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Politik

Freitag, 10. Januar 1969

SPD: Bundestagswahl am 12. Oktober

CDU will die Wahl am 14. September stattfinden lassen

Von unserer Bonner Redaktion

Bonn. Die SPD will bei der kommenden Bundestagswahl die politische Führung in der Bundesrepublik erringen. Ihr Bundesgeschäftsführer Wischnewski erklärte ge­stern, dies sei notwendig, um die bisherige Politik in Bonn konsequenter fortsetzen zu können. Mit großer Zuversicht kündigte Wischnewski vor der Presse an, die SPD wer­de im Wahlkampf die Unterschiede zwischen den jetzigen beiden Regierungsparteien so deutlich wie möglich machen.

Minister und ihre Pensionen

(Fortsetzung von Seite 1)

sind einen Schritt über den Regierungsent­wurf hinausgegangen. Sie wünschen, daß bei einem Minister, der bei seinem Ausscheiden aus dem Amt 60 Jahre alt ist, schon eine Amtszeit von drei Jahren genügen soll, um einen Pensionanspruch zu erwerben. Diese Drei-Jahres-Frist soll außerdem um drei Monate unterschritten werden können. Dies wäre eine Regelung, wie sie in jeder Gesetz­gebung vermieden werden sollte. Denn es ist offensichtlich, daß sie allein auf die Mit­glieder der Regierung der Großen Koalition abgestellt ist, die im Dezember 1966 ihr Amt angetreten haben und bei ihrem Rücktritt im Herbst 1969 genau die zwei Jahre und neun Monate hinter sich gebracht haben werden, die das Gesetz verlangt Jedermann im Bundestag weiß, daß die Regel allein für Herbert Wehner und Frau Käte Strobel gel­ten würde. Gesetze sind aber nicht dazu da, für Einzelpersonen, wie verdient sie auch sein mögen, zu sorgen. Sie sollten nichts als allgemeine Regeln enthalten.

Außerdem ist nun im Bundestag ein Streit darüber entbrannt ob ein Minister, der zu­gleich dem Bundestag angehört (was in der Regel der Fall ist), sowohl die Minister- als auch die Abgeordnetenpension erhalten soll. Eine Reihe von Abgeordneten aller Fraktio­nen laufen gegen diese Kumulierung der Pensionen Sturm, angeführt von dem Vor­sitzenden des Innen-Ausschusses, Schmitt- Vockenhausen. Sie haben recht. Die Politi­ker sollten den Eindruck vermeiden, daß sie sich an dem beliebten Spiel so vieler Ver­bände beteiligen, aus der Staatskasse so viel herauszuschlagen, wie irgend möglich. Zu­mindest sollte die Ministerpension in den Fällen, in denen die Abgeordnetenpension hinzutritt, um einen beachtlichen Prozent­satz gekürzt werden. Die Ersparnis würde zwar nicht finanziell zu Buch schlagen, wohl aber politisch.

Freiburg (dpa). Eine modernere Ausbil­dung für die Beamten und eine Modernisie­rung von Regierung und Verwaltung hat ge­stern Bundesinnenminister Ernst Benda ge­fordert. Zum Auftakt der 11. beamtenpoliti­schen Arbeitstagung des Deutschen Beam­tenbundes (DBB) erklärte der Minister auf der Bühlerhöhe (Baden), daß es von der Lösung dieser Fragen entscheidend abhänge, ob wir in näherer Zukunft mit Recht be­haupten können, eine zukunftsbezogene Po­litik zu betreiben. Zu den zu lösenden Auf­gaben gehöre auch die Reform des öffentli­chen Dienstes.

Nach Auffassung des Innenministers wird es in Zukunft keinen einheitlichen Beamten­typ als Berufsbild mehr geben. Daher müß­ten auch die Ämter der einzelnen Laufbah­nen stärker an die im Einzelfall gegebene Organisation und an die besonderen Aufga-

Mitteleuropa verbleibt weiterhin im Bereich einer schwachen Hochdruckzone. Unter ihrem Einfluß hält auch bei uns das ruhige und zu­nächst noch störungsfreie, in den Niederungen mäßig kalte Wettet an.

Freitag außerhalb der vor allem in Flußtä­lern auftretenden Nebel- oder Hochnebelfelder heiter und in Hochlagen sehr gute Fernsicht. Tageshöchsttemperaturen in den Niederungen um oder einige Grad über null Grad. In Ne­belgebieten auch tagsüber leichter Frost. Auf den Bergen fortschreitende Milderung. Schwa­che Winde aus Ost bis Süd. Nachts Frost zwi­schen minus drei und minus acht Grad. Sams­tag im ganzen wolkiger, aber tagsüber voraus­sichtlich noch niederschlagsfrei. Wenig geän­derte Temperaturen. (Mitgeteilt vom Wetter­amt Stuttgart).

Wischnewski kündigte eine Kabinettsent­scheidung in absehbarer Zeit über den Wahltermin an. Die CDU wünsche den 14. September als Wahltag, die SPD habe den 12. Oktober vorgeschlagen. Den späteren Termin begründete er mit dem Wunsch nach ausreichender Zeit für den Wahlkampf. Der 14. September sei außerdem ungünstig, weil in einigen Ländern die Sommerferien an diesen Zeitpunkt heranreichten.

Wischnewski sprach die Hoffnung aus, daß dieVerteufelung, die in früheren Wahl­kämpfen betrieben worden sei, diesmal un­terbleiben würde. Seine Partei sei nicht an einem vorzeitigen Beginn des Wahlkampfes interessiert. Bis zur ersten Juli-Woche habe das Parlament noch entscheidende Probleme wie die Finanzreform, die Strafrechtsreform, die Frage der Lohnfortzahlung für Arbeiter und einige Punkte des Leber-Planes zu lö­sen.

Zu der Frage eines Wahlkampf-Abkom­mens zwischen den Parteien meinte Wisch­newski, es sollten nur Dinge vereinbart wer­den, die auch auszuführen seien. Dazu müß­ten Fragen der Fairneß und der Plakatie- rung gehören. Von einer Vereinbarung über

ben angepaßt werden. Der Beamte von heu­te müsse bei einer soliden Allgemeinbildung die Fähigkeit erwerben, die Techniken sei­ner jeweiligen Tätigkeit zu beherrschen. Den Reformmaßnahmen im öffentlichen Dienst müsse allerdings die Verwaltungsreform vorangehen. Es sei notwendig, die gesamte Verwaltungsorganisation zu überprüfen und klare Zuständigkeitsbereiche zu schaffen.

In den Beratungen nahm die Zukunftsfor­schung einen breiten Raum ein. Dabei stellte Dr. Robert Jungk (Berlin) fest, angewandte Zukunftsforschung verlange neue Institutio­nen, da die alten Einrichtungen kaum im­stande seien, zukunftsorientierte Informa­tionen und Alternativen zu formulieren. Prof. Dr. Ralf Dahrendorf sprach sich für eine zukunftsbezogene Politik aus, die ihre Ziele klar formuliere und auch durchsetzen müsse. Dies setze allerdings eine zielbewußte politische Führung voraus, die wiederum streng kontrolliert werden müsse.

Mehr Förderung des Sports

Bonn (AP). Eine verstärkte staatliche För­derung des Sports in der Bundesrepublik hat die FDP gefordert. In ihrem gestern in Bonn veröffentlichtenAktionsprogramm 69 betont die Partei, für die weitere Ent­wicklung des Sportes und der Leibesübun­gen in der Bundesrepublik sei der Erlaß von Sportförderungsgesetzen des Bundes und der Länder unumgänglich. Damit solle ein kompetenzmäßig klar abgegrenzter und sportgerechter Verwaltungsaufbau auf allen staatlichen und kommunalen Ebenen vorge­nommen werden. Außerdem solle ein lang­fristiges Finanzierungsprogramm zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und dem Deut­schen Sportbund (DSB) in Form vonolym­pischen Vierjahresplänen aufgestellt wer­den.

eine Begrenzung der Wahlkampf-Ausgaben halte er nichts.

Die SPD will sich im Wahlkampf auf drei Schwerpunkte konzentrieren:

1. Bestandsaufnahme der Situation im Herbst 1966. Dabei soll an den Satz aus der Regierungserklärung Kiesingers erinnert werden, die Große Koalition seidas Ergeb­nis einer langen und schweren Krise.

2. Ein Leistungsbericht der SPD-Minister und der SPD-Bundestagsfraktion. Es soll herausgestellt werden, in welchen Fragen

Hamburg (dpa). Vier Wochen vor den Be­ratungen des Bundesrates über die Finanz­reform, deren Verabschiedung eines der gro­ßen Ziele bei der Bildung der Großen Koali­tion war, rüsten sich Befürworter und Geg­ner dieses Gesetzeswerkes für die letzte Runde.

Die Bemühungen der Sozialdemokraten um ein Zustandekommen der Finanzreform noch in dieser Legislaturperiode gipfeln in einer Konferenz, zu der die sozialdemokrati­schen Ministerpräsidenten der Länder vom Parteivorstand noch in diesem Monat nach

Mordgehilfen werden weiterhin verfolgt

Bonn (dpa). Bundesjustizminister Gustav Heinemann hat klargestellt, daß sogenannte Schreibtischtäter auch weiterhin verfolgt werden. In einer von seinem Ministerium gestern herausgegebenen Erklärung wider­sprach Heinemann der Auffassung, daß nach der Neufassung des Paragraphen 50 Absatz zwei des Strafgesetzbuches Mordgehilfen an NS-Taten wegen Verjährung nicht mehr verfolgt werden können.

Nach dieser Neuregelung werden Tatge­hilfen milder als der Haupttäter bestraft, wenn bei ihnen die besonderen persönlichen Merkmale, die die Strafbarkeit des Täters begründen, fehlen. Dieser obligatorische Strafmilderungsgrund gelte aber nicht beim Fehlen von tatbezogenen Merkmalen, mein­te Heinemann.

Revision gegen Nerling-Urteil

Lübeck (dpa). Die Lübecker Staatsanwalt­schaft hat gegen den Freispruch des Lü­becker Schwurgerichts im Judenmord-Pro­zeß gegen den 53 Jahre alten ehemaligen SS-Unterscharführer Daniel Nerling aus Ahrensburg (Kreis Stormarn) Revision ein­gelegt. Dies teilte die Pressestelle gestern auf Anfrage mit. Nerling war am Dienstag nach dreimonatiger Verhandlung von der Anklage des vierfachen Judenmordes freige­sprochen worden.

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Mor­des in einem Falle eine lebenslängliche Zuchthausstrafe gegen Nerling beantragt. Sie hatte es für erwiesen angesehen, daß der Angeklagte im Jahre 1941 als Betriebsleiter eines SS-Gutes in Grzymalow in Galizien den Juden Saß Kohn aus niedrigen Beweg­gründen erschossen hatte.

die Partei eine andere Haltung eingenom­men hätte, wenn sie allein hätte bestimmen können.

3. Darstellungen eines politischen Zu­kunftsprogramms. In Kürze soll ein Ver­gleich zwischen den Zielen der einzelnen Parteien vorgelegt werden.

Keine Veröffentlichung über Kiesingers NS-Vergangenheit

Bonn (AP). Allem Anschein nach ist nicht an die Veröffentlichung einer amtlichen Do­kumentation über die politische Vergangen­heit von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesin- ger in der NS-Zeit gedacht.

Kiesinger, der der NSDAP angehörte und während des Krieges zuletzt als stellvertre­tender Leiter der rundfunkpolitischen Ab­teilung in Hitlers Außenministerium gear­beitet hatte, ist wegen seiner Haltung in der nationalsozialistischen Zeit wiederholt im In- und Ausland angegriffen worden. Dar­aufhin wurden Zeitgeschichtler beauftragt, eine Dokumentation über das Verhalten Kiesingers zu erarbeiten. Regierungssprecher Ahlers sagte, diese Arbeiten lägen noch nicht vor. Aber es gebe keinerlei Anzeichen dafür, daß die Dokumentation über Kiesinger ver­öffentlicht werde.

Bonn eingeladen werden sollen. Zweck die­ses Treffens dürfte eine Einigung zwischen der SPD-Bundestagsfraktion und den Mini­sterpräsidenten aller sozialdemokratisch re­gierten Bundesländer über noch strittige Fragen der künftigen finanziellen Beziehun­gen zwischen Bund und Ländern sein.

Wie in Bonn gestern zu hören war, stre­ben Präsidium und Vorstand der Partei an, auf der Grundlage der Parteitagsbeschlüsse von Nürnberg zu einer Übereinkunft zu ge­langen, die die Selbständigkeit der Länder nicht mindert, die Finanzkraft aller Länder ausreichend stärkt und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ge­währleistet.

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) bejaht trotz einiger Kritik den vom Parlament verabschiedeten Entwurf, wenn er ohne Einbußen im weiteren Gesetzge­bungsgang verwirklicht werden kann. Kriti­siert wird, daß die vom Plenum verabschie­dete Fassung die ursprünglich in die Reform gesetzten Erwartungen nicht mehr erfülle.

Nach wie vor unzufrieden mit dem Geset­zeswerk ist der Deutsche Städtetag, der ge­stern in Bonn seine Kritik an der Finanzre­form wiederholte.

Kurz gestreift

Zwischen Bonn und Paris ist für den kom­menden Montag eine neue deutsch-französische Konsultation vereinbart worden, in deren Mit­telpunkt wirtschaftspolitische Fragen stehen werden. .

In Berlin findet vom 8. bis 10. Mai der dritte internationale Richter-Kongreß derUnion in­ternationale des magistrats.statt,

Die französische Garnison in Koblenz wird aufgelöst, der Sitz des zweiten französischen Korps dabei von Koblenz nach Baden-Baden verlegt.

Bei einem Autounfall nahe der Stadt Orbais ist der belgische Ministerpräsident Merlot schwer verletzt worden.

Hingerichtet wurde in Polen der wegen Spionage für den britischen Geheimdienst im Juni vorigen Jahres zum Tode verurteilte 28jährige Pole Adam Kaczmarzyk.

In Hodeida am Roten Meer, der Hafenstadt des Jemen, sind der sowjetische Raketenkreu­zerAdmiral Fokin und der Zerstörer Wodchnowenny zu einem viertägigen Besuch eingetroffen.

Zu einem Sitzstreik haben sich 14 Ehefrauen nordspanischer Bergarbeiter in der Kathedrale von Oviedo niedergelassen, um ihre Männer in ihrem Arbeitskampf zu unterstützen.

US-Präsident Johnson wurde vom New Yor­ker Schiffsreeder-Verband auf gefordert, im Hafenarbeiterstreik an der amerikanischen Ostküste zu intervenieren.

Der Beamte muß wendiger werden

Benda fordert modernere Ausbildung / Verwaltungsreform vordringlich

Finanzreform vor letzter Hürde

SPD drängt auf rasche Verabschiedung / DIHT hat Bedenken

Sirhans Geheimnis

Viele Amerikaner glauben nicht an die Theorie, daß der Mörder des zweiten Ken­nedy ein Einzelgänger war. Weder der Warren-Report noch spätere Untersuchungen konnten eine nicht unbeträchtliche Zahl von US-Bürgern davon überzeugen, daß John F. Kennedy keinem Komplott zum Opfer ge­fallen ist. Die Ermordung Robert Kennedys stützt gefühlsmäßig diese These, denn an zuviel Zufall glauben die nüchternen Ameri­kaner nicht. Das Gericht, das jetzt gegen den Attentäter Sirhan verhandeln soll, wird also auch darüber befinden müssen, ob des­sen Tat ein Folgeverbrechen war, inspiriert durch die Ermordung des Präsidenten.

Die Hysterie, mit der man solche Spuren verfolgt, zeigte sich unlängst bei der Ver­haftung angeblicher Nixon-Attentäter. Der Fall wird inzwischen wieder aus dem ameri­kanischen Bewußtsein gerückt, aber schon läßt der politische Aufstieg des dritten Kennedy-Bruders dem man die Anwart­schaft auf die nächste Präsidentschaft zu­spricht die alten Gerüchte Wiederaufleben: Gibt es in den USA eine Gang, die sich die Ausschaltung der Kennedys aus dem poli­tischen Leben Amerikas zum Ziel gesetzt hat, und gehörte Sirhan ihr an? Wo die An­hänger Kennedys von solchen Dingen reden, bleibt natürlich die zusätzliche Gefährdung Edward Kennedys nicht aus.

Vielleicht entpuppt sich in diesem Prozeß zu guter Letzt die Mordkette als Ausdruck ei­ner Psychose, die zwei so gleichartige und dem Bild des harten amerikanischen Berufspoli­tikers widersprechende Persönlichkeiten zum Symbol übersteigerter Verehrung oder Feind­schaft machte. Sirhan hätte sich im letzten Wahlkampf andere Opfer suchen können, deren Tod nicht weniger spektakulär ge­wesen wäre. Das aber scheint die wahre Ver­schwörung gegen die Kennedys gewesen zu sein: Sie forderten zu sehr die ungeteilte Sympathie oder den Haß der Andersdenken­den heraus. R. j-l.

Bundesgeprüfte Moral

Eine Sittengeschichte der Neuzeit auf modernstem Stand hält dieBundesprüf­stelle für jugendgefährdende Schriften mit ihrem jeweiligen Verzeichnis inkriminierter Schriften, Schallplatten und Filme. Den Bund kommt die Geschichte teuer zu stehen, in diesem Jahr fast eine Viertelmillion Mark. So achtenswert aber die Tätigkeit der Prüf­stelle auch sein mag, für die Exekutive kommt sie meist zu spät: Die von Skandina­vien auf die Bundesrepublik herabge­schwemmte Flut von Pornographie wird von ihr erst entdeckt, wenn sie schon wieder vergriffen ist. Und was früher zum Verfof- gungsbereich der Dienststelle gehörte, wird längst vonhärteren Sachen in den Schat­ten gestellt.

Im Bundestag überlegt man daher, ob nicht für 1970 die undankbare Arbeit aufge­geben werden sollte. Dennwas nutzt das Registrieren, wo das Verbieten doch zu spät kommt? Der Bund, der auf Wiedererlangung dieser Haushaltsmittel durch . Geldstrafen hofft, sieht sich getäuscht: Keine tausend Mark fließen in die Kassen zurück, dafür entsteht mit den sorgfältig geführten Ver­botsverzeichnissen der Bonner Bundesprüf­stelle die wahrscheinlich umfassendste Regi­stratur skandinavischen Pornoschaffens.

Es soll Leute geben, die nach dieser Liste bestellen, was ihnen vielleicht entgangen sein könnte. Der Gesetzgeber ist verzwei­felt: Soll er unter dem Deckmantel der Zollkontrolle eine umfassende Zensur al­ler Sendungen aus Dänemark und Schweden veranlassen, oder soll er kurzerhand vor die­ser seltsamenSex-Welle kapitulieren? Et­liche Abgeordnete sind dafür. Ihr Argument: Was die Bundesprüfstelle noch vor zehn Jahren indizierte, steht heute in jeder Illu­strierten, für Jugendliche zugänglich. Die Zeit läuft gegen die bundesgeprüfte Moral.

P. H.

FEUILLETON:

Angst und Liebe , Eifersucht und Tod

Das druckgraphische Werk Edvard Munchs in einer Ausstellung in München

Edvard Munch:Zwei Menschen, 1895. Radierung. Kalte Nadel (Foto: Dr. Lehmann)

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Ballett ohne Titel in Bremen uraufgeführf

Musik von Manfred Niehaus, dem ehemaligen Dramaturgen von Esslingen

Merkwüdig, Edvard Munch schuf seine Ölbilder nicht nach vorangegangenen gra­phischen Arbeiten, sondern er machte es umgekehrt. Die großen Themen seiner Bil­der Tod, Liebe, Empfängnis, Jugend, Al­ter, Vergänglichkeit, Angst, Einsamkeit kehren wieder in seinen technisch unglaub­lich variablen graphischen Arbeiten. Als der Künstler 1944 starb, vermachte er seinen ge­samten Nachlaß, darunter 10 000 Exemplare seines etwa 800 Nummern aufweisenden druckgraphischen Werkes, seiner Heimat­stadt Oslo, die 1963 ein großangelegtes Munch- Museum aufbaute. Von hier sind nun etwa hundert Arbeiten, vermehrt durch einige Blätter der Münchner Staatlichen Graphi­schen Sammlung und aus Privatbesitz, zu einer imponierenden Ausstellung zusam­mengeschlossen worden, die in den Räumen der Staatlichen Graphischen Sammlung München bis zum 12. Januar zu sehen ist.

Seine Bilder und Graphiken beleuchten schmerzhaft das Abgründige und Irrationale im Wesen des Menschen. Seine formale Umsetzung psychologischer Zustände stieß vom Thema und der Darstellung her lange Zeit auf heftigen moralischen Widerstand. So haben seine zahlreichen Madonnenbüder und -blätter nur den frommen Namen aus der Kunstgeschichte übernommen, den der Direktor der Osloer Nationalgalerie wählte, um sie den Geldverwaltem vorlegen zu kön­nen. In Wirklichkeit stellen sie einen sehr erotischen weiblichen Halbakt dar. DieMa-

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Vollbart

Caspar David Friedrich war Melancholi­ker. Seine Menschenscheu und Weltabge- wandtheit drückte sich auch in seinem im­mer größer werdenden Vollbart aus. Da sag­te sein Freund, der Akademieprofessor Fer­dinand Hartmann:Wer Friedrich noch ein­mal sehen will, der muß sich beeilen, da er nächstens ganz zugewachsen sein wird.

(dpk)

donna von 1895/1902 ist eine Darstellung der Empfängnis. Naturwissenschaftliche Symbole am Bildrand stilisierte Sperma­zellen und ein Embryo stellen das sehr direkt und wieder enterotisierend dar.

Bis zu seiner großen Nervenkrise 1908 rei­ste Munch in Europa umher, umgeben von Angst, Einsamkeit, Liebe, Eifersucht und Bedrängnissen aller Art, die sich in seinen quälend eindrucksvollen Blättern nieder- schlagen.

Nachdem Munch im Nervenkrankenhaus Kopenhagen wiederhergestellt war, wandte er sich vom Düsteren, bohrend Psychologi- sierenden ab und der Landschaft, den an­onymeren Dingen des Lebens zu. Auch die Graphik trat in den Hintergrund. Einzig dem Holzschnitt blieb er bis in sein Todes­jahr treu.

1863 als Sohn eines Arztes geboren, in jungen Jahren mit einem Paris-Stipendium ausgestattet, schloß er sich zunächst dort den Impressionisten an, fand aber sehr bald sei­nen eigenen Stil und in der Graphik die verschiedensten, kühnsten technischen Mög­lichkeiten. Noch zu Lebzeiten hat er interna­tionale Anerkennung gefunden, konnte sich in Ekely bei Oslo ein angenehmes Landgut kaufen und lebte dort ohne eheliche Bin­dung, unglaublich produktiv, bis ein Herz­schlag seinem Leben ein Ende setzte. Seine Bilder, seine Druckgraphik sind ohne Aus­nahme Bruchstücke einer großen Konfes­sion. Für ihn fügten sich eine Menge von ih­nen zu einem Gesamtzyklus, demLebens­fries, zusammen, an dem er mehr als drei Jahrzehnte arbeitete. Aber er hat nie ein ge­meinsames Dach für die Bilder desLebens­frieses gefunden. Sie wurden später ver­streut. Doch die Themen wiederholen sich in seinem druckgraphischen Werk, und so ist derLebensfries, wenn auch in anderer Technik, doch zusammenzufügen. Die Münchner Ausstellung gibt mit Kataloghin­weisen auch dazu die Möglichkeit.

H. Lehmann

Ein Ballett ohne Titel ist im Bremer Theater am Goetheplatz im Rahmen eines Ballettprogramms erfolgreich uraufgeführt worden. Hans Kresnik, der die Choreogra­phie schrieb und inszenierte, stellte sich da­mit zugleich als neuer Ballettmeister in der Hansestadt vor. Er gibt eine Interpretation der Technik, die die moderne Welt be­herrscht und von der auch der Mensch, der sie entwickelt hat, besessen ist und bestimmt wird.

Kresnik findet dabei tänzerische Aus­drucksformen, die mit konventioneller Cho­reographie nichts mehr zu tun haben. Sie sind der lebensbestimmenden Gegenwart adäquat. In dieser Choreographie ist alles enthalten: Computer, Maschinen, Spulen, Förderbänder, Stromstöße aber auch Menschen. Nicht ohne Witz wird deutlich,

daß der Mensch der ganzen Technik einen Fußtritt geben kann wenn er will.

Die von Manfred Niehaus, dem ehemali­gen Dramaturgen und Regisseur der Würt- tembergischen Landesbühne Esslingen, kom­ponierte Musik wird von ihm selbst als drei­teilige Großform bezeichnet, in der zwei hek­tisch bewegte Improvisationen einen kon­templativen Mittelteil umschließen. Die in­strumentalen Klänge werdendurch zuneh­mende elektronische Manipulation gestei­gert. Das in sich geschlossene Stück wirkt überzeugend und nachhaltig. Es wurde vom Publikum mit starkem Beifall und verein­zelten Bravo-Rufen aufgenommen. Unter der Leitung Helmut Wüsts spielte das Phil­harmonische Staatsorchester.

Dietrich Wieland

Axel Eggebrecht wird 70

Der Schriftsteller Axel Eggebrecht, Ham­burg, wird am 10. Januar 70 Jahre alt. Von 1945 bis 1949 Abteilungsleiter beim damali­gen Nordwestdeutschen Rundfunk, machte Eggebrecht sich sowohl als Buch- und Hör­spielautor (General Josua,Der Falsch­spieler) wie auch als Verfasser und Spre­cher zeitkritisch-politischer und literaturkri­tischer Kommentare einen Namen. Aus sei­ner Feder stammen überdies die Drehbücher zu bekannten Filmen der Vor- und Nach­kriegszeit (Rittmeister Wronski,Strese- mann). Der Autor, der Mitglied des PEN- Zentrums der Bundesrepublik ist, arbeitete auch für das Fernsehen. (dpa)

Wandelkonzert

Ein seltsames Konzert fand in der Akade­mie der Künste Berlin anläßlich der 50. Aufführung der vom SFB und Westdeut­schen Rundfunk veranstalteten Konzertreihe Musik der Gegenwart statt. Zu Gast weil­te das 17köpfige Ensemble Hudba Dneska aus Bratislava (Preßburg), das schon 1967 bei den internationalen Ferienkursen für neue Musik in Darmstadt von sich reden ge­macht hatte.

Die Eigenart dieses dreistündigenWan- delkonzertes bestand darin, daß die Musi­ker im Foyer, in den Garderobenräumen, auf der Treppe, in den Clubräumen und im Obergeschoß der Akademie verteilt saßen und mittels eines besonderen Synchronisa­tionssystems über Kopfhörer von einer Kommandozentrale aus gelenkt wurden, an der der Dirigent Ladislav Kupkovic die aku­stischen Einsatzsignale gab. Die Besucher spazierten rauchend, trinkend und sich un­terhaltend zwischen den Räumen und den Musikern umher. Die Vortragsfolge aus Ori­ginalkompositionen, Intermezzi und soge­nanntenpräparierten Texten das sind Filterauszüge aus traditionellen Werken der Vergangenheit erklang teilweise gleich­zeitig in den verschiedenen Akademieräu­men. (dpa)