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Jahrgang 104
Donnerstag, den 30.April 1931
Nr. 99
Die Zollberatungen vor dem Abschluß
Kampf um Brotpreis und Butterzoll — Die Führer der Sozialdemokratie und des
Landvolks beim Kanzler
TU. Berlin, 30. April. Am Mittwoch oben- fand in der Reichskanzlei eine Chefbesprechung unter dem Vorsitz von Dr. Brüning statt, an der der Ernährungsminister, der Außenminister und der Arbeitsminister teilnahmen. Die Besprechung diente der Vorbereitung der Kabinettsentschei- dnngen, die heute über die Agrarfragen fallen sollen. I« unterrichteten Kreisen nimmt man an, daß, wie bereits gemeldet, die Mehrzahl der Zollerhöhungen beschlossen werden wird. Die Entscheidungen über den Bntterzoll werden auSgcsetzt^
Die Erledigung der Finanz- und der Sozialre- sorm dürfte dagegen noch einige Zeit aus sich warten laßen. Die Arbeiten des Brauns-Ausschusses an den beiden letzten Gutachten find sicherem Vernehmen nach noch nicht so weit gediehen, daß mit schnellen Entscheidungen des Kabinetts gerechnet werden könnte. Den Abschluß der Gntachtertätigkeit des Brauns-Ausschusses erivartct man für Ende Mat, so- -aß die sozialpolitischen Reformen frühest e n s a n f a n g s I » n i dnrchgeführt werden können. Unabhängig dämm soll aber noch vor Pfingsten die Knapp- schnftsvcrsicherung saniert werden, da hier die Regelung wegen des laufenden Znschiißbcdarfcs der Knappschaft besonders dringlich ist.
Aussprache zwischen dem Reichskanzler und den sozialdemokratische» Führern.
Reichskanzler Brüning empfing am Mittwoch nrittag als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei die Abgeordneten Brcitschcid, Hertz und Hilferding. Die Vertreter der Sozialdemokraten legten dem Kanzler bar, eine wie gefährliche Lage in psychologischer Hinsicht entstehen würde, wenn die Verpflichtung des Zollermächtigungsge- sctzcs, den Brotpreis auf der Höhe des letzten halben Jahres zn halten, nicht eingehalten werde. Der Kanzler erwiderte, daß die Rcichsrcgicrnug beabsichtige, den Brotpreis auf der alten Höhe zu halten und daß die Entscheidung über die dazn erforderlichen Maßnahmen vom Kabinett in kürzester Frist herbeigefiihrt werden soll. Bei diesen Maßnahmen dürfte, wie verlautet, eine Senkung des Weizenzolls für ein bestimmtes Einfnhrkontingcnt (800 000 Tonnen) sowie eine Aenderung des Brotgesetzes irr Betracht kommen, die vielleicht eine geringe Herabsetzung der Qualität l!) des Brores bringen würde. Die Sozialdemokraten dürften sich mit diesen Maßnahmen kaum zufrieden geben, wciL sie nicht der Meinung sind, daß dadurch die jetzige Vrotpreiscrhöhnng wieder rückgängig gemacht und eine etwaige weitere Preissteigerung vermieden werden könne. Ebenso haben die Sozialdemokraten Bedenken gegen die Erhöhung der Zölle für Hülscnfrttchtc, Speck und Schmalz und insbesondere für Hafer. Die ErhöhungdesHafer- zolleS wird von ihnen besonders deshalb für bedenklich gehalten, «veil die Landwirte dann zu vermehrter Roggen- vcrfütternng veranlaßt werden könnten.
Was die Frage einer früheren Rcichstagseinberufung an- gcht, so «vollen sich die Sozialdemokraten dem kommunisti-
Der Jahresbericht 1930 der Reichsbank
TU. Berti««, 30. April. Der Jahresbericht der Reichsbank für 1030 enthält dieses Mal auch bedeutsame politische Feststellungen. So stellt der Bericht ausdrücklich fest, daß die seit t!»->8 zn beobachtende Verschlechterung des deutschen Wirtschaftslebens währcnd -es Berichtsjahres unter der Einwirkung der Weltwirtschaftskrise sich außerordentlich verschärft habe. Daß Deutschland überhoye Reparationsleistungen zu tragen habe, gebe der inländischen Depression ihre besondere Schwere. Unter dem Zwange seines Ka- pttaldcfizits müsse Deutschland mit aller Macht an der Besserung seiner Handelsbilanz arbeiten. Die Ausfuhr um jeden Preis steigern und zugleich die Einfuhr einschränken, was die Weltwirtschaftskrise weiter zu verschärfen geeignet sei. Dabei falle erschwerend ins Gewicht, daß die Reparationszahlungen seit Beendigung der Pariser Konferenz ihrem realen Wert nach um ein Fünftel gewachsen seien.
Es zeige sich mit erschreckender Deutlichkeit, was die deutschen Vertreter bei der Pariser Konferenz fortgesetzt, aber erfolglos betont hätten, nämlich daß der unaufhörliche Druck der Forderungen der Siegerstaaten iminer von neuem politische und wirtschaftliche Erschütterun- g e n vernrsache. Die dem deutschen Wirtschaftsapparat unter diesem Druck aufgebürdeten Lasten ließen ihm keine ausreichende Rente. Der bisher beschrittene Weg, die zur Deckung der Reparationen und des wirtschaftlichen Kapitalbedarfs benötigten Beträge durch Aufnahme von Auslandsschulden aufzubringen, habe zu äußerst gefährlichen und ns die Dauer unerträglichen Zinslasten geführt.
schen Antrag auf sofortige Einberufung des Reichstages nicht anschließen, weil sie der Meinung sind, daß erst bestimmte Handlungen die Regierungspolitik klar legen müßten, ehe das Parlament zur Entscheidung berufen werden könnte.
Der Vorstand der sozialdemokratische» Reichstagssrak- tion wird, wie der „Vorwärts" berichtet, am heutigen Donnerstag zusammentreten, um einen Bericht über die Besprechung «nit dem Reichskanzler Dr. Brüning entgegenzunehmen. Zu der Besprechung stellt der „Vorwärts" fest, daß ein abschließendes Ergebnis nicht erzielt worden sei. Die Besprechung habe im wesentliche» der Information gedient, aber keine Klarheit über die künftigen Absichten der Regierung gebracht und daher auch die Spannung nicht vermindert, die durch die Pläne der Zollerhöhung und den Abba« der Sozialleistungen entstanden seien.
In einer Unterredung, die der Landvolksührer, Abg. Gereke, am Mittwoch mit Reichskanzler Brüning hatte, wurde die gesamtpolitische Lage besprochen. Im Vordergrund stand die Handhabung der Zollvorlagen -es Rcichs- ernährungsministeriums Dr. Gereke wies u. a. auf dte Notwendigkeit einer beschleunigten Anwendung des Zollermächttgungsgesetzes hin. Die Besprechungen werden in den nächsten Tagen fortgesetzt werden. Wie die „Landvolknachrichten" erfahren, empfängt -er Reichskanzler morgen vormittag die Führer der Landvolkpartei.
Riicktrittsabsichte» ». Hindeuburgs?
Die Meldung eines Berliner Mittagsblattes, daß augenblicklich der Plan erivogen werde, der Reichsprästdertt solle zurücktreten, um sich wieder wählen laßen zu können, trifft, wie von zuständiger Stelle mitgeteilt wird, nicht zu. Evtl. Beschlüße über Wiederaufstellung seiner Kandidatur werde der Reichspräsident nicht vor Ablauf seiner Amtsperiode faßen.
Zu den Gerüchten über Rücktrittsabsichten des Reichspräsidenten schreibt die „DAZ.": „Das ganze deutsche Volk wird mit ehrfürchtigem Dank das Opfer zu würdigen wißen, bas der 84jährige Reichspräsident bringt, wenn er in bewährter Pflichttreue bis zum Ablauf seiner verfassungsmäßigen Amtsperiode, d. h. bis zum nächsten Frühjahr, in seinem hohen Amte ausharrt. Die Amtsperiode erstreckt sich auf 7 Jahre und wenn sie abgelaufen ist, muß neu gewählt werben. Dabei soll man es laßen und nicht eine Vorverlegung der Wahl, nicht eine Verlängerung der Amtsperiode, nicht eine Wahl auf Lebenszeit in die Debatte werfen. Wir haben schon zu einem früheren Zeitpunkt betont, daß, wenn Hin- benburg sich im Frühjahr 1932 wiederum zur Wahl stellen wollte, eine überwältigende Mehrheit für ihn sicher wäre. Allerdings wäre es verständlich, wenn der Reichspräsident nach einem Leben, das 68 Jahre Dienst am Staate umschließt, von der Last der Verantwortung befreit zu sein wünschte. Der Reichspräsident wird, wie man annchmen darf, irgend einer Verfassungsänderung zu seinen Gunsten keinesfalls geneigt sein.
Der Bericht betont sodann, daß diese Lage Len Nährboden für Währungsbesorgniffe ähnlicher Art gebildet habe, wie sie im Vorjahre während der Pariser Konferenz aufgetreten und diesnral durch knnerpolitischc Vorgänge ausgelöst wor- den seien. Diese Besorgnisse müßten als Reaktion einer auf die Spitze getriebenen Volksnot gewertet werden. Die Rekchsbank habe indessen den Beweis liefern können, daß alle Befürchtungen wegen der Stabilität -er Reichsmark durchaus grundlos seien.
Die Rede des Reichsbankpräsidenten ans der Generalversammlung war darauf eingestellt, mit Zahlen und Vernunftgründen nachzuweisen, daß nur eine grundsätzliche Aenderung des ganzen Reparationssystems die Wirtschaft nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt wieder zur Gesundung bringen kann.
Abrüstung?
Verstärkung -er Stoßkraft -er englisch«« Jufanterie- Negimenter.
TU. London, SO. April. Vom englischen Generalstab ist dem Kriegsminister ein Plan zur Verstärkung der Stoßkraft der Infanterie-Regimenter unterbreitet worden. Er schlägt vor, Saß die leichten Maschinengewehre die Hanpt- waffe -er Infanterie werden sollen. Im Laufe des Sommers werden zu diesem Zweck neue Modelle ausprobiert werden. Bei jedem Infanterieregiment soll ferner eine Kompagnie mit Mörsern, eine weitere mit Maschinengewehren zur Flugzeugabwehr und eine -ritte mit Maschinengewehren zur Abwehr von Tanks ausgerüstet werde«.
Tages-Spiegel
Die Berliner Zollberatnnge« solle» heute zn« Abschluß gee bracht werde«. Dr. Brüning empfing gestern die Führer -er Sozialdemokratie «nd des Landvolks,« Besprechungen über die Zollsrage«.
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I« Berlin werde« Gerüchte über Rücktrittsabsichte« des Reichspräsidenten ». Hindenburg als verfrüht bezeichnet; Herr ». Hindenburg hat bisher «och keinerlei Entscheidung getrosfe«.
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Das Reichsarchiv hat sich entschlossen» eine wissenschaftliche Untersuchung der geschichtliche» Vorgänge bei Len Pariser »nb Haager Reparationskonferenzen vor einem unabhängigen Sachverstandigengremium stattfinden z« laßen.
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Der Preußische Staatsrat «ahm eine« Jnitiativgesetzentwurs an» »ach dem sich der Staat mit 280 Millionen an der Ar« beitslosenfürsorge der Gemeinde« beteilige« soll.
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I« Frankreich wird die Hetze gegen baS Zollabkommen in ««verminderter Heftigkeit fortgesetzt. Man versucht trotz der ablehnende» Haltung in Gens die Einberufung des Finanzkontrollansschnsses dnrchznsetze«.
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MS wichtigstes Ergebnis -er Reise des Generalsekretär- des Völkerbundes «ach Rom «nd Berlin wird die Zustimmung znr Wahl Henbersons znm Borfitzenden der Abriistnngskonferenz bezeichnet.
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Die Reichsbahn hat den Ba« eincS Etscnbahnbammes durch die Ostsee «ach der Insel Rüge« beschlossen; die von einem ausländische« Baukenkons»rt«»m finanzierten Arbeite» beginnen t» August.
Die Erdbebenkatastrophe im Kaukasus
Erste Nachrichten ans dem armenischest Erdbebengebiet.
TU. Moska« (über Kowno), 30. April. Im Lause des Mittwoch sind die ersten amtlichen Nachrichten über das große Erdbeben in Armenien eingetroffen. Darnach haben über 700 Personen den Tod gefunden. 20 000 Menschen haben ihre Wohnstätten verloren H hre Lage wird dadurch besonders erschwert, daß starke Regengüße eingesetzt haben.
Das Vollzngskomitee der Republik Georgien hat eine mit besonderen Vollmachten ausgestattete Kommission im Flugzeug nach Nachitscheivan entsandt, um Hilfsmaßnahmen sür die Bevölkerung «inzuleiten. In Nachitschewan find tÄ Häuser zerstört worden. In den Städten Gersu und Oschnu- bar fielen insgesamt S80 Häuser dem Erdbeben zum Opfer. Da im Erdbebengebiet großer Mangel an Lebensmittel« und besonders an Brot herrscht, wurden auf dem Bahnhof Tiflis 6000 Tonnen Getreide beschlagnahmt und nach dem Erdbebengebiet abtransportiert. Der Rat der Volkskommissare der Sowjetunion hat eine Hilfsaktion eingeleitet.
Ueber 8000 Menschen obdachlos
Das Hochwasser bei WUn«.
TU. Warschau» 30. April. Nach den letzten Feststellungen wnrden allein durch die Ueberschwemmnng bei Wilna 10 000 Menschen schwer betroffen. Die Hälfte davon ist obdachlos. AuS den Bezirken Dzisna und Vraclaw kommen auch weiterhin erschütternde Nachrichten über die ungeheuren Ausmaße der dortigen Ueberschwemmung. Der Fluß Dzwina hat einen Hochstand von 14 Meter über normal erreicht. Da» Städtchen Dzisna steht restlos unter Wasser und ist von der übrigen Welt völlig abgeschnitten. Ueber 8000 Menschen find in diesen beiden Bezirken obdachlos. Zahlreiche Häuser wurden weggeschwemmt. In der Stadt Druja ist eine Flecktyphus-Epidemie ausgebrochen. Bisher find 80 Personen erkrankt; bei vielen Familien herrscht Hungersnot. Viele Menschen, die auf groben Eisschollen «nd Häusertrümmern davongetragen wurden, find in den Fluten «mgekomme».
Der Kairo-Expreß in Flammen
TU. London, 80. April. Einer Meldung der „Exchange Telegraph-Co." aus Kairo zufolge fing am Mittwoch nachmittag der Alexandria-Kairo-Expreß Feuer. 38 Personen, darunter 10 Kinder, fanden dabei den Tod. Drei starben nach ihrer Einliescrung ins Krankenhaus und 36 Personen wurden schwer verletzt. Viele Leichen waren bis znr Unkenntlichkeit verstümmelt. Der Zustand einer Reihe von Verwundeten ist sehr ernst. Unter den Toten befindet sich nur ein Europäer. Das Feuer, das wahrscheinlich durch das Heißlaufen eines Lagers entstanden war, erfaßte drei hölzerne Wagen älteren Typs.