KREISNACHRICHTEN
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Unabhängige Tageszeitung und Amtsblatt für die Stadt und den Kreis Calw- Gegründet 1826 / Nr. 18 Donnerstag, 23. Januar 1969 Einzelpreis 30 Pfennig 2 H 2033 A
An der Mitbestimmung scheiden sich die Geister
SPD-Entwurf hat keine Chance, vor den Wahlen noch verabschiedet zu werden
Von unserer Bonner Redaktion
Bonn. Mit Drohung und Lockung haben die beiden Regierungsparteien gestern in aller Öffentlichkeit im Bundestag begonnen, die FDP im Hinblick auf die Regierungsbildung nach den Wahlen zu umwerben. Anlaß dazu war die erste Beratung über den neuen SPD-Gesetzentwurf zur Mitbestimmung. Zum erstenmal seit längerer Zeit bildete sich dabei eine Front, bei der CDU/CSU und FDP auf der einen Seite standen, die SPD allein auf der anderen. Am Ende der Debatte war endgültig klar, daß der SPD-Entwurf keine Chance hat, vor den Wahlen noch verabschiedet zu werden.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt hielt der FDP vor, ihr „politischer Spielraum“ müßte sich „zwangsläufig sehr verengen“, wenn sie bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Mitbestimmungswünschen der SPD bleibe. Der CDU/CSU- Fraktionsvorsitzende Barzel griff die Bemerkung sogleich auf und sprach ironisch von einer „aggressiven Form der Offerte“, die von der SPD an die jetzige Oppositionspartei gerichtet werde.
Festnahmen im Lebach-Fall
L e b a c h (dpa). Einem Haftrichter aus Saarbrücken ist ein Gastwirtssohn aus Lebach vorgeführt worden. Mindestens zehn Zeugen sollen bestätigt haben, daß die Personenbeschreibung eines mutmaßlichen Täters, der mit einem Komplicen in der Nacht zum Montag die Wache des Munitionsdepots überfiel, auf den Sohn des Gastwirts zutrifft. Die Gastwirtschaft soll ein „Beat-Schuppen“ sein, in dem. nicht nur Soldaten, sondern auch Schülerinnen und Schüler verkehren. *
Siegen (dpa). Wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Bild eines der mutmaßlichen Attentäter auf das Bundeswehr-Munitionsdepot in Lebach nahm die Polizei in Siegen gestern abend einen 30 Jahre alten kaufmännischen Angestellten aus Köln fest. Nach eineinhalbstündiger Vernehmung, so berichtete die Polizei, hätten sich allerdings noch keine Anhaltspunkte für die Teilnahme des Mannes an dem Überfall ergeben. (Siehe auch Seite 2).
Auch der FDP-Fraktionsführer Mischnick ging auf Schmidts Äußerung ein. Er erwiderte, seine Partei lasse sich nicht unter Druck setzen. Aber zugleich zeigte er der SPD in versteckter Form, daß dies keine Absage an eine mögliche Koalition sei, indem er hinzufügte, die Haltung der FDP in der Frage der Mitbestimmung habe mit der Frage der künftigen Regierung nichts zu tun.
In der Debatte erklärten Sprecher der CDU/CSU und der FDP übereinstimmend, der Bundestag könne bis zu den Wahlen
nicht mehr über die Ausweitung der sogenannten paritätischen Mitbestimmung auf Großunternehmen außerhalb des Bereichs von Kohle und Stahl entscheiden. Beide Fraktionen empfahlen, zunächst den Bericht der Kommission abzuwarten, die von der Bundesregierung zum Studium des Mitbestimmungsproblems eingesetzt worden ist. Auch Helmut Schmidt räumte ein, daß die Zeit knapp sei. Er warnte aber den Bundestag davor, den Eindruck hervorzurufen, den Mangel an Zeit nur als Vorwand zu benutzen, um eine Ausweitung der Mitbestimmung zu vermeiden.
Kernstück der SPD-Initiative ist ein Gesetzentwurf zur Ausweitung der Mitbestimmung auf alle Großunternehmen. Neben Änderungen zum Personalvertretungsgesetz und zum Betriebsverfassungsgesetz hat die SPD vorgeschlagen, die Aufsichtsrats-Tan- tiemen künftig auf 6000 DM jährlich zu begrenzen. In einem anderen Gesetz soll die Montan-Mitbestimmung für den Fall von Konzernbildungen gesichert werden.
Schmidt äußerte die Hoffnung, daß es Bundesarbeitsminister Katzer in den nächsten Wochen gelingen werde, die CDU von der Bedeutung der Mitbestimmung zu überzeugen.
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Barzel nannte die Mitbestimmung ein „bedeutsames gesellschaftliches Problem“. Seine Partei werde sich der Diskussion stellen und sich für eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der Gestaltung des wirtschaftlichen Geschehens einsetzen.
Libanon geht gegen Partisanen vor
Sowjets stimmen Einberufung einer Vierer-Konferenz zu
Damaskus/New York (AP). Die libanesische Armee geht nach amtlicher syrischer Darstellung jetzt mit Entschiedenheit gegen palästinensische Freischärler vor, die ungeachtet libanesischer Verwarnungen vom Libanon aus zu Kommando-Unternehmen gegen Israel starten.
Wie die Zeitung „Al Baath“, das Sprachrohr der regierenden sozialistischen Partei Syriens, gestern berichtet, hat die libanesische Armee am vergangenen Wochenende mehrere von einem Unternehmen in Israel zurückkehrende arabische Partisanen der El-Fatah-Bewegung abgefangen und festgesetzt. Die Armee sei mit Panzern und Artillerie vor der Grenzsiedlung Kfar Kela aufgefahren und habe dort Haus für Haus durchsucht, um der Partisanen habhaft zu werden. Der Zwischenfall habe einen hohen
Grad der Spannung zwischen der libanesischen Armee und der El-Fatah-Bewegung erzeugt und könne noch weitreichende Folgen nach sich ziehen, meint „Al Baath“ mit warnendem Unterton.
Der sowjetische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jakob Malik, hat UN-Ge- neralsekretär U Thant davon unterrichtet, daß die Sowjetunion dem französischen Vorschlag zur Einberufung einer Konferenz der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs über die Nahost-Frage zustimmt. In einer Presseerklärung, die die sowjetische UN-Vertretung veröffentlichte, wird die Notwendigkeit einer „unverzüglichen politischen Lösung des Nahost-Pro- blems“ hervorgehoben. Die Viermächte- Konferenz könne schon Ende Januar stattfinden.
Neuer Selbstverbreimimgsversuch eines Tschechen
Anscheinend jedoch kein politisches Motiv / Appelle an die Jugend / Morgen fünf Minuten Arbeitsruhe
Prag/Wien, (dpa).
Leidenschaftliche Appelle an die Jugend, eine nicht endende Flut von Resolutionen in den Zeitungen und schließlich der öffentliche Selbstmordversuch eines jungen Arbeiters kennzeichneten gestern, drei Tage nach dem Tod des Studenten Jan Palach, die Situation in der Tschechoslowakei.
Wie der tschechoslowakische Rundfunk berichtete, hat in der Nacht zum Mittwoch der 23jährige Schmied Miroslav Malinka in Brünn versucht, sich zu verbrennen. Auf dem „Freiheitsplatz“ der Stadt, wo Studenten eine symbolische Wache für Palach hielten, übergoß sich Malinka mit einer Flüssigkeit und setzte sich in Brand. Die Studenten konnten die Flammen jedoch schnell ersticken. Der Schmied erlitt Verbrennungen zweiten Grades. Nach Auskunft der Ärzte ist sein Zustand den Umständen entsprechend zufriedenstellend.
Allem Anschein nach stehen hinter dieser dritten Selbstverbrennung innerhalb einer Woche in der CSSR keine politischen Motive, ln der Rundfunkmeldung wurde von einem pathologischen Fall gesprochen. Malinka habe schon im vergangenen Jahr versucht, sich mit Leuchtgas umzubringen.
Er soll seinem Vater vor einigen Tagen den neuen Selbstmordversuch angekündigt haben. Als Begründung gab er an, daß er wegen Raubes und Diebstahls vor Gericht gestellt werden sollte.
Mit Appellen und Kommentaren haben sich gestern tschechische und slowakische Zeitungen der mahnenden Rede Staatspräsi-
EHRENWACHE auf dem Wenzels-Platz in Prag an der Stelle, an der sich der Student Jan Palach bei einer Selbstverbrennung so schwere Verletzungen zuzog, daß er starb. (AP-Photofax)
dent Ludvik Svobodas vom Montagabend angeschlossen. Mit eindringlichen Worten wandte sich die Preßburger Jugendzeitung „Smena“ an jene Jugendlichen, die angeblich dem Beispiel Palachs folgen wollen. Am Dienstagabend hatten bereits zwei Studentinnen über das Fernsehen ihre Kommilito
nen aufgefordert, dem letzten Wunsch Palachs zu folgen und keine Selbstverbrennung mehr zuzulassen.
Zu Ehren Palachs soll morgen in allen Betrieben und Büros des Landes fünf Minuten die Arbeit ruhen. Die tschechischen Theater- und Rundfunkkünstler haben sich, wie das KPC-Organ „Rüde Pravo“ meldete, dafür ausgesprochen, wegen Palachs Tod in dieser Woche die Theaterprogramme entsprechend zu ändern. (Siehe auch „Blickpunkt“).
Vierter Versuch einer Selbstverbrennung
Wien (dpa). Ein vierter Versuch einer Selbstverbrennung wurde gestern abend von CTK aus Preßburg gemeldet. Nach dem Bericht hat der 24 Jahre alte Häftling Franti- sek Bogyi in der Strafanstalt Leopoldov in der westlichen Slowakei in der Nacht zum Mittwoch versucht, durch Selbstverbrennung Selbstmord zu begehen. Er wurde jedoch nicht ernstlich verletzt. In drei bis vier Wochen dürfte er wiederhergestellt sein.
Der bereits fünfmal vorbestrafte Bogyi, der zur Zeit eine Haftstrafe wegen Diebstahls, Gewalttätigkeit und anderer Taten verbüßt, hat im Gefängnis bereits sechs Selbstmordversuche unternommen.
STÜRMISCH GEFEIERT wurden gestern in Moskau die sowjetischen Kosmonauten (auf unserem Bild von links nach rechts) Schatalow, Wolinow, Jelissejew und Chru- now, die Mitte Januar im Weltraum das aufsehenerregende Kopplungsmanöver zweier Raumschiffe vorgenommen haben und von denen zwei von der einen in die andere Kapsel umgestiegen sind. Siehe auch Bericht auf dieser Seite. (AP-Photofax)
Gerstenmaier wird gehen müssen
Von Wolf gang Wagner
Eugen Gerstenmaier hat kein Verbrechen begangen. Aber er hat eine Unbeherrschtheit und einen Mangel an kritischer Einsicht sich selbst gegenüber gezeigt, die nach den strengen Regeln des politischen Lebens nach einer öffentlichen Buße verlangen. Ebenso wie vor Jahren der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß, eines „bedenklichen Wandeins am Abgrund der Unwahrhaftigkeit“ überführt, zurücktreten mußte, wird Gerstenmaier auf sein Amt verzichten müssen. Ebenso wie bei Strauß muß dies nicht auf jeden Fall bedeuten, daß seine politische Karriere beendet ist. Wiederum wie bei Strauß wird dies in erster Linie von seinem künftigen politischen und persönlichen Verhalten abhängen.
Es wäre nicht gerecht, über den „Fall Gerstenmaier“ zu urteilen, ohne vorweg die Verdienste zu nennen, die dieser Mann sich erworben hat. Als er das Amt des Bundestagspräsidenten übernahm, war der Bundestag noch jung. Es fehlte an parlamentarischer Tradition, an gesichertem Stü. Aber Gerstenmaier hat Jahre hindurch sein Amt in der Hauptsache gut ausgefüllt. Mit Energie hat er darauf gesehen, daß der Bundestag, besonders, nachdem Kommunisten und Rechtsradikale ihre Sitze verloren hatten, eine gewisse Würde gewann. Manche Rede, die er aus feierlichem Anlaß gehalten hat, trug zum Selbstbewußtsein des Bundestags bei und wird auch in Zukunft nicht vergessen werden.
Aber die Politik ist ein Beruf ohne Barmherzigkeit und Nachsicht. Es gibt in der Politik, wie ein britischer Politiker gesagt hat,
De Gaulle bleibt im Amt
Paris (dpa). Staatspräsident de Gaulle will sein Amt als Staatschef bis zum verfassungsmäßigen Ende fortführen. Eine entsprechende Erklärung gab er gestern im französischen Ministerrat ab.
De Gaulles Mandat als Staatspräsident läuft normalerweise 1972 aus. Er war am 19. Dezember 1965 in direkter Volkswahl für sieben Jahre zum Staatspräsidenten wiedergewählt worden. Die Äußerung de Gaulles war eine unmißverständliche Antwort auf eine von dem ehemaligen französischen Premierminister Georges Pompidou in Rom gemachte Bemerkung, daß er sich als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten betrachte, wenn dieses Amt vakant werden sollte.
Mit seiner Äußerung dürfte de Gaulle für die nächste Zeit allen Spekulationen über einen möglichen früheren Rücktritt den Boden entzogen haben.
Orden-Regen für die Kosmonauten
Beim Eintreffen in Moskau von der Bevölkerung stürmisch gefeiert
Moskau (dpa). Im Triumph sind die vier sowjetischen Kosmonauten Schatalow, Chrunow, Wolynow und Jelissejew gestern in Moskau empfangen worden. Staatspräsident Podgomy dekorierte die drei Obersten und den Ingenieur im festlich geschmückten Kongreßpalast des Kreml mit dem Kosmo- nauten-Orden, dem Lenin-Orden und dem goldenen Stern eines „Helden der Sowjetunion“. Außerdem wurde ihnen der Titel „Flieger-Kosmonaut der UdSSR“ verliehen.
Auf der Prominenten-Tribüne unter einem riesigen Lenin-Porträt fehlte Ministerpräsident Kossygin, der sich schon bei der Ankunft der Kosmonauten auf dem Moskauer Prominentenflughafen Wnukowo zuvor von seinem ersten Stellvertreter Poljanski hatte vertreten lassen.
Parteichef Breschnew unterstrich in seiner Begrüßungsrede, die Kosmonauten hätten eine glänzende Leistung vollbracht. Damit
sei der Anfang zum Bau großer wissenschaftlicher Raumstationen gemacht worden. Er erwähnte auch den „hervorragenden Flug“ der amerikanischen Astronauten um den Mond, der zusammen mit den sowjetischen Experimenten dazu diene, die Geheimnisse des Universums zu lüften. An die Feier im Kongreßpalast, an der rund 6000 Menschen teilnahmen, schloß sich ein festlicher Empfang.
Rund viereinhalb Stunden vor der Feier waren die Kosmonauten in Wnukowo gelandet. Unter den Diplomaten war auch der Botschafter der Bundesrepublik, Helmut Al- lardt. Mit einem „Keil“ von Motorradfahrern an der Spitze fuhr die riesige Autokavalkade nach Moskau. Die Menschen begrüßten die Kolonne mit Händeklatschen, Zurufen, Winken, Mützenschwenken. Immer wieder tauchten die Porträts der Kosmonauten auf Plakaten und Papierfähnchen auf. (Siehe auch Seite 3).
keine unbefleckte Empfängnis. Hinter jedem Fehler wird gleich die Schuld gesehen, hinter jeder Schuld der Schuldige. Von den Mächtigen des Staates erwartet das Volk, daß sie sich nicht wie der gewöhnliche Bürger verhalten, sondern besser. Jeder andere mag alle Chancen, die ihm ein Gesetz bietet, bis zum letzten ausnutzen, wenn er das mit seinem Gewissen und seiner gesellschaftlichen Stellung vereinbaren kann. Dem Politiker ist ein doppeltes Maß an Enthaltsamkeit auferlegt. Er darf sich nicht einmal dem Schatten des Verdachts aussetzen, die Vorteile seines Amtes in persönliche Vorteile umgemünzt zu haben.
Auf Gerstenmaier angewandt, heißt dies: Wenn er keine finanzielle Entschädigung beziehen, sondern nur eine amtliche Bestätigung seiner akademischen Grade erreichen wollte, mußte er entweder einen anderen Weg wählen als den Wiedergutmachungsantrag oder von vornherein nach allen Richtungen klarmachen, daß er es mit allem Nachdruck ablehnte, einen finanziellen Gewinn aus diesem Antrag zu ziehen. Als er statt dessen dann sogar das Geld annahm und sich vorbehielt, es nach eigenem Gutdünken zu verwenden, wenn auch vielleicht als eine Art privater Ergänzung der Wiedergutmachung, setzte er sich dem. Verdacht aus, dem Gelde doch nicht so gleichgültig gegenüberzustehen, wie er nachträglich sagt. Diesem Verdacht zu entgehen, hätte er viele Möglichkeiten gehabt: Er hätte die zuständigen Behörden fragen können, ob die Zuwendung notwendig so hoch sein müsse oder ob es stimme, daß der gewünschte Wiedergutmachungsbescheid hinfällig würde, wenn er das Geld nicht annähme. Oder er hätte den Betrag unmittelbar an eine gemeinnützige Stiftung überweisen können. Keinen dieser Auswege hat er gewählt. Dadurch hat er sich in den Augen der Öffentlichkeit schul-' dig gemacht.
Aber vielleicht wäre ihm selbst dies noch verziehen worden, wenn er das Geld nachträglich sogleich hergegeben und seinen Fehler bekannt und erklärt hätte. Heute mag er selbst denken, seine Lage wäre besser, wenn er mehr Freunde hätte, auch in der eigenen Partei, die rückhaltlos zu ihm ständen. Aber er sollte dabei nicht vergessen, daß den schlechtesten Dienst ihm nicht andere geleistet haben, sondern er sich selbst. Mit seinem maßlosen Wutausbruch nach Bekanntwerden seiner Wiedergutmachungssache und dem folgenden Lavieren zwischen Entschuldigung und Gegenangriff hat er seine Position selbst so untergraben, daß ihm auch seine — allerdings ohnehin nicht zahlreichen — Freunde nicht mehr helfen können. Wenn er seinen Rücktritt erklärt, beugt er sich nicht nur der öffentlichen Kritik. Er erweist auch der Demokratie, die zu hüten er in seinem Eid geschworen hat, den wichtigsten Dienst, den er in diesem Augenblick tun kann.
Dazu gehört freilich noch ein Nachwort: Die staatliche Spitze der Bundesrepublik macht gegenwärtig keinen guten Eindruck. Nicht einer von den höchsten Repräsentanten des Staates, auf die die Öffentlichkeit blickt, bleibt von persönlichen Anschuldigungen verschont. Ein oberflächlicher Beobachter könnte daraus den Eindruck gewinnen, dieser Staat sei innerlich ausgehöhlt, und die Mängel, die an der Spitze sichtbar würden, seien mit Sicherheit in dem gesamten Staatskörper vorhanden. Vor dieser Verallgemeinerung ist zu warnen. Eugen Gerstenmaier ist der sehr besondere Fall eines Mannes, dem Intelligenz, politisches Ethos und sogar charakterliche Stärke nicht abgesprochen werden können, der aber mit einer Art Farbenblindheit sich selbst und der Welt gegenüber behaftet ist. Diese Schwäche, seinen Gegnern wie seinen Freunden seit langem bekannt, ist eine Eigenschaft, die Gerstenmaier zwar noch mit einigen anderen teilt, aber sie ist keine ansteckende Krankheit