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Nr. 196
Montag, den 24. August 1931
Notverordnung zur Sicherung der Haushalte
Sparmaßnahmen zum Haushaltsausgleich von Ländern und Gemeinden
im Berordnungswege
TU. Berlin, 24. Aug. Amtlich wird mitgeteilt: Die Sicherung der Haushalte von Reich, Landern und Gemeinden ist das dringendste Gebot des Augenblicks. Die Reichsrcgie- rung rvird darüber demnächst ein umfassendes Gesamtprogramm veröffentlichen. Inzwischen gilt es, die Landesregierungen schon jetzt in den Stand zu setzen, einschneidende Sparmaßnahmen für sich und die Gemeinden durchzuführen, ohne dabei durch bestehendes Landesrecht etwa in wesentlichen Punkten behindert zu werden. Das Reichskabinett hat daher in seiner Samstagfihung beschlossen, dem Herrn Reichspräsidenten den Erlaß einer Verordnung „z u r Sicherung der Haushalte" vorzuschlagen, durch welche die Landesregierungen ermächtigt «erden, alle Maßnahmen, die zum Ausgleich der Haushalte von Ländern «nd Gemeinden erforderlich find, im Berordnungswege vorzuschreiben «nd dabei von dem bestehenden Landesrecht abzn- «eichen.
Die Landesregierungen können insbesondere bestimmen, daß und in welcher Weise die Personalausgaben und andere Ausgaben der Länder und Gemeinden herabgesetzt werden, wobei Verpflichtungen aus Verträgen unberührt bleiben, soweit es sich nicht um Personalausgaben handelt. Damit ist zunächst den Landesregierungen die Möglichkeit gegeben, auf schnellstem Wege das von ihrer Seite aus Erforderliche zu einem Etatsausgleich für sich und ihre Gemeinden zu tun. Das Reich wirb die zu seiner Zuständigkeit gehörenden Programmpunkte ehestens folgen lassen. Damit wird gewährleistet, daß das ganze Sanierungsprogramm spätestens am 1. Okt. 1931 in Lauf gesetzt werden kann.
Die Ansreisegebühr ab Mittwoch aufgehoben.
Das Reichskabinett hat in seiner Samstagsitznng ferner beschlossen, die Verordnung über die Erhebung einer Gebühr für Auslandsreisen vom 18. Juli 1931 mit Wirkung vom Mittwoch, den 26. August, ab aufznheben. Für Grenzüber- tritte, die nach Dienstag, SS. August 1S81, erfolge«, kommt daher die Ausretsegebiihr nicht mehr in Frage. Eine Erstattung bereits entrichteter Ansreisegebühren kommt nur für die Fälle in Betracht, in denen der Grenzttbertritt nach dem 36. August 1931 erfolgt.
Eine amtliche Verlautbarung über den Verlauf der Samstag-Sitzung des Kabinetts wurde im übrigen nicht
ausgegcben. Vermutlich wird das Kabinett nicht vor Mitte der kommenden Woche zn neuen Beratungen zusammcn- treten. Wie verlautet, wird die neue Verordnung über die S t c u e r a m n e st i e, die zur Zeit im Reichskabinett beraten werden wird, den Titel „Verordnung über steuerliche Erfassung bisher nicht versteuerter Werte und über Steueramnestie" führen. In der Verordnung wird voraussichtlich festgcstellt werden, daß die Termine zur Abgabe der Vcr- mögenssteuererklärungcn und für die Steueramnestie bis Mitte September verlängert werden. Ueber die Neugestaltung des deutschen Bankwesens ist eine endgültige Entscheidung noch nicht getroffen worden.
Eine amtliche Erklärung über die Peusionskürzungen.
Amtlich wird aus Berlin mitgeteilt: In der letzten Zeit mehren sich die Prefsestimmen, die der Reichsregierung den Vorwurf machen, sie habe in der Frage der Herabsetzung -er hohen Pensionen und der Anrechnung von Nebeneinkünsten auf die Pensionsbezttge nicht das Erforderliche getan. Hierzu ist folgendes zn bemerken:
Zunächst wurde durch das Reichsministergesetz vom 27. März 1930 bestimmt, daß der Reichskanzler und die Ncichsministcr keine Ministerpensionen, sondern nnrmohr ein Uebcrgangsgeld erhalten sollen. Sodann hat der Reichsfinanzminister mit Zustimmung der Reichsregierung am 31. August 1939 dem Reichsrat den Entwurf eines Gesetzes über Kürzung von Versorgungsbezügen lPensionskttrzungsgesetz) vorgelegt. Dieser Entwurf sieht eine Herabsetzung der hohen Pensionen- und eine Anrechnung von Rebeneinkommen aus die Pensionen vor. Rach Annahme im ReichSrat ist -er Entwurf am 2. Dezember 1980 dem Reichstag zugegangen, der ihn am 9. und 10. Dezember in erster Lesung beraten und dem Haushaltsausschuß überwiesen hat. Zu einer Beratung im HauShaltsausschuß ist es nicht mehr gekommen Hiernach kann keinesfalls behauptet werden, daß die Reichsregierung die Regelung dieser Krage verzögert hat, vielmehr ist ihr Entwurf im Reichstag stecken geblieben. Angesichts der Schwierigkeiten, die in dieser Sache insofern liegen, als ein Eingriff in verfassungsmäßig geschützte Rechte in Frage kommt, hält die Reichsregierung eine Erledigung durch den Reichstag für zweckmäßig.
--üisrgang 104
Tages-Spiegel
Die Reichsregierung hat eine Notverordnung über die Sicherung der Haushalte von Ländern «nd Gemeinde» ««gekündigt, die einen starke» Eingriff in die Selbstver- «altungorcchtc bedeutet.
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Die Ausreiscgebühr ist mit Wirkung von nächsten Mittwoch «b von der Reichsregierung aufgehoben worde«.
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Der Rcichsernährungsminifter hat ab 1. September einen Bcrwendungszwang sür deutschen Hopse« verfügt, «m die Absatzvcrhältnisse z« verbessern.
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Die kritische Lage des englische« Kabinetts Macdonald hat sich über Sonnlag weiter zugespitzt- -er Rücktritt des Kabinetts dürfte bevorstehen.
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In Spanien ist eine Berschwörung gegen den Innenminister, der durch ein Attentat beseitigt werden sollte, aufgedeckt worden. Die Regierung hat Militär znr Durchführung einer Entwasfnungsaktio« in die baskischen Provinze« gesandt.
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Der griechische Ministerpräsident VenizeloS ist z« einer Unterredung mit dem türkischen Ministerpräsidenten in Istanbul eingetroffe«.
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In Leningrad wurde der Chefingenieur eines englische« Dampfers von einem russische» Wachtposten erschossen. Die englische Regierung hat hierfür in Moskau Gen«gt«ung gefordert.
Se«k«ng der Löhne der Gemeindearbeiter Die Verhandlungen im Rcichsarbeitsminifterium über die Löhne im Bereich deS Neichsverbandes kommunaler und anderer öffentlicher Arbeitgeberverbände führten zu einer Vereinbarung. Hiernach werden ab 27. August die Löhne der in Betracht kommenden Arbeiter bis 4 v. H. gekürzt. Gleichzeitig fällt der Frauenzuschlag fort.
Die Krisenlage des Kabinetts Macdonald
TU. London, 24. Aug. Der König von England hat seinen Urlaub in Balmoral abgebrochen und ist Sonntag früh um 8 Uhr aus Schottland nach London zurückgekehrt. Um 19.39 Uhr empfing er den Ministerpräsidenten Macdonald zu einer Unterredung, die eine Stunde lang dauerte. Auf Macdonalds Rat empfing sodann der König den liberalen Führer Sir Herbert Samuel. Im Laufe des Nachmittags ist Baldwin zu einer informatorischen Unterredung ins königliche Schloß gekommen. Das offizielle Com- muniquö über diese Empfänge weist ausdrücklich darauf hin» daß die Unterredung des Königs mit den Oppositionsführern nicht etwa so ausgelegt werden dürfe, als ob das gegenwärtig« Kabinett praktisch bereits zurückgetreten sei. Der mögliche Rücktritt -es Kabinetts Macdonald ist jedoch in greifbare Nähe gerückt, falls es nicht gelingt, noch im letzten Augenblick einen für Lte Oppositionsparteien annehmbaren Vorschlag auszuarbeiten.
Eine amtliche Mitteilung, die nach Schluß der Kabinetts- fitzung am SamStag nachmittag herausgegeben wurde, besagt, daß Las Kabinett ein neues Programm fertiggestev" habe, das seiner Ansicht nach der Lage gerecht wird.
Hunger und Seuchen in China
»8 999 Tote?
TU. Peking, 24. Aug. Stach einer Meldung aus Shanghai kann eine genaue Zahl der Opfer der letzten Hochwasserkatastrophe nicht angegeben werden. Ausländische amtliche Stellen beziffern diese auf 98 999 Tote. Die chinesischen amtlichen Stellen geben die Zahl der Todesopfer mit 6S 099 und die der Obdachlosen mit Ich Millionen an. Die Regierung hat in den von dem Hochwasser am meisten betroffenen Gebieten den Belagerungszustand verhängt. In Hankau versuchten die Kommunisten, Lebensmittelgeschäfte zu plündern, konnten aber von der Polizei und der Feuerwehr daran gehindert werden.
Aus dem chinesischen Ueberschwemmungsgebiet sind neu» Schreckensnachrichten eingegangen. Von den Fluten des Aangtsee sind infolge eines Deichbruches di« Flüchtlingsbaracken in Wuchhang (bei Hangkau) fortgerissen worden. Hierbei find etwa 1090 Menschen umgekommen. In Hangkau selbst stürzten am Samstag und Sonntag zwei weitere Hotels ein. Der chinesische Gesundheitsminister erklärte, daß die Bewohner in dem Gebiete von Hangkau, die dem Hochwasser noch nicht zum Opfer gefallen sind, an Typhus, Cholera, Malaria «nd Ruhr -ahinsterben und daß die Lage von Stunde zu Stunde furchtbarer werde.
Das Finanzsanierungsprogramm der Städte
Scharfe Abbaumaßnahmen geplant — Das Reich soll einen Teil der Wohlfahrtslasten
übernehmen und Uebergangshilfe leisten
TU. Berlin, 24. Aug. Die Grundzüge des Finanz- und Wirtschaftsplanes des Deutschen Städtetages sin- in der vorigen Woche der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden. Der Städtetag hat der Reichsregierung und der preußischen Ltaatsregierung jetzt die einzelnen Vorschläge feines Programmes in Form einer Denkschrift übermittelt, die dem Reichskabinett bei seinen Beratungen Vorgelegen hat und folgende Hauptpunkte enthält:
1. Die eigenen Abbau maßnah men der Gemeinden beziehen sich auf die Personal - und Sach - ausgaben für sämtliche Gebiete des Kommunalwcsens. Dieser Abbau, der sich, wie schon jetzt seststcht, nur gegen schwere Bedenken weitester Kreise und gegen den Widerstand bedeutender Gruppen der Wirtschaft und des Gewerbes durchführen läßt, wird einschließlich der zu erwartenden Ungleichung vergleichbarer Kommnnalbeamtcn-Gehälter und Arbei- terlöhnc voraussichtlich eine Ersparnis von rund 2 6 9 Millionen Reichsmark bringen. Mit dem Abbau wir- in den meisten Städten sofort begonnen. In diesem Zusammenhang werden in den meisten Gemeinden die Richtsätze für die Wohlsahrtserwerbslosen- fürsorge gesenkt. Dadurch vermindert sich der Aufwand in Ser Fürsorge für den Nest des Haushaltsjahres um etwa 46 Millionen Reichsmark. In der sonstigen Fürsorge wird die Minderausgabc rund 89 Millionen betragen. Durch die eigenen Maßnahmen der Gemeinden ist daher für die kommenden sieben Monate mit einer Erspar- nis von insgesamt 325 Millionen Reichsmark Zu rechnen.
2. Der Deutsche Stäbtetag hat der Reichsregierung vorge- schlagcn, in Arbeitslosenversicherung, Krisen- sürsorge und Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge künftig die gleichen Grundsätze individueller Prüfnng und dieselben Untcrstützungsleistungen zur Anwendung zu bringen. Das Reich würde durch diese Maßnahmen in dem kommenden halben Jahr bei der Arbeitslosenbetreuung etiva
I 8 S Millionen Reichsmark ersparen und daher aus ! den Zuschuß der Gemeinden zur Krisensürsorge verzichten können.
3. Nach dem Vorschlag des Städtetags soll, ähnlich wie die Arbeitslosenversicherung und Krisenfürsorge vom Reichsetat, nunmehr auch die WohlfahrtkrrwerbSlosenfür- sorgevom Gemeindeetat zu einem wesentlichen Teil „abgehängt" werden. Die Gemeinden werden durch die eigenen Maßnahmen in der Lage sein können, von den Gesamtkosten etwa die Hälfte selbst zu tragen. Der Restbetrag von etwa 490 Millionen Reichsmark soll nach dem Vorschlag des Städtetags aus den Erleichterungen der Reparationszahlungen oder durch eine besondere Rota b gab« ausgebracht werden. Diese „Erwerbslosenabgabe" würde sich auf alle Gehalts- und Lohnempfänger beziehen, die bisher keine Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zu leisten haben.
4. Die Abbaumaßnahmen der Gemeinde» werden sich erst in einigen Monaten auswirken. Der Städtetag hat daher die Reichsregierung gebeten, den Gemeinden zur Ueberwlndung der Kassen- und Haushaltsschwierigkeiten eine sofortige Nebergangshilse zu bewilligen.
6. Wegen der Umwandlung der kurzfristigen kommunalen Kredite schweben besondere Verhandlungen mit Reichsregierung und Reichsbank.
In der Denkschrift des Deutschen Städtetags wird wiederum mit aller Bestimmtheit darauf hingewiesen, daß für die ticfeingreifcnden Abbaumaßnahmen, die vom Städtetag vorgeschlagen sind, eine allgemeine Senkung der Lebenshaltungskosten unbedingte Voraussetzung ist. Der Deutsche Städtetag hat die Neichsregie- rung gebeten, sich wegen der wirtschaftlichen und politischen Folgen, die sich aus jeder neuen Belastung des Mittelstandes und der Arbeiterschaft ergeben, dieser Krage mit besonderer Entschiedenheit anzunehmen.