Seite 2

Politik

Montag, 13. Januar 1969

Jugend der SPD spricht vonbrutalem Terror

Kongreß in Bad Godesberg fordert Rücktritt des baden-württembergischen Innenministers Krause Von unserer Bonner Redaktion

Bad Godesberg. Der Jugendkongreß der SPD hat am Sonntag in Bad Godesberg den Rücktritt des sozialdemokratischen Innenministers von Baden-Württemberg,

Krause, gefordert. Nach einer zum Teil stürmisch verlaufenen Debatte billigte die Mehrheit der Delegierten eine Resolution, in der dieÜbergriffe der Heidelberger Polizei am letzten Freitag gegen eine Gruppe von Studenten alsbrutaler Terror be­zeichnet wurden. In einer zweiten Resolution verurteilte der Jugendkongreß die Ab­sicht der SPD, im Bundestag ein Gesetz über die Einführung einerVorbeugehaft einzubringen, da es zu Mißbräuchen führen könne.

Bankpräsidenten tagen

Basel (AP). Hinter verschlossenen Türen sind am Sonntag in Basel die Zentralbank­präsidenten der wichtigsten westeuropäi­schen Länder sowie der USA, Kanadas und Japans zu ihrer Monatstagung zusammenge­treten.

Nach Angaben unterrichteter Kreise stan­den vor allem der vom italienischen Zen­tralbankpräsidenten vorgelegte sogenannte Carli-Plan zur Abwehr massiver internatio­naler Währungsspekulation, die südafrikani­schen Goldverkäufe und das allgemeine Steigen der Zinssätze zur Diskussion. Be­schlüsse von Bedeutung werden von dieser Konferenz nicht erwartet, da die internatio­nale Finanzwelt zunächst die Amtsübernah­me Präsident Nixons und dessen künftigen Kurs auf monetärem Gebiet abwarten will.

Kein Bummeln mehr

Frankfurt (dpa). Die Frankfurter Fluglot­sen werdenbis auf weiteres ihre Aktion Dienst nach Vorschrift nicht wieder auf­nehmen. Die rund 320 Fluglotsen des Rhein- Main-Flughafens Frankfurt akzeptierten in der Nacht zum Samstag die Ergebnisse, die am Freitag in einem Gespräch zwischen dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Karl Gumbel, sowie dem Vorstandsmitglied der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), Heinz Groteguth, und dem Ver­bandsvorsitzenden der Flugleiter, Wolf gang Kassebohm, in Bonn erzielt worden waren.

Zeichen der Entkrampfung

Moskau (dpa). Die Wiederaufnahme des deutsch-sowjetischen Dialogs nach dem ab­rupten Abbruch im vergangenen Sommer ist in westlichen diplomatischen Kreisen Mos­kaus als Zeichen der Entkrampfung begrüßt worden. Gleichzeitig warnt man aber auch davor, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß eine Lösung der zwischen beiden Län­dern bestehenden Grundsatzfragen näher gerückt ist. Diplomaten und Beobachter in der sowjetischen Hauptstadt sehen die neuerliche Anknüpfung des Gesprächs mit Bonn vor allem im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Offensive der sowjetischen Diplomatie, die das Ziel verfolgt, die durch den Einmarsch in die Tschechoslowakei teil­weise verschütteten bilateralen Beziehungen mit einzelnen westlichen Ländern wiederzu­beleben.

Filbinger nach USA

Stuttgart (dpa). Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger wird am Dienstag auf Einla­dung deutsch-amerikanischer Vereinigungen eine mehrtägige Reise nach den USA antre- ten. Einer Einladung der amerikanischen Regierung folgend wird sich Dr. Filbinger dabei auch zwei Tage in Washington aufhal­ten und Gespräche mit Abgeordneten und Senatoren des Kongresses sowie mit hohen Regierungsvertretem, darunter Sonderbot­schafter McGhee und dem Leiter der Deutschlandabteilung des State Department Puhan Gespräche führen.

wwv <

V 'r b

Der rasche Zerfall des mitteleuropäischen Hochdruckkeils hat den Weg für die Ausläufer des atlantischen Tiefdrucksystems frei gemacht. Mit ihnen dringen in zunehmendem Maße milde Meeresluftmassen nach Deutschland ein und beseitigen auch bei uns die noch verblie­benen Kaltluftreste.

Montag anfangs stärkere Bewölkung und noch einzelne Regenfälle. Im weiteren Tages­verlauf Übergang zu wechselnder Bewölkung und nur geringe Schauerneigung, mild, Tages­höchsttemperaturen zum Teil etwas über fünf Grad, auch in Hochlagen Tauwetter. Nur im Süden des Landes anfangs noch leichter Frost. Mäßiger Wind aus Süd bis Südwest. Nachts im allgemeinen frostfrei. Auch am Dienstag unbe­ständig mit einzelnen Regenfällen und weitere Milderung (Mitgeteilt v. Wetteramt Stuttgart).

Nach der Ansicht politischer Beobachter haben die Sozialdemokraten auf dem zwei­tägigen Treffen mit zahlreichen Jugendver­bänden eine politische Niederlage erlitten. Den Parteivorsitzenden Brandt, der trotz einer Rippenfellentzündung an der General­debatte teünahm, gelang es nicht, die Dele­gierten von einer scharfen Verurteilung der Ereignisse in Heidelberg abzubringen. Brandt vertrat die Ansicht, der Kongreß sei überfordert, wenn er die Schuldfrage an Stelle eines Untersuchungsausschusses klä­ren wolle. Doch die Mehrzahl der Delegier­ten schenkte den Berichten von Zeitungen und Studenten Glauben, die das Vorgehen der Heidelberger Polizei mit Äxten und Knüppeln ausführlich schilderten.

Während der lebhaften Diskussionen der etwa 500 Delegierten, unter denen sich nur eine kleine Gruppe von Studenten befand, mußte sich die SPD harte Kritik gefallen lassen. In seinem Schlußwort wies Brandt darauf hin, daß seine Partei sich nicht an die Resolutionen des Kongresses gebunden füh­le. Sie werde ihre verantwortlichen Ent­scheidungen nicht auf Grund von Emotionen treffen. Von den Diskussionsrednern sei manches gesagt worden, worüber es nachzu­denken lohne. Die SPD wünsche aber auf gar keinen Fall, mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) identifiziert zu werden.

Bonn (AP). Die Aufrechterhaltung der Preisstabilität in der Bundesrepublik und die Abwehrkonjunktureller Überhitzung zählt nach Ansicht von Bundesfinanzmini­ster Franz Josef Strauß (CSU) zu dengröß­ten Problemen des Jahres 1969.

In einem Interview mit der in Hamburg erscheinendenWelt am Sonntag sagte Strauß, er habe hinsichtlich der Stabilität der Preise viel stärkere Bedenken für das Jahr 1969, als er sie für das Jahr zuvor ge­habt habe. Zwar teile er die Auffassung von Bundeswirtschaftsminister Professor Karl Schiller (SPD), daß ein gutes Jahr bevorste­he, doch würde sich das Jahr nachträglich als weniger gut erweisen, wenn die in harter Arbeit errungenen Positionen durch Über-

Am Sonntag war es während der Debatte zweimal zu Zwischenfällen gekommen, als acht Jugendliche versuchten, in die Stadt­halle einzudringen. Beim zweiten Mal stie­ßen sie mit Willy Brandt zusammen, der an einer Tür zufällig frische Luft schöpfte. Ordner drängten die Eindringlinge aber schnell wieder ab. Als eine kleine Gruppe immer wieder in Sprechchören dieÖffent­lichkeit der Diskussion forderte, wurde den acht Jugendlichen Einlaß gewährt.

Hamburg (dpa). Die Auseinandersetzun­gen um die erweiterte Mitbestimmung spit­zen sich zu. Während der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Fritz Berg, die gewerkschaftliche For­derung nach paritätischer Mitbestimmung in großen Unternehmen am Samstag noch ein­mal mit aller Schärfe zurückwies, erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Matt- höfer, die Gewerkschaften seien keineswegs verpflichtet,' bei der Einführung des Mit­spracherechts auf den Gesetzgeber zu war­ten.

treibung gefährdet würden.Es ist doch pa­radox, wenn auf der einen Seite aus kon­junkturellen oder anderen Gründen nicht nur 'erhebliche Lohnerhöhungen, sondern auch beträchtliche Steuersenkungen bei­spielsweise durch Anhebung der Kilometer­pauschale verlangt werden und auf der anderen Seite dbr Präsident der Bundesbank vor Konjunkturüberhitzung und drohendem Preisauftrieb warnt und gleichzeitig mit dem Schwert der Kreditbeschränkung droht, erklärte Strauß. Der Minister beton­te, daß er entschlossen sei,alle lautstarken Neuansprüche an den Bundeshaushalt zu­rückzuweisen. Dies gelte auch für die Forde­rungen der Beamten, des Bauernverbandes und der Kriegsopferverbände.

Der SPD-Vorsitzende Brandt hatte am Samstag in seiner Eröffnungsrede die Ju­gend aufgerufen, in Zukunft mehr Einfluß auf die politische und gesellschaftliche Ent­wicklung in der Bundesrepublik zu nehmen. Brandt erklärte, nur mit dem Engagement der jungen Generation sei der Kampf um den Frieden zu gewinnen. Die SPD werde vorurteilsfrei mit den jungen Menschen über die Aufgaben von Gegenwart und Zu­kunft diskutieren. Brandt räumte ein, daß die Demokratie in der Bundesrepublik noch voller Mängel sei. Es sei deshalb verständ­lich, daß die Jugend scharf auf den Wider­spruch zwischen den alten Strukturen und den modernen Möglichkeiten reagiere. In mehreren Diskussionsbeiträgen wurde Brandt später vorgeworfen, er habe wohltö­nende Worte gebraucht, anstatt konkret zu werden. An der Generaldebatte am Sonntag nahmen auch der SPD-Fraktionsführer im Bundestag, Helmuth Schmidt, und der SPD- Bundesgeschäftsführer Wischnewski teil.

Der Vorsitzende der Industriegewerk­schaft Bergbau und Energie, Walter Arendt, bezeichnete den Vorwurf, die Gewerk­schaftsfunktionäre wollten mit der erweiter­ten Mitbestimmung ihre Macht ausüben, als demagogisch. BDI-Präsident Berg wandte sich in einem Interview besonders energisch gegen die Erklärung des DGB-Vorstands- mitgliedes Werner Hansen, daß es als Alter­native zur paritätischen Mitbestimmung in den Großunternehmen nur die Sozialisie­rung der Produktionsmittel und die entschä­digungslose Enteignung gebe. Diese Dro­hung, meinte Berg, mit der die Meinung al­ler deutschen Gewerkschaftsführer zum Ausdruck gebracht worden sei,kann in Ge­neralstreik oder gar in einer Revolution en­den.

Vor einer Arbeitsgemeinschaft des SPD- Jugendkongresses in Bad Godesberg betonte der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthöfer, die Gewerkschaften könnten die Mitbestim­mungsrechte für Arbeitnehmer und ihre Vertreter im Rahmen der Betriebsverfas­sung tarifvertraglich vereinbaren. Das be­deute, daß sie die Mitbestimmung auch mit den Mitteln des Arbeitskampfes durchsetzen könnten. Arendt erklärte auf einer DGB- Kundgebung in Saarbrücken, nach gewerk­schaftlicher Auffassung gelte es zu verhin­dern, daß wirtschaftliche Macht zu politi­schen Zwecken mißbraucht werde und zur nationalen Katastrophe führe. Die Zeit,wo der Unternehmer Zuchtmeister war, sei für immer vorbei.

Hamburg (dpa). Bundesjustizminister Gustav Heinemann hat an den Bundeskanz­ler appelliert, die Frage der Verjährung von Tötungsverbrechen so schnell wie möglich auf die Tagesordnung einer Kabinettssit­zung zu bringen. Das sei nötig, erklärte der Minister am Samstag in einem Rundfunk- Interview (Süddeutscher Rundfunk), damit der Bundestag noch rechtzeitig vor den Wahlen über dieses Problem entscheiden könne.

Gleichzeitig machte Heinemann in einem zweiten Interview (Welt am Sonntag) erneut klar, daß es bei den Bemühungen um eine Aufhebung der Verjährungsfrist nicht allein um Delikte aus der NS-Zeit gehe,sondern um Mord allgemein. Nach Angaben Heine-

Besorgt wegen Berlin

Hamburg (dpa). Große Besorgnis we­gen einer möglichen östlichen Reaktion auf die Einberufung der Bundesversammlung zur Wahl des neuen Bundespräsidenten nach Berlin hat der Bundesminister für gesamt­deutsche Fragen, Herbert Wehner, in einem heute erscheinenden Zeitungsinterview ge­äußert.

Dagegen rechnet der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Schütz, wie er in einem Rundfunkinterview sagte, nicht mit einer großen Berlin-Krise in diesem Zusammen­hang. Bundestagspräsident Eugen Gersten­maier wies am Wochenende den Vorwurf zurück, er habe versucht, Berater des desi­gnierten amerikanischen Präsidenten Richard Nixon zur Äußerung von Bedenken gegen Berlin als Ort der Bundesversammlung zu veranlassen. Wehner sagte in einem Inter­view derAugsburger Allgemeinen Zei­tung, er habe im Kabinett mit seinen Vor­behalten gegen Gerstenmaiers Votum für Berlin allein gestanden.

Neun Prozent mehr Gehalt gefordert

Reutlingen (dpa). Eine Erhöhung der Gehälter für alle 900 000 Angestellten in der Bundesrepublik um neun Prozent hat der Angestelltensachbearbeiter beim Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Fritz Bieding, Düsseldorf, am Sonntag in Reutlingen gefordert.

In einer dritten Bundesangestelltenkonfe­renz der Gewerkschaft Holz und Kunststoff in Reutlingen, die am Sonntag beendet wur­de, sagte Bieding, die Zunahme der Ange­stelltengehälter im vergangenen Jahr um nur vier Prozent sei gegenüber einem An­stieg der Unternehmergewinne um 25 Pro­zent viel zu gering. Das Plädoyer der Unter­nehmer, unterstützt von Bundesbankpräsi­dent Karl Blessing, für weitere Disziplin in der Lohn- und Gehaltspolitik könnten die Angestellten nur als Kampfansage werten.

Kurz gestreift

Der Schwiegervater von Bundesfinanzmini­ster Franz Josef Strauß, Brauereibesitzer Max Zwicknagl aus Rott am Inn, ist am Freitag nach längerem Leiden im Alter von 68 Jahren ge­storben.

Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wird wahrscheinlich im Mai Japan einen offiziellen Besuch abstatten. Das Bundespresseamt bestä­tigte am Samstag in Bonn entsprechende Über­legungen.

Max Reimann, der Vorsitzende der verbote­nen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) hat am Samstag eine Wohnung in Rheinhausen (Kreis Moers) bezogen. Mit zwei großen Möbelwagen wurde seine Wohnungs­einrichtung von Ost-Berlin in die Marthastra­ße im Rheinhausener Stadtteil Bergheim ge­bracht.

Die amerikanische Marine hat die Verneh­mung und medizinische Untersuchung der Be­satzungsangehörigen des Nachrichtenschiffes Pueblo mit Ausnahme ihres Kapitäns Lloyd Bücher beendet und die Männer zu beschränk­tem Dienst im Marinestützpunkt bei San Diego freigegeben.

manns sind in der Bundesrepublik seit Kriegsende rund 400 Tötungsverbrechen un­aufgeklärt geblieben. Bei einem Festhalten an der Verjährungsfrist würden auch die noch unaufgeklärten Kindes- und Taximor­de verjähren. Nach Ansicht des Bundesju- stizministers wäre die Strafrechtsreform auch dann nicht gefährdet, wenn er zum Bundespräsidenten gewählt werden sollte. Diese Arbeit hänge gar nicht so sehr an sei­ner Person, betonte Heinemann. Der künfti­ge Schwerpunkt in den Justizreformbestre­bungen ist nach seiner Ansicht der Straf­vollzug. Nach der Neuwahl des Bundestages werde dem neuen Justizminister die Aufga­be zufallen, gerade auf diesem Gebiet für zeitgemäße Auffassungen in der Bevölke­rung zu sorgen.

Parteitag mit Kindergarten und Tanz

Einen neuen Parteitagsstil kreierte der FDP-Kreisverband Düsseldorf: Nach dem Motto der BundesparteiWir schaffen die alten Zöpfe ab hatte er am Samstag für die Nominierung der Wahlkreis- und Listenkandidaten zur diesjährigen Kommunalwahl zu einem Parteikonvent mit Tanz und Attrak­tionen eingeladen, zu dem die Mitglie­der auch Freunde und Bekannte mit­bringen konnten. Rund 250 Liberale waren erschienen, darunter 21 Kinder zwischen fünf Monaten und acht Jah­ren, die in einem eigenen Kindergarten von drei Hostessen betreut wurden.

Während der Stimmenauszählung wur­den die Gäste von einem Discjockey mit Schallplattenmusik und von einem Mädchenchor mit Spirituals unterhal­ten. Nach dem Abendessen spielte bis ein Uhr nachts eine Band zum Tanz auf. FDP-Vorsitzender Walter Scheel stattete dem unkonventionellen Kon­vent einen kurzen Besuch ab. Als Preis für eine amerikanische Versteigerung hatte er ein Wochenende als Gast in seinem Haus in Tirol angesetzt. Der Er­lös der Versteigerung kam dem Wahl­kampffonds zugute.

Sorgen um die Preisstabilität

Finanzminister Franz-Josef Strauß: Ich weise jede Geldforderung zurück

Scharfer Streit um Mitbestimmung

Es kann in Generalstreik oder gar in einer Revolution enden

Heinemann drängt auf Entscheidung

Verjährung von Tötungsverbrechen soll auf Tagesordnung des Kabinetts

Copyright by Wilhelm Goldmann-Verlag München

EIN ZUKUNFTSROMAN VON ARTHUR C. CLARKE

5

Erst nach mehreren Minuten gab Direktor Davis widerwillig zu, daß es sich hier um einen Ernstfall zu handeln scheine.Sele­nes automatisches Funksignal war schon früher einmal ausgefallen, aber Pat Harris hatte sich im Anschluß daran sofort auf dem seinem Boot zugeteilten Kurzwellenband ge­meldet

Diesmal blieb alles still. DieSelene hat­te nicht einmal auf ein Signal geantwortet das auf der sorgfältig geheimgehaltenen Ka­tastrophenfrequenz ausgestrahlt worden war. Auf diese Nachricht hin eilte Davis über die unterirdische Rollstraße nach Cla- vius City.

Am Eingang zum Kontrollturm stieß er auf den Chefingenieur Erdseite. Das war ein schlechtes Zeichen; es bedeutete, daß jemand eine Rettungsaktion für nötig hielt. Die bei­den Männer starrten einander bedrückt an.

Hoffentlich brauchen Sie mich nicht", meinte Chefingenieur Lawrence.Was gibts denn? Ich weiß nur, daß man ein Katastro­phensignal ausgeschickt hat Um welches Raumschiff gehts denn?

Um gar keins. Die ,Selene 1 meldet sich nicht. Sie ist draußen, auf dem Meer des Durstes.

Du lieber Himmel wenn ihr da etwas zugestoßen ist, können wir sie nur mit den kleinen Staubschlitten erreichen. Ich hab immer gesagt, daß wir zwei Kreuzer brau­chen, bevor wir Touristen herumkutschieren können.

Richtig aber bei der Finanzabteilung war man ja dagegen. Es hieß, wir könnten erst ein zweites Boot bekommen, wenn die Selene bewiesen hätte, daß sie Profit ab­wirft.

Hoffentlich wirft sie nicht statt dessen Schlagzeilen ab, meinte Lawrence grimmig. Sie wissen ja, was ich von Touristen auf dem Mond halte.

Im Kontrollraum war es wie immer sehr still. Auf den großen Wandkarten leuchteten unaufhörlich die grünen und gelben Lampen auf, aber ihre Routinemeldungen blieben neben der rotflackernden Warnlampe jetzt unbeachtet. An den Konsolen für Luft, Energie und Strahlung saßen Techniker.

Nichts Neues, meldete der für den Bo­denverkehr verantwortliche Mann.Wir tappen noch völlig im dunkeln. Wir wissen lediglich, daß sie irgendwo draußen auf dem Meer sind. Er zeichnete mit dem Finger einen Kreis auf die Wandkarte.Falls sie nicht völlig unerklärlich vom Kurs abgewi­chen sind, müssen sie in diesem Gebiet sein. Bei der Meldung um neunzehn Uhr betrug die Entfernung vom Normalkurs nur einen Kilometer. Um zwanzig Uhr war das Signal verschwunden, also muß sich in diesen sech­zig Minuten irgend etwas ereignet haben.

Welche Geschwindigkeit kann die .Sele­ne* stündlich erzielen? fragte jemand.

Bei Vollgas hundertzwanzig Kilometer, erwiderte Davis.Aber normalerweise fährt sie weit unter hundert. Bei einer Ausflugs­fahrt hat man es schließlich nicht eilig. Er starrte gebannt die Karte an, als könne sie

ihm weiterhelfen.Wenn sie draußen auf dem Meer sind, wird man sie ja bald finden. Haben Sie die Staubschlitten schon hinaus­geschickt?

Nein, Sir. Ich warte auf die Genehmi­gung.

Davis sah den Chefingenieur an, der auf dieser Seite des Mondes im Rang nur unter Chefverwalter Olsen stand. Lawrence nickte langsam.

Schicken Sie sie hinaus, sagte er.Aber rechnen Sie nicht mit baldigen Ergebnissen. Es wird eine Weile dauern, wenn man ein paar tausend Quadratkilometer absuchen will, vor allem nachts. Weisen Sie die Leute an, den vorgesehenen Kurs von der letzten gemeldeten Position aus abzusuchen und zwar zu beiden Seiten mit je einem Schlit­ten.

Als der Befehl weitergegeben worden war, fragte Davis bekümmert:Was, glauben Sie, könnte wohl geschehen sein?

Es gibt nur ein paar Möglichkeiten. Es muß sehr plötzlich gekommen sein, weil wir keine Nachricht auffangen konnten. Das deutet auf eine Explosion hin.

Davis wurde blaß. Mit Sabotage mußte man immer rechnen, man konnte sich nicht völlig dagegen schützen.

Dann wäre noch an einen Zusammenstoß zu denken, fuhr der Chefingenieur fort. Vielleicht ist dieSelene gegen ein Hin­dernis geprallt.

Harris fährt sehr vorsichtig, meinte Da­vis.Er macht das ja auch schon lange.

Jeder macht mal einen Fehler. Wenn man bei Erdlicht fährt, sind Entfernungen sehr schwer abzuschätzen.

Davis hörte ihn kaum. Er dachte an all die Maßnahmen, die er zu treffen hatte, wenn es zum Schlimmsten kam. Es war wohl am besten, bei der Rechtsabteilung die Versiche­rungspolicen überprüfen zu lassen. Ein Schadenersatzprozeß würde den Erfolg sei­nes gesamten Werbeprogramms in Frage stellen.

Der Verkehrssicherungsspezialist hüstelte

nervös.Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, sagte er zum Chefingenieur.Wir könnten Lagrange rufen. Vielleicht ist es den Astronomen oben möglich, irgend etwas zu sehen.

Bei Nacht? fragte Davis skeptisch.Aus einer Entfernung von fünfzigtausend Kilo­metern?

Durchaus möglich, wenn die Scheinwer­fer derSelene noch funktionieren. Ein Ver­such lohnt sich jedenfalls.

Gute Idee, meinte Lawrence.Veranlas­sen Sie das sofort.

Er hätte eigentlich selbst daran denken müssen und begann sich jetzt zu fragen, ob er noch andere Möglichkeiten übersehen hatte. Nicht zum erstenmal mußte er sich mit dieser seltsamen und schönen Welt aus­einandersetzen, die einem in ihren zauber­haften Momenten den Atem benahm, die aber auch mit verheerender Wucht zuschla­gen konnte. Man würde sie im Gegensatz zur Erde nie ganz zähmen können, aber das war vielleicht gut so, denn die unberührte Wildnis und die Andeutung von Gefahr brachte die Touristen wie Forscher durch den Weltraum hierher. Auf die Touristen hätte er gern verzichtet aber jemand mußte sein Gehalt ja bezahlen.

Und jetzt mußte er wohl packen. Viel­leicht löste sich die ganze Krise in ein Nichts auf, und dieSelene kehrte zurück, ohne von den Aufregungen, die sie verursacht hatte, etwas zu ahnen. Aber Lawrence glaubte nicht daran. Seine Befürchtung wur­de zur Gewißheit, während die Minuten ver­strichen. Er würde noch eine Stunde abwar­ten, dann den unterirdischen Zug nach Port Roris nehmen.

Als das Notsignal die Station Lagrange erreichte, schlief Thomas Rawson, Dr. phil., wie ein Murmeltier. Er ärgerte sich über die Störung. Wenn man auch bei Schwerkraft Null täglich nur zwei Stunden Schlaf brauchte, schien es ein wenig unfair, auch das noch aufgeben zu müssen. Als er die Nachricht aber ganz erfaßte, wurde er hell- |

wach. Endlich sah es so aus, als könnte er hier etwas Nützliches leisten.

Tom Rawson war von seiner Versetzung nie besonders erbaut gewesen; er wollte wissenschaftlich arbeiten, und die Atmo­sphäre auf Lagrange II lenkte ihn zu sehr ab. Zwischen Erde und Mond in einer kos­mischen Seiltanznummer balancierend, die auf den Folgerungen der Schwerkraftgesetze basierte, wurde der Satellit als astronau- tisches Mädchen für alles verwendet. Raum­schiffe in beiden Richtungen benützten ihn als Peilpunkt und Nachrichtenzentrale obwohl es nicht der Wahrheit entsprach, daß sie dort anhielten, um Post abzuholen. La­grange diente außerdem als Relaisstation für fast den gesamten Funkverkehr vom Mond.

Das Hundertzentimeterteleskop war eigentlich zur Beobachtung sehr weit ent­fernter Himmelskörper gebaut worden, aber man konnte damit natürlich auch die Mond­oberfläche betrachten. Die Aussicht war bei dieser geringen Entfernung großartig. Tom schien unmittelbar über dem Regenmeer zu schweben, als er auf die zerklüfteten Gipfel der Apenninen hinabsah, die im Morgenlicht glitzerten. Obwohl ihm die Mondgeographie nicht allzusehr vertraut war, konnte er auf den ersten Blick die großen Krater Archi- medes und Plato, Aristillus und Eudoxus, die dunkle Narbe des Alpentals und die ein­same Pyramide des Pico erkennen.

Aber die Region des-Tageslichts kümmerte ihn jetzt nicht; was er suchte, lag in einer dunklen Sichel, wo die Sonne noch nicht aufgegangen war. In mancher Hinsicht mochte das seine Aufgabe erleichtern. Eine Signallampe selbst eine Fackel mußte in dieser Nacht dort unten deutlich sichtbar sein. Er überprüfte die Landkarte und drückte dann auf die Kontrollknöpfe. Die gleißenden Berggipfel verschwanden aus seinem Blickfeld, und nur die Dunkelheit blieb, als er in die Nacht hinabstarrte, die eben mehr als zwanzig Männer und Frauen verschluckt hatte. (Fortsetzung folgt)