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Politik
Dienstag, 7. Januar 1969
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ZU SCHWEREN ZWISCHENFÄLLEN kam es am Wochenende während eines Bür- I ten, die sie mit einem Steinhagel (unser Bild) empfingen. Schwere Vorwürfe machten gerrechtsmarsches der katholischen Minderheit in Nordirland bei Londonderry. Der die Katholiken der Polizei wegen ihres scharfen und einseitigen Vorgehens. Die Re- Studentenmarsch der Bürgerrechtler geriet dabei in einen Hinterhalt der Protestan- | gierung hat eine Untersuchung eingeleitet. (AP-Photofax)
Blutiger „Konfessionskrieg“ in Nordirland: 177 Verletzte
2,4 Mill. DM Sachschaden / Straßenschlacht Protestanten gegen Katholiken
L o n d o n d e r r y/Nordirland (dpa/AP). Die Zusammenstöße zwischen katholischen Bürgerrechtlem und protestantischen Extremisten vom vergangenen Wochenende in Nordirland waren die dort bisher heftigsten: Nach offiziellen Angaben wurden dabei 177 Menschen, davon 74 Polizisten, verletzt. Der angerichtete Schaden wurde auf 250 000 Pfund Sterling (2,4 Millionen Mark) geschätzt.
Kurz gestreift
Eine Erhöhung der gegenwärtig 36 Pfennig pro Doppelkilomoter betragenden Kilometergeldpauschale für Fahrten zur Arbeitsstelle wird vom Bundesfinanzministerium als eine Art Wahlgeschenk betrachtet und daher abgelehnt.
Der 35jährige Bundeswehrmajor Rolf Schiller vom Luftwaffenamt im Fliegerhorst Wahn ist gestern tot in seinem möblierten Zimmer in Porz-Grengel aufgefunden worden. Er hat sich vermutlich mit Schlafmitteln das Leben genommen. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums erklärte, daß im Augenblick kein Spionageverdacht bestehe.
Protestiert hat die Bundesregierung in Prag gegen die Grenzverletzung durch CSSR-Solda- ten im Landkreis Tirschenreuth (Oberpfalz). CSSR-Grenzoffiziere haben sich bereits entschuldigt, daß „übereifrige junge Soldaten“ die Grenze bei der Verfolgung von Flüchtlingen etwa 600 Meter tief überschritten hatten.
Die griechische Regierung will angeblich nicht die Auslieferung des Luftpiraten Fla- mourides beantragen, der in der vergangenen Woche ein griechisches Passagierflugzeug nach Kairo entführt hatte.
Pierre Werner wurde am Wochenende von Öroßherzog Jean von Luxemburg mit der Bildung einer neuen christlich-sozialen Regierung beauftragt.
Eine Masern-Epidemie ist in Biafra ausgebrochen. Die internationalen Hilfsorganisationen haben die Massenimpfungen mehrerer hunderttausend Kinder eingeleitet.
Umgeworfen und angezündet haben gestern Studenten der Technischen Universität in Ankara den Wagen des US-Botschafters Korner, während er einer Einladung des Rektors dieser Universität nachkam.
92 Millionen Mark hat offiziell der Wahlkampf gekostet, mit dem Richard Nixon neuer Präsident der USA wurde. Das Geld wurde durch Spenden eingenommen.
Süddeutschland bleibt in der westlichen Randzone eines umfangreiches Hochs über Rußland. Unter dem Einfluß einer Tiefdruckzone über der Biskaya und dem Ostatlantik wird dabei in der Höhe allmählich etwas mildere Luft aus Südwesten herangeführt, die allerdings die bodennahen Kaltluftreste noch nicht ganz beseitigen kann.
Dienstag niederschlagsfrei, in den höheren Lagen leicht bewölkt oder heiter, und z. T. schon Temperaturen über null Grad, in den Niederungen dunstig, örtlich auch Nebel- oder Hochnebelfelder und Höchsttemperaturen nur örtlich über null Grad. Nachts immer noch mäßiger Frost. Schwache Winde um Ost. Mittwoch noch weitere leichte Milderung, zeitweise wolkiger, aber kaum wesentlicher Niederschlag. (Mitgeteilt vom Wetteramt Stuttgart).
Die Unruhen erreichten ihren Höhepunkt, als ein Demonstrationszug junger Katholiken nach viertägigem Fußmarsch in der Stadt Londonderry eintraf, um dort seine Solidarität mit obdachlosen Bürgerrechtlern zum Ausdruck zu bringen. Die Marschierer wurden am Stadtrand von Protestanten mit einem Hagel von Steinen, Benzinbomben und anderen Wurfgeschossen empfangen. 200 mit Stahlhelmen und Schutzschilden ausgerüstete Polizisten mußten in den verbarrikadierten Straßen Wasserwerfer auf fahren, um die kämpfenden Parteien zu trennen.
Die schweren Zusammenstöße haben den nordirisdien Ministerpräsidenten Terence O’Neill am Sonntagabend veranlaßt, die beiden sich bekriegenden Seiten zur Besinnung aufzurufen. „Wir alle haben die Demonstrationen und Gegendemonstrationen nunmehr über“, sagte der als ein Mann des Ausgleichs geltende Regierungschef, während in der von blutigen Unruhen heimgesuchten Stadt immer neue Barrikaden errichtet wurden.. Etwa 5000 Anhänger der katholischen Bürgerrechtsbewegung standen bereit, um etwaige Angriffe von protestantischen Extremisten abzuwehren.
„Wir haben jetzt genug über Bürgerrechte vernommen, nun möchten wir auch etwas über die bürgerliche Verantwortung hören“, legte der Ministerpräsident seinen Zuhörern ans Herz. Falls die sich bekämpfenden Gruppen nicht Vernunft annehmen sollten, warnte er, werde sich die nordirische Regierung gezwungen sehen, mit verschärften Polizeimaßnahmen durchzugreifen, denn „vom Werfen mit Pflastersteinen bis zum Aufrichten von Grabsteinen“ sei es kein allzu großer Schritt mehr.
Sechs nordirische Bürger haben inzwischen die britische Regierung bei der europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg verklagt. Sie machen die Londoner Regierung für die Verletzung der Men
schenrechte in Nordirland verantwortlich. Die Klageschrift ist von der Kommission nach London zur Stellungnahme weitergeleitet worden.
Wien (dpa). Mit einer Rücktrittsdrohung hat der österreichische KP-Vorsitzende Franz Muhri gestern eine Wiederholung der Neuwahl des Zentralkomitees und die Aufnahme von vier erst am Sonntag abgewählten „Liberalen“ in dieses Gremium erzwungen. Dadurch kamen die Funktionäre Marek, Kodizek, Margulis und Prager wieder in das Zentralkomitee.
Nachdem das Ergebnis der Abstimmung am Sonntag im Saal der Wiener Stadthalle zu Tumulten und Handgreiflichkeiten zwischen den Delegierten und Rufen wie „Schieber“ und „Die Wahl war manipuliert“ geführt hatte, stellte Muhri gestern den Antrag zur Neuwahl. Er erklärte, wenn die vier am Vortage ausgebooteten Funktionäre dabei nicht wieder in das ZK gewählt werden, wolle er den Vorsitz der Partei niederlegen. Mit großer Mehrheit entschieden sich die Delegierten daraufhin für eine neue Abstimmung.
Die Einheit der österreichischen kommunistischen Partei stand in der Nacht zum Montag auf des Messers Schneide, als sich zahlreiche Funktionäre weigerten, mit dem am Sonntag gewählten Zentralkomitee zusammenzuarbeiten. Es war im stärkeren Maße als sein Vorgänger aus moskautreuen KP-Leuten zusammengesetzt. Auch der prominente Moskau-Kritiker Ernst Fischer wurde ausgebootet.
Nach der Wahl hatten rund 20 der etwa 400 Delegierten unter Pfuirufen den Parteitag verlassen, wobei sich die abziehenden
Smrkovsky für Vorsitz der Volkskammer nominiert
Wien (dpa). Das KP-Büro für die Lenkung der Parteiarbeit in den böhmischen Ländern hat gestern nach einer Meldung der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur CTK beschlossen, den jetzigen Parlamentsvorsitzenden Josef Smrkovsky für das Amt des Vorsitzenden der neugegründeten Volkskammer zu nominieren.
Danach soll Smrkovsky außerdem für das Amt des stellvertretenden Präsidenten der neuen Bundesversammlung kandidieren. Um die Frage, ob der Tscheche Smrkovsky oder ein Slowake den Vorsitz in der neuen Bundesversammlung übernehmen soll, ist es in der tschechoslowakischen Öffentlichkeit in jüngster Zeit zu heftigen Diskussionen gekommen.
und die zurückbleibenden Delegierten gegenseitig als „Spalter“ beschimpften. Schon während des ganzen Sonntags hatte es heftige Auseinandersetzungen zwischen moskautreuen und „liberalen“ Delegierten der rund 33 000 Mitglieder zählenden KP gegeben.
Zehnerkarten der Liebe
Wenige Wochen nach der Premiere des Bonner Eros-Center sind in der Bundeshauptstadt „Zehnerkarten“ für den kostenlosen Besuch des Hauses der Liebe in Umlauf gebracht worden. ’Dä die Liebes-Tickets das Bonner Stadtwappen, mit dem Löwen tragen, kündigte die Stadtverwaltung Strafantrag gegen Unbekannt an. Ein Beamter hat die Prägesiegel als eindeutige Fälschung identifiziert. Die Eros-Billetts sollen bereits in verschlossenen Briefumschlägen mehreren Bundesbediensteten zugegangen sein. Auch in den Briefkästen und Schließfächern von Bundestagsabgeordneten, die sich noch im Weihnachtsurlaub befinden, wird vermutlich ein Teil solcher Briefe liegen. Dabei ist es im Bonner Eros-Center keineswegs Sitte, Liebesdienste auf „Zehnerkarte“ anzubieten. Hausbesitzer Werner Fritzen: „Ich habe selbstverständlich nichts damit zu tun.“ (dpa)
Moskau-Kritiker Fischer ausgebootet
Krawalle beim Parteitag der österreichischen Kommunisten
Israel isoliert sich
Israels Soldaten haben sich stets hervorragend geschlagen, aber die israelischen Politiker zeigten in den letzten Monaten ein erschreckendes Maß von Selbstüberschätzung und Einsichtslosigkeit in die Realitäten ihres Staates und seiner Umgebung. So sind sie auf dem besten Wege, zu verspielen, was von den Soldaten als günstige Voraussetzung für die Lebenssicherung Israels an Fakten geschaffen wurde.
Die Sympathien, die der junge Staat Israel überall in der Welt genoß, waren bereits mit dem nach wie vor umstrittenen Angriff Israels auf seine arabischen Nachbarn im Juni 1967 spürbar zurückgegangen. Sie sind mit dem Überfall auf den Flughafen von Beirut in einem Maße eingefroren, das Israel an den Rand der weltpolitischen Isolierung gebracht hat. Dabei ist die grundsätzliche Einstellung gegenüber Tel Aviv kaum irgendwelchen Veränderungen unterworfen; wohl aber bestimmt die Erkenntnis die allgemeine Meinung, daß mit den Methoden Israels — ebensowenig wie mit denen der arabischen Freischärler — im Jahre 1969 keine Probleme mehr gelöst werden können.
Im Gegenteil hat denn auch Israel nur erreicht, daß die Gegensätze noch größer wurden. Die Guerillatätigkeit ist neu aufgeflammt und trotz einmütiger Verurteilung durch den Weltsicherheitsrat verletzt Israel den Luftraum seiner arabischen Nachbarn, einschließlich des Libanon, in Permanenz. Damit ist nicht nur Beirut, das bisher bemüht war, sich möglichst aus dem arabischisraelischen Konflikt herauszuhalten, an die Seite der Araber gedrängt worden, es werden zugleich die Großmächte zur Intervention herausgefordert. Dabei sind die USA und Großbritannien viel eher bereit, Israels Lebensinteressen zu wahren, während die Sowjetunion und Frankreich stärker dazu neigen, auch eine Lösung gegen Israel, also im Sinne der arabischen Staaten durchzudrücken. Man kann nur hoffen, daß in dieser Situation wenigstens Washington und Moskau, trotz arabisch-israelischer Terror- und Vergeltungsaktionen, einen kühlen Kopf behalten. K. A.
Entführer des 20. Jahrhunderts
In dem Maße, in dem sich der Flugverkehr die Zukunft erobert, verstärkt sich auch das offenbar sehr leichte Geschäft, Flugzeuge zu entführen. Bisher war das — von gelegentlichen Einzelfällen abgesehen — im wesentlichen auf den amerikanischen Kontinent beschränkt, wo es offenbar ein besserer Sport geworden ist, Flugzeuge samt Besatzung und Passagieren nach Kuba zu dirigieren. Neuerdings aber greift diese absonderliche Erscheinung des 20. Jahrhunderts vom Mittelmeer her auf Europa über.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die Entführung einer griechischen Maschine, die von Kreta nach Athen fliegen sollte und schließlich in Kairo landete, eine Drohung der palästinensischen Befreiungsfront oder der griechischen Opposition an die Regierung in Athen war. Beide Versionen wären auf Grund der jüngsten Flugzeug-Abenteuer möglich. Aber was auch ausschlaggebend für die Entführung gewesen sein mag: Alle Luftfahrt betreibenden Länder sollten sich einig sein, daß es so nicht weitergehen kann.
Nun ist sicherlich ein Kampf Mann gegen Mann in 2000 Metern Höhe ebensowenig ein Mittel, die Entführung zu verhindern, wie der Einsatz von Düsenjägern gegen entführte Maschinen. Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel. Gerade deshalb müßten sich die in der IATA, dem Verband des internationalen Luftverkehrs, zusammengeschlossenen Länder einigen, daß sie in Zukunft mit drakonischen Strafen gegen die Entführer von Flugzeugen Vorgehen. Ein paar Exempel gegen Entführer — und gegen Länder, welche die Sicherheit des internationalen Luftverkehrs mißachten — würden bald Ordnung schaffen. F. F.
FEUILLETON:
Versuch mit Nestroy in Stuttgart
„Die beiden Nachtwandler oder Das
An den Württembergischen Staatstheatem in Stuttgart gab es in den späten dreißiger und den frühen vierziger Jahren so etwas wie eine Nestroy-Tradition. Als der Norddeutsche Walther Friedrich Peters im Frühjahr 1938 „Einen Jux will er sich machen“ inszenierte, fiel Rudolf Femau als Nestroy- Spieler par excellence aut Er verband nämlich den pointierten Wortwitz mit beweglichem Körperspiel, Leichtigkeit und Genauigkeit. Femau besaß jene ironisch durchfunkelte Eleganz des Spiels, die Nestroy, wenn er brillieren will, stets braucht. Rudolf Femau wurde von da an als Schauspieler, Regisseur und Bearbeiter zum Motor des Stuttgarter Nestroy-Theaters, vom „Talisman“ über „Wohnung zu vermieten“ bis zu den „Beiden Nachtwandlern“. Jetzt brachten die Württembergischen Staatstheater in ihrem Kleinen Haus die Posse mit Gesang „Die beiden Nachtwandler oder „Das Notwendige und das Überflüssige“ von Johann Nestroy in der, vor allem die Personen verändernden, Bühnenbearbeitung von Rudolf Femau und Ludwig Kusche heraus.
Man hatte sich dazu außer dem Regisseur Harald Benesch, der in Stuttgart ja schon mehrfach inszeniert hat, auch noch Hanns Emst Jäger für den Faden und zwei junge Schauspielerinnen aus Wien geholt. Da das Ensemblemitglied Nikolaus Haenel, das die wichtige Rolle des Seilergesellen Fabian Strick spielte, gleichfalls aus der Donaustadt stammt, war für Wiener Substanz einigermaßen gesorgt. Dennoch wurde der Abend zur Enttäuschung. Es fehlten ihm gerade jene Eleganz und Präzision des Spiels, die dem Wortwitz Nestroys erst seine Brillanz, aber auch seine Schärfe ermöglichen.
Nestroy ist der schärfere, der ironische Bruder Raimunds. In den „Beiden Nachtwandlern“ hat er auch dessen Glauben an Zaubergeister parodiert. Doch ist es eine recht zahme Parodie geworden, wie überhaupt die Handlung unbekümmert leicht, ja stellenweise naiv geführt und sogar mit
Notwendige und das Überflüssige“
einer moralischen Nutzanwendung versehen worden ist Darin hat Nestroy einige Zugeständnisse an seine Zeit, an das Biedermeier gemacht.
Harald Benesch hat das Stück zu lasch spielen lassen, ihm zu wenig Tempo, Akzentuierung und damit Schärfe gegeben. Es haperte an szenischer Atmosphäre und Präzision. Schon die Bühnenbilder von Hans-Ulrich Schmückle blieben merkwürdig unentschieden, gaben Biedermeier mit leichter Ironisierung. Für die durch Hellmuth Löffler dirigierte Musik von Adolf Müller und Ludwig Kusche gilt das gleiche. Hanns Emst Jäger begann als „Somnambuler“ im Nachthemd köstlich, brachte auch das Auf- trumpfende und wirkungsvoll die Couplets, ließ aber an Spannkraft nach. Nikolaus Haenel dagegen steigerte sich als das Geschehen anheizender, die unverschämten Wünsche des Sebastian Faden noch stimulierender Strick immer mehr. Bei ihm gingen der rasch kommende Wortwitz und das behende Körperspiel zusammen. Wieder einmal eine ausgezeichnete Leistung des jungen Schauspielers.
Rudolf Femau hat die Figur eines zweiten Lords in die des Kammerdieners des ersten „umfunktioniert“. Patschiparoli heißt dieser Kammerdiener, der einstmals Seiltänzer war. Bei Ernst-August Schepmann blieb er blaß. Man durfte nicht an die groteske Unheimlichkeit zurückdenken, die Fritz Brand diesem „Hilfsgeist“ in der früheren Staatstheater-Aufführung gegeben hat. Auch die Frauen, einschließlich der Wiener Gäste, blieben blaß. Elisabeth Schwarz allerdings bewies in der Rolle des Stubenmädchens Theres wieder einmal, daß sie eine echte, eine wandlungsfähige Schauspielerin ist. Kurt Norgall hielt in der Rolle des zum Baron von Lerchenfeld gewordenen Lords den englischen Akzent nicht durch, war auch, bei ihm ungewohnt, unpräzise. Amüsant dagegen der Herr von Brauchengeld von Ludwig Anschütz.
Zum Schluß gab es neben freundlichem Beifall auch Buhrufe, als der Regisseur erschien. Es war natürlich nicht auszumachen, ob sie dem „kulinarischen Theater“ überhaupt oder der schwachen Aufführung galten. Auf jeden Fall zeigte sich wieder einmal, daß gerade Nestroy nur aus einer gewissen Spieltradition heraus gegeben werden kann. Hermann Dannecker
Österreichs großer Expressionist
Mit 84 Jahren starb der Lyriker und Dramatiker Franz Theodor Csokor
Der österreichische Lyriker und Dramatiker Franz Theodor Csokor ist am Sonntagnachmittag im 84. Lebensjahr nach einem Kreislaufkollaps in Wien gestorben. Er galt als der bedeutendste Dramatiker des Ex-
Der Liedersänger Hermann Prey
Zu seinem Abend in Stuttgart mit Liedern von Schubert
Wenn es erlaubt ist, die Eindrücke einmal auf eine etwas überspitzte kurze Formel zu bringen, so könnte man sagen: der bekannte Bariton hat weniger Schubertlieder vorgetragen, als Gedichte von Joh. Gabriel Seidl, Heine und Ludwig Rellstab in der Vertonung durch Schubert. Damit soll gesagt werden, daß ihm die Prägung des Wortes wichtiger ist als die des Tones. Prey paßt sich damit seinem stimmlichen Fundus, genauer dem Stand seines gesangskünstlerischen Vermögens an. Denn die Vorzüge dieses Sängers liegen auf anderen Gebieten als auf dem gesangskünstlerischen. Die Stimme wird in der Tiefe künstlich verdunkelt, während sie in der Höhe, wenigstens im Piano, fast tenoral hell, ja ein wenig flach ausgesendet wird. Eine wirklich einheitliche Stimmfunktion hat sich Prey nicht erarbeitet — sie aber allein ergäbe die Möglichkeit, den musikalischen Anforderungen des Schubertliedes unbeschadet einer klaren Wortprägung voll gerecht zu werden, also dem Gesamtkomplex Lied nach allen Seiten in harmonischer Weise gerecht zu werden.
Was Prey als Liedsänger tatsächlich zu geben hat, ist künstlerischer Emst, Ehrlichkeit und Innerlichkeit eines Gestaltungswillens, der von allen Mätzchen sich freihält. Wer damit die Aufgabe eines Liedinterpreten erfüllt sieht, wird darüber hinweghören (oder vielleicht gar nicht bemerken) daß die Qualität von Preys Gesang bis in die Reinheit der Tongebung hinein Wünsche offen läßt, die der professionelle Konzertbesucher, zumal wenn es sich um einen Meister wie Schubert handelt, unbedingt erfüllt sehen
möchte. Bedenken muß der Kritiker auch gegen Preys Begleiter Karl Engel anmelden, der zwar im ganzen sehr zurückhaltend und pianistisch durchaus sauber seinen Part ausführte, aber mitunter (etwa im „Aufenthalt“ oder in dem Lied „In der Ferne“ durch übertriebene dynamische Akzentuierungen die Organik des Liedvortrages nicht unerheblich beeinträchtigte. E. H.
Prof. Nowakowski gestorben
Einen Monat vor Vollendung seines 72. Lebensjahres ist der international bekannte Organist Professor Anton Nowakowski am Freitag in Stuttgart an einem Herzversagen gestorben. Der geborene Danziger lehrte seit 1948 an der Stuttgarter Hochschule für Musik. Zu seinen Lehrern hatten Karl Straube und der Mahler-Schüler Alexander von Zemlinsky gehört. Schon in den zwanziger Jahren wirkte Nowakowski in Berlin und Bayreuth als Assistent des ihm befreundeten Wilhelm Furtwängler. Als Organist, Lehrer und Dirigent machte er sich zudem vor dem Krieg in Prag, Danzig und Essen einen Namen. Nach dem Kriege war er der erste deutsche Organist, der beim Luzerner Festival auftrat. Seine Konzertreisen führten ihn durch viele Länder Europas. Dirigenten wie Abendroth, Fiedler, Furtwängler, Jochum, Keilberth, Molinari, Scherchen und Zemlinsky gehörten zu seinen Konzertpartnern. Große Verdienste hat sich Anton Nowakowski als Dirigent und als Organist in Konzerten erworben, die er in den großen ober- schwäbischen Basiliken veranstaltete.
pressionismus in Österreich und war einer der letzten Vertreter jener Epoche von Dichtern, die den Schwanengesang der k. u. k. Monarchie anstimmten.
Der am 6. September 1885 in Wien geborene Csokor war einer der letzten großen österreichischen Schriftsteller, die als Zeugen einer vergangenen Epoche in die Gegenwart hineinragten. Nach dem Studium der Kunstgeschichte in Wien war er von 1915 bis 1918 Frontoffizier. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Csokor Dramaturg am Wiener Raimundtheater und publizierte seine ersten erfolgreichen Lyrik-Werke. Als überzeugter Gegner des NS-Regimes ging Csokor 1938 freiwillig in die Emigration. Über Polen und Rumänien kam Csokor auf die Adriainsel Corcula. Bald nach Kriegsende kehrte er nach Wien zurück, wo er den österreichischen PEN-Club reaktivierte, dessen Präsident er bis zu seinem Tode war.
Csokor, der noch mit Franz Werfel, Robert Musil, Hermann Broch befreundet war und auch unter den jüngeren Autoren viele Freunde und Schützlinge hatte, blieb Zeit seines Lebens dem Expressionismus verhaftet. Er hat mehr als dreißig Schauspiele geschrieben, die nicht nur an Bühnen der deutschsprachigen Länder aufgeführt wurden. Das bekannteste seiner Dramen, das seit Jahren immer wieder auf dem Spielplan des Burgtheaters steht, ist der „3. November 1918“ — ein Werk über den Untergang des alten Österreich. Unter seinem epischen Werk verdienen der Roman „Der Schlüssel zum Abgrund“ und die Autobiographie „Auf fremden Straßen“ Erwähnung.
Viele Ehrungen wurden Csokor besonders in seinen letzten Lebensjahrzehnten zuteil: 1955 erhielt er den österreichischen Staatspreis für Dichtung, 1954 den Ehrenring der Stadt Wien, 1953 den Literaturpreis der Stadt Wien und den Grillparzerpreis. Die Republik Polen verlieh ihm 1937 das goldene Verdienstkreuz und den goldenen Lorbeer der Warschauer Akademie. Csokor hat sich um die polnische Literatur unter anderem durch Übersetzungen verdient gemacht.