Zum hundertsten Geburtstage Kaiser Friedrich Hl.

Am 18. Oktober.

Bon Paul Burz

Die Alten, die noch unter uns leben, erzählen oft von demewigen Kronprinzen" Friedrich Wilhelm, dem nach­maligenKaiser der 99 Tage", jener sonnigen, reckenhaften Siegfriedsgestalt, die 1870/71 ihre Truppen von Sieg zu Sieg geführt habe aber die Jüngeren und Jungen unter uns wissen mit dieser schon von der Sage umwobenen Figur des zweiten und vorletzten deutschen Kaisers nichts anzu­fangen.

Und wieviel Romantik und Tragik umwebt diese am wenigsten gekannte Persönlichkeit jüngstdeutscher Geschichte!

Der Vater Wilhelm I. focht noch gegen Napoleon, war preußischer Soldat vom Scheitel bis zur Zehe, Heros der Pflichttreue, volkstümlich als deralte Wilhelm", der mit 91 Jahren erst die müden Augen schloß. Die Mutter Tochter des genußfrohen und großzügigen Weimarer Klassiker- Herzogs Karl August, der noch Goethe in seinem letzten Lebensjahre zur Geburt dieses Preußenprinzen Fritz Glück wünschte. Also reinste Synthese Potsdam und Weimar, halb Soldatenblut und halb liberaler Künstler!

Aber man wurde Potsdams Soldat und von einem Moltke erzogen. Man war fast noch ein Knabe, als Bunsen den Eltern mit englischen Heiratsplänen kam. Die Prinzeß royal Viktoria zählte damals erst elf Jahre; aber sie war sehr frühreif und hochtalentiert. Man verliebte sich so stürmisch ineinander, daß die große Mama Queen ihnen beiden mit Mühe wehren konnte. Noch vor Bickys Kon­firmation verlobte man sich zu Pferde. Die Staaten Preußen, Frankreich und Rußland sowie England selbst fanden wenig Frohmachendes für die Zukunft dabei, daß die große Queen die Hände im Spiel der deutschen Politik und den Weg nach Konstantinopel für sich frei haben wollte.

Zeitalter der Briefe. In sechs Jahren Brautzeit schrieben sich die fürstlichen Verlobten täglich, bis zu 50 Seiten: von der 1858 erfolgten Vermählung ab berichtete dann die englisch-preußische Prinzeß Viktoria der Mama Queen lebenslang täglich und oft am Tage zwei Mal aus Berlin und erhielt als Antworten viele politische Ratschläge sehr zum Aerger eines gewissen Herrn von Bismarck zumal als das junge Ehepaar mittlerweileKronprinzens" geworden war und auf die Politik Preußens Einfluß nahm die man in London liberal und russenfeindlich haben wollte. Dieser Gegensatz zum Kanzler verschärfte sich von Jahr zu Jahr und brachte den Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seine sehr ehrgeizige Frau, in deren Händen er weiches Wachs war, in eine gewisse Isolierung.

Frondierende Thronfolger gab es vorher und nachher. Friedrich Wilhelm, auf die ihm ergebene Fortschrittspartei schwörend, verfaßte eineDenkschrift", die aber König und Kanzler zu keiner Umkehr bewog. Offen bekannte er sich zur Opposition. Der König ließ sich von Augufta und Viktoria bewegen, den Sohn nicht auf die Festung Küstrin zu schicken, wo einmal ein gewisser Kronprinz Fritz gesessen hatte, aber man grüßte einander nicht mehr, und Kron­prinzens reisten zur Schwiegermutter nach London sie hatten sich selber ausgeschaltet.

Doch das Glück war ihnen hold; als Heerführer in den preußischen Kriegen gegen Dänemark und Oesterreich, dann rm deutschen Feldzuge gegen Frankreich wurdeunser Fritz" volkstümlich. Als er nach dem Siege von Königgrätz an Bis­marcks Seile den raschen Frieden niit Oesterreich betrieb, war die Aussöhnung mit dem Könige vollkommen. Im siebziger Kriege hat er dann an der Errichtung des neuen Kaiserreiches einen tätigen Anteil genommen, den seine interessanten, offen­herzigen und vielumkampften Tagebücher ehrlich oartun. Seine Liebe zur Pracht feierte Triumphe.

Das Warten auf den Kaiserthron ward aber seiner Viktoria fast noch schmerzlicher als dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der sich die lange Zeit (von 1871 bis 1888) mit Reisen und Repräsentation, mit Kunstförderung und Denkmalpflege, ja mit Forschungen im Hohenzollernarchiv vertrieb, während Viktoria ihren gegensätzlichen Einfluß auf Bismarcks euro­päische Politik immer wieder versuchte. Jetzt galt es zumal für sie, den Sohn den späteren Kaiser Wilhelm ll. richtig anzusctzen und ihre Töchter bestens zu verheiraten. Die Tragödie ihrer Tochter Vicky und des Bulgarensürsten Alexander (von Battenberg) ist auch den Heutigen zu bekannt, als daß sie hier erörtert werden müßte. Bismarck und der alte Kaiser gaben allen Bitten, Briefen, Tränen und Intrigen nicht nach; siewollten die Knochen ihrer Preußischen Gre­nadiere nicht für dies Abenteuer riskieren". Das Ende dieser der Politik geopferten Tochter, die als Frau Zoubkoff im Bonner Krankenhause arm und elend starb, haben wir alle miterlebt.

Tragik umspann die ganze Kronprinzenfamilie, denn das Warten auf den Kaiserthron durch achtzehn Jahre war ,a ein Warten auf den Tod des alten Kaisers, der sehen mußte, wie das Schicksal die Generation nach ihm ganz aussallen ließ denn sein geliebter Sohn und Nachfolger, der vom Volke vergötterte liberaleFritz", erkrankte in den besten Mannes­jahren lebensgefährlich.

Tragik über Tragik! Die allem Preußentum mißtrauende Kronprinzessin hörte nicht aus die Gutachten eines von Barde- lebcn und Bergmann. Sie berief den englischen Arzt Mackenzie, der sie täuschte oder nicht erkennen wollte, daß es zu spät war. Kehlkopfkrebs! hatten die deutschen Kapazitäten sestgestellt. Kostbare Lebenswochen verrannen, bis endlich von Bramann das Messer an die Wunde setzen durfte, und in San Remo, fern dem Vaterlande, siechte der Kranke dahin, als sein greiser Pater endlich die Augen schloß.

Erschütternder Augenblick, als auf dem Leipziger Bahn­hof in tiefer rauher Märznacht Bismarck seinem neuen tod­geweihten Kaiser huldigend gegenübertrat! Der Tod ließ unserm Fritz" nur 99 Frühlingstage Zeit, deutscher Kaiser zu sein. Verstummt und sterbend verwaltete er das Kaiser­amt und erlosch am 15. Juni 1888 unvergessen in seinem Volke,unser Fritz", der liberale deutsche Kaiser, schon heute von der Sage umwoben.

Seinen Tod meldete die Tochter der großen Queen nach London mit diesen Worten:Oh. mein Gatte, mein Liebling, mein Fritz! Der gute, freundliche, zärtliche, tapfere, ge­duldige, vornehme, so furchtbar Geprüfte ist nun seinem Volke, seiner Frau, seinen Töchtern, die ihn so sehr brauchten, ge­nommen worden. Seine milde und seine gerechte Negierung sollte nicht sein."

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Spanien vor dem Bürgerkrieg?

Die Annahme der ktrchenfetndlichen Gesetze in der Natio­nalversammlung, die nicht nur die Trennung von Kirche und Staat, sondern u. a. auch die Enteignung und Aus- Weisung des Jesuitenordens vorsehen, hat in Spanien zu einer Regierungskrise geführt. Der bisherige Ministerpräsi­dent Zamora und der Innenminister, die beide dem ge­mäßigten republikanischen Flügel angehören, haben ihren Rücktritt erklärt. Daraufhin hat der bisherige Kriegsminister Azana die Ministerpräsidentschaft übernommen. Die neue Regierung besteht nur noch aus Sozialisten und Radikal- sozialisten und es bleibt zu befürchten, daß bas weitere Anschwellen der linksradikalen Welle zum Bürgerkrieg füh­ren wird.

zamora. Azaua.

Starke Abstreichungen im spanischen Kirchenhaushalt. Der

Mintsterrat beschloß am Donnerstag, die Bischofsgehälter um SO Prozent zu kürzen und ab sofort 90 Millionen Pe­seten, die im Haushalt des Kultministeriums für die katho­lische Kirche vorgesehen waren, zu streichen.

China und Japan

Die Antwort Japans in Genf elngetroffen

TU. Genf» IS. Okt. Die Antwort der japanischen Regie­rung auf die Anfrage des Volkerbunbsrates, ob Japan mit der Zuziehung der amerikanischen Negierung zu den Nats- vcrhandlungen über den japanisch-chinesischen Streitfall ein­verstanden sei, ist am Donnerstag nachmittag eingetroffen. Der Inhalt der Note wirb jedoch noch streng geheim ge­halten. Der FUnferausschuß wurde sofort zur Prüfung der Note etnberusen.

Ueber den Inhalt der Note verlautet, daß die japanische Negierung ihren Botschafter Noshisawa angewiesen hat, grundsätzliche rechtliche Bedenken gegen die offizielle Zuzie­hung eines Nichtmitgliedstaates des Völkerbundes geltend zu machen und darauf hinzuweisen, daß der Völkerbund ein derartiges Verfahren nicht zuläßt. Die sehr lange japanische Note soll, wie verlautet, in einer vorsichtig und allgemein gehaltenen Form abgcfaßt sein und soll auch den grund­sätzlichen japanischen Standpunkt hinsichtlich einer sofortigen Räumung der besetzten Mandschurischen Gebiete behandeln.

Die japanische Note steht nunmehr vollkommen im Vor­dergrund des Interesses. Sollte die Zuziehung der ameri­kanischen Negierung auf schärfsten Widerspruch Japans sto­ßen. so ist geplant, einen Mehrheitsbeschluß im Rat herbei- zufiihren und die amerikanische Regierung trotz des japa­nischen Widerspruches einzulaüen. Erwogen wird ferner auch die Inkraftsetzung des Kelloggpaktes, was jedoch inso­fern neue Schwierigkeiten bereitet, da damit zwangsläufig auch die Moskauer Negierung zu den Verhandlungen zu- gezogeu werden müßte.

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Nach einer weiteren russischen Meldung auS Schanghai haben am Donnerstag japanische Flugzeuge Kinschou bom­bardiert. Das Bombardement bauerte eine Viertelstunde. Mehrere Häuser wurden vollkommen zerstört. Einige Per­sonen wurden getötet oder verletzt. Aus Mukden ist am Donnerstag eine japanische Flugzeugstaffel in Richtung Tientsin gestartet.

Kleine politische Nachrichten

Mietervertreter beim Wohlfahrtsminister

TU. Berlin, 16. Okt. Der Bund Deutscher Mtetervereine teilte u. a. mit, daß die Vertreter des Landesverbandes Preußen tm Bunde Deutscher Mietervereine e. V. (Sitz Dresden) in Gegenwart des Staatssekretärs Professor Dr. Schmidt und der zuständigen Ministerialreferenten eine mehrstündige Aussprache mit dem preußischen Wohlfahrts- Minister Dr. Hirtsieser hatten. Die Mietervertreter hätten u. a. darauf hingewiesen, daß die verschiedenen Lockerungen des Mieterschutzes und die Untragbarkeit der Mieten starke Erbitterung in Micterkreisen hervorgerufen haben. Die sofortige Schaffung eines sozialen Mietrechtes sei zwingende Notwendigkeit. Im Nahmen des gesamten Finanzausglei­ches müsse mit dem Ziel der Mietsenkung auch ein Fortfall der Grundvermögenssteuer und sonstiger Umlagen neben der Miete erfolgen. Desgleichen müßten die dem AlthauS- besih bisher zugefloffenen Zwischengewtnne aus der Haus­zinssteuer beseitigt werden. Durch die erfolgte Aufhebung des Mieterschutzes für sämtliche Neubauten seien die Neu­baumieter absolut rechtlos geworden.

Minister Hirtsieser sagte eine Prüfung der verschiedenen vorgetragenen Beschwerden zu und versprach insoweit Ab­hilfe, als die Beschwerden berechtigt seien.

Di« Schweiz will mit Deutschland über Grenzaustansch verhairdelu

wp. Der Schweizer Bundesrat hat beschlossen, mit dem Deutschen Reich in Verhandlungen über den Austausch badi­schen und schweizerischen Gebietes einzutreten. Es handelt sich hierbei um das in der in den Kanton Schaffhausen hin- einragenöen badischen Enklave gelegene Vüstngeu und den

Berenahof, die wirtschaftlich und verkvhrStechnisch ganz nach der Schweiz orientiert sind. Die Enklave stellt das sog«, nannte Zollaustauschgebiet dar, das für eine Reihe von Ar- tikeln Zollfreiheit genießt, weil die Zollkontrolle mehr kosten würde, als die Zölle einbringen. Es handelt sich um einig« hundert Einwohner. Als Gegenleistung will -er Kanton Schaffhausen seinen im badischen Schwarzwal- gelegenen Walübestand, der noch aus mittelalterlichen Rechten herrührt, abtreten. Badischerseits hätte man als Austausch lieber de» sogenannten Schlipf an Ser Sttdwestecke zwischen Basel und dem deutschen Weil a. Rh., der für die geplante Errichtung der zollfreien Straße von Weil a. Rh. und seiner geplante« Nheinumschlagstelle nach Lörrach benötigt wird, -en aber der Kanton Basel nicht gerne hergcben will.

Macdonald in seine« Wahlkreise »iedergeschrie«

TU. London, ig. Okt. Zum ersten Mal währen- eines Wahlfelbzuges mußte es Macdonalü in seinem Wahlkreis «eaham erleben, daß er niedergeschrien wurde. Schon bei seiner Ankunft in der Bersammluugshalle empfing ihn daS Gejohle seiner Gegner, so daß er die größte Schwierigkeit hatte, sich überhaupt verständlich zu machen. Als er die Her­absetzung der Erwerbslosengelder erwähnte und ihre Not­wendigkeit begründen wollte, wurde von der Gallerte herab derart gelärmt und geschrien, so -atz die Versammlung nach einer halben Stunde abgebrochen werden mußte. Die große Erregung erklärt sich daraus, daß am Freitag die neuen Erwerbslosensätze in Kraft treten.

Ladenschluß am Weihnachtsheiligabend. Die Vorlage über den früheren Ladenschluß am Wethnachtsheiligabend, die auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung des Reichsrats steht, ist von den Vereinigten Ausschüssen des Reichsrates tu wesentlichen Punkten geändert worden. Die Gastwirtschaften, die nach der Vorlage ihre Betriebe um 19 Uhr schließen sollten, sollen nach dem Ncichsratsbeschluß aus der Vorlage überhaupt herausgenommen werden, so daß ihre Geschäfts­zeit keinen Beschränkungen unterliegt. Verstöße gegen die Vorlage sollen nicht als Vergehen, sondern nur als Ucber- tretungen betrachtet werden.

Aus aller Welt

Die größte Talsperre Sachsens Bei Lehnmühle ist jetzt die neue Talsperre fertiggestellt worden, die der Trinkwasserversorgung der Stadt Dresden und ihrer Umgebung bienen soll. Der Stauinhalt beträgt

22,5 Millionen Kubikmeter, die Kroncnlänge des Stau» damms beträgt SSO Meter, die Höhe SO Meter. Die Bauzeit betrug annähernd fünf Jahre.

Einbruch beim Finanzamt Essen-Ost. Für SSV »06 RM.

Steuer- und Stempelmarken gestohlen

TU. Essen, 15. Okt. In der Nacht zum Donnerstag dran­gen Geldschrankknacker tn das in der Altstadt gelegene Finanzamt Essen-Ost ein. Sie öffneten die Haustür und eine Verbinbungstür »um Kassenraum und erbrachen baS Sicherheitsschloß an der mit Blech beschlagenen Holztür des Tressortraumes. In ihm befanden sich zwei große eiserne Gelbschränke, auf die eS die Täter abgesehen hatten. Mit Schweißbrennern schnitten sie die Schlösser aus der Schrank» tür heraus und konnten so die Geldschränke mühelos öffnen. Sie entwendeten 910 RM. in bar, für 100 000 RM. Börsen­umsatzsteuermarken und Landesstempclmarken tm Werte von 220 000 NM.

Unerwartete Aufklärung des Eisenbahnraubes bei Ratibor?

TU. Ratibor, 16. Okt. Der am 7. Oktober auf einen Per» sonenzug der Strecke Ratibor-Leobschütz ausgeführte Raub» überfall, bei dem die Täter etwa 700 Mark aus dem Gepäck- wagen erbeuteten scheint eine unerwartete Aufklärung zu finden. Während man zunächst mit Bestimmtheit annahm, daß der Raub von den Helfershelfern der jungen Burschen ausgeführt worden war, die im letzten Wagen des Zuges eine Schlägerei veranstalteten und den Zug durch Ziehen der Notbremse zum Halten brachten, sind jetzt zwei Bahn­beamte aus Leobschütz in den bringenden Verdacht der Täter» schaft gekommen. Nach der Vornahme von Haussuchungen ist einer der Beamten verhaftet worden. Die beiden Be» amten hatten den überfallenen Zug begleitet. Während der Zug hielt und die übrigen Beamten den Streit zu schlichten versuchten, hat offenbar der tm Packwagen Dienst tuende Beamte den Raub ausgeführt. Die Ermittelungen sind noch tm Gange. _

Ständiges Inserieren bringt dem Geschäftsmann Gewinn l