatz: In die bestehenden Nechtsbezte- hungen zwischen dem Landwirt und seinen Gläubigern wird nicht eingegriffen. Forderungen, Lieferungsverpflichtungen, Wechselverbindlichkeiten bleiben unverändert bestehen. Etn- gegriffen wird nur tu das Zwangsvollstreckungsverfahren und in dieses nur so weit, als es zur Verhütung einer Ge­fährdung der nächsten Ernte nötig ist, und nur insoweit, als der landwirtschaftliche Schuldner die Gewähr dafür bietet, daß er selbst diese Ernte am zweckmäßigsten vorberetten und etnbringen wird.

Die Grenzen des Preisabbaus im Einzelhandel

Berlin, 17. Dez. Die Hauptgemeinschaft des Deut­schen Einzelhandels legte in einer Pressebesprechung die sich für den Einzelhandel ans der Notverordnung ergebenden Folgerungen bezüglich der Gestaltung der Konsumpreisc und der Unkosten in den Einzelhandclsbetrieben dar. Tie vssi» zielte Stellungnahme des Einzelhandels hat folgenden Wort­laut:

1. Die Preissenkungsvorschriften der Not­verordnung richten sich nur gegen solche Preise, die in­folge vorhandener Bindungen bisher nicht der allgemeinen Abwärtsbewegung gefolgt sind. 2. Tie weitaus meisten Ein­zelhandelspreise sind nicht gebunden und unter dem Druck der ständig sinkenden Kaufkraft und der verschärften Kon­kurrenz seit zwei Jahren stark zurückgegangen. 3. Ein weiterer erheblicher Preisrückgang bei vielen Waren, insbesondere aus der Textil- und Tchnh- branche, könnte, wie auch der Ncichskvmmissar für die Preis­überwachung betont hat, zur Folge haben, daß diese Waren vom Markt verschwinden. 4. Die Verbranchcrschast erwartet Preissenkung, weil die Negierung diese ange- kündigt hat, und weil große Bevölkerungskrcise neuerdings in ihrem Einkommen empfindlich geschmälert worden sind, lieber die außerordentlich niedrige Preislage des Weih­nachtsangebots ist eine weitere Senkung nur bei den Prei­sen der gebundenen Markenartikel zu erwarten. Der «Li. zelhandcl ist bemüht, hier die Preisermäßigung entsprechend der Notverordnung so schnell durchzuftthren, daß sie noch vor Weihnachten wirksam wird. Er bittet zu berücksichtigen, daß er die Senkung der gebundenen Markenpretse nicht alleiir. sondern nur gemeinsam mit Industrie und Großhandel durchführen kann, wodurch die Preissenkung mitunter ein wenig verzögert werben kann. 5. Bet der Beurteilung des Preisniveaus bittet der Einzelhandel zu berück- sichtigen, daß die neue Notverordnung ihm nicht nur Un- kostensenkung, sondern auch erhebliche Ncubelastungen durch die rigorose Erhöhung der jetzt nicht abwälzbaren Umsatz, stcucr und durch andere Steuererhöhungen gebracht hat.

Löhne und Preise

Ein Brief Brünings an die SPD.

In einer gemeinsamen Tagung des sozialdemokratischen iarteiausschusses mit dem Ausschuß des Allg. Deutschen Ge- lerkschaftsbunöcs, die sich am Mittwoch abend tm Rcichs- »irtschaftsratsgcbüude mit der Notverordnung beschäftigte, iurde vom Abg. Dr. Brettscheid ein Schreiben vcr- :sen, mit dem Reichskanzler Dr. Brüning Vorstellungen es sozialdemokratischen Parteivorsitzcnden Wels wegen der Kcichzeitigkeit der Lohnsenkungen mit den Preissenkungen r der Notverordnung beantwortet hat. Es heißt in dem »riefe des Reichskanzlers u. a.:

Den Niederschlag der Auffassung der Reichsregierung itte ich aus der Einleitung der amtlichen Verlautbarung rsehcn zu wollen, mit der die Reichsregierung am 8. De- ember die neue Notverordnung der Oesfentlichkeit unter­reitet hat. In dem vorletzten Absatz dieser Einleitung wird usdriickltch aufgeführt, daß die Neichsregrerung sich erst, achdem durch Maßnahmen der verschieden- en Art ein wesentliches Abgletten samt- icher Preise sichergestellt war, zu einem er­eilten Eingriff in Löhne und Gehälter -nt' chlassen habe. In demselben Absatz heißt eS da"" rr:Die schicksalhafte Verbundenheit von Löhnen und Pret- m bleibt selbstverständlich auch für die 3 »^"" "haltcm Zollten heute noch nicht übersehbare Umstü-Ve eintreten, bl­iese Wechselbeziehungen zwischen Löhn-a und Preisen we- mtltch verändern, so wäre eine n«ueLa§°

)erade um ein- unerträgliche SchrumpsungöerKauraf es deutschen Volkes zu vermeiden, wirb die N hs egte ung -S als ihre vornehmste Pflicht an-hen.b°rau^ zuach -n, baß der jetzig- Stand von

älternnurbeieinementsprechendtiefg e y a r«

en"nS"°nd aller Preise au srechterh a lt-« leiben kann. Mit voller Absicht habe ^ dieser be- eutsamsten Frag- des Gesamtprogram^

in dieser eindeutigen Form für die Zukunft festgeleg^