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Nr. 274
Samstag. den 22. November 1930
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Jahrgang 103
Der Reichskanzler an die Landgemeinden
Steuerung der Notlage der Landgemeinden durch Wiederaufrichlung der Landwirtschaft
und finanzielle Gesundung
TU. Berlin,»22. Nov. Im Sitzungssaal des Reichstages begann gestern die Bertretertagung des Landgemeinöetages 1S3ü. Neben dem Reichskanzler waren die Neichsminister Schiele, von Guerard und Treviranus erschienen, ferner der preußische Innenminister Severing und die Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände. Bürgermeister Lange- Weißwasser schilderte in seiner Begrüßungsansprache die schwierige Lage der Landgemeinden und übte in diesem Zusammenhang Kritik an dem Gesetzgebungswerk der Reichsregierung.
Darauf nahm Reichskanzler Brüning das Wort. Er erklärte, bah die Kritik charakteristisch für die Gesamtstim- mung des deutschen Volkes gegenüber der Arbeit der Reichs- regterung sei. Die Reichsregierung sei sich -er schwierigen Lage der Landgemeinden bewußt, sie sei sich klar darüber, daß der erste nnd stärkste Stoß der fürchterliche» Agrar- und Jndustriekrise die Landgemeinde« treffe, die ohne steuerliche Reserven seien. Keine Regierung könne jedoch im Handumdrehen alle Aufgaben meistern. Zweifellos seien den Gemeinden in den letzten Jahren Lasten auferlegt worden, für die es keine Deckung gab und die zu dem starken Anwachsen der Realsteuern führten. Aber Deutschland sei nicht das einzige Land, das in den letzten Jahren die wirtschaftliche Entwicklung der Zukunft überschätzt habe. ES sei nicht das ein- ztge Land, das jetzt zu Reformen und praktischen Sparmaßnahmen greifen müsse.
Auf dem Agrargebiet sei es in den letzten Monaten gelungen, die Preisentwicklung für die deutschen Agrarerzeugnisse von der Preisentwicklung des Weltmarktes abzulenken. In kürzester Frist werde die Reichsregierung weitere Maßnahmen auf diesem Gebiet treffen. Durch die Wiederaufrichtung der Landwirtschaft könnte «in großer Teil der Arbeitslosigkeit behoben werben und von dort müsse auch die finanzielle Gesundung der Landgemeinden unter allen Umständen kommen.
Der Reichskanzler ging dann im einzelnen auf das Gesetzgebungswerk der Reichsregierung ein. Eine wirksame Entlastung sek für die nächsten Monate und auch für das nächste Jahr «och nicht möglich. Was die Reichsregierung tue, sei nichts anderes als die täglich neu hervortretenden Schwierigkeiten so weit abzudämmen, daß wir nicht zum völligen Zusammenbruch kommen. Man müsse sich darüber klar sein, daß die Dinge erheblich schwerer lägen als im Herb st und Winter 192 3; wir können, so erklärte Dr. Brüning, an das Ende dieser Arbeit nicht ein Wunder setzen, wie das Wunder der Nentenmark. Wir können das
deutsche Volk nur wieder dorthin führen, wo cS Hoffnung a«f eine bessere Zukunft haben kann. Dafür sin- die Maßnahmen der Reichsregiernng die erste Voraussetzung. Wer glaubt, daß unsere Schwierigkeiten nur auf die Reparationslasten zurückzuführen sind, der verschließt die Augen in gefährlicher Weise vor der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist, daß die wirtschaftlichen Möglichkeiten des deutschen Volkes in den letzten Jahren in Deutschland ebenso sehr überschätzt wurden wie im Ausland. Sicher wäre die Auffassung im Ausland anders gewesen, wenn nicht beispielsweise in der Finanzwirtschaft durch viele unnütze Bauten dem Ausland ein völlig falsches Bild gezeigt worden wäre.
Der Reichskanzler verteidigte dann die Kürzung der Beamte » gehälter. Dr. Brüning richtete weiter an die Gemeinden die Mahnung zur Sparsamkeit. Der Ruf der Reichsregierung sei noch nicht überall hin gedrungen, weil die Ueberweisnngen in alter Höhe weiterslossen und garantiert waren. Man habe in der Kommunalpolitik vielfach geglaubt, auf ein bestimmtes Maß von Einnahmen für alle Zeiten rechnen und,darauf seine Ausgaben einstellen zu können. Hierin liege ein wesentlicher Grund für die heutigen Schwierigkeiten. Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung, so schloß der Kanzler, ist die Durchführung des Gesamtprogramms der Reichsregierung. Ich bitte Sie, das Werk der Reichsregierung zu unterstützen. Wenn man den Mut hat, auch in schwersten Stunde» zuzugreifen und zu handeln, dann ist noch nie ein Volk verloren gewesen.
Der preußische Innenminister Severing erklärte, es sei bedauerlich, daß gerade von den Landgemeinden den Rationalisier»« gsplanen, die die Staatsregierung mit der Zusammenlegung kleiner leistungsschwacher Landkreise verfolge, stärkster Widerstand entgegengesetzt werde. Die gefährlichsten inneren Feinde seien Hunger und Pessimismus. Die Beamten müßten verstehen, daß sie gegenüber dem großen Heer der Arbeitslosen infolge der Sicherheit ihrer Stellung besser dastehcn. Wenn die Bevölkerung den Eindruck habe, daß in der jetzigen Zeit die Beamten bevorzugt würden, dann werde das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Beamten und Bevölkerung erschüttert werden.
Dann sprach Reichsernährungsminister Schiele, der begrüßte, daß die Landwirtschastskrise in den Vordergrund aller Erwägungen gerück sei. Die letzte Ursache -er Agrarkrise fei darin zu erblicken. Laß unsere Volkswirtschaftspolitik keine Ausgeglichenheit in der Preisfrage herbeigeführt habe.
Für eine deutsch - österreichische Zollunion
TU. Wie«, SS. Nov. Am Freitag begann die gemeinsame Tagung der österreichisch-deutschen und der deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaft. Hierbei wurde folgende Entschließung angenommen:
-In der Erwägung, daß ein auf der Meiftbegüustigur^ aufgebauter Handelsvertrag niemals eine befriedigende Gestaltung -er handelspolitischen Verhältnisse -wischen Oesterreich und dem Deutschen Reich herbeizufiihren vermag, und daß nur der Abschluß eines Wirtschastsbündnisses oder einer Zollunion eine befriedigende Lösung bringen kann, ersuche» die deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft für das Deutsche Reich und die deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft in Wien auf ihrer gemeinsamen Tagung die beiderseitigen Regierungen: im deutsche» Reichstag und im österreichischen Nationalrat die Einsetzung handelspolitischer Ausschüsse zu veranlasse», welche in ähnlicher Weise wie dies bei -er Angleichung des Strafrechts geschehen ist, in gemeinsamer Beratung die Richtlinien für eine einheitliche Handelspolitik beider Staaten zu beraten, die Angleichung der beiderseitigen Zollgesetzgebung vorzubereiten und Vorschläge über die Form eines künftigen möglichst enge» Wirtschastsbündnisses beider Staaten zu erstatten hätten."
-Vas Echo der Cmtlusrede
Tue Pariser Presse beschäftigt sich eingehend m auße.lpolitisch-n Rede Dr. Curtius. Der „Jntransi " * t Reichsaußenminister einen herausfordernde vor. Es sei ein Irrtum, wenn der Retchsanßcnmini sagen wage, daß Deutschland die Bedingungen erfüll
Ü Pertinax erklärt im
A dE. die Rede Dr. Enrtius müsse genügen, r Brmndschen Illusionen über Deutschland zu töten.
Curtins-Rede wir in der Londoner Presse a« Uch wtedergegeben. Der allgemeine Eindruck ist de
Deutschlands Außenpolitik hinsichtlich der Tibutzahlungen, der Abrüstung und der Revision des Versailler Vertrages klare Ziele erhalten habe und daß man diese energisch verfolgen werde.
Amtliche Washingtoner Kreise äußern sich mit größter Zurückhaltung über die Curtiusrede, lassen jedoch durchblickcn, daß die Bereinigten Staaten an -er möglichen Verkündung eines Moratoriums nicht interessiert seien, da die amerikanische Regierung weder den Aoungplan unterzeichnet habe, noch eine Verknüpfung der Reparationsfrage mit -er Schuldenfrage anerkenne.
Bei seinem Eintreffen in Cincinati wurde Dr. Schacht um seine Stellungnahme zur letzten Rede des Außenministers Dr. Curtius gebeten. Er erklärte, ein Moratorium sei von lebenswichtiger Bedeutung für Deutschland, das die Reparationen in ihrer jetzigen Höhe unmöglich weiter leisten könne. Ohne ein Moratorium bestünde die dringende Gefahr, daß Deutschland angesichts seiner 3 Millionen Arbeitslosen in eine Revolution hineintreibe.
Abrüstung „falls möglich"
Nur Deutschland darf nicht anfrüsten.
TU. Genf, SS. Nov. Der Abrüstungsausschuß hat am Freitag bei dem Kapitel Heeresausgaben einen französischen Antrag angenommen, nach dem die vertragschließenden Mächte Übereinkommen, ihre Ausgaben für Land-, See- und Aufrüstungen zu begrenzen und -falls möglich" herabsetzen. Damit ist die französische These der Herabsetzung der Rüstungen -falls möglich" von «euem als grundlegende Bestimmung in das Abrüstuugsabkommem ansgenomme« wurde«. Graf Bern stör ff erklärte, eine Beschränkung der Heeresausgaben könne lediglich eine ergänzende Maßnahme neben -er direkten Erfassung der Rüstungen sein, die ja für die Landrüstnngen vom Ausschuß bereits abgelehut worden sei. Die Anwendung verschiedenartiger Methoden für die Land- und Seerüstungeu sch eine offensichtliche Nngerechtig-
Tages-Spiegel
Reichskanzler Brüning hielt vor dem Bertretertag der Landgemeinden eine bedeutungsvolle Rede über die Wege zur Steuerung des kriseuhafteu Notstandes der kleine« Gemeinden.
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Nach den Ermtttlnngcn des Nsrchsstiidtebundes ist die Wohl- fahrtssrwcrbslosigkeit im Oktober gegenüber dem Vormonat in den kleine« Städte« wieder «m SH Prozent gestiegen.
Im Thüringischen Landtag erklärte« sich die Regierungsparteien einig im Kampfe gegen den Reichsinnsnminister Wirth.
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Im Ba-ische« Landtag wurde Jnncnminister Wittemann- Zentrnm zu« Staatspräsidenten gewählt, Rernmele znm Stellvertreter.
Die deutsch-österreichischen Arbeitsgemeinschaften forderten in Wien den baldige« Abschluß eines Wirtschastsbündnisses.
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In einer Brannkohlengrnbe bei Köln stürzte» zwei Millionen Kubikmeter Erde ei«. Zwei Arbeit«, sind verschüttet.
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In alle« Teilen Württembergs entstand durch die starken RegenfLlle, bi« znm Teil «nter orkanartigem Sturm »iederginge«, Hochwasser.
keil. Die deutsche Abordnung enthalte sich daher bet der Abstimmung über den französischen Antrag der Stimme.
Der Ausschuß trat sodann in die Behandlung des entscheidende» Kapitels -Organisation" ein, das ohne Zweifel zu stürmische« Verhandlungen führen wird. Der vorliegende Abkommensentwurf enthält die Bestimmung, daß die vertragschließenden Staaten eine neue Aufrüstung über die Grenzen -cS Abkommens hinaus vornehmen dürfen, wenn ein Krieg ausbricht «nd der Bölkerbundsrat die Aufrüstung einstimmig genehmigt. Die damit für Deutschland im Falle einer Unterzeichnung des Abkommens gegebene Möglichkett der Aufrüstung im Kriegsfall ist jedoch ausdrücklich durch eine Bestimmung ausgeschlos- sen worden, nach der das Abrüstungsabkommen vorhergehende vertragliche Bindungen nicht berührt, in denen einzelne Mächte eine Begrenzung ihrer See-, Land- und Luftrüstungen angenommen haben.
Znr Verhandlung gelangte zunächst die Frage der Schaffung eines Kontrollausschusses. Es wurde ein Unterausschuß eingesetzt, der einen zusammenfaffenden Berich! über diese bedeutungsvolle Frage vorlegen soll. Die deutsche Abordnung lehnte die Beteiligung an diesem Unterausschuß mit dem Hinweis auf ihre grundsätzliche Haltung -n dem gesamten Abrüstungsabkommen ab.
Graf Bethlen in Berlin
TU. Berlin, SS. Nov. Der ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen ist mit Gemahlin in Berlin eingetroffen. Bei de« bevorstehenden Verhandlungen Bethlens soll «S sich um Wtrtschastkfragen handeln.
Bor seiner Abreise aus Budapest erklärte Ministerpräsident Graf Bethlen, er sei darauf vorbereitet, daß im Zusammenhang mit seinem Berliner Besuch in der Press« wieder vage Kombinationen über die Bildung eines Revisionsblockes auftauchen würden. Er betonte mit Nachdruck, -aß dieser Besuch mit keinerlei neuen politischen Gruppierungen in Zusammenhang stehe, sondern hauptsächlich dem Zweck diene, dem von -er ganzen Welt hochgeschätz- ten Präsidenten des Deutschen Reiches die Hochachtung der ungarischen Nation zum Ausdruck zu bringen und die warmen Freundschaftsgefühle zu bekunden, di« die ungarische Nation -er deutschen Nation gegenüber empfindet.
Erdrutsch in einem Bergwerk
TU. Köln, SS. Nov. In dem der Horremer Brikett-Fabrit G. m. b. H. gehörenden Braunkohlen-Bau Fischbach bei Horrem ereignete sich am Freitag vormittag ein schweres Unglück. Ein Teil des südlichen Kohlenstoßes brach aus und wurde Lurch nachrntschende Massen in den Tagebau der Grube gedrückt. Zwei Bergleute, die gerade an der Unglücksstelle arbeitete», gerieten unter die zusammenbrechenden Massen. Sie konnten bisher noch nicht geborgen werden. Die abgestürzte» Erbmassen werden auf etwa zwei Mill. Kubikmeter geschätzt. Es handelt sich um eine Strecke von SO Metern, dt« abgestürzt ist. Alles Material auf der Absturzstrecke wurde mit in die Tiefe gerissen, so «. a. ein schwerer Grubeubagger. An einer Stell« find Taunenbäume, die auf dem höchste» Gipfel -eS Abraums stand«»» 110 Meter tief abgestür-t.