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Politik

Dienstag, 7. Januar 1969

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ZU SCHWEREN ZWISCHENFÄLLEN kam es am Wochenende während eines Bür- I ten, die sie mit einem Steinhagel (unser Bild) empfingen. Schwere Vorwürfe machten gerrechtsmarsches der katholischen Minderheit in Nordirland bei Londonderry. Der die Katholiken der Polizei wegen ihres scharfen und einseitigen Vorgehens. Die Re- Studentenmarsch der Bürgerrechtler geriet dabei in einen Hinterhalt der Protestan- | gierung hat eine Untersuchung eingeleitet. (AP-Photofax)

BlutigerKonfessionskrieg in Nordirland: 177 Verletzte

2,4 Mill. DM Sachschaden / Straßenschlacht Protestanten gegen Katholiken

L o n d o n d e r r y/Nordirland (dpa/AP). Die Zusammenstöße zwischen katholischen Bürgerrechtlem und protestantischen Extremisten vom vergangenen Wochenende in Nordirland waren die dort bisher heftigsten: Nach offiziellen Angaben wurden dabei 177 Menschen, davon 74 Polizisten, verletzt. Der angerichtete Schaden wurde auf 250 000 Pfund Sterling (2,4 Millionen Mark) geschätzt.

Kurz gestreift

Eine Erhöhung der gegenwärtig 36 Pfennig pro Doppelkilomoter betragenden Kilometer­geldpauschale für Fahrten zur Arbeitsstelle wird vom Bundesfinanzministerium als eine Art Wahlgeschenk betrachtet und daher abge­lehnt.

Der 35jährige Bundeswehrmajor Rolf Schiller vom Luftwaffenamt im Fliegerhorst Wahn ist gestern tot in seinem möblierten Zimmer in Porz-Grengel aufgefunden worden. Er hat sich vermutlich mit Schlafmitteln das Leben ge­nommen. Ein Sprecher des Bundesverteidi­gungsministeriums erklärte, daß im Augenblick kein Spionageverdacht bestehe.

Protestiert hat die Bundesregierung in Prag gegen die Grenzverletzung durch CSSR-Solda- ten im Landkreis Tirschenreuth (Oberpfalz). CSSR-Grenzoffiziere haben sich bereits ent­schuldigt, daßübereifrige junge Soldaten die Grenze bei der Verfolgung von Flüchtlingen etwa 600 Meter tief überschritten hatten.

Die griechische Regierung will angeblich nicht die Auslieferung des Luftpiraten Fla- mourides beantragen, der in der vergangenen Woche ein griechisches Passagierflugzeug nach Kairo entführt hatte.

Pierre Werner wurde am Wochenende von Öroßherzog Jean von Luxemburg mit der Bil­dung einer neuen christlich-sozialen Regierung beauftragt.

Eine Masern-Epidemie ist in Biafra ausge­brochen. Die internationalen Hilfsorganisatio­nen haben die Massenimpfungen mehrerer hunderttausend Kinder eingeleitet.

Umgeworfen und angezündet haben gestern Studenten der Technischen Universität in An­kara den Wagen des US-Botschafters Korner, während er einer Einladung des Rektors dieser Universität nachkam.

92 Millionen Mark hat offiziell der Wahl­kampf gekostet, mit dem Richard Nixon neuer Präsident der USA wurde. Das Geld wurde durch Spenden eingenommen.

Süddeutschland bleibt in der westlichen Randzone eines umfangreiches Hochs über Rußland. Unter dem Einfluß einer Tiefdruck­zone über der Biskaya und dem Ostatlantik wird dabei in der Höhe allmählich etwas mil­dere Luft aus Südwesten herangeführt, die al­lerdings die bodennahen Kaltluftreste noch nicht ganz beseitigen kann.

Dienstag niederschlagsfrei, in den höheren Lagen leicht bewölkt oder heiter, und z. T. schon Temperaturen über null Grad, in den Niederungen dunstig, örtlich auch Nebel- oder Hochnebelfelder und Höchsttemperaturen nur örtlich über null Grad. Nachts immer noch mäßiger Frost. Schwache Winde um Ost. Mitt­woch noch weitere leichte Milderung, zeitweise wolkiger, aber kaum wesentlicher Nieder­schlag. (Mitgeteilt vom Wetteramt Stuttgart).

Die Unruhen erreichten ihren Höhepunkt, als ein Demonstrationszug junger Katholi­ken nach viertägigem Fußmarsch in der Stadt Londonderry eintraf, um dort seine Solidarität mit obdachlosen Bürgerrechtlern zum Ausdruck zu bringen. Die Marschierer wurden am Stadtrand von Protestanten mit einem Hagel von Steinen, Benzinbomben und anderen Wurfgeschossen empfangen. 200 mit Stahlhelmen und Schutzschilden ausge­rüstete Polizisten mußten in den verbarrika­dierten Straßen Wasserwerfer auf fahren, um die kämpfenden Parteien zu trennen.

Die schweren Zusammenstöße haben den nordirisdien Ministerpräsidenten Terence ONeill am Sonntagabend veranlaßt, die bei­den sich bekriegenden Seiten zur Besinnung aufzurufen.Wir alle haben die Demonstra­tionen und Gegendemonstrationen nunmehr über, sagte der als ein Mann des Ausgleichs geltende Regierungschef, während in der von blutigen Unruhen heimgesuchten Stadt immer neue Barrikaden errichtet wurden.. Etwa 5000 Anhänger der katholischen Bür­gerrechtsbewegung standen bereit, um et­waige Angriffe von protestantischen Extre­misten abzuwehren.

Wir haben jetzt genug über Bürgerrechte vernommen, nun möchten wir auch etwas über die bürgerliche Verantwortung hören, legte der Ministerpräsident seinen Zuhörern ans Herz. Falls die sich bekämpfenden Gruppen nicht Vernunft annehmen sollten, warnte er, werde sich die nordirische Regie­rung gezwungen sehen, mit verschärften Po­lizeimaßnahmen durchzugreifen, dennvom Werfen mit Pflastersteinen bis zum Aufrich­ten von Grabsteinen sei es kein allzu gro­ßer Schritt mehr.

Sechs nordirische Bürger haben inzwi­schen die britische Regierung bei der euro­päischen Menschenrechtskommission in Straßburg verklagt. Sie machen die Londo­ner Regierung für die Verletzung der Men­

schenrechte in Nordirland verantwortlich. Die Klageschrift ist von der Kommission nach London zur Stellungnahme weiterge­leitet worden.

Wien (dpa). Mit einer Rücktrittsdrohung hat der österreichische KP-Vorsitzende Franz Muhri gestern eine Wiederholung der Neuwahl des Zentralkomitees und die Auf­nahme von vier erst am Sonntag abgewähl­tenLiberalen in dieses Gremium erzwun­gen. Dadurch kamen die Funktionäre Ma­rek, Kodizek, Margulis und Prager wieder in das Zentralkomitee.

Nachdem das Ergebnis der Abstimmung am Sonntag im Saal der Wiener Stadthalle zu Tumulten und Handgreiflichkeiten zwi­schen den Delegierten und Rufen wie Schieber undDie Wahl war manipuliert geführt hatte, stellte Muhri gestern den An­trag zur Neuwahl. Er erklärte, wenn die vier am Vortage ausgebooteten Funktionäre dabei nicht wieder in das ZK gewählt wer­den, wolle er den Vorsitz der Partei nieder­legen. Mit großer Mehrheit entschieden sich die Delegierten daraufhin für eine neue Ab­stimmung.

Die Einheit der österreichischen kommu­nistischen Partei stand in der Nacht zum Montag auf des Messers Schneide, als sich zahlreiche Funktionäre weigerten, mit dem am Sonntag gewählten Zentralkomitee zu­sammenzuarbeiten. Es war im stärkeren Maße als sein Vorgänger aus moskautreuen KP-Leuten zusammengesetzt. Auch der pro­minente Moskau-Kritiker Ernst Fischer wurde ausgebootet.

Nach der Wahl hatten rund 20 der etwa 400 Delegierten unter Pfuirufen den Partei­tag verlassen, wobei sich die abziehenden

Smrkovsky für Vorsitz der Volkskammer nominiert

Wien (dpa). Das KP-Büro für die Lenkung der Parteiarbeit in den böhmischen Ländern hat gestern nach einer Meldung der tsche­choslowakischen Nachrichtenagentur CTK beschlossen, den jetzigen Parlamentsvorsit­zenden Josef Smrkovsky für das Amt des Vorsitzenden der neugegründeten Volks­kammer zu nominieren.

Danach soll Smrkovsky außerdem für das Amt des stellvertretenden Präsidenten der neuen Bundesversammlung kandidieren. Um die Frage, ob der Tscheche Smrkovsky oder ein Slowake den Vorsitz in der neuen Bun­desversammlung übernehmen soll, ist es in der tschechoslowakischen Öffentlichkeit in jüngster Zeit zu heftigen Diskussionen ge­kommen.

und die zurückbleibenden Delegierten ge­genseitig alsSpalter beschimpften. Schon während des ganzen Sonntags hatte es hef­tige Auseinandersetzungen zwischen mos­kautreuen undliberalen Delegierten der rund 33 000 Mitglieder zählenden KP gege­ben.

Zehnerkarten der Liebe

Wenige Wochen nach der Premiere des Bonner Eros-Center sind in der BundeshauptstadtZehnerkarten für den kostenlosen Besuch des Hauses der Liebe in Umlauf gebracht worden. die Liebes-Tickets das Bonner Stadt­wappen, mit dem Löwen tragen, kün­digte die Stadtverwaltung Strafantrag gegen Unbekannt an. Ein Beamter hat die Prägesiegel als eindeutige Fälschung identifiziert. Die Eros-Billetts sollen be­reits in verschlossenen Briefumschlägen mehreren Bundesbediensteten zugegan­gen sein. Auch in den Briefkästen und Schließfächern von Bundestagsabgeord­neten, die sich noch im Weihnachtsur­laub befinden, wird vermutlich ein Teil solcher Briefe liegen. Dabei ist es im Bonner Eros-Center keineswegs Sitte, Liebesdienste aufZehnerkarte anzu­bieten. Hausbesitzer Werner Fritzen: Ich habe selbstverständlich nichts da­mit zu tun. (dpa)

Moskau-Kritiker Fischer ausgebootet

Krawalle beim Parteitag der österreichischen Kommunisten

Israel isoliert sich

Israels Soldaten haben sich stets hervor­ragend geschlagen, aber die israelischen Politiker zeigten in den letzten Monaten ein erschreckendes Maß von Selbstüberschät­zung und Einsichtslosigkeit in die Realitäten ihres Staates und seiner Umgebung. So sind sie auf dem besten Wege, zu verspielen, was von den Soldaten als günstige Voraus­setzung für die Lebenssicherung Israels an Fakten geschaffen wurde.

Die Sympathien, die der junge Staat Isra­el überall in der Welt genoß, waren bereits mit dem nach wie vor umstrittenen Angriff Israels auf seine arabischen Nachbarn im Juni 1967 spürbar zurückgegangen. Sie sind mit dem Überfall auf den Flughafen von Bei­rut in einem Maße eingefroren, das Israel an den Rand der weltpolitischen Isolierung ge­bracht hat. Dabei ist die grundsätzliche Ein­stellung gegenüber Tel Aviv kaum irgend­welchen Veränderungen unterworfen; wohl aber bestimmt die Erkenntnis die allgemeine Meinung, daß mit den Methoden Israels ebensowenig wie mit denen der arabischen Freischärler im Jahre 1969 keine Probleme mehr gelöst werden können.

Im Gegenteil hat denn auch Israel nur er­reicht, daß die Gegensätze noch größer wur­den. Die Guerillatätigkeit ist neu aufge­flammt und trotz einmütiger Verurteilung durch den Weltsicherheitsrat verletzt Israel den Luftraum seiner arabischen Nachbarn, einschließlich des Libanon, in Permanenz. Damit ist nicht nur Beirut, das bisher be­müht war, sich möglichst aus dem arabisch­israelischen Konflikt herauszuhalten, an die Seite der Araber gedrängt worden, es wer­den zugleich die Großmächte zur Interven­tion herausgefordert. Dabei sind die USA und Großbritannien viel eher bereit, Israels Lebensinteressen zu wahren, während die Sowjetunion und Frankreich stärker dazu neigen, auch eine Lösung gegen Israel, also im Sinne der arabischen Staaten durchzu­drücken. Man kann nur hoffen, daß in dieser Situation wenigstens Washington und Mos­kau, trotz arabisch-israelischer Terror- und Vergeltungsaktionen, einen kühlen Kopf be­halten. K. A.

Entführer des 20. Jahrhunderts

In dem Maße, in dem sich der Flugverkehr die Zukunft erobert, verstärkt sich auch das offenbar sehr leichte Geschäft, Flugzeuge zu entführen. Bisher war das von gelegentli­chen Einzelfällen abgesehen im wesentli­chen auf den amerikanischen Kontinent be­schränkt, wo es offenbar ein besserer Sport geworden ist, Flugzeuge samt Besatzung und Passagieren nach Kuba zu dirigieren. Neuerdings aber greift diese absonderliche Erscheinung des 20. Jahrhunderts vom Mit­telmeer her auf Europa über.

Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ent­führung einer griechischen Maschine, die von Kreta nach Athen fliegen sollte und schließlich in Kairo landete, eine Drohung der palästinensischen Befreiungsfront oder der griechischen Opposition an die Regie­rung in Athen war. Beide Versionen wären auf Grund der jüngsten Flugzeug-Abenteuer möglich. Aber was auch ausschlaggebend für die Entführung gewesen sein mag: Alle Luftfahrt betreibenden Länder sollten sich einig sein, daß es so nicht weitergehen kann.

Nun ist sicherlich ein Kampf Mann gegen Mann in 2000 Metern Höhe ebensowenig ein Mittel, die Entführung zu verhindern, wie der Einsatz von Düsenjägern gegen entführte Maschinen. Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel. Gerade deshalb müßten sich die in der IATA, dem Verband des internationa­len Luftverkehrs, zusammengeschlossenen Länder einigen, daß sie in Zukunft mit dra­konischen Strafen gegen die Entführer von Flugzeugen Vorgehen. Ein paar Exempel ge­gen Entführer und gegen Länder, welche die Sicherheit des internationalen Luftver­kehrs mißachten würden bald Ordnung schaffen. F. F.

FEUILLETON:

Versuch mit Nestroy in Stuttgart

Die beiden Nachtwandler oder Das

An den Württembergischen Staatstheatem in Stuttgart gab es in den späten dreißiger und den frühen vierziger Jahren so etwas wie eine Nestroy-Tradition. Als der Nord­deutsche Walther Friedrich Peters im Früh­jahr 1938Einen Jux will er sich machen inszenierte, fiel Rudolf Femau als Nestroy- Spieler par excellence aut Er verband näm­lich den pointierten Wortwitz mit bewegli­chem Körperspiel, Leichtigkeit und Ge­nauigkeit. Femau besaß jene ironisch durch­funkelte Eleganz des Spiels, die Nestroy, wenn er brillieren will, stets braucht. Rudolf Femau wurde von da an als Schauspieler, Regisseur und Bearbeiter zum Motor des Stuttgarter Nestroy-Theaters, vomTalis­man überWohnung zu vermieten bis zu denBeiden Nachtwandlern. Jetzt brachten die Württembergischen Staatstheater in ih­rem Kleinen Haus die Posse mit Gesang Die beiden Nachtwandler oderDas Not­wendige und das Überflüssige von Johann Nestroy in der, vor allem die Personen ver­ändernden, Bühnenbearbeitung von Rudolf Femau und Ludwig Kusche heraus.

Man hatte sich dazu außer dem Regisseur Harald Benesch, der in Stuttgart ja schon mehrfach inszeniert hat, auch noch Hanns Emst Jäger für den Faden und zwei junge Schauspielerinnen aus Wien geholt. Da das Ensemblemitglied Nikolaus Haenel, das die wichtige Rolle des Seilergesellen Fabian Strick spielte, gleichfalls aus der Donaustadt stammt, war für Wiener Substanz einiger­maßen gesorgt. Dennoch wurde der Abend zur Enttäuschung. Es fehlten ihm gerade jene Eleganz und Präzision des Spiels, die dem Wortwitz Nestroys erst seine Brillanz, aber auch seine Schärfe ermöglichen.

Nestroy ist der schärfere, der ironische Bruder Raimunds. In denBeiden Nacht­wandlern hat er auch dessen Glauben an Zaubergeister parodiert. Doch ist es eine recht zahme Parodie geworden, wie über­haupt die Handlung unbekümmert leicht, ja stellenweise naiv geführt und sogar mit

Notwendige und das Überflüssige

einer moralischen Nutzanwendung versehen worden ist Darin hat Nestroy einige Zuge­ständnisse an seine Zeit, an das Biedermeier gemacht.

Harald Benesch hat das Stück zu lasch spielen lassen, ihm zu wenig Tempo, Akzen­tuierung und damit Schärfe gegeben. Es ha­perte an szenischer Atmosphäre und Präzi­sion. Schon die Bühnenbilder von Hans-Ul­rich Schmückle blieben merkwürdig unent­schieden, gaben Biedermeier mit leichter Ironisierung. Für die durch Hellmuth Löff­ler dirigierte Musik von Adolf Müller und Ludwig Kusche gilt das gleiche. Hanns Emst Jäger begann alsSomnambuler im Nachthemd köstlich, brachte auch das Auf- trumpfende und wirkungsvoll die Couplets, ließ aber an Spannkraft nach. Nikolaus Haenel dagegen steigerte sich als das Ge­schehen anheizender, die unverschämten Wünsche des Sebastian Faden noch stimulie­render Strick immer mehr. Bei ihm gingen der rasch kommende Wortwitz und das be­hende Körperspiel zusammen. Wieder ein­mal eine ausgezeichnete Leistung des jungen Schauspielers.

Rudolf Femau hat die Figur eines zweiten Lords in die des Kammerdieners des ersten umfunktioniert. Patschiparoli heißt dieser Kammerdiener, der einstmals Seiltänzer war. Bei Ernst-August Schepmann blieb er blaß. Man durfte nicht an die groteske Un­heimlichkeit zurückdenken, die Fritz Brand diesemHilfsgeist in der früheren Staats­theater-Aufführung gegeben hat. Auch die Frauen, einschließlich der Wiener Gäste, blieben blaß. Elisabeth Schwarz allerdings bewies in der Rolle des Stubenmädchens Theres wieder einmal, daß sie eine echte, eine wandlungsfähige Schauspielerin ist. Kurt Norgall hielt in der Rolle des zum Ba­ron von Lerchenfeld gewordenen Lords den englischen Akzent nicht durch, war auch, bei ihm ungewohnt, unpräzise. Amüsant dage­gen der Herr von Brauchengeld von Ludwig Anschütz.

Zum Schluß gab es neben freundlichem Beifall auch Buhrufe, als der Regisseur er­schien. Es war natürlich nicht auszumachen, ob sie demkulinarischen Theater über­haupt oder der schwachen Aufführung gal­ten. Auf jeden Fall zeigte sich wieder ein­mal, daß gerade Nestroy nur aus einer ge­wissen Spieltradition heraus gegeben wer­den kann. Hermann Dannecker

Österreichs großer Expressionist

Mit 84 Jahren starb der Lyriker und Dramatiker Franz Theodor Csokor

Der österreichische Lyriker und Dramati­ker Franz Theodor Csokor ist am Sonntag­nachmittag im 84. Lebensjahr nach einem Kreislaufkollaps in Wien gestorben. Er galt als der bedeutendste Dramatiker des Ex-

Der Liedersänger Hermann Prey

Zu seinem Abend in Stuttgart mit Liedern von Schubert

Wenn es erlaubt ist, die Eindrücke einmal auf eine etwas überspitzte kurze Formel zu bringen, so könnte man sagen: der bekannte Bariton hat weniger Schubertlieder vorge­tragen, als Gedichte von Joh. Gabriel Seidl, Heine und Ludwig Rellstab in der Verto­nung durch Schubert. Damit soll gesagt wer­den, daß ihm die Prägung des Wortes wich­tiger ist als die des Tones. Prey paßt sich damit seinem stimmlichen Fundus, genauer dem Stand seines gesangskünstlerischen Vermögens an. Denn die Vorzüge dieses Sängers liegen auf anderen Gebieten als auf dem gesangskünstlerischen. Die Stimme wird in der Tiefe künstlich verdunkelt, während sie in der Höhe, wenigstens im Piano, fast tenoral hell, ja ein wenig flach ausgesendet wird. Eine wirklich einheitliche Stimmfunktion hat sich Prey nicht erarbei­tet sie aber allein ergäbe die Möglichkeit, den musikalischen Anforderungen des Schu­bertliedes unbeschadet einer klaren Wort­prägung voll gerecht zu werden, also dem Gesamtkomplex Lied nach allen Seiten in harmonischer Weise gerecht zu werden.

Was Prey als Liedsänger tatsächlich zu ge­ben hat, ist künstlerischer Emst, Ehrlichkeit und Innerlichkeit eines Gestaltungswillens, der von allen Mätzchen sich freihält. Wer damit die Aufgabe eines Liedinterpreten er­füllt sieht, wird darüber hinweghören (oder vielleicht gar nicht bemerken) daß die Qua­lität von Preys Gesang bis in die Reinheit der Tongebung hinein Wünsche offen läßt, die der professionelle Konzertbesucher, zu­mal wenn es sich um einen Meister wie Schubert handelt, unbedingt erfüllt sehen

möchte. Bedenken muß der Kritiker auch gegen Preys Begleiter Karl Engel anmelden, der zwar im ganzen sehr zurückhaltend und pianistisch durchaus sauber seinen Part aus­führte, aber mitunter (etwa imAufenthalt oder in dem LiedIn der Ferne durch über­triebene dynamische Akzentuierungen die Organik des Liedvortrages nicht unerheblich beeinträchtigte. E. H.

Prof. Nowakowski gestorben

Einen Monat vor Vollendung seines 72. Lebensjahres ist der international bekannte Organist Professor Anton Nowakowski am Freitag in Stuttgart an einem Herzversagen gestorben. Der geborene Danziger lehrte seit 1948 an der Stuttgarter Hochschule für Mu­sik. Zu seinen Lehrern hatten Karl Straube und der Mahler-Schüler Alexander von Zemlinsky gehört. Schon in den zwanziger Jahren wirkte Nowakowski in Berlin und Bayreuth als Assistent des ihm befreundeten Wilhelm Furtwängler. Als Organist, Lehrer und Dirigent machte er sich zudem vor dem Krieg in Prag, Danzig und Essen einen Na­men. Nach dem Kriege war er der erste deutsche Organist, der beim Luzerner Festi­val auftrat. Seine Konzertreisen führten ihn durch viele Länder Europas. Dirigenten wie Abendroth, Fiedler, Furtwängler, Jochum, Keilberth, Molinari, Scherchen und Zemlin­sky gehörten zu seinen Konzertpartnern. Große Verdienste hat sich Anton Nowakow­ski als Dirigent und als Organist in Konzer­ten erworben, die er in den großen ober- schwäbischen Basiliken veranstaltete.

pressionismus in Österreich und war einer der letzten Vertreter jener Epoche von Dich­tern, die den Schwanengesang der k. u. k. Monarchie anstimmten.

Der am 6. September 1885 in Wien gebore­ne Csokor war einer der letzten großen österreichischen Schriftsteller, die als Zeu­gen einer vergangenen Epoche in die Gegen­wart hineinragten. Nach dem Studium der Kunstgeschichte in Wien war er von 1915 bis 1918 Frontoffizier. Nach dem ersten Welt­krieg wurde Csokor Dramaturg am Wiener Raimundtheater und publizierte seine ersten erfolgreichen Lyrik-Werke. Als überzeugter Gegner des NS-Regimes ging Csokor 1938 freiwillig in die Emigration. Über Polen und Rumänien kam Csokor auf die Adriainsel Corcula. Bald nach Kriegsende kehrte er nach Wien zurück, wo er den österreichi­schen PEN-Club reaktivierte, dessen Präsi­dent er bis zu seinem Tode war.

Csokor, der noch mit Franz Werfel, Robert Musil, Hermann Broch befreundet war und auch unter den jüngeren Autoren viele Freunde und Schützlinge hatte, blieb Zeit seines Lebens dem Expressionismus verhaf­tet. Er hat mehr als dreißig Schauspiele ge­schrieben, die nicht nur an Bühnen der deutschsprachigen Länder aufgeführt wur­den. Das bekannteste seiner Dramen, das seit Jahren immer wieder auf dem Spielplan des Burgtheaters steht, ist der3. November 1918 ein Werk über den Untergang des alten Österreich. Unter seinem epischen Werk verdienen der RomanDer Schlüssel zum Abgrund und die AutobiographieAuf fremden Straßen Erwähnung.

Viele Ehrungen wurden Csokor besonders in seinen letzten Lebensjahrzehnten zuteil: 1955 erhielt er den österreichischen Staats­preis für Dichtung, 1954 den Ehrenring der Stadt Wien, 1953 den Literaturpreis der Stadt Wien und den Grillparzerpreis. Die Republik Polen verlieh ihm 1937 das golde­ne Verdienstkreuz und den goldenen Lor­beer der Warschauer Akademie. Csokor hat sich um die polnische Literatur unter ande­rem durch Übersetzungen verdient gemacht.