Württembergischer Landtag

Der Arbeitsplan des Landtags

Der Aeltestenrat des gestern wieder zusammengetretenen Landtags befaßte sich mit der Erledigung der kommenden Landtagsarbetten. Präsident Pflüger gab einen Ueberblick über die kommenden Arbeiten und verlas kommunistische Anträge zur Tagesordnung. Die 3. Beratung des Etats sollte im Monat Mai erledigt werden; dann sollte eine Pause von einer Woche eintreten und die 8. Beratung dann erledigt werden. Der Präsident legte den Tagungsplan im einzelnen vor. Die Etatsberatungen sollten längstens bis Mitte Juni erledigt sein. Dann sollte das Spargutachten im Finanzaus­schuß beraten und in diesem Sommer womöglich noch im Plenum behandelt werden. Die Sitzungen sollen in der Regel Dienstag und Mittwoch nachmittags, Donnerstag vormit­tags, Freitag nachmittags und Samstag vormittags statt­finden. Im Anschluß an die Etatberatungen soll evtl, eine Besichtigung der Neckarkanalbauten stattfinben. Abg. Win­ker kritisierte die Nichteinlabung des Landtags zur Eröff­nung der Tübinger Aula und die Art, wie das Parlament behandelt wurde. Staatspräsident Bolz erklärte die Be­schwerden für berechtigt. Wenn das Kultministerium bei der Einladung Fehler gemacht habe, so werde er für die Zukunft auf eine Aenderung hinwirken.

Die württ. Regierungsparteien sür baldige Revision des Noungplans

Im württ. Landtag haben Vertreter des Bauernbundes, der Bürgerpartei, des Zentrums, der Demokratischen Partei und der Deutschen Bolkspartei, also sämtliche württ. Regte- rungsparteien folgenden Antrag eingebracht: Der Landtag wolle beschließen, bas Staatsministertum zu ersuchen, bet der Reichsregierung nachdrücklich dahin zu wirke«, baß so bald wie möglich die Revision des Youngplans etngeleitet wirb, um dem Deutschen Reich seine volle Unabhängigkeit wieder zurückzugeben und die unsere deutsche Volkswirtschaft in gleicher Weise wie die Weltwirtschaft zerstörenden Kriegs- trtvute zu beseitigen.

Aus Württemberg

Berwaltungskostenznschttfle der Reichsbahn «nd Reichspost für die württembergischen Gemeinde«

Durch die Bemühungen des württembergischen Finanz­ministeriums ist vor einigen Monaten festgestellt worden, daß durch ein Besehen einer Reichsstelle Württemberg bei der Austeilung der Verwaltungskostenzuschüsse wesentlich benachteiligt worden war. Es handelt sich um insgesamt 155 000 NM., die den württembergischen Gemeinden für die Jahre 1925 bis 1930 zu wenig zugeteilt worden waren. Es ist nunmehr gelungen, mit Zustimmung des Neichsrats das Reichsfinanzministerium zu veranlassen, daß die Zuwentg- zahlungen bei der Ausschüttung der Verwaltungskostenbet- träge für 1931 durch eine Vorauszutetlung an Württem­berg znm Ausgleich kommen. Diejenigen württembergischen Gemeinden, die an diesen Verwaltungskostenzuschüssen für 1925 bis 1930 beteiligt sind, erhalten daher anläßlich der Aus­schüttung Ser Berwaltungskostenzuschüsse für das Rechnungs­jahr 1931, deren Gesamtbetrag für die württembergischen Gemeinden sich aus dem gleichen Anlaß um etwa 15 Prozent erhöhen wird, noch eine Nachzahlung für die vergangenen Jahre, die sich auf etwa 13 Prozent des gesamten im Rech­nungsjahr 1930 für die Jahre 1925 bis 1980 ausgeschütteten Betrags belaufen wird.

Tagung des Schwab. Sängerbundes

Bei einer Beteiligung von über 000 Abgeordneten und Mitgliedern aus 283 Bunbesvereinen im ganzen zählt der Bund 1104 Vereine hat in Mergentheim die Mit­gliederversammlung des Schwab. Sängerbundes stattgefun­den. Bunbespräsibent I ä k l e - Heidenheim eröffnete die ge­schäftlichen Verhandlungen mit einer humordurchwebten An­sprache. Dann wurde der Schwenntnger Beschluß bestätigt, wonach fortan Vereine mit weniger als 100 aktiven Sängern 1 Stimme, mit über 100 Sängern 2 Stimmen haben sollen. Den ausführlichen Geschäftsbericht erstattete Bundespräst- -ent Jäkle selbst. Der Mitgliederstand ist um 2000 zurück­gegangen. Die Mitgliederzahl ist 45 918. Die Zahl der hun­dertjährigen Vereine ist im Bund auf 30 gestiegen. Die klei­nen Chorleiterkurse müssen aus Mangel an Mitteln in die­sem Jahr anöfallen. Im Deutschen Sängerbund ist es dem neuen Bundesschatzmeister Roth-Leipzig gelungen, die katastrophale Lage in den Finanzen glücklich zu überwinden. Zur Frauenfragc wurde erklärt, baß Ser Schwäb. Sänger­bund keine Lust hat, sich in einen Bund von Männer-, Frauen- und gemischten Chören umzuwanöeln. Zum Deut­schen Sängersest 1932 in Frankfurt liegen jetzt schon über 90 000 Anmeldungen von Sängern vor. Aus Württemberg haben sich über 8000 aktive und über 1100 Nichtsänger ge­meldet. Der vom Rechner Wirth vorgelegte Kassenbericht ver­zeichnet an Einnahmen 106 862, an Ausgaben 102 676 NM.; Neberschnß 4185 RM., Vermögensstand noch 42 340 NM. Weiterhin wurde beschlossen, Sen Buuöesbcttrag auf 85 Npf. herabznsetzen, bisher 1 RM. für jedes Mitglied. Die nächst­jährige Tagung ,.ndet schon im März oder April in Gmünd statt, das nächste allgemeine Liedersest erst 1934, vielleicht in Stuttgart.

Aus Stadt und Land

Calw, den 6. Mai 1931.

Goldene Hochzeit

I» N cubulach feierten Wilhelm Reutter, Schäfer, «nd seine Ehefrau Dorotea, geb. Kirchherr von Stamm- Heim gebürtig das Fest der Goldenen Hochzeit. Das Jubelpaar erfreut sichoch guter Rüstigkeit und der große Kirchgang zeugte von der L.ilnahme der ganzen Einwohner­schaft. Die Eheleute habe» noch 8 verheiratete Kinder, 26 Enkel und 3 Urenkel. Im Gasthauszur Sonne" vereinigt« M die große Familie zur weltliche» Feier, an der sich auch

viele Bürger und Bürgersfraue« beteiligte«. Das Jubel­paar umrde durch eine Ehrenurkunde sowie ein Geldgeschenk des Staatspräsidenten, die Stiftung eines Gesangbuchs von seiten der Oberkirchenbehörde, sowie durch ein Geschenk der Stadtgemeinde erfreut.

Familienabend des Christliche« B«rei«S J««ger Männer

i« Calw

Mit dem WunscheFreude und Friede!" eröffnete Stadt­pfarrer Hermann den diesjährigen Jamilienabend des CVJM. In unsrer an echter Freude und edlem Frieden so armen Zeit erblühen diese Glücksgüter immer noch dort, wo Familien sich in christlicher Zucht zu gemeinsamer Feier zu- sammenfinben. Ungetrübte Jugendfreude atmeten die imisi- kalischen und turnerischen Darbietungen der jungen Männer und die Scherze -er Jungschar. DasSingchörle" hatte sich mit dem Vereine zu gemeinsamem frohen Dienste verbun­den und gab durch sein Beispiel sogar den etwas eingeroste­ten Stimmen der Alten die nötige Politur zu neuen San­gesweisen. Ein guter, die Gemeinschaft aller innerlich ver­wandten Jugendverbände betonender Gedanke war es, zum Hauptredner des Abends den LanSeswart der Schülerbibel­kreise, Dr. Manfred Müller aus Stuttgart, einzulaben. In seinem kurzen BortrageEvangelische Jugend und die radikalen Losungen unsrer Zeit" gab er dem Wunsche Freude und Friede!" eine besondere Wendung. Daß die Jugend radikal ist, liegt in ihrer Natur; nichts in der Welt bedeutet einen gesunderen Radikalismus als der Name Jesus; wo Jesus und die Jugend den Weg zueinander fin­den, da wird Ser krankhafte Radikalismus, der nicht nur zum Untergange -es Abendlandes sondern zum Untergange aller menschlichen Gemeinschaft führen muß, überwunden. Lichtbilder aus dem Lagerleben der evangelischen Jung­männer lieben die Zuschauer an einem reinen Gemeinschafts­leben der Jugend in Freude und Frieden teilnehmen. Schuch- macherobermetster Schüler legte in seinem Schlußworte den jungen Leuten ihre Mitverantwortung dafür aufs Herz, baß echte Freude und wahrer Friede wieder in unser Volk einziehen können. Dann klang die schöne Feier aus in einem gemeinsamen Abenöliede.

Wetter sür Donnerstag n«d Freitag

Ueber Mitteleuropa liegt jetzt ei» schwaches Hochdruck­gebiet, im Norden eine Depression. Für Donnerstag und Freitag ist mehrfach aufheiterndes, aber noch nicht bestän­diges Wetter zu erwarten.

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SEB. Nagold, 5. Mai. Am 8. Juni werden es fünfzig Jahre, daß das Lehrerseminar Nagold feierlich eingeweiht wurde. Inzwischen sind im Seminar Nagold mehr als 2000 Lehrer ausgebildet worden, von denen wohl noch die Mehr­zahl im württ. Schuldienst tätig sein dürfte. Das Seminar beabsichtigt, am Sonntag, 28. Juni, in einfacher und würdiger Form eine Fünfzig-Jahrfeier zu veranstalten, zu der die früheren Lehrer und Schüler des Seminars eingeladen wer­den sollen.

Altensteig, 5. Mai. In diesen Tagen wird das alte ftädt. Backhaus abgebrochen, um dem Neubau der Apotheke Platz zu machen. Das Backhausgebäuöe ist schon mehr als ein Jahrhundert Eigentum der Stadtgemcinde. In früheren Zeiten war es das Wachlokal und enthielt die Dienstwoh­nung des jeweiligen Polizeidieners, weshalb das Gebäude im Bolksmund dasWachhäusle" hieß. Mit dem städtischen Backhaus verschwindet eine Einrichtung, die früher not­wendig >var, wo die Bäcker sich noch nicht mit dem Backen von Kundenbrot befaßten.

SCB. Stuttgart, 5. Mai. In auffallend frecher Weise sind in den letzten Wochen in StuttgartVeranda-Kletterer" ausgetreten, die durch ihr nächtliches Treiben einen Teil der Einwohnerschaft in ernste Unruhe versetzten. Nach Mitter- nacht erkletterten sie von den Hofräumen aus die Küchcn- veranöen und stahlen Herren- und Damenkleidcr, sowie Lebens- und Genußmittel. Verhältnismäßig rasch ist es der Kriminalpolizei gelungen, der Täter habhaft zu werden. Drei Diebe und zwei Hehler wurden festgenommen und der große Teil der Diebesbeute zur Stelle gebracht.

SCB. Tübingen» 5. Mai. Nach wochenlangen Borunter» suchnngen hat man den Prozeß in der Nagolder Sache aus den 19. Mat festgelegt. Die Tagung findet vor dem Amts­gericht statt. Au dem Prozeß sind 76 Zeugen geladen.

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Prorpsick äupel, öucliiisnälung

A/55

Die Boolskalastrophe auf dem Badende

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AM

Elf Mitglieder -es Friedrichshafener Martnevereins verunglückten auf einer Fahrt nahe dem Schweizer Ufer mit ihrem Boot und ertranken bis auf einen, der auf dem ge­kenterten Boot treibend von einem Dampfer entdeckt wurde, der zwischen Rvrschach urrd Lindau verkehrt. Das Kreuz auf unserem Bilde bezeichnet die vermutliche Unfallstelle.

Von den Leichen der Ertrunkenen wurden bisher erst drei geborgen.

Der Gemeinderat Friedrichshofen hat in einer Trauer­sitzung beschlossen, ein gemeinsames Ehrengrab für die bis­her Geborgenen bereit zu stellen und daneben Platz zu lasse» für ihre Kameraden.

Franz Grillparzer: Weh dem, der lügt!

Znr Aufführung des Lustspiels durch die Württemdergische Volksbühne

Die Württ. Volksbühne hat die Calwer Gastvorstellungen der Spielzeit 1930-31 mit einer Aufführung von Grillpar­zers LustspielWeh dem, der lügt!" sehr wirksam abgeschlos­sen. Das von seelenvoller Heiterkeit durchsonnte Dichtwerk gehört in die schmale Reihe klassischer deutscher Lustspiele und hat über ein Jahrhundert hindurch Geltuirg bewahrt. Freilich, uns Heutigen ist die alte Bildungselemente des großen, deutschen Literaturzeitalters in sich schließende Kunst Grillparzers etlvas fremd geworden, die Technik erscheint primitiv und zuweilen ein lvenig verstaubt, aber der Zauber der Märchenphantasie ist jung geblieben. Das groteske Mär­chenspiel hat den Sieg über das Sinnspiel davongetragen. Jene beglückende Gauklerkunst, verwandt dem Geist des un­problematischen Shakespeare und undenkbar ohne die klei­nen, leuchtenden Söhne des Südens, die spanischen und fran­zösischen Romanciers, aber im tiefsten gegründet auf die Ur­sprünglichkeit deutschen, behaglichen Volkshumors, trägt den Ewigkeitszug. Das Jdeenhafte des Lustspiels, dessen Hand­lung weit in Sie Meroivingerzeit zurückgreift, ist ohnehin nur in den Rahmenszenen scharf herausgearbeitet. Der Leit­gedanke, bas Ringen der unbedingten Wahrhaftigkeit mit zweckdienlicher Täuschung, ist hier nicht ohne Reiz durch­geführt. Das Spiel mündet in die lächclnd-verzeihenbe Ein­sicht, daß es hienieden, in dieser buntvcrlvorrenen Welt, nicht ganz ohne Kompromisse abgeht. Mit leiser Ironie wird tröst­lich dargetan, daß bas Unkraut vom Weizen, daß die Lüge vSn der Wahrheit im Leben nicht zu trennen ist. Sind die Ermahnungen des geistlichen Oberhirten von Chalons auch noch so erhaben und tiefwirkend, das unbefangene Weltkind Leon koimnt nur durch List und kluge Verstellung zum Ziel. Mit Frohsinn, Mut und kecker Siegesgewißhett befreit der Küchenjunge unter Beihilfe des Barbarenkindes Edrtta des

Bischofs Neffen Atalus aus der Gefangenschaft. Wie das ge­schieht, ist so phantastisch und lustig zugleich, daß diese Sze­nen eine Groteske für sich bilden, deren Magie die klügste» Sentenzen in den Schatte» stellt.

Unter Hans Neumeisters geschickter und schöpferisch beschwingter Regie erfuhr das Lustspiel eine ausgezeichnete Wiedergabe. Ueber dem Bunten, Mürcherchaftcn, dem unbe­kümmerten Draufgängertum des Knaben Leon, den derben Barbarenpofsen und den -arten Wirrungen junger Liebe, schwebte in gesä'nftigtem Licht die stille Heiterkeit der Seele. Die Weisheit der Liebe leuchtete über allem Menschlichen, über Gläubigen und Toren, über Gerechten und Ungerech­ten, das große Verstehen lehrend. Walter Thurau als Küchenjunge Leon war ein rechter junger Held. Mut, Lust und Zungenfertigkeit ließen ihn alle Abenteuer bestehen und schließlich die Hand des von Frl. Erika Zweigert frisch und sehr sympatisch gespielten Barbarenkindes Edrita er­ringen. Den eigensinnigen Weichling Atalus gab Hans Elwenspoek, rvährend Hans Jeglinger den übersitt­lichen Bischof Gregor fein charakterisierte. Eine Sache für sich waren die Barbarenhäuptlinge Kattwald, Galomir und ihre Mannen. Kurt Bittler und Josef Held gestalteten hier mit offensichtlicher Lust und ernteten stürmischen Beifall. In Nebenrollen gaben Richard Callenbach, Hermann Schweizer, Hans Röhr und Rudolf Gaßmeier fein herausgearbettete Spielleistungen. Auch des Bühnenbildners E. H o m a n n - W e b a u, der mit zahlreichen, farbenfreu­digen Bühnenbildern einen ansprechenden szenischen Rahmen schuf, sei mit Anerkennung gedacht.

Die Wttrttembcrgische Volksbühne hat mit diesem Spiel- abcud erneut bewiesen, daß sich ihre Arbeit auf einer an­sehnlichen künstlerischen Ebene bewegt. Man kann nur wün­schen, daß es gelingen wird, die leider so kleine Theatcr- gemeinde Calw weiterhin lebensfähig zu erhalten und hof­fen, die Volksbühne auch in der kommenden Spielzeit bei uns wieder Einkehr halten zu scheu.