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Nr. 17
Donnerstag, den 22. Januar 1931
Jahrgang 103
Die deutschen Beschwerden vor dem Völkerbundsrat
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mcuf zum ersten Male wurde vor dem Völkerbundsrat der durch die willkürliche Grenzziehung im Osten Europas geschaffene, für Deutschland untragbare Zustand von deutscher Seite ausgerollt. Damit gewinnen die Verhandlungen des Vvlkerbnndsrates über die obcrschlesische Frage hinaus grundsätzliche politische Bedeutung. Der S.tzungöfaal war überfüllt, als die Sitzung vom englischen Außenminister eröffnet wurde. Er erteilte zuerst dem Berichterstatter, dem japanischen Botschafter in Paris, das Wort, der lediglich einige Mitteilungen geschnstsvrdnnngsmäßiger Art macht, worauf Hendcrson dann Tr. Eurtius das Wort gab.
Reichsaußenminister Dr. Curtius führte u. a. folgendes aus:
So sehr auch in der Vergangenheit die deutsche Minderheit durch Unterdrückung und Gewalttaten gelitten» hat, so wurde doch alles übertrosfen durch dcts Mast der Leiden, das die deutsche Bevölkerung in Polen vor den polnischen Wahlen Uber sich hat ergehen lassen müssen. Das Gesamtbild der Geschehnisse lüß deutlich erkennen, daß die Kräfte, die.hinter dem Wahltcrror standen, offenbar glaubten, jetzt eine entscheidende politische Schwächung des Deuts ch t u ms herbeiführen zu können. Die polnische Regierung hätte nicht nötig gehabt, uns daran zu erinnern, das; eine Minderheitenangelegenheit nicht den Charakter eines Streites zwischen zwei Staaten tragen dürfe, sondern dast sie eine reine Völkerbunbsangelegenheit ist. Ich bin mit dieser Auffassung ganz einverstanden, und dränge mit allem Nachdruck darauf, dast der Völkerbundsrat ohne Rücksicht aus das Land, das die Sache ausgenommen hat, gemäß seinen Garautiepflichleu für die Befolgung der Mindcrheitcnrechte sorgt.
Wir denken nicht daran, zu leugnen, daß uns mit den Deutschen, die jenseits der Grenze unter fremder Oberhoheit leiden, ein starkes Band verknüpft. Diese innere Anteilnahme Drntschlands ändert aber nicht das geringste daran, daß -je Ncichsregierung bei der Aurnfnng des Völkerburids- raies nach dem Wortlaut «nd dem Geiste des bestehenden Minderheiteiirechtrs gehandelt hat. Ans die Grundrechte der Minderheit selbst kommt es für die Bcurtcilnng der Vorgänge des November vorigen Jahres «stein an.
ES ist zu befürchten, dast, men» es dem Völkerbundsrat nicht gelingt, ähnlichen Vorkommnissen in der Zukunft vor- zubcngen und für die Vergangenheit volle Sühne für bas Geschehene z« schaffen, das Vertrauen der Minderheiten zum Völkerbund, als dem Hort dieser Rechte, unwiederbringlich verloren gehen wird.
Tr. Curtius erinnerte an die einzelnen Vorfälle in Hohenbirken, Ober-Wiloza, Svrau und Golassowitz und wies auf die Nolle des Aufständischenverbanöes bei den Terrorakten hin. Dann ging der Minister auf die polnische Behauptung ein, der deutschen Minderheit sei es nicht schlechter ergangen als anderen Gruppen der Opposition. Welche Methoden die polnische Regierung gegenüber ihrer Opposition sur richtig hält, ist ihre Sache. Ans keine» Fall kann aber mit dem 'Umwelt.' auf öic Behandlung anderer Mlnderhei- ten das Vorgehen gegen die Deutschen in Oberfchlesien entschuldigt werden. Dr. Curtius behandelte sodann die dritte deutsche Note über die Wahlvorfälle in Posen und Pomme- rellcn. Er betonte, daß die Eingriffe in die freie Ausübung des Wahlrechts dort fast noch schwerwiegender als in Ober- schlcsien gewesen seien. Der systematische Kamps gegen das Deutschtum sei auch hier deutlich sichtbar. Dr. Curtius sprach dann vergleichend über die Behandlung der Polen in Deutschland und stellte es dem Rat anheim, zu prüfen, ob die zugcsicherten Maßnahmen Polens als ausreichend anzusehen seien. Ferner müsse der Rat dafür sorgen, daß ähnliche Vorkommnisse sich in Zukunft nicht wiederholen: Dr. Cur- tius schloß:
Wenn nicht die schuldigen Beamten ohne Ansehen der Person rücksichtslos bestraft werden, wenn das System nicht geändert wird nnd wenn nicht eine Gewähr für eine unparteiische Handhabung der Minderheitcnschntzbestimmnngen gegeben wird, wenn die ständige Bedrohung durch Verbände nicht beseitigt wird, deren Geist nnd Ziele zn dem vom Völkerbund proklamierten Grundsatz des Schutzes der Minderheiten nr direktem Gegensatz stehen, so bleiben die Minderheiten rmmer wieder der Recht- nnd Schutzlosigkeit «nsgcsetzt.
Diesem Grundsatz entsprechend wirb der Völkerbundsrat seine Maßnahmen zu treffen habe».
Unmittelbar nach der Erklärung des deutschen Anßen- rulnist'rs bemühte sich der polnische Außenminister Zzlcfki, deutschen Beschwerden als bedentnngslos hinzuitellen. I
Prinzip nehme er die Forderungen des deutschen VolkSbun- des an, der Bestrafung der Schuldigen, Entschädigung der Geschädigten nnd Aufhebung der Vorrechte des Aufstänöt- schenverbandes gefordert hatte. Die Schuldigen seien bereits bestraft worden. Eine Entschädigung wäre bereits gewährt worden. Ein Zuiammenhang zwischen dem Ausständischen- verband nnd der polnischen Regierung bestehe ebensowenig wie zwischen dem Stahlhelm und der Tätigkeit seines Ehrenpräsidenten von Hindenburg.
In der Nachmittagssitzung unternahm es Dr. CurttuS, die Beschönigungsversnche Zaleskis unter ein scharfes Schlaglicht zu stellen. Er begann zunächst mit der Behänd- lung der Beschwerden des Deutschen BolkSüundes, die sich in zwei Abschnitte gliedern: Wahlentrechtung und Gewalttaten. Die offene Stimmabgabe wurde für die Deutschen in Oberfchlesien unmöglich gemacht. Noch in den Wahlen vom Mai 1980 hat Sie deutsche Minderheit über 190 000 Stimmen verfügt, während für sie im November 1930 bei den Sejm- wahlen nur 90 MO Stimmen abgegeben worden sind. Dieser außerordentliche Rückgang der deutsche» Wahlstimmen findet seine Erklärung nur durch den Terror, der von polnischer Seite bei den Wahlen ansgcübt worden ist. Die Behörden beteiligten sich an dieser Unterdrückungsaktion. Der Völker^ bundsrat muß dieses Verfahren untersuchen lasten, um sich ein Urteil darüber zu bilden. Dr. Curtius wies ans die Berichte englischer und amerikanischer Zeitungen hin, die an Ort und Stelle unerträgliche Zustände fcststellten. Zweihundert Untersuchungen haben die Atmosphäre beleuchtet, in der sich diese Gewaltakte abgespielt haben. Der Terror wurde von der Polizei im Einverständnis mit den Behörden geduldet. Den Vergleich des Aufständischenverbandes mit dem Stahlhelm wies Dr. Curtius zurück. Der Stahlhelm begehe keine Gewalttaten an Minderheiten.
Den Wojewoden Graczsinski bezeichnet Dr. Curtius als den bösen Geist des Deutschtums in Ostoberschlesicn und erklärt, dast es sich um einen von langer Hand vorbereiteten nnd festen Plan der systematischen Entdeutschung Oberschle- stens handle. Als Beweis hierfür führte er die Beschwerde des Fürsten Pleß an, den man zwingen wollte, deutsche Arbeiter nnd Angestellte zu entlasten und als Druckmittel die Steuerforderung von 19Millionen Zloty gegen ihn anhän-
sicn ihre Kinder freiwillig in die deutsche Schule schicken und Stimmen für die deutschen Volksvertreter akgeben. Niemals sind polnische Minderheiten auf dcutchem Boden terrorisiert worden.
Dr. Curtius betonte, daß auch VrianL den Wunsch geäußert habe, die Streitfrage klar «nd srrimiit-g vor d m Rat zu behandeln. Das könne nur dem Völkerbund nützen. Die Gesinnung des dcntschen Volkes hinsichtlich der Ost-Ircnze sei bekannt. Doch es gebe zur Erreichung dieses Zi'lcS nur friedliche Mittel. Die deutsche Negierung sich: ans krm Boden der Verträge. Die Gewalttaten in Obers-^tt"-« s u nnr ein Glied in der langen Kette der Entdeutschung in Polen. Diese Kette habe schon im Jahr ISIS begon en. T - r- viertel Miffions» Deutsche seien aus Polen verdrängt n orden. Dr. Curtius erklärte, daß er bereit fei, LSrr eine Umgestaltung des gegenwärtigen Minderheitcn-Schntzver'a^r "3 mit Polen zu verhandeln, falls dis Gegenseite dies wün^s. Er anerkannte mit Genugtuung, da'- die Verletzung der Artikel 75 «nd 88 der Genfer Konvention anl polnischer zugegeben werde «nd daß Schadensersatz «nd Sülm- gel-ist-t werden sollen. Für die Ankunft müssen aber derartige Bor, konrmniste verhütet werden. An der Existenz d-3 Nu't "n- dischenverbands dttrke man nicht vorttbergeh'n, und deshalb verlangte der deutsche Vertreter die En"ck>?id«ng des Rats, der ein Hüter der Minderheiten fe n müste.
Die Gegenerklärung des polnischen Außenministers Zaleski zeichnete sich durch eine völlige Nichtbeachtung der von Dr. Curtius erhobenen sachlichen Beschuldigungen anS, soweit sie den Nufständischen-Verband nnd den Wcchlt:rrvr betreffen. Er begnügte sich damit, seine VormittagSerll'irnng zn wiederholen, daß ein Verfahren durch den obersten polnischen Gerichtshof denen Gerechtigkeit widerfahren lasten werde, die es verdienen 0). Dann versuchte er noch einmal, die Behandlung der polnischen Minderheit in Deutschland so scharf wie möglich zu schildern. 1l. a, führte er an, es sc°-n in einem deutschen Grenzbczirk 1919 polnische MinLerheits- schnlen geschlossen worden. Die Sitzung wurde sodann aufgehoben und die Fortsetzung über die deutsch-polnischen Streitfragen auf Donnerstag vertagt. Es ist wahrscheinlich, daß heute -er Vorsitzende Henderson sprechen wirb. Tann erwartet man eine Intervention Brtands und Grandis.
Revision des Poungplans?
Deuisch-französische Verhandlungen über Zahlungserleichterungen
Kabineltssitzung über die Osthilfe
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— Paris, 22. Ja«. In den letzten Tagen haben zwi scheu dem deutschen Botschafter Herrn von Hoesch und maß gebenden Beamten des französischen Anßenamtes Verhanb lnngen technischer Ratnr über die Möglichkeit einer Revision des Nouugplancs stattgesundc«. Es soll sich, wie verkantet, hierbei nicht nm die Erklärung eines Zahlungsaufschubs für Deutschland, sondern «m die Anwendung einer im Aoung- pla» enthaltene« Revisions-Klausel, die davon handelt, daß im Fall einer besonderen Notlage a» Deutschland Zah- lnngserleichterrrngen gewährt werden können, han- dcln. Die Verhandlungen dürfte« sich noch einige Tage hinziehen «nd möglicherweise in der ersten Hälfte des laufenden Jahres zn einem Ergebnis führe«. Reichsbankpräsident Dr. Luther ist a« diesen Vorbesprechnngen beteiligt.
Der Neichsbankpräsident ist ferner bemüht, die Umwandlung der Deutschland von französischer Seite gegebenen kurzfristigen Kredite in langfristige zu erreichen.
Die Gerüchte von Verhandlungen über «ine in Frankreich nnterzubringende deutsche Anleihe werden von den amtlichen Stellen in Paris dementiert. Es handelt sich bei den Besprechungen, die in der letzten Zeit in der Tat zwischen deutschen und französischen Finanzkreisen stattgefunden ha- .ben, nicht um eine Anleihe, sondern um die Beteiligung einer französischen Bank an einem internationalen Banke nkonsortinm zur Dis- kontier» ng der kürzlich an eine deutsche Gesellschaft verkauften Tranche der Vorzugsaktien der Deutschen Reichsbahn nach den Bestimmungen des ?1 o ungp la n e s. Der Reichs- regicrung ist daran gelegen, sofort etwa 100 Millionen Reichsmark in bar zu erhalten. Da dies auf dem denifchen Markt mit Schwierigkeiten verbunden ist. wurde die Gründung des erwähnten Konsortiums ins Nnge gefaßt.
TU. Berlin, 22. Jan.^ Das Neichskabinett beschäftigte sich gestern nachmittag unter^dem Vorsitz des Reichskanzlers und in Anwesenheit des preußischen Finanzministers und des Generaldirektors der Reichsbahn mit den Vorbereitungen zum Entwurf eines Gesetzes über die Osthilfe. Die Beratungen werden fortgesetzt. Reichskanzler Brüning wird nach den bisherigen Dispositionen am Freitag zu einer Tagung der sächsischen Industriellen nach Chemnitz fahren und am Samstag einer Tagung der christlichen Gewerkschaften in Köln beiwohnen.
Man schließt barans, daß endgültige Kabinettsbeschlüste über das Osthilfegcsetz frühestens anfangs nächster Woche Zustandekommen können. Aus dem Wortlaut der Veröffentlichung über die Nestortbesprechungen vom Mittwoch schließt man jedoch in der Regierung nahestehenden Kreisen auf den Willen der Negierung, ohne eine formale Bindung an die Fertigstellung des Osthilsegesetzes mit sofortigen praktische» Maßnahmen zu beginnen.
Hungermärsche in U. S. A.
TU. Neuyork, 22. Jan. Am Dienstag vramtalteten Er- werbölose einen Hungermarsch nach dem Nathans. Tie Polizei trieb die Menge auseinander nnd verhaftete zwei Kommunisten. Auch im konservativen Süden fanden Hungermärsche Erwerbsloser statt. In Oklahoma-Stadt zogen Tausende vor bas Rathaus und forderten Geld für den Ankauf von Lebensmitteln. Als das Geld nicht bewilligt wurde, stürmten die Erwerbslosen Lebensmittelgeschäfte und plünderten sie ans. Ter Polizei gelang es nach längerer Zeit, die Plünderer zu vertreiben und 2S Personen'zu verhaften.