Die Notmaßnahmen des Reiches

Die vom Reich geplanten Notmaßnahuren lasten sich vor­läufig nur i» Stichworten wiedergeben, ohne Laß man vor den in der nächsten Woche stattfinöende» Kabinettssitzungen sagen kann, wie sie in den Einzelheiten aussehen werden;

1. Abbau der Hauszins st euer. Im Reichsft- nanzministerium wirb an zwei Plänen gearbeitet, von denen der eine eine Art Kapitalisierung der Steuer, der andere die Einspannung auch der Mieten in den Preisabbau vor­steht.

3. Die gemischt städtisch-ländliche Siedlung für zu­nächst 100 am WohlfahrtSunterstützte.

S. Herabsetzung der hohen Pensionen über 13 MO Mark.

4. Zweijährige Beförberungs- und Zula- gensperre für Beamte.

Außer diesen Maßnahmen, mit denen sicher zu rechnen ist, spricht man auch noch von anderen Plänen, so von weiteren Einsparungen am Haushalt, der Reform der Krisen- und Wohlfahrtssürsorge, der Schaffung einer Einsichtmöglichkeit bei den Banken und anderes. Ueber die Gestaltung dieser Pläne wird sich erst im Laufe der nächsten Woche Näheres sagen lasten.

Reichsbürgerschast für alle Deutschen

Sine Forderung Koch-Wcsers auf dem Deutfchen Juriften-

tag.

Lübeck, 11. Sept. Im Mittelpunkt der Erörterungen des Deutschen Juristentages am Freitag standen die Aus­führungen des früheren Reichsjustizministers Dr. Erich Koch-Weser über die Frage der Staatsangehörig­keit. Koch-Weser verlangte, daß die Reichsreform sofort dadurch in Angriff genommen werde, daß eine einheitliche Reichsbürgerschaft für alle Deutschen geschaffen werde. Es dürfe nicht mehr Preußen, Bayern, Sachsen, Lübecker. Schaumburgcr und so weiter geben, sondern nur noch Deut­sche. Der jetzige Zustand sei unpraktisch, unhaltbar und be­deute eine unerhörte Belastung für die Behörden.

Der weitere Teil seiner Ausführungen, die mit größter Zustimmung ausgenommen wurden, beschäftigte sich mit der Frage der Staatsangehörigkeit der Frauen. Es gehe nicht weiter an, daß di« Frauen durch Heirat ihre deutsche Staats­angehörigkeit verlieren. Sie müssen selbst darüber bestim­men können, welche Staatsangehörigkeit sie nach der Heirat mit einem Ausländer haben wollen.

Die Auseinandersetzungen um Dr. Curlins

In einem längeren »Debatten um Curtius" überschrie- benen Artikel nimmt die »Germania" zu den verschiede­nen sich häufenden Stimmen aus dem parlamentarichen La­ger Stellung, die sich gegen den Reichsauhenminister Dr. Curtius wenden. Das Blatt spricht selbst von der »unglück­lichen Form der eiligen Zurückziehung der deutsch-österrei­chischen Zollunion" in der Freitagsttzung des Genfer Europa- Ausschusses. an der auch beschwichtigend« offiziöse Kommen­tare aus Genf nichts änderten. Unter Hinweis auf die be­vorstehenden Reichstagsverhandlungen im Oktober erklärt das Blatt, auch Herr Curtius werde sich, wenn er die Dinge überdenke, nicht darüber hinwegtäuschen können, wie es wirk­lich um ihn stehe. Die von einigen Blättern bereits genann­ten Namen für den Nachfolger dagegen werden als Kombina­tionen abgetan.

Dr. Curtius wird also vermutlich noch vor der Herbst­tagung des Reichstags von seinem Posten scheiden. Soweit wir unterrichtet sind, werden damit auch noch andere Ver­änderungen im Kabinett verbunden sein. Doch ist nicht zu erwarten, daß diese Umbildung sich in der Form einer be­tonten Ausweitung nach rechts vollzieht. Man wirb vielmehr versuchen, das überparteiliche Gesicht des Kabinetts auch weiterhin zu wahren.

Der franz. Kriegsminister am Oberrhein

--- Müllheim, 11. Sept. Der französische Krtegsminister Maginot, der Generalstabschef Weygand, sowie eine ganze Anzahl höherer französischer Offiziere weilten dieser Tage, von Mülhausen her kommend» auf der Rheinbrücke bei Neuenburg, um von hier aus die ganzen Uferverhältnisse zu studieren. Die französischen Verteidigungswerke ziehen sich in kurzen Abständen voneinander am Rhein von Kembs bis Straßburg hin. In den Rheinwalbungen selbst befinden sich noch weitere französische Befestigungswerke. Die Bestch- tigungskommission, die in zehn Automobilen angekommen war, besprach etwa eine halbe Stunde lang an Hand von Karten das neue französische Befestigungssystem am Ober­rhein.

Neuer polnischer Uebergriff

gegen eine« deutschen Beamte«

TU. Marieurverder, 11. Sept. Gestern vormittag wurde der deutsche Krtminalassistent Koppenatsch von der Kriminal- und Grenzdienststelle Garnsee in Ausübung seines Dienstes aus dem polnischen Wechselbahnhof Garnsee von polnischen Polizeibeamten, die mit Kraftwagen aus Graudenz gekom­men waren, festgenommen und nach Graudenz abtranspor­tiert. Dieser Fall ist deshalb dan, besonders schwer, weil er eine grobe Verletzung des am 27. März 1026 getroffenen deutsch-polnischen Eisenbahnabkommens bedeutet. Nach diesem Abkommen gewährleisten beide Staaten gegenseitig ihren Beamten unbedingte Sicherheit, selbst für den Fall, daß die Beamten sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben. Letzteres trisft aber im Falle des Kriminalassistenten gar nicht einmal zu. Er wurde, während er seinen Dienst aus­übte, also auch auf polnischem Boden sich im Schutz des vor­erwähnten Abkommens glaubte, ohne jede Berechtigung fest- geuomwen und verschleppt.

Graf Bernstoff zur Abrüstungsfrage

Graf Bernstorff gewährte einem Berichterstatter der »Republique" eine kuze Unterredung, in der er den Stan d-

punktderReichsregierunginderAbrüstungs-

frage barlegte. Die Abrüstungsfrage, so sagte er, sei der Schlüffe! aller internationalen Probleme. Vom moralischen Standpunkt aus gesehen sei sie die Grundlage jeder Ent­spannung und vom politischen Standpunkt aus bedeute sie die Aufhebung aller Ungleichheiten. Wirtschaftlich betrachtet würde sie die Lösung sehr vieler Schwierigkeiten möglich machen. Wenn die Reichsregierung dem Abrüstungsplan nicht zugestimmt habe, so sei das deshalb geschehen, weil dieser Plan nicht den Grundsatz einer Gleichstellung Deutsch­lands mit den anderen Staaten anerkenne.

Amerika will Baumwolle verkaufen

TU. Washington, 11. Sept. Präsident Hoover arbeitet zu- sammen mit dem Bundesreserveamt und dem Farmamt einen groß angelegten Baumwollverkaufsplan aus, der ins­besondere den deutschen, französischen und polnischen Ver- hältnissen angepaßt sei» soll. Wie »Neuyork Herald Tri­büne erklärt, hoff« man, den drei Ländern eine Million Ballen Baumwolle auf Ser Grundlage eines 6 oder 9 Monate laufenden Kredites verkaufen zu können. Die Kredite müh­en sichergestellt werden, so daß die Bunbesreservebank die Diskontierung übernehmen könnte. Die Transaktion soll den Charakter eines reinen Privatgeschäftes tragen, wes­halb auch die weitgehendste Heranziehung der Privatbanken geplant sei.

Parlamenlseröffnunq in London

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Die Eröffnung der Parlamentstagung in London, die diesmal in Anbetracht der zugespitzten Wirtschaftslage zu den wichtigsten seit Kriegsende gehört, brachte einen großen Teil der Bevölkerung Londons auf die Beine. Nur mit Mühe vermochte die Polizei dem Ministerpräsidenten Mac- bonald lxi öen Weg »um Unterhaus zu bahnen. Hinter Macdonald, dessen sorgenvolles Gesicht ausfällt, seine beiden Töchter.

Annahme des englischen Sanierungs­programms im Unterhaus

TU. London, 11. September. Das Unterhaus trat gestern nachmittag zu seinem »großen Tag" zusammen. Schatzkanzler Snowden erklärte, das Schatzamt sehe sich im laufenden Jahr einem erheblichen Steuerausfall gegenüber. Das veranschlagte Haushaltdefizit belaufe sich in diesem Jahre auf etwa Ich Milliarden Mark. Der Fehlbetrag für das nächste Haushaltsjahr würde auf 3,4 Milliarden Mark veranschlagt.

Einsparungen im großen Stile seien ebenso not­wendig wie eine praktische Erhöhung der Steuern. Neue Entwürfe der Sparvorlagen seien bereits von der letzten Regierung gutgeheißen worden. Erhebliche Einsparungen in der Landesverteidigung und bei den zivilen Ministerien, sowie Abstriche bei den Arbeitslosen­unter st Ätzungen und Einsparungen aus dem Straßen- baufonbs müßten im Laufe des nächsten Jahres zu einer Ausgabenverminderung in Höhe von etwa 1,4 Milliarden Mark führen. Die jährliche Amorti­sation für die inneren Schulden, die bisher bestimmungs­gemäß eine Milliarde Mark betragen sollte, würbe auf 6S0 Millionen Mark herabgesetzt.

Der Schatzkanzler erörterte darauf basneueSteuer- Programm der Regierung, welches eine Erhöhung der Einkommensteuer, der Biersteuer, der Tabaksteuer, der Ben­zinsteuer und der Lustbarkeitssteuer vorsteht. Das Unterhaus nahm nach kurzer Aussprache die Haushaltsvorschläge ohne Abstimmung an.

Kleine politische Nachrichten

Dr. Held übernimmt das Finanzministerium. Der Leiter des bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, Staatsrat Dr. von Deybeck, wird am 16. September seinem Wunsch entsprechend unter Versetzung in den Ruhestand aus dem Amte ausscheiden. Der Ministerrat hat den Ministerpräsiden­ten Dr. Held mit der Leitung des Finanzministeriums be­auftragt.

Wieder Uebersälle ans Nationalsozialisten in Düffeldorf. Während die Beerdigung des ermordeten Nationalsozialisten Karl Vobis in Düsseldorf ohne jeden Zwischenfall verlaufen ist, kam es im Verlaufe des Abends und in der Nacht in verschiedenen Stadtteilen zu ernsten Zusammenstößen. Meh­rere Nationalsozialisten wurden im Verlaufe von Schläge­reien durch Messerstiche verletzt. Ein Nationalsozialist erlitt einen Streifschuß am Bein.

Jeder sechste Einwohner von Bresla« erwerbslos. Die Erwerbslosigkeit hat in Breslau eine rapide Steigerung er­fahren. Beim Städtischen Wohlfahrtsamt werden gegen­wärtig 64 SM Erwerbslose einschließlich ihrer versorgungs­berechtigten Angehörigen unterstützt. Hierzu treten noch 51 OM Wohlfahrtsunterstützte, zusammen mehr als IIS OM bei rund 600 000 Einwohnern. Breslau steht mit S2 Unter­stützten auf 1000 Einwohner an der Spitze aller preußischen Großstädte. In weitem Abstand erst folgt Berlin mit 4l auf 1000.

Deutschlands Holzanssnhr «ach Frankreich betrug im Jahre 1030 allein an Bau und Nutzholz 3 420 000 Doppel­zentner im Wert von 4H Millionen Mark und 63 OM Doppel­zentner verarbeitetes Holz in demselben Wert. Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, wie sich das Einfuhrverbot Frankreichs und die damit verbundene Kontingentsperrung gegen Deutschland richtet. Sie enthält nach deutscher Auf­fassung nicht nur eine formelle Verletznng des deutsch- französischen Handelsvertrags, sondern steht auch im schärf­sten Widerspruch zu den in Genf aufgestellten Grundsätzen der gegenseitigen Rücksichtnahme.

Der Schulabba« i« der preußische» Notverordnung. Um, wie vorgesehen, 7000 Lehrerstellen in Preußen einsparen zu können, werden nicht nur alle noch nicht angestellten Lehr­kräfte, sondern auch bereits über 10 Jahre und mehr im Schuldienst stehende Lehrer zur Entlastung kommen. Auch fest angestellte Lehrkräfte könne«, falls durch Pensionierung

und sonstigen Abgang die Zahl 7000 nicht erreicht wird, ent­weder in anderen Dienststellen beschäftigt oder auf Warte­geld gesetzt werden.

Mtnistervertreter i« Braunschweig. Das Braunschwei­gische Staätsministerium hat auf Grund des 8 2 der Ver­ordnung über die Führung der Geschäfte des Staats- Ministeriums durch einen Minister den Ministerialrat Dr. Kiesel widerruflich zur vertretungswetsen Führung der Geschäfte des Ministers bestellt. Ministerialrat Kiesel zeich­netin Vertretung". Ferner hat das Staatsmintsterium zwei Ministerialräte zu Mitgliedern des Ministerialaus- schusses ernannt.

Professor Schmidlin provisorisch fretgelaffe«. Professor Schmidlin aus Münster, der vor einigen Tagen auf Grund eines Urteils im Kolmarcr Autonomistenprozeß verhaftet wurde, ist nach einer Meldung aus Paris provisorisch in Freiheit gesetzt worden.

Die Kürzungen der Bezüge in England. Die vorgeschla­genen Abstriche bei den Erwerbslosenzahlungen belaufen sich auf etwa 10 v. H. Die Vorschläge über die Beitragserhöhun­gen zur Erwerbslosenversicherung gehen dahin, daß der wöchentliche Beitrag eines Arbeitnehmers von 68 auf 82 Pfennig, der des Arbeitgebers von 88 auf 88 Pfennig und der Beitrag des Schatzamtes von 62 auf 8S Pfennig erhöht wirb. Die Gehälter der Abgeordneten werden um 10 v. H. herabgesetzt, die der Minister und der Richter um 10 bis 20

A., der Lehrer um iS v. H.

llrbeUslosenunrnhen in Madrid. In Madrid veranstal- n etwa SM Arbeitslose vor dem Rathaus eine Kundge- g. Einen Polizeioffizier, der sie zum Auseinandergehen orderte, verwundeten sie schwer. Daraufhin trieb die izei die Menge mit der blanken Waffe auseinander. Da­wurden mehrere Personen schwer verletzt. Die Kauf» e im Zentrum der Stadt schloffen ihre Läden. Ueber- kommandos sicherten die Straßenbahnen vor den wieder- !en Angriffen der Arbeitslosen.

Lhile plant Ausdehnnug der Handelsbeziehungen zu Do«, «ßland. Nach Meldungen aus Santiago de Chile beab- igt die chilenische Regierung eine Ausdehnung der Han- ibeziehungen zu Sowjetrußland. Der Abschluß eine» rdelsvertrages ist geplant. Die Verhandlungen sollen i« cis stattfinden. Chile will insbesondere russisches Eroor seinen Nebenprodukte« aufnehme« und dafür Salpeter Rühren.