Samstag, 25. Juli 1953
Amtsblatt für den Kreis Calw
Nr. 30 / Seite 3
Ist unser Esel wirklich so dumm?
Von Ingo Krumbiegel
Es gibt Tiere, die mit der Dummheit — wenigstens im Sprichwort — unabwendbar belastet sind! Seltsam eigentlich: Huhn oder Taube stören niemanden — das Wort „Gans“ aber bringt selbst Besonnene schon in Wut. Und ein „dummes“ Tier soll der Esel sein — warum eigentlich? Kein Sachkenner wird den Esel für weniger intelligent halten als das nahe verwandte Pferd. Woher dieses Vorurteil? Nun, zunächst ist das Pferd unser Arbeitskamerad. Es zieht den schweren Bierwagen, es geht vor dem Pfluge, es führt den Rennreiter zum Siege. Die Dienste des Graufellchens sind bescheidener. Allenfalls trägt es Kinder auf seinem so geduldigen Rücken herum oder zieht einen kleinen Gartenwagen. In unserem „nördlichgemäßigten“ Klima ist der Esel nur sozusagen geduldet, er fühlt sich nicht so recht wohl. Und in Nordeuropa gar, in Schweden, findet er unerbittlich die Nordgrenze seiner Existenzmöglichkeit: Er wird womöglich noch kleiner und armseliger als bei uns. So kommt es, daß wir auf den im Grunde genommen doch so braven Esel herabsehen. Er gilt gewissermaßen als „halbe Kraft“!
Seiner ursprünglichen Herkunft nach ist Meister Langohr ein Kind der Sonne, des warmen Südens. Schon in Italien und Spanien ist er bedeutend kräftiger als bei uns. Und wenn ihm auch dort ungebührlich viel zugemutet wird, so trottet er doch geduldig seinen Weg. Er kann Erwachsene tragen, was ihm bei uns oft unmöglich wäre; gleichmäßig klappern seine kleinen, harten Hufe die Straßen entlang. Der Schöpfer der „Donkey-Serenade“ hat dem Esel ein musikalisches Denkmal gesegt.
Alle diese Esel entstammen dem heißen Afrika! Noch heute leben, wenn auch der fortschreitenden Kultur und den unerbittlichen Nachstellungen immer mehr weichend, in den trockenen Sandwüsten Nordafrikas die echten, reinen Wildesel, aus denen der Mensch schon vor Jahrtausenden den Hausesel schuf. Man sehe sich den afrikanischen Wildesel einmal lebend an. Dann wird man die Vorstellung vom „dummen“ Esel schnell fallen lassen. Ein feuriges, elegantes Tier steht vor uns!
Auch gibt uns der afrikanische Wildesel ein besonderes Problem auf. Bei Exemplaren aus Nubien, also südlich von Aegypten, finden wir an der Schulter einen feinen, schwarzen Querstrich. Wildesel von der Ostspitze Afrikas, also aus dem sogenannten Somaliland, dagegen haben einige schwarze Ringe an den Beinen: Diese Zeichnung finden wir an den entsprechenden Stellen genau so beim Zebra wieder! So können wir den Schluß ziehen, daß es legte Spuren einstiger Streifung über den ganzen Körper sind, und daß die Wildesel in früheren Erdperioden genau so totalgestreift waren, wie es jegt noch die Zebras sind.
Die Wildesel sind einfarbig geworden in jenem mehr und mehr zur Wüste werdenden, austrodcnenden Norden Afrikas. Sie „vertreten sich“ mit den Zebras, das heißt sie kommen nicht mit ihnen zusammen vor. Wildesel gibt es erst dort im Norden Afrikas, wo keine Zebras mehr existieren: Nahrungskonkurrenz? Und die Wildesel sind Wüstenbewohner geworden, die sich vor den Verfolgungen der Beduinen immer mehr in die dürrsten Einöden zurückziehen.
Am nächsten Hausesel aber, der ihm begegnet, möge der Leser selbst auf die Spuren einstiger Zebrastreifen achten : Die feinen Striche sind ein Dokument aus dem Buche der Natur!
Der Großstädter begegnet den Grautierchen selten. Ausflugslokale, Modebäder, Schrebergärtner halten sie einmal, sonst niemand. Es ist vielleicht auch gut so: Dadurch erhält der Hausesel Seltenheitswert. Wer nicht gänzlich naturfremd und verknöchert ist, den freut es immer wieder, wenn er ein Eselchen durch das Gewühl der Großstadt seinen Weg ziehen sieht — ein Pferd sieht kaum ein Mensch an! Und doch ist der Esel nur im Süden ein wirkliches Nugtier. Die echte Salamiwurst wird aus ihm bereitet, und Erwachsene reiten auf ihm. In den arabischen Ländern steigt man lieber auf des Esels Rücken, als zehn Schritte weit zu gehen, und die lässigen Eingeborenen bringen nur grade den Fleiß auf, die Fußspige anzuheben, weil die Zehen sonst von dem kleinen Reittiere aus auf dem Boden anstoßen würden. Auf Schritt und Tritt ist der Esel das Reittier, und unzählige Bilder zeigen auch den Heiland, der auf einem Esel in die gelobte Stadt einzieht.
Man hat auch des Esels Kräfte zu vermehren gesucht. Die Kreuzung von Eselhengst mit Pferdestute ergibt das altberühmte „Maultier“, das die Größe und Kraft des Pferdes mit der Kletterkunst und Schwindelfreiheit des Esels vereinigt, während die umgekehrte Mischung, der „Maulesel“, viel schwerer zu züchten ist und keinen wirtschaftlichen Wert hat. Aber auch der unverfälschte Esel hat seine unbestreitbaren Qualitäten. Besonders kräftige Grautierchen tragen unzählige Rheinreisende alljährlich auf den weltberühmten Drachenfels. Ein Dichter hat jenen Eseln begeistert das Lied „Am Sonntag fahre mer noh’m Drachenfels“ gesungen. Sehr empört klagte er vor Gericht, als ein anderer Poet später ihnen sein Lied „Mer rigge mit däm Essel op d’r Drachefels“ widmete, das im fastnachtseligen Köln ein Schlager wurde. Das Gericht aber entschied, daß die Eselchen vom Drachenfels Allgemeingut des Volkes seien, genau so gut wie dies etwa der Rhein ist. Von diesem Standpunkt aus betrachtet sei es klar, daß die Esel von jedermann besungen werden dürften. Niemand könne dieses Recht für sich allein in Anspruch nehmen.
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