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Politik

Samstag, 11. Januar 1969

Scheel:... dann bleiben wir in der Opposition

FDP will sich nicht nur mit Ministersesseln zufriedengeben

Von unserer Bonner Redaktion, AP und dpa

Bonn. Die FDP will sich nach Darstellung ihres Vorsitzenden Walter Scheel an einer künftigen Bundesregierung nur dann beteiligen, wenn sie dabei ein Höchstmaß ihrer eigenen politischen Vorstellungen verwirklichen könne. In einer Pressekonferenz sagte Scheel gestern in Bonn, eine Machtbeteiligung, die sich nur in einigen Ministersesseln ausdrücke, komme nicht in Frage. Wenn seine Partei nach der nächsten Bundestags­wahl keinen geeigneten Koalitionspartner finde, dann bleibe sie eben in der Opposition.

Zweites Ermittlungsverfahren gegen Miiller-Roschach

Bonn (NWZ). Gegen den deutschen Bot­schafter in Lissabon, Herbert Müller-Ro- schach, ist jetzt ein zweites Ermittlungsver­fahren eingeleitet worden. Während die bis­herigen Ermittlungen sich auf Müller-Ro- schachs Tätigkeit während des zweiten Weltkriegs beziehen, liegt dem neuen Ver­fahren ein Meineidsverdacht zugrunde.

Beide Verfahren hängen eng miteinander zusammen: Bei dem Frankfurter Schwurge­richtsprozeß gegen den früheren Legations­rat Fritz von Hahn, der im Kriege im glei­chen Referat des Auswärtigen Amts tätig war wie Müller-Roschach, soll der Botschaf­ter unter Eid falsche Aussagen gemacht ha­ben. In beiden Fällen geht es im Kern dar­um, ob Müller-Roschach in den wenigen Monaten, die er im Winter 1941/42 im soge­nannten Judenreferat des Auswärtigen Amts zugebracht hat, Kenntnis von der damals beginnenden Massenermordung der Juden im Osten bekommen hat.

Verbände wollen niedrigere Beitrags-Rückerstattung

Bonn (dpa). Bei den Verbänden, die in den letzten Tagen im Bundesarbeitsministerium zum Referentenentwurf über die Einführung der Lohnfortzahlung für erkrankte Arbeiter und über eine Teilreform der gesetzlichen Krankenversicherung gehört wurden, zeich­nete sich die Tendenz ab, die geplante Bei­tragsrückerstattung für nichtbenutzte Kran­kenscheine möglichst niedrig zu halten. Wie gestern in Bonn verlautete, hat sich die Mehrzahl der Verbände für einen Rücker­stattungssatz von zehn Mark je Kranken­schein statt 15 oder 17 Mark ausgesprochen. Nach dem Referentenentwurf ist die Ausga­be von vier Krankenscheinen im Jahr pro Versicherten vorgesehen, für die bei Nicht­verwendung ein entsprechender Betrag von den Krankenkassen zurückerstattet werden soll.

Kleine Union-Gipfelkonferenz

Garmisch-Partenkirchen (dpa). Führende Politiker der Unionsparteien haben gestern in Garmisch-Partenkirchen aktuelle politi­sche Fragen erörtert. An dem Treffen nah­men der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion Dr. Rainer Barzel, Bundesfi­nanzminister Franz Josef Strauß, Minister­präsident Alfons Goppel, der Vorsitzende der Bonner CSU-Landesgruppe, Richard Stücklen, der bayerische Minister für Bun­desangelegenheiten, Dr. Franz Heubl, und CSU-Generalsekretär Max Streibl teil.

Wie Barzel vor Pressevertretern erklärte, stand im Vordergrund die Finanzverfas­sungsreform. Er hoffe zuversichtlich, daß bei den noch auseinandergehenden Standpunk­ten zwischen Bund und Ländern ein Weg gefunden wird,der den kooperativen Föde­ralismus stärkt.

Süddeutschland bleibt in der westlichen Randzone des umfangreichen festländischen Hochdruckgebietes über Mitteleuropa, das sich bis Südskandinavien erstredet und nun auch Verbindung mit dem Hoch vor Portugal auf­nimmt. Während sich dabei in der Höhe im Südwesten Warmluft ausbreitet, bleibt in Bo­dennähe eine schwache Strömung aus Ost er­halten, so daß sich durch Zufuhr vom östlichen Mitteleuropa her eine flache Kaltluftschicht halten kann.

Samstag wechselnde Wolkenfelder, örtlich auch noch Nebel, niederschlagsfrei, schwache östliche Winde, Mittagstemperaturen nur teil­weise über null Grad, in mittleren Hochlagen anhaltender leichter Frost, in Hochlagen über 700 m bei heiterem Wetter wieder zunehmend milder und meist Temperaturen über null Grad. Sonntag keine Änderung. (Mitgeteilt vom Wetteramt Stuttgart).

Scheel hat erneut seine Überzeugung un­terstrichen, daß seine Partei in der Bundes­versammlung geschlossen für einen Kandi­daten stimmen werde. Er kündigte eine über 90prozentige Geschlossenheit der 84 FDP-Wahlmänner an. Das reiche aus, um den Ausschlag zu geben, wer der nächste Bundespräsident werde: der CDU-Kandidat Schröder oder der SPD-Kandidat Heine­mann. Auch diesmal gab Scheel jedoch nicht zu erkennen, für welchen der beiden Kandi­daten sich die Parteiführung einsetzen wird.

Scheel kam noch einmal auf seine kürzli- che Äußerung zurück, daß die FDP bei der Bundestagswahl nicht nur einen bescheide­nen Anteil der Macht, sondern die Macht selbst anstrebe. Diese Bemerkung solle nicht bedeuten, daß seine Partei die Mehrheit der Stimmen erringen müsse. Sie wolle sich nach der Wahl aber nicht an der Macht an­derer Parteien beteiligen, sondern selbst Macht ausüben. Es müsse deshalb ein Regie­rungspartner gefunden werden, der bereit sei, wesentliche Teile der FDP-Vorstellun- gen zu übernehmen. Sollte dies nicht mög­lich sein, würden die Freien Demokraten es vorziehen, in der Opposition zu bleiben.

Noch kein Nachfolger Rehwinkels

Bonn (AP). Der Deutsche Bauernverband soll nach dem bevorstehenden Rücktritt sei­nes derzeitigen Präsidenten, Edmund Reh­winkel, für eine Übergangszeit kollektiv ge­führt werden. Wie ein Sprecher mitteilte, hat das Präsidium gestern in Bonn die drei Vizepräsidenten Bernhard Bauknecht, Otto von Feury und Otto Andres mit der Füh­rung seiner Geschäfte betraut. Diese Rege­lung soll bis zur Wahl eines Nachfolgers für Rehwinkel gelten, dessen Rücktritt zu sei­nem 70. Geburtstag am 28. Januar damit endgültig ist. Ein Termin für die Wahl des neuen Bauernverbands-Präsidenten steht noch nicht fest.

. -Erstes Land des. Westens, nimmt

Stockholm (dpa). Die schwedische Re­gierung hat gestern Nordvietnam diploma­tisch anerkannt. Außenminister Torsten Nilsson wird den Beschluß seiner Regierung seinem nordvietnamesischen Kollegen Nguy- en Duy Trinh telegrafieren. Schweden ist damit das erste westliche Land, das diesen Schritt vollzogen hat.

Der Beschluß der schwedischen Regierung über die Aufnahme diplomatischer Bezie­hungen liegt auf der Linie der Entwicklung der Kontakte zwischen beiden Ländern. Die­se Kontakte haben jetzt in Zusammenhang mit den Plänen eines Beistandes für Viet­nam nach dem Kriege konkretere Formen angenommen. Damit hat sich das Bedürfnis nach offiziellen Verbindungen immer stärker geltend gemacht, schrieb der schwedische Außenminister seinem Kollegen in Hanoi.

Schweden unterhält seit drei Jahren inof­fizielle Kontakte mit der nordvietnamesi-

Die Freien Demokraten kündigten einen fairen Wahlkampf der Argumente an, der optisch durch einen klaren Schwarz-Weiß- Stil gekennzeichnet sei. Scheel sprach sich erneut für einen Verzicht der Parteien auf Wahlplakate aus, weil damit wenig sachliche Informationen vermittelt würden.

Die Freien Demokraten werden nach den Worten Scheels im Wahlkampf einer Aus­einandersetzung mit der rechtsradikalen NPD nicht ausweichen, sondern sie im Ge­genteil suchen. Alle Parteien müßten ge­meinsam in öffentlicher Auseinandersetzung ihre politischen Ziele erläutern und auf die­se Weise eine neue Art der Information für die Bevölkerung bieten.

Von unserem Berliner Korrespondenten

Berlin. Die Westalliierten zeigen keine Neigung, die Westberliner Flughäfen Tem­pelhof oder Tegel für die Lufthansa zu öff­nen. Eine entsprechende Forderung wurde von politischen Kreisen im Zusammenhang mit den deutsch-sowjetischen Verhandlun­gen über die Errichtung einer gemeinsamen Luftverbindung zwischen Frankfurt und Moskau erhoben. Wenn die sowjetische Aero- flot in Schönefeld zwischenlande, so sollte die Lufthansa in Westberlin zwischenlanden, heißt es, da sich sonst Schönefeld zu einem internationalen Flughafen entwickeln könn­te, während Tempelhof und TegelSack­bahnhöfe blieben.

Die Westalliierten sind gegen eine Freiga­be der Flughäfen für die Lufthansa, da die Luftkorridore auf Grund von Vereinbarun­gen zwischen den Siegermächten des zweiten Weltkrieges den Amerikanern, Briten und Franzosen Vorbehalten sind. Die Westalliier-

diplomatische Beziehungen auf

sehen Regierung. Der schwedische Botschaf­ter in Peking, Lennart Petri, hat nach einer Erklärung des schwedischen Außenministe­riums bei verschiedenen Gelegenheiten zuletzt im Dezember Hanoi besucht. Dar­über hinaus seien auf verschiedenen Ebenen Kontakte zwischen schwedischen und nord­vietnamesischen Vertretern unter ande­rem in Warschau gepflegt worden. Auch nordvietnamesische Repräsentanten hätten Stockholm besucht. Die Anerkennung wird technisch in der Form erfolgen, daß der schwedische Botschafter in Peking gleichzei­tig in Hanoi akkreditiert wird.

Die schwedische Regierung hat außerdem durch den persönlichen Sekretär des schwe­dischen Außenministers öberg, auch Kon­takte mit der südvietnamesischen Nationa­len Befreiungsfront NLF aufgenommen. Es wird vermutet, daß der Regierungswechsel in den USA ein entscheidender Beweggrund für diesen Beschluß gewesen ist.

CSSR verweigert Einreise

München (AP). Die tschechoslowakischen Grenzbehörden haben in den letzten beiden Tagen insgesamt elf Studenten aus der Bun­desrepublik, aus England, den Niederlanden und den USA die Einreise verweigert. Wie die bayerische Grenzpolizei gestern mitteilte, waren die jungen Leute trotz ordnungsge­mäßer Papiere am Übergang Rozvadov bei Waidhaus zurückgewiesen worden. Einigen von ihnen sei erklärt worden, die CSSR er­laube gegenwärtig keine Einreise von aus­ländischen Studenten. Nach Mitteilung des bayerischen Innenministeriums wurden ge­stern auch am Grenzübergang Furth im Wald drei weitere Studenten aus München von den tschechoslowakischen Behörden zu­rückgewiesen, obwohl sie ordnungsgemäße Einreisepapiere aufweisen konnten.

Studentenkrawalle in Tokio

Tokio (AP). Einen Tag nach Massenschlä­gereien zwischen rivalisierenden Studenten­gruppen in Tokio ist es gestern in der japa­nischen Hauptstadt erneut zu ernsten Zwi­schenfällen gekommen. Radikal linksgerich­tete Studenten, die eine Versammlung von 2 500 Kommilitonen im Stadion zu sprengen versuchten, lieferten sich mit etwa 3 000 Po­lizisten ein erbittertes Gefecht, das mit Schlagstöcken, Tränengas und Steinen aus­getragen wurde. Die Versammlung in dem Stadion diente dem Ziel, mit der Leitung der Universität Tokio Möglichkeiten zur Beendigung des seit einem Jahr andauern­den Vorlesungsstreiks zu erörtern.

ten befürchten offensichtlich, daß die So­wjets bei einer Freigabe der Luftkorridore für die Lufthansa die Vereinbarungen für hinfällig erklären und den drei Westmäch­ten nahelegen könnten, mit der DDR über ihre Luftverbindungen nach Berlin zu ver­handeln.

Politische Beobachter weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Verein­barungen bereits vor Jahren von den So­wjetsunterlaufen wurden. Moskau gestat­tete nämlich der polnischen Fluggesellschaft Lot auf der Route Warschau-Ostberlin- Brüssel die Luftkorridore zu passieren. Die Lot-Maschinen fliegen allerdings wesentlich höher als die von der alliierten Luftsicher­heitszentrale überwachten Passagiermaschi­nen der Westmächte.

Kurz gestreift

Das Ergebnis der Verhandlungen über den neuen Manteltarifvertrag für die 170 000 ge­werblichen Arbeitnehmer im grafischen Ge­werbe ist jetzt auch vom Bundesverband Druck gebilligt worden, wie die Gewerkschaft Druck und Papier gestern in Stuttgart mitteil­te.

In der deutschen Metallindustrie sind im vergangenen Jahr rund 210 000 Arbeitsstunden durch Streik ausgefallen. Das geht aus einer Übersicht hervor, die von der Industrie­gewerkschaft Metall in Frankfurt veröffent­licht wurde.

Der amerikanische Botschafter in der Bun­desrepublik, Henry Cabot Lodge, hat Bundes­außenminister Willy Brandt gestern im Aus­wärtigen Amt einen Abschiedsbesuch abgestat­tet. Lodge wird künftig die amerikanische Ver­handlungsdelegation bei den Pariser Vietnam- Gesprächen leiten.

Der jugoslawische Ministerpräsident Mika Spiljac ist gestern zu einem achttägigen offi­ziellen Frankreichbesuch in Paris eingetroffen. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Orly an der Spitze einer siebenköpfigen Regierungsde­legation wurde er von Premierminister Mauri­ce Couve de Murville begrüßt.

Der designierte US-Präsident Richard Nixon, der seinen 56. Geburtstag feierte, hat den 53jährigen Bud Wilkinson, der früher in Okla­homa als Football-Trainer und später als Sport­kommentator im Fernsehen tätig war, zu einem seiner Sonderberater ernannt.

Schweden anerkennt Nordvietnam

Berlin bleibt für Lufthansa gesperrt

Westalliierte wollen Tempelhof und Tegel nicht freigeben

Die drei Apollo-Astronauten Borman, Lovell und Anders, die an Weihnachten als erste Menschen mit ihrem Raumschiff den Mond umkreist haben, wurden im Weißen Haus von US-Präsident Johnson empfangen und mit der goldenen Verdienstmedaille der Weltraumbehörde NASA dekoriert. Gleich­zeitig wurde bekanntgegeben, daß die erste Landung von Menschen auf dem Mond für den Juli dieses Jahres vorgesehen ist. Hier­für wurden die Astronauten Armstrong, Collins und Aldrin ausgewählt, die die Be­satzung des Raumschiffes Apollo 11 bilden werden.

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Die Lage im Nahen Osten hat zu einer re­gen diplomatischen Tätigkeit geführt deren Initiative jetzt eindeutig bei den Sowjets und den Franzosen liegt. In Paris unterstützt man einen sowjetischenPaketplan, der zu einer Befriedung führen soll. Der Plan soll von den feindlichen Brüdern im ganzen an­genommen und dann schrittweise verwirk­licht werden. Vorgeschlagen wurde auch eineKonferenz der Blockfreien, die eben­falls nach einer Lösung suchen soll. Die ge­gen Israel gerichteten Angriffe wegen des Überfalls auf den libanesischen Flughafen Beirut haben Verteidigungsminister Mosche Dayan zu der entschiedenen Erklärung ver­anlaßt, daß sein Land das Recht auf Vergel­tungsmaßnahmen gegen die Länder in An­spruch nehme, von denen aus Partisanen operieren.

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Auf der Konferenz der 28 Commonwealth- Länder in London sah sich die Regie­rung Wilson wegen ihrer Rhodesien-Politik scharfen Angriffen der Afrika-Staaten aus­gesetzt. Die Afrikaner befürchten, Wilson werde von seiner Zusage, Rhodesien die Un­abhängigkeit erst nach der Verwirklichung einer Herrschaft durch die afrikanische Mehrheit zu geben, abweichen. Abgelehnt wurde einmütig die Anwendung von Waf­fengewalt gegen Rhodesien, dafür wurde eine Verschärfung der wirtschaftlichen Sanktionen gefordert.

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Die Hilfsflüge nach Biafra finden jetzt unter erschwerten Bedingungen statt, nach­dem Äquatorial-Guinea die Insel Fernando Pöo als Ausgangspunkt für die Flüge des Ro­ten Kreuzes mit der Begründung gesperrt hat, das Rote Kreuz habe auch Benzin trans­portiert, das teilweise für militärische Zwecke benutzt worden sei. Vom IRK wurde das bestritten. Die kirchlichen Hüfsflüge werden fortgesetzt, sie haben als Ausgangs­basis die portugiesische Insel Sao Thome.

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Nicht vom Fleck kommen die Vietnam- Verhandlungen in Paris, wo man sich immer noch um die Form des Verhandlungstisches streitet. Der kommende US-Präsident Rich­ard Nixon hat den bisherigen US-Bot- schafter in der Bundesrepublik, Henry Cab­ot Lodge, zum neuen Leiter der amerikani­schen Verhandlungsdelegation ernannt. In' Vietnam wird inzwischen weiter -ge­kämpft. Am Rande von Saigon gelang es Vietkong-Angehörigen, einen amerikani­schen Düsenjäger durch Gewehrschüsse so schwer zu beschädigen, daß dieser auf ein amerikanisches Lager stürzte. Zwei Soldaten und eine Zivilhelferin kamen dabei ums Le­ben.

Die Freien Demokraten haben anläßlich ihres traditionellen Dreikönigs-Treffens in Stuttgart mit einer Kundgebung den Wahl­kampf für die nächste Bundestagswahl eröffnet. Sie haben dabei erklärt, daß sie nicht mehr einen bescheidenen Anteil an der Macht, sondern die Macht selbst anstreben. Wenige Tage darauf hat auch die SPD er­klärt, sie wolle bei der Wahl die politische Führung erringen. Bei den Koalitionspartei­en besteht noch keine Einigkeit über den Wahltermin. Die CDU schlägt den 14. Sep­tember vor. Das ist der SPD zu früh, die am 12. Oktober wählen lassen will, um mehr Zeit für den Wahlkampf zu haben. mi.

FEUILLETON:

Ein Dichter scheitert an der Realität

Tankred DorstsToller nun im Kölner Schauspielhaus

Es begann im Kölner Schauspielhaus ähn­lich wie bei der Uraufführung im vorigen Jahre im Württembergischen Staatstheater. Die Räterepublik von 1919 ist in Bayern ausgerufen. Eine Gruppe von Arbeitern mit Gewehren und roter Fahne steht in ent­schlossener Haltung auf der Bühne. Die In­ternationale erklingt. Erster Beifall. Kurz darauf fällt das Wort vomekelhaftesten Gebilde der SPD. Der Beifall schwillt an, wird hektisch. Dem Zuschauer kommen Be­denken. Schon ist der Applaus aus der künstlerischen Sphäre ins politische Gleis der Gegenwart geraten. Wie wird das en­den?

Aber der Ausgang war eher konventionell. Im Verlaufe von knapp vier Theaterstunden beruhigten sich die Nerven sichtlich. Der Er­folg für das Stück blieb zurückhaltend, rei­cher fiel das Echo für die von Hansgünther Heyme hervorragend geführten Darsteller aus, der Regisseur selbst erhielt zum Schluß wieder sein obligates Buh. Die Revolution auf dem Theater, der Neubeginn des Lebens vor 50 Jahren nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches wollte nicht recht zünden.

Als Tankred Dorst sich vor Jahren ent­schloß, den Dichter Emst Toller selbst zur dichterischen Figur zu formen, schwebten ihm Parallelen zur Gegenwart vor. Toller, ein großer reiner Idealist, suchte durch Gewalt­losigkeit eine Erneuerung des Individuums und der bürgerlichen Moral herbeizuführen. Dem Autor ging es ursprünglich nicht um eine Darstellung der 28 Tage dauernden Rä­teherrschaft, sie war ihm nur notwendiger Rahmen für die Aufzeigung Tollers, der in ihr eine führende Rolle spielte. Die in Köln

«fiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiMifiMiiiimii

Zwillinge

Der englische Porträtist Alma Tadema wurde nach einem ausgiebigen Trunk von dem glückstrahlenden Vater vor eine Wiege mit Zwillingen geführt. Vorsichtig sagte der Porträtist:Welch ein entzückendes Kindt" (dpk)

aus 23 Bildern aufgebaute Szenenapparatur offenbart: Eine Revolution kann ihre In­itialzündung von einem geistigen Idealisten erhalten, durchgeführt werden muß sie aber von taktisch erfahrenen Realpolitikern. Dem Räteaufstand war das Scheitern von Anfang an auf der Stirn geschrieben.

Dorst durchbricht immer wieder den hi­storischen Ablauf, spiegelt die Geschichte in ihren Brechungen, gibt Querschnitte durch die Schichten des Volkes. Aus dem Gestern von 1919 bis 1939, dem Todesjahr Tollers, soll das Heute durchsichtig werden. Offen­sichtlich aber setzt diese Arbeitsmethode mehr Kenntnisse des politischen Lebens voraus als beim Publikum in der Tat vor­handen sind. Eine der makabersten Szenen steht mittendrin. Toller fällt durch Fürspra­che von Künstlern und Intelektuellen der Liquidierung der Revolutionsführer nicht zum Opfer. Er hält 1939 einen Vortrag über

Mit lang anhaltendem Beifall wurde die deutsche Erstaufführung von Ilja Hurniks OperDie Lady und die Gangster in Kiel gefeiert. Besonders der Komponist, der aus Prag zur Deutschland-Premiere seiner ersten Oper gekommen war, konnte am Schluß den herzlichen Applaus des Publikums entgegen­nehmen. Der 46jährige Tscheche ist bisher besonders durch Ballettmusiken, Orchester­werke und ein Oratorium in seinem Hei­matland bekannt geworden. Für den Hes­sischen Rundfunk hat er lange Zeit regel­mäßig ironisch-lustige Musikfeuilletons ge­schrieben.

ZuDer Lady und die Gangster, die 1966 in Pilsen uraufgeführt wurde, ist Hurnik durch den FilmLadykillers angeregt wor­den. Ihn reizte an dieser Filmkomödie der Kontrast zwischen der Stille in der Woh-

die Geschehnisse vor amerikanischen Da­men, die das wahrscheinlichvery nice fan­den.

Hansgünther Heyme entfaltete in der Art Piscators mit Projektionen auf drei Ebenen, mit Dokumentarbelegen von Filmen, von Zitaten und Reden über Lautsprecher einen außergewöhnlichen Aufwand. Die Spielbüh­ne selbst blieb wegen schneller Verände­rungen (Max Bignens) auf ein Mini-Format beschränkt. Auf diese Weise erhielten die großartig erarbeiteten Klein- und Intimsze­nen in Kabarettmanier oft ein nicht beab­sichtigtes Übergewicht

Schauspielerisch waren in diesem Stück, das das ganze Ensemble auf der Bühne ver­einigte, insbesondere die Räterevolutionäre mit Glück und Sorgfalt ausgewählt. Von rei­nem Wollen beseelt, aber mit wenig Erfah­rung belastet spielte Wolfgang Hinze die Ti­telfigur. Ein deutscher Jüngling, ähnlich dem Max Piccolomini. Überzeugendes Ge­wicht hatten der Eugen Levine, Redakteur derRoten Fahne (Karl-Heinz Pelser), der Dichter Erich Mühsam (Wolfgang Robert) und der Schriftsteller und Volksbildungsmi­nister in der Räteregierung Gustav Land­auer (Hans Schulze). Lg

nung der alten Frau und dem Lärm der Umwelt. Hurnik möchte, wie er ausdrück­lich betont, die klassischen Formen der Oper beibehalten, sie aber umfunktionieren. Die Musik wird gelegentlich naturalistisch und ahmt die Geräusche der Welt, in der wir le­ben, nach. Viele Zitate aus klassischen Opern sind in die im wesentlichen tonal gehaltene Partitur eingeschlossen. Sie erhält dadurch einen ironisch-spielerischen Zug und folgt stilistisch etwa der von Benjamin Britten imAlbert Herring eingeschlagenen Linie.

Friedrich Petzold übersteigert szenisch den liebenswürdigen Humor von Hurniks Werk bis ins Parodistisch-Groteske. Überaus farbig charakterisiert er die einzelnen Ty­pen. Horst Jägers mächtiges, die Bühne bis in ihre ganze Höhe und Tiefe nutzendes Bühnenbild zeigt ein ganzes Wohnhaus im

Querschnitt und dahinter die leuchtenden Signale einer Eisenbahnstrecke, die den Gangstern zum Verhängnis wird. Die mu­sikalische Leitung hat der junge vitale Di­rigent Klaus Waise, der der Partitur ge­meißelte Konturen, einen bewußt trockenen neoklassischen Klang und starke rhyth­mische Lebendigkeit gibt. Er wurde vom Publikum besonders gefeiert. Herrliche Ty­pen profilierter Sänger-Schauspieler stehen auf der Bühne: vor allem Viktor Lederer, Norberth Orth, Wilhelm Hruschka und Wolf­gang Bischof als Bilderbuch-Gangster, Inge- borg Helmreich als sanftmütige verkalkte alte Lady. Erich Lange I

Das Theater der Stadt Baden-Baden ist unter seinem neuen Intendanten Dr. Gün­ther Penzoldt besonders novitätenfreudig. Es brachte zum JahresendeCarpe diem oder Die Kunst, das Leben leicht zu nehmen, eine heitere musikalische Szenenfolge für die ausgelassene Jahreszeit aus älteren und neueren Texten zusammengestellt von Rolf Wilken.

Die Rahmenhandlung, die unter den StichwortenAntons Anfechtungen und Anton kommt unter die Leute lief, ver­flüchtigte sich immer mehr, je weiter der Abend fortschritt. Der Vater Anton Huber, der seine noch sehr junge Tochter Wally nicht ausgehen lassen wollte, erlebt beim Silvesterpunsch in Träumen und Visionen, was Mama Amanda und Tochter Wally alles anstellen könnten, mit den Männern natür­lich. Denn Sex ist, leider, das einzige Thema des Abends.

So reizvoll und amüsant einzelne Texte wie dieCirce von Friedrich Hollaender, das Hongkong-Lied von Joachim Ringelnatz, das französische ChansonAuf der Straße nach Dijon waren, dem Ganzen fehlte der Pfiff, jene Eleganz, die vieles wagen kann. Es waren zu viel der Heidengötter, der Jungfrauen und der Libertinisten, sogar der Volkslieder. Außerdem mangelte es den un­ter der szenischen Leitung von Claus Joer-

Publikumsverhöhnung

EinePublikumsverhöhnung inszenierte in Hannover der junge österreichische Autor Peter Handke, der während der Hochschul­woche der tschechischen Universität zu einer Dichterlesung eingeladen worden war. Von Beatmusik, Gospelsongs und verjazzten Spi­rituals, aber auch klassischer Klaviermusik aus Lautsprechern begleitet, ließ Handke Papierfetzen, Formulare, Filmprogramme und beschriftete Zettel, die er sich aus dem Publikum reichen ließ, auf die große Lein- I wand des Auditoriums projizieren. (dpa)

ge£ Günther Penzoldt und Rolf Wilken in dem Bühnenbild von Timm Zorn sehr be­mühten Schauspielern nicht nur an der Fä­higkeit des Singen-Könnens, sondern auch an der szenischen Präzision. Suzanne Geyer allerdings war eine echte Diseuse, mit Aus­strahlung und Genauigkeit. Die musikali­sche Einstudierung hatte Karl Nagel besorgt. Es gab zum Schluß neben freundlichem Bei- Beifall auch einige Buhrufe. H. D.

K ulturnachrichten

Eine Hans-Hartung-Ausstel- lung eröffnete der französische Kulturmi­nister Andre Malraux im Nationalen Mu­seum für moderne Kunst in Paris. Der aus Deutschland gebürtige Maler Hans Hartung, der 1945 die französische Staatsbürgerschaft erwarb, stellt bis zum 24. Januar 152 Werke aus.

Der Schriftsteller und Historiker Sieg­fried Thalheimer vollendete am 10. Januar sein 70. Lebensjahr. Der in Düssel­dorf geborene Historiker, der in Würzburg, Bonn und Heidelberg Philosophie, Romani­stik und Geschichte studierte, hat in seinem WerkMacht und Gerechtigkeit den Fall Dreyfus aus ganz neuer Sicht behandelt

Ladykillers" gaben die Anregung

Tschechische OperDie Lady und die Gangster in Kiel erstaufgeführt

Novitätenfreudiges Baden-Baden

Carpe diem oder die Kunst, das Leben leicht zu nehmen