Nachrichtenblatt

der Militär-Regierung für den Kreis Calw

Bekanntmachungen des Herrn Gouverneurs, des Landratsamts und sämtlicher Behörden des Kreises

CALW Donnerstag, 21. November 1946 Nr. 92/93

Klarheit über unsere Ernährungslage

Um über dieses im Brennpunkt des Tages stehende Gebiet einmal von offi­zieller Seite her Aufschluß geben zu lassen und diesen dann der Bevölkerung des Kreises Calw übermitteln zu können, hat ein Vertreter des Nachriehten- blattes Herrn Landrat AVagner aufgesucht. Nachstehend veröffentlichen wir nun die umfassende Beantwortung der an ihn gestellten Fragen.

Herr Landrat, die Bevölkerung ist durch die Brotsenkung sehr be­unruhigt. Wie betrachten Sie die allgemeine Ernährungslage?

An r wort: Ich freue mich über Ihren Besuch unij bin gerne bereit, über das Nachrichtenblatt der Bevölkerung erschöpfend Auskunft zu geben. AVie Sie aus den Zeitungen ersehen, befinden sieb die drei Westzonen in einer allge­meinen Ernährungskrise, die im Grunde genommen gar nicht verwunderlich ist Die Landwirte haben mit Recht immer schon darauf aufmerksam gemacht, daß die Ernten von Jahr zu Jahr geringer werden müssen, denn man übersieht und vergißt, daß nicht nur alle Menschen, sondern auch alle Tiere, alle Acker­böden, alle Bäume und alle Kulturpflan­zen seit Jahren stark unterernährt sind. Sie leiden seit Jahren unter dem katastrophalen Mangel an Düngemit­teln, ohne deren reichliche Verwendung in unserem Klima und auf unseren ma­geren Böden gute Ernten kaum zu er­zielen sind. Dazu machemsieh, wie bei­spielsweise jetzt bei der diesjährigen Kartoffelernte des Kreises, das schlechte Saatgut und die zwangsläufige Inzucht verheerend bemerkbar. Durch die Auf­richtung der Zonengrenzen ist der in­nerdeutsche Nahrungsmittelausgleich völlig zerstört und zusammengebro­chen. Das deutsche Reich war in Zeiten der Rationierung stets Id der Lage, seine ganze Bevölkerung mit Kar­toffeln ausreichend zu versorgen, da­gegen bestand von jeher der Zwang zur Einfuhr erheblicher Mengen von Fett, Gemüse, Fleisch, Getreide, Mehl und Eiern. Wie Sie wissen, stockt der nor­male Import aus unseren Nachbarlän­dern, die sich noch keineswegs von den Folgen des Krieges erholt haben, fast vollständig, außerdem sind unsere aus­

ländischen Zählungsmittel sehr be­grenzt. AVir sind zur Zeit nur auf über­seeische Lebensmittelimporte angewie­sen, im Grunde genommen nur auf das, was uns der amerikanische Kontinent liefern kann und will. Dieser Kontinent hat Rekordernten zu verzeichnen. Die Militärregierung, welche sich für un­sere Versorgung mitverantwortlich fühlt, hat rechtzeitig die für die Kreis­versorgung benötigten Mengen von Brotgetreide sowie die zum Versand, nötigen Schiffe gekauft, aber wegen der monatelang andauernden Streiks der Transportarbeiter, der Seeleute und der Dockarbeiter besteht keine Mög­lichkeit, diese Quantitäten jetzt oder in absehbarer Zeit zu verschiffen und in unsere Mühlen zu bringen. Die Bezah­lung dieser Getreidemengen erfolgt aus unserem Export an Frankreich.

Außerdem ist noch zu beachten, daß von allen Ländern der französisch be­setzten Zone Südwürttemberg das ein­zige Land mit gewissen landwirtschaft­lichen Ueberschtissen ist, alle anderen Gebiete sind Zuschußgebiete. Wir ha­ben die selbstverständliche Pflicht, un­seren Landsleuten an der Saar, in der Pfalz, im Rheingau sowie im franzö- sich besetzten Gebiet Berlins nach Kräften zu helfen. Außerdem macht selbstverständlich die bei uns liegende Besatzung gewisse Ansprüche in zu­sätzlichen Lebensmittelzuteilungen an uns, die befriedigt werden müssen.

Gerade darüber wünscht die Be­völkerung gerne näheren Auf­schluß zu erhalten.

Antwort: Den will ich Ihnen gerne geben Die französische Zone Siidwürt- tembergs hat in die eben genannten

Landeeteile sowie an die Besatzung von ihrer Gesamterzeugung zu liefern:

an Fleisch an Butter an Käse an Eiern

52 Prozent 60 Prozent 75 Prozent 62,5 Prozent

Was ist die Ursache der Blut­senkung?

Antwort: Ich habe Ihnen hierzu schon gesagt, daß sich nach Ansicht der deutschen Sachverständigen, der sich die Militärregierung angeschlos­sen hat, eine rasche und zuverlässige Einfuhr des längst gekauften Brotge­treides nicht bewerkstelligen läßt. Sie wissen, daß in der ganzen A\ r estzone erhebliche Versorgungsschwierigkeiten aufgetreten sind. Die verantwortlichen Instanzen (nicht das Calwer Kreis­ernährungsamt) haben sich also zu fragen, ob es richtig ist. die seit­herige Brotration beizubehalten, in der klaren Erkenntnis, daß im März 1947 die Brotgetreide- und Mehlvorräte völ­lig verbraucht sind und wir dann bis zum Anschluß an die neue Ernte ohne Brot sind. Es wurde auch erwogen, eine Zwischenlösung herbeizuführen, 250 g Brot täglich zu verteilen und damit bis Juni/Juli 1947 zu reichen. Wenn die verantwortlichen Instanzen sich trotz­dem entschlossen haben, den ganz siche­ren Weg zu gehen und den Anschluß an die neue Ernte unter allen Umstän­den zu finden, so deshalb, weil die ersten hereinkommenden Getreide-Im­porte dem badischen Nachbarland zur Verfügung stehen müssen, welches ohne Neuzufuhren ab Januar 1947 ohne Brot und ohne Kartoffeln, also im Zu­stand einer nackten Hungersnot sein wird. Auch in Nord Württemberg und Nordbaden ist nach der Rede des Mini­sterpräsidenten Mayer nur ein Getreide Vorrat für 4 Monate vorhanden. Auch dort sind in der Kartoffelversorgung ernste Schwierigkeiten entstanden, da die Ernte nicht besser ausgefallen ist, wie in unserer Zone. - *