Der Abrüstungsschwindel

Europa bereit zum Kriege Die riesigen Reserven verschiedener kontinentaler Mächte

Von Sir Nennell Rodd, ehem. britischem Botschafter in Nom

Solange die Völker die allgemeine Wehrpflicht beibehal­ten, vermag ich an wahre Fortschritte in der Abrüstungs- frage nicht zu glauben. Mir scheint, daß es für Großbritan­nien als Großmacht nicht ohne Gefahr ist, sich mit der aus­gesprochenen Absicht der Rüstungsbeschränkung aus eine Ab­rüstungskonferenz zu begeben, dabei aber zuzulassen, daß ein Wehrsystem mit zwangsweiser Einziehung der männ­lichen Bevölkerung zum Waffendienst anderswo bestehen bleibt. Wie lange würden wir noch Großmacht bleiben, wenn wir allein macht- und waffenlos unter den Völkern dastän­den? Die Frage beschäftigt mich ständig.

Ich bin stets für die Abrüstung eingetreten, aber für die Abrüstung aller, nicht für eine solche, die nur schein­bar einige Schritte auf diesem Wege tut, in Wahrheit aber gerade auf das Gegenteil abztelt.

Man kann die Tatsache nicht übersehen, daß es auf dieser Welt, und insbesondere in Europa, verschiedene Nassen gibt, jede mit nur ihr eigenen BesonbcrWten. In Europa bei­spielsweise besteht die germanische uns die romanische Staa­tengruppe, von den Slawen ganz abgesehen. Berücksichtigen wir nur die beiden ersteren, unter denen in der Vergangen­heit die ausgesprochensten Gegensätze bestanden, so finden wir, daß die Germanen ihrer Weltanschauung nach anderen so lange trauen, bis sie Grund zum Mißtrauen haben. Die Romanen dagegen gründen ihre ganze Lebensanschauung, ihre Gesetzgebung und ihre Politik von vornherein auf den Grundsatz des Mißtrauens. Darin liegt m E. der wichtigste, entscheidende Unterschieb zwischen beiden Raffen,' ihn wirb man beseitigen müssen, will man eine Grundlage für auf­richtige Zusammenarbeit erreichen.

Diese Eigenheiten der romanischen Raffe scheinen mir in ihrer Haltung zur Abrüstungsfrage besonders deutlich zu­tage zu treten. Die Völker, die tatsächlich abgerüstet oder doch ihre Rüstungen sehr stark herabgesetzt haben, gehören dem Norden an, während die lateinischen Staaten, wie ich zu mei­nem Bedauern sagen muß, wohl von Abrüstung reden, in Wahrheit jedoch ihre eigentliche Stärke zu verschleiern suchen. Sie machen viel Aufhebens von der Beschränkung der allge­meinen Wehrpflicht auf ein Jahr oder anderthalb, aber in­dem sie damit die Zeit für die unmittelbare Einberufung der Reserven ans drei Jahre festsetzen, erleichtern sie damit nur die militärische Ausbildung ihrer gesamten männlichen Bevölkerung. Nehmen wir z. B. ein stehendes Heer von MOOOO Mann an, mit der Verpflichtung, nach Beendigung der zwölfmonatigen Dienstzeit einer etwaigen Einberufung sofort Folge zu leisten, so wird der betreffende Staat jeder­zeit über anderthalb Millionen völlig ausgebildeter und in jeden Augenblick zur Verfügung stehender Soldaten neben dem stehenden Heere verfügen.

Und doch loben einzelne Abrüstungsfreunbe gewisse roma­nische Völker, weil sie in der genannten Weise ihre militä-

Die letzte deutsche Festung wird geschleift

Die »Fronte Schmaust" in Germersheim, so benannt nach dem Erbauer der Festung Germersheim, Festungsbanmetster von Schmaust, wird zur Zeit abgerissen. Damit fällt nicht

nur ocr letzte Ueberrest der einst so stolzen Festung am Rhein, sondern auch die letzte deutsche Befestigung an der Westgrenze überhaupt.

Die Abwicklung des Stillhalteabkommens

TU. Neuyork» 34. Nov. Angesichts der Möglichkeit, daß der amerikanische Kongreß sich mit der Trtbutfrage beschäf­tigen wird, meldet der Neuyorker Korrespondent der »Finan­cial News", die amerikanische Geschäftswelt verlange vom Kongreß, daß seine Maßnahmen die Regelung der Frage der kurzfristigen Anleihen nicht störten. Wenn der Kongreß sich der Verlängerung des Hoover- Moratoriums widersetzen sollte, seien die Aussichten für die Regelung der kurzfristigen Kredite sehr schlecht. Sollte Frank­reich aus dem Vorrand der Tribute bestehen, so würden die amerikanischen Bankiers eine Verlängerung des Stillhalte­abkommens ablehnen. Aus verschiedenen Gründen hätten sich die amerikanischen Bankiers daher darauf geeinigt, daß die Rückzahlung der deutschen privaten Ver­pflichtungen ratenweise in Abschnitten von 3 Monaten nach dem 29. Februar 1S82 erfolgen solle, wobei man übrigens mit deutschem Widerstand rechne. In letzterem Falle würden die amerikanischen Bankiers es dar­auf ankommen lasten, und dadurch zeigen, daß sie der Ver-

rische Dienstpflicht verkürzt haben. Wenn ich mir für einen. Augenblick das Mißtrauen der Lateiner einmal zu eigen machen wollte, so würde ich sagen, daß jene Staaten ihre militärische Stärke eher erhöht als vermindert haben.

Die zur Verfügung stehenden amtlichen Angaben swie u. a. die Mitteilungen in dem Jahrbuch des Völkerbundes über das Rüstungswesen) bestätigen diese Ansicht, denn sie zeigen was für die militärische Stärke verschiedener Län­der seit dem Kriege besonders kennzeichnend ist, daß zah­lenmäßig die Artillerie im Vergleich zur Infanterie ,n den stehenden Heeren sehr beträchtlich zugenommen hat. Das aber bedeutet nichts anderes als erhöhte Schlagfertigkeit. Denn mit der Einberufung des ersten Reservejahrganges wird ohne jeden Zeitverlust das militärisch wünschenswerte Verhältnis wieöerhergestcllt sein.

Ob der Völkerbund stark genug ist, um als Organ inter­nationaler Schiedsgerichtsbarkeit das System der allgemei­nen Wehrpflicht zu beseitigen, erscheint zweifelhaft. Bislang hat er ja ganz nützliche Arbeit geleistet, aber doch nur in weniger wichtigen Angelegenheiten. Mit der Zeit mag er ja auch noch mehr zuwege bringen. Solange indes die allge­meine Wehrpflicht besteht, wird unweigerlich die männliche Bevölkerung unseres Erdteils im Waffenhandwerk geübt, U"d dieses System herrscht in nahezu sämtlichen europäischen Staaten.

Ich möchte nicht behaupten, daß Abrüstungskonferenzen keinen Zweck haben. Das Problem kann ja gar nicht gründ­lich genug erörtert werben. Aber mir gefällt es nicht, daß man, wie einige Abrüstungsbegeisterte es wünschen, sich zu solch einer Konferenz begibt, mit dem stillen Vorsatz, sich mit den riesigen Reserven als einer Angelegenheit, die nicht zur Verhandlung steht, von vornherein abzufinden. Mir scheint es, gerade hier liegt die Wurzel allen Uebels. Die Staaten mit allgemeiner Wehrpflicht sind von keinem anderen Ge­danken beherrscht, als für jeden Zwischenfall bereit und ge­rüstet ich will nicht behaupten: tm aggressiven Sinne ge­rüstet zu sein. Großbritannien dagegen scheint eS nur darauf abzulegen, nicht bereit zu sein. Wir glauben offen­bar trotz aller Lehren der Geschichte, baß, wenn wir so tun, als könnte es in Europa keinerlei Zusammenstöße wieder geben, und unser Heer und unsere Flotte aufs äußerste be­schränken, die übrigen Länder unserm Beispiel folgen wür­ben. In Wirklichkeit haben sie in den letzten sechs oder sieben Jahren zwar an Abrüstungskonferenzen teilgenommen, was aber dabei herausgekommen ist, ist ein militärisches System, das zwar äußerlich wie eine Rnstungsverminderung aus­sieht, in Wahrheit jedoch jene Staaten instand setzt, ihre Wehrkraft voll wirksam zu erhalten und sie womöglich noch zu steigern.

Es ist Zeit, daß Großbritannien die Augen Ssfnetl

längerung des Stillhalteabkommens zu den gegenwärtigen Bedingungen ablehnend gegenüberständen. Das normale Kreditgeschäft mürbe also erst wieder ausgenommen werden können, nachdem eine zufriedenstellende Regelung des Still­halteabkommens zustade gekommen sei.

Doch Reichstag im Dezember?

Die Beschlüsse des Hanshaltsausschnffes müssen bestätigt «»erden

AlsErsatz"-Reichstag ist gegenwärtig der Haushalts- ausschuß des Reichstags tätig. In ihm sind alle Parteien vertreten bis aus die Nationalsozialisten, die eine Mitarbeit abgelehnt haben, weil sie dem gegenwärtigen Reichstag und seinen Ausschüssen nicht mehr das Recht zugestehen, irgend­welche Beschlüsse zu fassen, da dieser Reichstag dem Volks­willen nicht mehr entspreche. Dieser Haushaltsansschuß wird nun einige Wochen seines Amtes walten und soll nach den Wünschen der Regierungsparteien einen Ersatz des Reichs­tages darstellen. Es haben sich aber bereits nach Len ersten Verhandlungen Schwierigkeiten ergeben, weil dieser Aus­schuß keine endgültigen Beschlüsse fassen kann, da dieses Recht nur dem Reichstag selbst zusteht. Der Haushaltsausschuß gewinnt damit immer mehr nur den Charakter einer be­ratenden Instanz. Diese Tatsache hat vielfach schon zu leb­haften Auseinandersetzungen im Ausschuß geführt und den Wunsch laut werden lassen, im Dezember den Reichstag zu einer kurzen Tagung einzuberufen, damit er die Beschlüsse des Haushaltsausschusses bestätigt. In Negierungskretsen steht man diesem Plane sehr skeptisch gegenüber. Bei den einzelnen Parteien gewinnt er jedoch immer mehr Anhän­ger. Man wird noch die Erfahrungen der nächsten Wochen abwarten und wahrscheinlich dann zu der Entscheidung kom­men, daß eine, wenn auch kurze Dezember-Tagung des Reichstages nicht zu umgehen sein wird.

Die Wirlschaflsverhandlungen mit der Schweiz

Freigabe der schweizerische« Schnhzölle TU. Berlin» 24. Nov. Amtlich wird mitgetetlt: Nachdem die Schweiz auf deutschen Wunsch vor einiger Zeit auf die Bindung der deutschen Schuhzölle verzichtet hatte, ist im Lauf der gegenwärtig in Berlin geführten Verhandlungen über eine Revision des deutsch-schweizerischen Handelsver­trags auch die Freigabe der schweizerischen Schuhzölle ver­einbart worden. Gleichzeitig wurden einige seit längerer Zeit anhängige Spezialfragen geregelt. Die so getroffenen Vereinbarungen sollen so bald als möglich vorläufig ange­wendet werben. Die Verhandlungen der Abordnungen über dte Abänderung des Handelsvertrags nehmen im übrigen ihren Fortgang.

Kleine politische Nachrichten

Zusammenschluß von Splitterparteien. Wie in parla­mentarischen Kreisen verlautet, sind Bestrebungen im Gange, die von der sozialdemokratischen bzw. der Staatspartef ab­gesplitterten Gruppen der Sozialistischen Arbeiterpartei und der Radikal-Demokratischen Partei zusammenzuschließen. Die Verhandlungen sind ausgenommen worden und sollen in nächster Zeit abgeschlossen werden. Die Sozialistische Arbeiter­partei soll gegenwärtig etwa 20 OM eingeschriebene Mitglie- der im Reiche zählen, die Radikal-Demokratische Partei etwa 12 000.

Das PeusionSkürznugsgesc«;. Der HauöhaltSanSschuß des Reichstages beschloß in der Einzclberatung des Negierungs- entwurfes über ein Pensionskurzungsgesetz, d.-ß die Vor­schriften des Gesetzes nicht nur für die ehemaligen Reichs» beamten, sondern auch unmittelbar für die ehemaligen Be- amten der Länder, der Gemeinden, der Reichsbrnk und der Reichsbahn sowie der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes gelten sollen.

Ans dem Wohnnngsansschuß des Reichstages. Der Woh- nungsausschuß des Reichstages beschäftigte sich am Montag unter dem Vorsitz des Abgeordneten Liptnski sToz.) mit der Forderung des Kleinwohnungsbaues aufgrund von An­trägen der Sozialdemokraten und der Christlich-Sozialen. Die Anträge verlangen u. a. schleunige Bereitstellung ver­mehrter Hauszinssteuermittel für den Bau von Klein- Wohnungen.

Linksopposition in de, Volkspartei? Auch in der Volks- Partei, dte bei den letzten Wahlen böse Rückschläge bekom­men hat, machen sich jetzt Zersetzungserschcinungen bemerk­bar, die von dem linken Flügel ausgcheu. V.n hier ans wirb dem Parteiführer Dingelbey der Vorwurf gemacht, daß er durch den Abmarsch in die Opposition einen falschen Kurs eingeschlagen habe, der zum Untergang der Partei führe. Diese Gruppe hat, nachdem sie in der Fraktion und später im Reichsausschuß unterlegen war, jetzt den Versuch gemacht, sich zu organisieren. Sie steht unter der geistigen Führung des früheren Abgeordneten Graf Dohna.

Deutsche Zollgcgenmaßnahmen. Durch die jüngste Ver- fügung des englischen Handelsamtes, die die Einst.hr einer sehr groben Anzahl von Fertig- und Halbfcrtigwareu mit einem SOprozentigen Wertzollzuschlag belegt, wird die deut­sche Ausfuhr nach England sehr hart betroffen. Unter diesen Umständen sind bereits Erwägungen im Gange, die darauf abzielen, die Einfuhr britischer Kohlen entweder genz zu verbieten oder doch mindestens in einem Ausmaß zu dros­seln, bas der Schädigung des deutschen Warenverkehrs in England einigermaßen entspricht.

Francois Poncet über seine Mission. Der französische Botschafter in Berlin gewährte einem Vertreter der Pariser Presse eine Unterredung, in der er u. a. erklärte, seine Auf­gabe sei, in erster Linie ohne Vorurteile die deulsch-srau- zösischen Beziehungen zu fördern. Deutschland erwarte viel von Frankreich und zeige sich sogar berechtigt, zu viel zu er­warten. Ausgabe der französischen Diplomatie sei es, sich der Lage anzupaffen und ohne baß deshalb Frankreich etwas von seiner Stärke oder seinem Ansehen verlöre, mit den Führern der Reichsregterung, wer sie auch seien, an einer politischen Annäherung und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau zu arbeiten.

Lonis Lonchenr s. Der französische Deputierte und frühere Minister Louis Loucheur ist in Paris gestorben. Mit Lou- cheur verliert Frankreich einen seiner bedeutendsten Politiker und Volkswirtschaftler von internationalem Ruf.

Polen erhalt bei der BIZ. einen 17V Millionen-Zloti» Kredit. Nach offiziöser Mitteilung, die aus der französischen Staatsbank stammen, ist Polen ein Kredit von 170 Milk. Zloti durch dte Baseler Bank zugesichert worden. Dieser Betrag wird im nächsten Monat zur Auszahlung gelangen und für öffentliche Arbeiten verwendet werden. Französische Jndustriegruppen sind an der Vergebung dieser öffentlichen Arbeiten interessiert.

Englische Zollkampsansage a» Frankreich. In einem Leit­artikel über die möglichen Maßnahmen anderer Länder ge­gen die englischen Dumptngabwehrzölle kündigtDaily Tele­graph" Sondermaßnahmen gegen die französischen Weine an, falls Frankreich seinen Kampf gegen die Einfuhr englischer Kohle fortsetze. Das Blatt erklärt, daß England nicht in der Lage sei, auf derGrundlage der Gegenseitigkeit" zu ver­handeln.

Nenex chinesischer Außenminister. Der ehemalige chine­sische Ministerpräsident Wellington Koo ist nach einer Mel­dung aus Nanking anstelle des am 1. November znriick- getretcnen Ministers Wang zum Außenminister der Nan- kingregicrnng ernannt worden.

Antimilttaristische Liga in Japan. Auf Veranlassung des japanischen Innenministeriums wurden in Tokio zahlreiche Haussuchungen vorgenommen und umfangreiches Material über das Bestehen einer antimilitaristischen Liga beschlag­nahmt. Die Liga hatte sich die Aufgabe gestellt, Massenkund- gebungen gegen dte japanische Politik in China zu steren. Alle Mitglieder gehören der Kommunistischen Partei Japans an. Es wird aeaen sie ein Hochverratsverfahren ein- gelettet. _

Eine Wahloroleske

Eine Partei wählt Mitglieder der Gegenpartei Im Gemeinderat der kleinen Stadt Heinrichsgrün im Erzgebirge hat sich eine politische Groteske abgespielt. Die ärgerlichen, die in den kommunistischen Wahlp.ak. ten als Verbrecher" und »Unfähige Lumpen" bezeichnet worden »aren, wählten den Kommunisten Schroll zum Burgermei- er und den Kommunisten Mayer zum Bürgermeister- Stellvertreter gegen die Stimmen der Kommunisten, um amtt den Kommunisten dte Möglichkeit zu geben, die Ge- aeinde besser zu verwalten als die bürgerlichen Parteien, ie hierin durch den KPD.-Terror stark beh-.'d-rt stno. Dw kommunisten protestierten dagegen und die beiden » - '

netfter wider Willen verschafften sich Krankheitszengnisse ind überreichten sie der politischen Behörde, um a Vetse ihrem Amtsantritt aus dem Wege zu gehen.