Internationale Reisepolitik
Der italienische Besuch -er deutschen Staatsmänner fand Inmitten der innerpolitischen Stürme nur eine verhältnismäßig geringe Beachtung. Die Not stumpft gegen jedes noch so weltbewegende Ereignis ab. Dem gesellte sich aber auch das Gefühl, daß aus Rom eine große Entscheidung nicht erwartet werden konnte. Mussolini drängte zum Besuch der Deutschen ursprünglich, nicht weil es ihm Bedürfnis gewesen wäre, an der Beseitigung der deutsche» Krise mitzuwirken, sondern weil er den Anschluß an die Gestaltung Ser Weltpolitik nicht verlieren wollte. Inzwischen beflügelten die Rückwirkungen der deutschen Not auch die mitöenkende Aufmerksamkeit Italiens an unserem Schicksal. Sie ernten dort jetzt schon die ersten Südfrüchte, die wir im nächsten Winter kaufen sollen. Nun müssen sie mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß wir kein Gelb hierzu haben werden.
Deutsche Selbsthilfe heißt Deutschlands Beschränkung auf die allerdringlichste Einfuhr. Vermutlich wäre Sie Selbsthilfe der deutschen Regierung nach der Versagung der erhofften langfristigen Ausländsanleihe mit weniger breitem Behagen zu Washington, London und Paris ausgenommen worden, wenn die dortigen Entschlüsse nicht mehr von den Folgen der Angst über den gänzlichen Schiffbruch ihrer antideutschen Schetnfriedenspolittk, sondern schon von dem klaren Wille» zur politischen und wirtschaftlichen Vernunft geleitet worden wären.
Deutsche Selbsthilfe bedeutet für unsere Verhandlungspartner in Paris, London und Berlin zunächst einmal einen Zeitgewinn. Trotz aller schlimmen Erfahrungen, die wir mit der Gegenseite jeder nationalen Farbe bisher gemacht haben, konnten wir unter dem Eindruck der Staatsmünnerzusam- menkünfte hoffen, baß die Zeit -um Abbau der allerdings tief eingenisteten Vorurteile gegen eine zwangsläufige deutsche Politik der Befreiung von den Gewaltverträgen genutzt werden würde Diese Erwartungen verbanden sich zu allermeist mit dem Auftreten Lavals, der unter vier Augen vermutlich von Brüning unter anderem auch gehört hat, baß keine Regierung Deutschlands sich auf ein Ostlocarno einlassen könnte, -er Frage, die in Parts denn doch eine größere Rolle spielte als der Panzerkreuzer und der Zollverein mit Oesterreich. Laval mußte im Verlauf der Unterhaltung mit den Deutschen erkennen, daß die Zeit der Bindungen und also der bedingungslosen Unterwerfung durch eine Zeit des Zwangs zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit abgelöst werden wird, die wiederum nur auf der Grundlage politischer Gleichberechtigung Früchte bringen kann.
Von dem politischen Abbau der krampfhaften Feindseligkeit gegen Deutschland ist in der führenden Pariser Presse nach der Spanne der Zurückhaltung während der Pariser und
der Londoner Tage aber noch gar nichts zu merken. Gelbst wenn umn die chauvinistischen Ergüsse einmal ganz beiseite stellt, bleibt auch in der ausgesprochenen französischen Regierungspresse ein Ton, der mindestens nicht als glückliche Vorbereitung des Besuches von Laval und Briand in Berlin betrachtet werden kann. Es ist begreiflich, daß die Regierung Laval rm Augenblick einer so hochwichtigen politischen Handlung so unanfechtbar wie möglich erscheinen möchte. Deshalb sind ihr die immer lauter und nervöser werdenden Klagen der französischen Wirtschaft über Rückschläge aus der deutschen Krise besonders peinlich. Wir können aber nicht dazu schweigen, -aß die Regierung Laval uns durch ihren „Temps" neuerdings „Erpresserpolitik" wegen der deutschen Einfuhrdrosselung vorwerfen läßt.
Wenn man am Quai d'Orsay die Außenhanöelsstatistik Frankreichs nachliest, wird man unschwer entdecken, daß der Abstieg des deutsch-französischen Wirtschaftsaustausches zum Nachteile Frankreichs schon in den Monaten erfolgte, als noch kein Kreöitabzug und kein Bankzusammenbruch die allerdings schon schwül und spannungsreich gewordene Heiterkeit des Weltwirtschaftshimmels trübten. Sollte die französische Regierung auch jetzt noch fortfahren, die Verantwortung für die Folgen ihrer falschen Politik durch Verhetzungsfeldzüge von sich auf Deutschland abzulenken, dann verlegt sie sich selbst den für sie heute noch möglichen und bequemen Spielraum zu einer doch unvermeidlichen politischen Schwenkung.
Es wirtschaftskriselt infolge Versandens -es deutschen Marktes auch in Frankreich. Im Augenblick halten zahlreiche französische Industrien ihren Arbeiterstamm noch durch, nicht weil sie ihn voll beschäftigen könnten, sondern weil sie auf die weltpolitische Entlastung warten, der im Augenblick nur noch die französische Politik Widerstand leistet. Kein Pressemanöver kann über die Tatsache hinwegtäuschen, baß demnächst auch die französischen Staatsmänner nach Berlin reisen werden, weil die französischen Interessen, die wirtschaftliche und innere Sicherheit, das verlangen.
Dem Besuche Lavals wird sich als Nachklang und Ausklang der internationalen Staatsmännerreisen der Besuch Mussolinis in Berlin anschließen. Er ist zweifellos von hervorragender Bedeutung. Die Verantwortung für die Gestaltung der Völkerschicksale im nächsten Winter bleibt aber bei Frankreich. Und wenn Mussolinis Koffer wieder für die Rückkehr nach Rom gepackt werden, sehen sich die Völker Europas genötigt, die Bilanz der internationalen Reisepolitik dieses Sommers zu ziehen. Dann wird alles davon abhängen, ob der Posten Frankreich auf Sie Soll- oder auf die Habenseite gestellt werden kann.
Zwischenlösung der Abrüstungsfrage
Ueber das von Deutschland aus der Genier Abrüstungskonferenz geplante Vorgehen or* „Genfer Journal" auf Grund einer Berliner Information zu berichten, baß die deutschen Anträge zur Abrüstung in Genf, wohl um Frankreich das Einlenken zu ermöglichen, eine Zwischenlösung der allgemeinen Abrüstung vorschlagen, die sowohl in London wie in Rom bereits die Zustimmung der dortigen Staatsmänner gefunden habe. Dieser deutsche Zwischenantrag gehe dahin, daß zunächst kein endgültiger Plan geschaffen werden soll, sondern ein Abrüstungsvertrag auf eine beschränkte Zeit — man spreche von vier und fünf Jahren — in Vorschlag gebracht werde, der die Freiheit der Entschließungen für später allen Mächten ausdrücklich beläßt.
Psychologisch richtig — so schreibt die „Genfer Tribüne" — würde der deutsche Vorschlag zweifellos sein und auch Erfolg haben. Denn sein Vorläufer, der Washingtoner Flottenvertrag, der auch nur auf eine beschränkte Dauer von Jahren abgeschlossen wurde, habe dieses bewiesen. Im Genfer Völkerbundssekretariat wisse man auch schon die Einzelheiten des deutschen Vorschlags und sei darüber hoffnungs- sreudig für den Ausgang gestimmt.
Wir würden, wenn diese deutschen Pläne in Genf in Erscheinung treten, endlich einmal am Wendepunkt der jahrelangen Rüstungserörterungen stehen. Ein derartiges befristetes Abkommen leitet vielleicht schneller eine Zeit ein. die auch dem abgerüsteten Deutschland wieder die Geltendmachung seiner Großmachtstellung bringt.
Um die Stillhalte-Kredile
Frankreich und die Stillhalteaktio».
— Berlin, 14. Aug. In der Pariser Antwort auf die Vorschläge des Neichsbankprästdenten Dr. Luther heißt es u. a.: Die französischen Banken seien bereit, den deutschen Banken zu Hilfe zu kommen und auf eine Zeitspanne von drei Monaten sämtliche Akzeptkredite zu verlängern. Andererseits müßten die von gewissen deutschen Banken gesperrten französischen Sichtkontt in Reichsmark freigegeben werden. Jede französische Bank behält sich das Recht vor, für die am schwächsten gesicherten Kredite eine Zusatzgarantie der deutschen Golddiskontbank zu erwirken.
Die Neuyorker Bankiers z« weitgehendstem Entgegenkommen
bereit.
Nachdem die Neuyorker Banken erneut ihr grundsätzliches Einverständnis mit allen endgültigen Baseler Abmachungen erklärt haben, hat Wiggin telegraphisch die formelle Voll- 1 macht erhalten, die Interessen der gesamten Wallstreet wahrzunehmen. Die Neuyorker Bankiers sind offensichtlich zu weitgehendstem Entgegenkommen bereit und grundsätzlich damit einverstanden, die kurzfristigen Kredite um weiteresechs Monate zu verlängern.
Nach einem in Basel bei der BIZ. vorliegenden Bericht soll die ungarische Anleihe von ö Millionen Pfund Sterling in Paris unterzeichnet worden sein. 2,6 Millionen habe Frankreich gezeichnet, der Rest wird von Amerika» der Schweiz und Holland übernommen.
Ei« internationales Institut für kurzfristige Landwirtschaftskredite.
TU. Rom, 14. Aug. Eine internationale Konferenz von Regierungs- und Bankenvertretern, die im internationalen Agrarinstitut tagte, hat gestern den Satzungsentwurf für ei« internationales Institut für kurzfristige Landwirtschaftskre- öite angenommen. Die endgültige Unterzeichnung des Uever- einkommens wird im November erfolgen.
Verzicht Oesterreichs auf die Zollunion?
Bekanntlich sprang im Juni England Oesterreich bei, indem es ihm eine 150 Millionen-Anleihe gab. Oesterreich kommt aber mit diesem Kredit nicht aus und braucht nunmehr einen neuen Vorschuß. England kann beim besten Willen nicht mehr helfen, so daß nur mehr Frankreich in Frage käme, das aber auf einem Verzicht der Zollunion besteht. Das „N. W. Journal", das gegen den österreichischen Außenminister Schober opponiert und dem wir die Verantwortung für seine Ausführungen überlassen müssen, schreibt in einem längeren Aufsatz zu dieser Lage u. a.:
„Schon der Umstand, daß Oesterreich an den Völkerbund mit neuen oder auch alten Anleihewünschen herantritt, ist der beste Beweis dafür, daß die Zollunion von Oesterreich bereits sang- und klanglos begraben wurde, und dies sogar noch vor den offiziellen Begräbnisfeierlichkeiten, die für den 7. September in Genf angesetzt sind. Oesterreich weiß, nicht zuletzt aus den Erfahrungen des Juni, daß ohne Preisgabe der Zollunion die unerläßliche Unterstützung Frankreichs für eine Anleihebegebung nicht zu haben ist. Wenn es darum mit einiger Aussicht auf Erfolg nach Genf gehen will, muß es den Zollunionplan bereits abgeschworen haben. Und dies ist auch, in aller Stille, bereits geschehen."
Katastrophale Lage des Baumwollmarktes in U.S.A.
Für das Jahr 1931 wird in Amerika eine Rekordernte in Baumwolle erwartet. Sie soll um 1.5 Millionen Ballen größer sein, als die Ernte im Jahr 1930. Die ersten Ernte-Statistiken haben an den Baumwollbörsen zu schweren Preisstürzen geführt. So fiel die Baumwollenotierung in Liverpool um 20 Prozent, in Neuyork um 17 Prozent und in Bremen um 14Prozent.
Die geradezu katastrophale Lage des amerikanischen Baumwollmarktes, die Tausende von Baumwollfarmer zum Ruin bringen droht, hat das Farmamt gezwungen, den Gouverneuren der 14 Baumwollstaaten folgenden drastischen Vorschlag zu unterbreiten:
Die Baumwollfarmer sollen ein Drittel ihrer gesamten Ernte umpflügen, wodurch über 4 Millionen Ballen Baumwolle vernichtet würden. Das Farmamt verspricht dafür, die Riesenvorräte aus dem Vorjahr in Höhe von 3 Millionen Balle» nicht vor dem 31. Juli 1932 auf den Markt zu bringen. Das Farmamt gibt offen zu, daß die Stabilisierungsversuche fehlgeschlagen seien und daß es nicht mehr Herr der Lage sei. Eine gemeinsame Aktion vor dem 1. September ist unbedingt notwendig, m» eine allgemein« Katastrophe zu vermeid-—
Brüning am Scheidewege
„WM Brüning Anlehnnng «ach rechts suchen?"
Diese Frage, die Breitscheid in einem Artikel tm »Vorwärts" stellt, wird mit folgendem, für unsere innerpoli- tische Situation sehr bezeichnenden Betrachtungen begleitet: „Es wäre außerordentlich wünschenswert, wenn das Reichs- kabinett und der Mann, der an seiner Spitze steht, sich sehr bald offen über ihre Pläne aussprechen würden. Die Sozialdemokratie hat bei dem Verhältnis, in dem sie zur Reichs» regierung steht, nicht das Recht, ihr irgendwelche Vorschriften über die Gestaltung der parteipolitischen Grundlage« ihrer Arbeit zu machen. Aber sie darf auf der anderen Seite verlangen, daß sie Gewißheit larüber erhalte, ob Herr Brü- ning aus dem Ergebnis des preußischen Volksentscheids die Schlußfolgerungen zu ziehen gedenkt, die ihm nachgesagt werden: denn es wäre, gelinde gesagt, schon sehr merkwürdig, wen« der haßerfüllte Feldzug des Herrn Hugenberg gegen die Preußenregierung am Tage nach seinem Fiasko mit der Hinzuziehung eben dieses Herrn Hugenberg zur politischen Mitarbeit im Reich belohnt werden sollte. Einem geschlagenen und fliehenden Feind soll man goldene Brücken baue«: aber dieser strategische Grundsatz kann doch keine Gültigkeit für den Fall besitzen, baß das Ziel der Flucht die Beteiligung an der Macht ist. Gut, die ausbaufähigen und eingliebe- rungsbereiten Kräfte sollen gesammelt werden. Aber besteht zwischen dem Zentrum und de» Deutschnatio- nalen ein Einvernehmen über Las Was und Wie des Auf- baues? Es heißt, baß im deutschnationalen Lager die Strö- nrungen wüchsen, die der Bundesgenoffenschaft mit den Na- tionalsozialisten überdrüssig seien. Selbst wenn bas richtig ist, so heißt bas noch nicht, daß die Aufbauarbeit der Hugen- berg-Leute dieselben Ziele verfolgt, um die sich das Kabinett Brüning bisher unter der opfervollen Tolerierung durch die Sozialdemokratie bemüht hat. Die plötzliche Bekehrung des Saulus Hugenberg zu einem Paulus ist sehr schwer vorstellbar — für uns sowohl wie für das Ausland, auf dessen Meinung Deutschland gerade im gegenwärtigen Augenblick, wie Herr Brüning nicht bestreiten wird, einigermaßen angewiesen ist. Welche auswärtige und welche Sozial- und Wirtschaftspolitik glaubt die Reichsregierung in Gemeinschaft mit den Deutschnationalen treiben zu können?"
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In der nächsten Zeit wird der Reichskanzler mit einer Reihe von Parteiführern Besprechungen über die Lage haben. Es dürfte sich dabei in der Hauptsache darum handeln, sie zu unterrichten und ihre Meinungen entgegenzunehmen. Ob und inwieweit die Auffassung der Parteiführer bei Len Maßnahmen des Kabinetts zur Geltung kommen wird, steht natürlich dahin. Schon jetzt spricht man in Berliner politischen Kreisen davon, daß die Negierung Brüning auch weiterhin ohne Reichstag arbeiten wolle. Der Reichstag wird bekanntlich am 13. Oktober wieder zusammentreten, doch scheint in Regierungskreisen die Absicht r« bestehen, ihn abermals zu vertagen.
Kommunistischer Lehrgang aufgehoben
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42 Personen des Hochverrats verdächtig
TU. Gotha, 14. Aug. Von der Kommunistischen Partei Deutschlands, Bezirksleitung Groß-Thüringen, ist in der Zeit vom 9. bis 16. August in der Jugendherberge in Fku - sterbergen ein Kursus zur Ausbildung von Funktionäre» abgehalten worden. Da der Verdacht nahelag, daß die entfaltete Tätigkeit, wie bei den Kursen, die in der letzten Zett im Kinderheim in Elgersburg abgehalten worbe« sind, de» Strafgesetzen zuwiderlief, wurde von einem größeren Kommando der Thüringer Polizeidirektiou Gotha, bestehend au- Kriminal- und Schutzpolizeibeamten, eine Durchsuchung deS Gebäudes und der darin befindlichen Personen vorgenommen, die wesentliches Material zutage förderte. Der Lehrer und die Teilnehmer, insgesamt 42 Personen, wurden bet der zuständigen Staatsanwaltschaft in Gotha wegen dringende» Verdachtes der Vorbereitung des Hochverrats zur Anzeige gebracht. Auch wurde die Fortsetzung der Schulung untersagt.
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