Nr. 39 / Seite 4
Amtsblatt für den Kreis Calw
Samstag, 26. September 1953
eine entsprechende Erhöhung der Schulden gelöst werden. Als oberste Grenze der Schulden hält der Kreisrat den Betrag von 5 Millionen DM für noch tragbar.
Der bisherige Schuldenstand ist folgender: Für das Kreiskrankenhaus Calw 2 515 000 DM für das Altenheim Neuenbürg 781 000 DM für Straßenbauten 671 000 DM
für das Krankenhaus Neuenbürg 60 000 DM für das Dienstwohngebäude in Calw 26 000 DM
zusammen —: 4 053 000 DM Tilgung im Rechnungsjahr 1953 95 000 DM
—: 3 958 000 DM Die Aufwendungen für Zinsen und Tilgungsdienst betragen im Rechnungsjahr 1953 330921 DM. Die Belastung durch die weiter aufzunehmenden Schulden würde rund 100-120000 DM ausmachen, die Gesamtbelastung künftig also rund 450000 DM. Dies erscheine tragbar, wenn man bedenkt, daß künftig folgende einmalige Ausgaben des Haushaltsplans 1953 in Wegfall kommen werden:
Zuweisungen an das Kreiskrankenhaus Calw 292 000 DM
Zuweisungen an das Altenheim 80 000 DM
Umbau Wildbader Strasse 153 20000 DM
Brückenbau Rohrdorf 50000 DM
Weniger Aufwand für Gebäudeunterhaltung 10 000 DM
Wegfall der Lastenausgleichsabgabe 27 000 DM
Geschäftsanteile der Kreisbaugenossenschaft 11 000 DM
zusammen —: 490000 DM
Nach Abzug des Mehraufwands
für Zinsen und Tilgungsdienst mit 120000 DM
bleibt immer noch ein Spielraum
von rund 370000 DM
Zum Schluß seines ausführlichen Berichtes führte Landrat Geissler aus, daß es verfehlt wäre, die Belastung des Kreisverbandes durch diese Schulden nach der Bevölkerungszahl umzulegen, d. h. festzustellen, daß auf einen Einwohner bei einem Schuldenstand von 5 Millionen DM nicht ganz 50 DM entfallen. Es erscheine vielmehr richtiger und wichtiger zu prüfen, ob der Tilgungs- und Zinsendienst für den Kreisverband tragbar sei. Er glaube dies mit den in seinem Bericht angeführten Zahlen nachgewiesen zu haben. Die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik rechtfertige einen temperierten Optimismus, der auch auf die Aufgaben des Kreisverbandes angewandt werden dürften.
300 000 DM Zuschuß für die Kreiskranken' häuser
Über die Wirtschaftspläne der Kreiskrankenhäuser berichtete Kreisamtmann Bohlinger. Insgesamt sind 300000 DM als Zuschußbedarf für diese notwendig; davon Calw 98500 DM, Nagold 77700 DM, Neuenbürg 118300 DM und das Tbc-Asyl Schömberg 5500 DM.
Ordentlicher und ausserordentlicher Haushaltsplan 1953
Ein genaues Zahlenbild über den ordentlichen und ausserordentlichen Haushaltspla- für das Rechnungsjahr 1953 haben wir bereits in unserer legten Ausgabe veröffentlicht. Die Einzelplanziffem dazu erläuterte Kreisamtsrat Sternbacher und beantwortete auch diesbezügliche Anfragen der Mitglieder.
In der anschließenden Aussprache über den Haushaltsplan wurden in der Hauptsache Wünsche auf Herrichtung von Kreisverbandsstraßen vorgetragen. Weitere Anfragen betrafen die Baukosten des Kreiskrankenhaus Calw, die geplanten Erweiterungen der Kreiskrankenhäuser Nagold und Neuenbürg sowie die Belegung des Altenheims in Neuenbürg.
Kreisverbandsumlage 28%
Nach Abschluß der Aussprache stellte der Vorsißende den Antrag, die Haushaltssagung für das Rechnungsjahr 1953 zu erlassen und den ordentlichen Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auf 1780957 DM festzusegen. Der Kreistag stimmte diesem Antrag zu. Die
Kreisverbandsumlage wird demnach auf 28% der Steuerkraftmeßzahlen festgesegt und erbringt 2 198555 DM. Kassenkredite können im Höchstbetrag von 361000 DM und Darlehen mit 1282000 DM in Anspruch genommen werden.
Im nächsten Punkt der Tagesordnung erteilte der Kreistag zu verschiedenen Entscheidungen des Kreisrats, die dieser infolge Eilbedürftigkeit anstelle des Kreistags getroffen hatte, seine Zustimmung. Unter „Sonstiges“ wurde u. a. über einen Antrag der Gemeinde Gräfenhausen auf Wiedereinführung der Ge- schwindigkpitsbegrenzung verhandelt, der auch von anderen Gemeinden des Kreises unter- stügt wird. Eine entsprechende Entschließung soll den zuständigen Stellen zugeleitet werden. Ferner wurde die Verkürzung der Amtszeit der derzeitigen Kreistage besprochen und
zur Kenntnis genommen, daß der Kreis Saulgau eine Verfassungsklage in dieser Angelegenheit anhängig gemacht hat.
Bürgermeister Klepser (Bad-Liebenzell) machte sich zum Sprecher der versammelten Kreistagsabgeordneten, in dem er Landrat Geissler den Dank für seine vorbildliche und tatkräftige Führung des Kreises aussprach, und gleichzeitig die Beamten und Angestellten des Kreisverbandes und des Landratsamt in diesen Dank mit einbezog. Für die gastgebende Gemeinde Hirsau sprach Gemeindeamtmann Silberberger den Dank für die Abhaltung des Kreistags in Hirsau aus.
Mit einer kurzen nichtöffentlichen Sißung wurde die leßte Kreistagssißung vor den Neuwahlen im November ds. Js. beendet.
Das neue Jugendgerichtsgesetj
von Verwaltungsamtmann Bredenberg, Leiter des Kreissozialamts Calw
Im Bundesgeseßblatt Teil I vom 6. 8. 1953 Nr. 44 Ist das Jugendgerichtsgeseß vom 4. 8. 1953 veröffentlicht worden, das am 1.10. ds. Js. in Kraft tritt. Wenngleich dieses Geseß scheinbar nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung berühren wird, so sind seine Vorschriften doch in der Tat für einen grösseren Kreis von Interesse, da bestimmte Vorkommnisse bei Jugendlichen und Heranwachsenden, bei Eltern, Vormündern und Erziehern Kenntnisse über dieses Geseß erfordern. In den nachstehenden Ausführungen sollen nicht Untersuchungen über die Abweichungen des künftig geltenden Ju- gendgerichtsgeseßes gegenüber dem z. Zt. noch in Kraft befindlichen Jugendgerichtsgeseß vom 10. 11. 1943-RGB1. I Nr. 97 angestellt werden, sondern ausschließlich die Neufassung Berücksichtigung finden. Nur als besonders bemerkenswert soll hervorgehoben werden, daß die 18- bis 21jährigen nunmehr der Jugendgerichtsbarkeit im Gegensaß zu den früheren Bestimmungen unterstellt werden.
Das Jugendgerichts geseß vom 6. 8. 1953 gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist. Jugendlicher ist, wer z. Zt. der Tat 14, aber noch nicht 18, Heranwachsender, wer z. Zt. der Tat 18, aber noch nicht 21 alt ist. Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
Erziehungsmaßregeln sind
1. die Erteilung von Weisungen,
2. die Schußaufsicht,
3. die Fürsorgeerziehung.
Schußaufsicht und Fürsorgeerziehung sollen gelegentlich zum Gegenstand einer besonderen Abhandlung gemacht werden. Die mildeste Form der Einwirkung des Richters auf den Jugendlichen sind die Weisungen. Weisungen sind Gebote und Verbote, die die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern uud sichern sollen. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,
1. Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
2. bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
3. eine Lehr- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
4. einer Arbeitsauflage nachzukommen,
5. den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen,
6. keine geistigen Getränke zu geniessen oder nicht zu rauchen oder
7. bei einer Verleßung der Verkehrsvorschriften an einem polizeilichen Verkehrsunterricht teilzunehmen.
Die Anwendung von Zuchtmitteln ist gegenüber den Weisungen die härtere Form der Einwirkung des Richters auf den Straffälligen bei Verfehlungen. Deshalb ahndet der Richter die Straftat mit Strafmitteln, wenn Jugendstrafe nicht geboten ist, dem Jugendlichen aber eindringlich zum Bewußtsein gebracht werden muß, daß er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat.
Zuchtmitteln sind
1. die Verwarnung,
2. die Auferlegung besonderer Pflichten,
3. der Jugendarrest.
Zuchtmittel haben nicht die Rechtswirkungen einer Strafe. Sie werden nicht in das Strafregister eingetragen.
Als besondere Pflichten kann der Richter dem Jugendlichen auferlegen
1. den Schaden wieder gutzumachen,
2. sich persönlich bei dem Verleßten zu entschuldigen oder
3. einen Geldbetrag zugunsten einer ge- meinnüßigen Einrichtung zu zahlen.
Der Jugendarrest .ist Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest.
Die härteste Form der Ahndung von Verfehlungen Jugendlicher ist die Jugendstrafe. Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt.
Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind.^Er- ziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur‘Erziehung nicht ausreichen oder wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Das Mindestmass der Jugendstrafe beträgt 6 Monate, das Höchstmass 5 Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als 10 Jahren Zuchthaus angedroht ist, so ist das Höchstmass 10 Jahre. Der Richter kann die Vollstreckung einer bestimmten Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr unter bestimmten Vorausseßungen ausseßen, damit der Jugendliche durch gute Führung während einer Bewährungszeit, in der Regel von 2 Jahren, Straferlaß erlangen kann. Der Richter soll für die Dauer der Bewährungszeit die Lebensführung des Jugendlichen durch Auflagen beeinflussen, die eine umfassende erzieherische Einwirkung gewährleisten.
Die Lebensführung des Jugendlichen während der Bewährungszeit und die Erfüllung der richterlichen Auflagen überwacht ein hauptamtlicher Bewährungshelfer, der unter Aufsicht des Richters steht und diesem verantwortlich ist oder auch ein ehrenamtlicher, wenn dies aus Gründen der Erziehung zweckmässig erscheint oder wenn in dem Bezirk des Jugendgerichts ein hauptamtlicher Helfer nicht angestellt worden ist.
Der Bewährungshelfer soll dem Jugendlichen während der Bewährungszeit helfend und betreuend zur Seite stehen, seine Erziehung fördern und möglichst mit dem Erziehungsberechtigten und dem geseßlichen Vertreter vertrauensvoll Zusammenwirken.
Fortsetzung folgt.