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Nr. 19

Samstag, den24.Januar 1931

Jahrgang 10S

Reichskanzler Brüning über die Wirlschaftsnot

Der Kanzler fordert die Revision der Tribullasten

TU. Chemnitz. 24. San. Auf der Tagung des Verbandes sächsischer Industrieller hielt Reichskanzler Brüning eine bedeutsame Rede, in welcher er etwa folgendes ausführte: Gerade wenn man acht Tage lang durch die Notgebiete Deutschlands gefahren ist und die Not der Bevölkerung aller Schichten in Augenschein genommen hat, war es Pflicht der Neichsregierung, als nächstes Notstandsgebiet den Freistaat Sachsen zu besuchen. Er habe auf seiner Ostreise die Bevöl­kerung und ihre Vertreter nicht einen Augenblick über den Ernst der Lage im Unklaren gelassen.Ich habe auf meiner Fahrt hierher die Übersetzung eines Telegrammes Musso­linis erhalten, in dem dieser feststellt, baß die wirtschaftlichen Nöte überall die gleichen sind. Die Beseitigung dieser Schwierigkeiten ist aber für Deutschland ganz besonders schwierig.

Deutschland hat »tele Fehler gemacht, was wir wieder gnt machen müssen. Es ist zu verlange», Hatz die -rückende« Tributlaste« einer Revision unterzogen «erden müsse«. I» dieser Frage ist sich das gauze deutsche Volk glücklicherweise einmal einig. Es märe jedoch falsch, die Hände in den Schoß zu legen und alles Heil von der Milderung der autzeupoliti- schen Lasten zu erwarte«. Ich erinnere daran, - es ein großer Fehler w«r, im Jahre 1828 finanziell ungerüstet an die Nevisiou Heranzugehe«. I» de« Tempo» in dem die wirt­schaftlichen «ud finanzielle« Maßnahmen dnrchgeführt wer­de«, im gleichen Tempo werden wir auch außenpolitisch freier und unabhängiger a«strete« können.

Wir müssen darauf hinaus, daß die Selbstkosten der In­dustrie weiter gesenkt werden, damit wir den Anschluß an den Weltmarkt rechtzeitig erreichen. Das ist besonders für Sachsen wichtig, das ganz auf Ausfuhr eingestellt ist. Es besteht keine Frage, daß nicht nur wir, sondern auch andere große Länder in dem Ausmaße der Nationalisierung in Landwirtschaft und Industrie den Bedürfnissen vorausgeeilt sind.

U»s fehlt der große Kassenbestand, um eine großzügige

Senkung der steuerliche« Laste« in kurzer Frist durchführen zu können.

Das erste ist, daß man Ersparnisse überall auch in der Re­gierung macht. Die Verwaltungsreform ist notwendig. Der Erfolg dieser Maßnahmen wird aber nicht bereits in ein oder zwei Jahren eintreten, sondern vielleicht erst in zehn Jahren. Es gilt, einen Grundsatz -urchzuführen, nämlich mit wenig Geld möglichst viel zu erreichen. Es gibt eine Reihe von Gebieten, die in den nächsten Monaten einer ein­

gehenden Nachprüfung unterzogen «erden müsse«. Wir müssen aus dem Stadium heraus, in dem wir uns gegeu- wärtig befinden.

Es sind zu viele Gesetze gemacht worden, deren finan­zielle Auswirknnge» nicht zu übersehe« wäre«.

Ich sage das nicht, um Ihnen Ihre Aufgabe zu erschwere« oder Len Mut und Glauben an die Zukunft zu nehmen, son­dern um zu zeigen, wie wir wieder auswärts kommen. Di« gesamte Wirtschaftskrise zwingt überall die Staatsmänner, jetzt der Wirklichkeit rücksichtslos ins Auge zu sehen und an die Aufbauarbeit heranzugehen. Wenn es gelingt, den Vor­stoß verschiedener Produktionsgruppen ans eine einzig« Linie zu wirklichem Wiederaufbau zu bringen, dann wird auch der Weg wieder freier für eine Außenpolitik, wie ich sie wiederholt gekennzeichnet habe.

Es gibt nur eine« Weg, «n» zwar de« Weg einer ge­wissen Härte, »m zur Freiheit und aus unserer Not herauszukommen.

Der Weg -er Wahrheit wird uns moralische Kraft zum eige­nen Ausbau geben, und dann wird es der Regierung möglich sein, »nS aus der schweren wirtschaftliche« Not zu befreien und unserem Volke zu einer besseren Zukunft zu verhelfen." Die Red« des Reichskanzlers wurde wiederholt durch Zwischenrufe und Beifall unterbrochen, i Der Reichskanzler hat schon am Nachmittag Chemnitz wieder verlassen und sich nach Berlin zurückbegeben. Da es bei der Ankunft des Reichskanzlers am Mittag zu Demon­strationen gekommen war, war bei der Abfahrt ei« großes Polizeiausgebot anwesend. Aus dem Wege »um Bahnhof hatten sich wieder Demonstrant«»: angesammelt, dieNie­der!" undHunger!" riefen.

4,7 Millionen Arbeitslose im Reich

TU. Berlin, 24. Jan.. Der erste Verichtsabschnttt »es neuen Jahres brachte das saisonmäßig zu erwartende weiter« Absinken des allgemeinen Beschäftigungsgrades. Nach den Meldungen vom letzten Stichtage wurden Mitte Januar aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung rund 2SS6 000, aus der Krisenfürsorge rund 739 000 Arbeitslose unterstützt. Gegen­über dem vorigen Stichtage bedeutet das eine Zunahme um rund 230 000 Lzw. rund 82 000. Unter den am 15. Januar bei den Arbeitsämtern verfügbaren Arbeitskräften befanden sich nach Abzug der noch in Stellung oder ln Notftandsarbeit befindlichen rund 4 766 000 Arbeitslose.

Der Kampf um die Mlnderheitenrechte

Polen versucht die Behandlung der Oberschlesienfrage zu verschleppen Der Termin für die Abrüstungskonferenz festgelegt

TU. Gens, 24. Jan. Aus den bisher zwischen der deutschen Abvcdmlng und dem Berichterstatter für die Minderheiten­fragen geführten vertraulichen Verhandlungen hat sich eine Grundlage für einen Bericht ergeben, der als endgültige Regelung der oberschlcsischen Frage vom Völkerbundsrat an­genommen werden soll. Dieser Bericht soll nach den bisheri­gen Feststellungen in einigen Punkten den deutschen Forde­rungen nahekoiniiicn. Er enthält die Feststellung des Genfer Minderheitenabkommens durch Polen u»k> spricht Polen die Mißbilligung des Rates aus. Was den vierten Punkt der deutschen Forderung betr. die Garantie für die Zu­kunst angcht, so wird zwar der Rücktritt des Wojewoden Garszynski nicht direkt verlangt, jedoch erklärt, daß eine Un­tersuchung über die Vorgänge, wie sie in Oberschlesien vorge- konnueu seien, nicht vor den höchsten Stellen Halt machen dürfe.

Aus deutscher Seite hat man sich noch nicht entschieden, ob der Bcrichtsentwurf als tragbar angesehen werden kann, da einige Hauptpunkte noch nicht berücksichtigt worden sind. Der dritte Punkt der deutschen Forderung, die Berichterstattung der polnischen Negierung über die Durchführung der von ihr übernommenen Verpflichtungen hinsichtlich der Bestra­fung der schuldigen Beamten und Entschädi­gung der geschädigten Angehörigen der deutschen Minder­heit soll in dem Bericht den deutschen Wünschen entsprechend ausgenommen worden sein.

Wie der Vertreter der Telegraphen-Union von maßgeben­der Seite erfährt, ist der Entwurf für den Bericht des Völ- kcrbundsratcs in den oberschlcsischen Fragen von deutscher Seite abgelehpt morden, da er den deutschen Forderun­gen in den -Hauptpunkten in keiner Weise Rechnung trug. Es mutz noch mit hartnäckigen Kämpfen gerechnet werden.

Der polnische Außenminister Zaleski seht alles daran, eine Vertagung der Entscheidung bis zn:n Mai zu erreichen. Gegen diesen Plan wird selbstverständlich von dentscher Seite schärfste Opposition geführt. NeichSaubenministcr Dr. Cur-

ti« S hatte Gelegenhett, Briand mitzuteile«, baß er ans eine Erledigung der Angelegenhett im Laufe dieser Ratstagung entscheidenden Wert lege. Die Situativ« hat sich jetzt ln Genf kritisch gestaltet.

CurtinS bei Hen-ersvn.

Reichsaußenminister Dr. CurtinS stattete gestern vor­mittag dem englischen Außenminister Hendersvn einen Besuch ab. Dr. CurtinS hat hierbei Hendersvn die deutschen Forderungen in der Oberschlefienfrage vorgelegt.

Wie die Telegraphen-Union erfährt, beabsichtigt der fran­zösische Außenminister Brtand, heute nachmittag nach Paris zurückzukehren, auch wenn di« Tagung deS Dölker- bundsrates bis dahin noch nicht abgeschlossen ist.

Beschlüsse -es BölkerbnndsrateS.

Der Völkerbundsrat nahm in öffentlicher Sitzung eine Mitteilung Vrianüs über die Beschlüsse der Tagung deS Europäischen Ausschusses zur Kenntnis. Die Behandlung der deutschen Beschwerde «egen Litauen wegen Bruchs deS Memelstatuts wurde vertagt, da die direkten deutsch-litauischen Verhandlungen noch nicht zum Abschluß gelangt sind. Der Rat beschloß ferner, einen Sonderausschuß einzusetzen, der einen Abkommenscntwnrf für die Ver­stärkung der kriegsverhütendcn Mittel aus­arbeiten soll. In dem Sonderausschuß ist auch Deutschland vertreten. Dr. Curtius erstattete sodann kurzen Bericht über die Ergebnisse der letzten Zollwaffenstill­standskonferenz. Die Wirtschaftsorganisation wnrde anfgefordert, die Verhandlungen weiter zu führen und ins­besondere die landwirtschaftliche Krcditfrage eingehend zu prüfen. *

Abrüstungskonferenz am L. Februar 1SSS.

Der Völkerbundsrat hat in seiner gestrigen Gehcimsitzung nach mehrstündigen Beratungen beschlossen, die Weltab- riistungSkvnserenz zum 2. Februar 1932 nach Genf ein- zuberusen. Der Rat hat sich ferner ans den Standpunkt

Tages-Spiegel

I« Genf ist der Aa»ps »« di« bentsche» Minderhette nie ch fi l» Oberschlesie« ft» ,l« kritische» Stadt»» eingrtrete«. Di« de«tsche Delegatto« hat de« diesbezügliche« Entwurf b«S BölkerbuudLberichtS «bgelehnt; Zaleski ist bemüht, ei»e Vertagung der Entscheidung herbeizuführeu.

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Der BölkerbundSrat hat de« V«gi«« de, allgemeine» Ab­rüstungskonferenz für den 8. Keb«»«« 1982 fistgesetzt. Die Präsideuteufrage blieb »och »ffi».

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Der Abbruch der französisch-italieuische« Flottenverhandku»« ge« wird jetzt öffentlich bekauntgegebe«. Zugleich «erde« «eue Flotteurüstunge« «ngekündigt.

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Die Fiuanzsanieruug tu Danzig wird durch ein Ermächti­gungsgesetz durchgeführt we^de».

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Reichskanzler Brü«i«g forderte i« eiuer Rede in Chemnitz die Revision der Trib«tlaste«.

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Wie verlautet, beabsichtigt ReichSeruLhruugsmtuister Schiel« der Regierung «e»e Zollerhvhunge« a»s Lebensmittel vor- zuschlage«.

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Die deutsche Afrikafliegerin Ellq B-iuhvrn hat gestern ihr Ziel, die Westküste Afrikas, erreicht.

gestellt, daß der Rat und nicht die Abrüstungskonferenz selbst die Wahl deS Präsidenten vorzunehmen hat. Die endgül­tige Wahl deS Präsidenten ist auf die Ratssitzung im Mat verschoben worden.

Der BölkerbundSrat beauftragte serner den Berichterstat­ter sür die Abrüstuugsfragen tm Völkerbund, de« Spanier Ouinones de Leon, gemeinsam mit dem Generalsekretarial die gesamten technischen Vorbereitungen für die Einberu­fung der Konferenz zu leiten. Zu den Vorbereitungen ge- hört auch die Klärung der auf der vorbereitenden Abrü­stungskonferenz noch unentschiedenen Fragen, darunter die Anträge über die Offenlegung der Rüstungen der sämtlichen Mächte. Die deutsche Abordnung hat schließlich dem Termi» vom S. Februar 1932 gleichfalls zugestimmt.

Abbruch der französisch-italienischen Floltenverhandlungen

TU. Parts, 24. Ja«. Die »Chicago Tribun«" bringt an» London die aufsehenerregende Meldung, daß die französisch« Regierung der britischen Regierung ossiziell de» Abbruch der französisch-italieuische» Flottenver- handlungeu notifiziert habe. Gleichzeitig habe ste mit­geteilt, daß Frankreich nunmehr die Freiheit«« wieder ge- wonneu habe, die für diesen Kall im Londoner Abkomme» vorgesehen sind und Laß «s mit dem Bau einer neuen dem militärischen Bedürfnis entsprechende« Flotte beginne« werde. Die britische Regierung sehe sich daher genötigt, ihrer­seits auf die Klausel des Londoner Abkommens zurück-«» greife«, was wiederum die Bereinigten Staaten zwing«, au» Gründe« der Parität da» Programm für Kriegsschifs-Nr». bauten »» erweitern.

Zu dieser Meldung wirb von amtlicher französischer Sette erklärt, es feien in der Tat die italienisch-französischen Flot- tenverhandlungeu zum Stillstand gekommen. Da ferner am 81. Dezember die zwischen Briand und Grandt vereinbart« vaupause abgelaufeu set, beschäftige sich naturgemäß die fran­zösische Regierung mit der Frage der Wiederaufnahme der Bauten. Eine endgültige Entscheidung sei jedoch noch nicht gefallen.

Parlamenlsresorm geplant

Besprechungen zwischen Zentrum und Sozialdemokratie.

TU. Berlin, 24. Jan. Im Anschluß an einen Artikel deS NeichstagSpräsiöenten Löbe über Parlamentsreform berich­tet derVorwärts", daß in den letzten Tagen zwischen dem Zentrum und der Sozialdemokratie Besprechungen zur Klä­rung der Frage stattgefundcn haben, ans welchem Wege und mit welchen Mittel» die Arbeitsfähigkeit -es Parlaments und feiner Organe sichergestellt werden könne. Die Bespre­chungen seien bisher noch nicht zum Abschluß gelangt. Es könne aber als ziemlich sicher angenommen werden, daß die schon früher viel erörterten Fragen der Aenderung der Geschäftsordnung jetzt einer schnelleren Klärung ent- gegengesührt und eine Mehrheit sür Maßnahmen gesunden werde, deren einziges Ziel sei, das ungestörte Funktionie­ren des Parlaments zu sichern, indem die Beschimpfungen und gewaltsamen Störungen unterbunden werden. Die Parlamentsrechte sollten nicht eingeschränkt werden, sondern von den Gegnern deS parlamentarischen Systems geschützt werden.