Grüner dankt Heye

Ei» Abschiedsbrief des ReichsrvchrmtnisterS.

TU. Berti«, 31. Okt. Der Reichswehrminister hat an Generaloberst Heye folgenden Brief geruhter:

Sehr verehrter, lieber Herr Generaloberst! In schwie­riger Zeit hatten Sie die Heeresleitung übernommen. Auf der von General von Seeckt geschaffenen Grundlage haben Sie den Wiederaufbau des Heeres in unermüdlicher Arbeit weiter gefördert. Wichtige Probleme aus der langen Dienst­zeit harrten ihrer Lösung. Ihr Verdienst ist es, diese Pro­bleme mit freiem, weitem Blick tatkräftig angepackt zu haben, insbesondere auf den Gebieten der Erziehung und Ausbil­dung. Auf beiden Gebieten sind bedeutende Fortschritte ge­macht worden mit dem Ergebnis, daß hohe Persönlichkeits­werte durch alle Dienstgrade vom einfachen Mann bis zum General erzielt worden sind. Dieser Verdienst ist nicht hoch genug einzuschätzen für unsere kleine Wehrmacht, deren freie Entwicklung durch unerträgliche politische Fesseln gehemmt ist. Ihre Leistung wurde getragen durch die hervorragend loyale und vornehme Haltung Ihrer eigenen Persönlichkeit. Damit haben Sie jedem Offizier ein unübertreffliches Bei­spiel gegeben.

Das ganze Offizierskorps, das ganze Reichsheer und ich ln erster Linie banken Ihnen und werden Ihre Tätigkeit und Ihre Leistungen nie vergessen.

Diesen Worten, die ich bereits am Schluffe der Herbst- Übungen in Gegenwart des Herrn Reichspräsidenten vor ver­sammelten Kommandeuren an Sie gerichtet habe, möchte ich heute bei Ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ganz besonderen Nachdruck verleihen, indem ich Ihnen nochmals Len wärmsten Dank für Ihre verdienstvolle Tätigkeit als Chef der Heeresleitung zum Ausdruck bringe. Auch in ande­ren Stellungen, vor allem als Kommandeur der ersten Divi­sion, haben Sie sich hervorragende Verdienste um die junge deutsche Wehrmacht erworben.

Sie sehen auf eine lange Dienstzeit im Frieden und Krieg zurück glänzend im Aufstieg bis auf die höchste Sprosse und können mit hoher Befriedigung auf Ihre Lebensarbeit zurückblicken. Wir empfinden mit Ihnen und gedenken auch des Chefs des Generalstabes des schlesischen Landwehrkorps, mit dessen Ruhm Sie aufs engste verwachsen sind.

Mit kameradschaftlichem Gruß und besten Wünschen für Ihre und Ihrer Familie Wohlergehen verbleibe ich, lieber Herr Generaloberst, in alter Gesinnung Ihr stets aufrichtig ergebener gez. Grüner."

Streikabbruch

in der Berliner Metallindustrie

TU. Berlin, 31. Okt. Bei der am Donnerstag vorgenom­menen Urabstimmung sprach sich die Mehrheit der Berliner Metallarbeiter für die Wiederaufnahme der Arbeit aus und billigte somit das Ergebnis der unter Vorsitz des Reichs­arbeitsministers gepflogenen Verhandlungen zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Darnach bleibt der alte Tarifvertrag vorläufig bestehen und ein vom Reichsarbeitsmlnistcr nach Benehmen mit den Parteien ein­gesetzter unparteiischer Ausschuß wird in den ersten Novem­bertagen eine endgültige Entscheidung treffen.

An der Urabstimmung beteiligten sich 73 278 Arbeiter, von denen 40431 für die Wiederaufnahme der Arbeit stimmten, während 32 874 die Fortführung des Streiks verlangten. An der Urabstimmung haben sich mehrere Großbetriebe, wie Sie­mens, AEG., und andere mit über 62 000 Arbeitnehmern nicht beteiligt, da sich die Funktionäre dieser Belegschaften für die Wiederaufnahme der Arbeit bereits am Mittwoch entschie­den hatten. Die Arbeitsaufnahme ist heute früh in vollem Umfange erfolgt.

Vereitelter Militärputsch in Athen

TU. Athen, 31. Okt. In Athen sind im Laufe des Don- nerstag über 100 Personen wegen umstürzlerischer Umtriebe verhaftet worden. In der Nacht zum Donnerstag versammel­ten sich über 100 Offiziere unter der angeblichen Führung des früheren Diktators Pangalos in einem Privatgebäude in der Hauptstadt, um die letzten Vorbereitungen für einen Putsch zu treffen, der noch in der gleichen Nacht losbrechen sollte. Bei den Verschwörern handelt es sich um Leute, die mit der Außenpolitik Venizelos und dessen Reise nach Angora unzufrieden sind und darin eine Verletzung des griechischen Nationalstolzes erblicken. Die Beteiligten wurden jedoch schon seit längerer Zeit von der Geheimpolizei beobachtet und diese schritt darauf im gegebenen Augenblick ein. Pangalos selbst ist es gelungen, der Polizei zu entkommen. Die Bewegung hatte auch bereits auf die Marine übergegriffen.

Griechisch-türkischer Freundschastsvertrag unterzeichnet.

Wie aus Moskau gemeldet wird, ist in Ankara zwischen Venizelos und Jsmet Pascha ein Freundschaftsvertrag unter­zeichnet worden. _

Kleine politische Nachrichten

Die Postabfindung an Bayern. Nach den Besprechungen des bayerischen Ministerpräsidenten mit dem Reichskanzler und dem Reichsfinanzminister über die Frage des Zinsen­dienstes für die P o st a b f i n d u n g, die Bayern zu erhalten hat, haben im Finanzministerium eingehende Verhandlungen über die grundsätzlichen Fragen der Postabfindung statt­gefunden. Die Vereinbarung, die bet der Besprechung zwischen dem Reichskanzler, dem Reichsfinanzminister und dem bayerischer Ministerpräsidenten zustanbegekommen ist, bezieht sich lediglich auf die Zahlung des Zinsendienstes für das laufende Jahr. Zu klären bleibt also noch immer die grundsätzliche Frage, in welchem Umfange das Reich die Forderungen Bayerns hinsichtlich der Postabfindung über­haupt anzuerkennen bereit ist.

D«r Aeltcstenrat des Reichstags hielt am Donnerstag eine Sitzung ab. Für die Diätenregelung wurde ein Unter­ausschuß eingesetzt, der ein neues Diäteugesetz möglichst im Einverständnis mit dem preußischen Landtag ausarbeiten soll. Von Kommunisten und Nationalsozialisten wurde eine frühere Einberufung des Reichstages verlangt. Die Mehrheit

des Aeltestenrates stellte sich auf den Standpunkt, daß der Vertagungsbeschluß des Reichstages rechtsgültig sei mrd nicht geändert werden könne.

Dex GDA fordert den Stebenstunden-Arbettstag. Der Ge­werkschaftsbund der Angestellten fordert in seiner Zeitschrift, es müsse mit der wirtschaftsschädlichen Lohnsenkungspsychose Schluß gemacht und der Siebenstunden-Arbeitstag oder die Fünftagewoche eingeführt werden. Im übrigen sei es unbe­streitbar, daß die Trtbutsverträge den Lebensstandard der deutschen Arbeitnehmer unerträglich herabdrttckten. Der GDA. fordert deshalb, daß die Negierung den Gläubiger­staaten gegenüber die ungeheuer schwere soziale Lage der deutschen Arbeitnehmer bei jeder Gelegenheit mit Energie zur Geltung bringt.

Die Polizcikostenzuschüffe für Braunschweig. Der Vor­behalt des Reichsinnenmiuistcrs hinsichtlich der Weiterzah­lung der Polizeikostenzuschüsse an das Land Braunschweig hatte, wie vom Rcichsinnenministerium ergänzend mitgeteilt wird, den Sinn, daß sich der Minister den Weg zum Reichs­kabinett offen halten wollte. Dr. Wirth wollte lediglich die Entwicklung in Vraunschweig abwarten. Das Reichskabiuett habe sich mit der Sache noch nicht befaßt.

Der Jahresbericht der Berliner englischen Botschaft über die Lage in Deutschland. Aus dem Jahresbericht 1930 der englischen Botschaft in Berlin geht hervor, daß Deutschland außer der allgemeinen Depression noch unter einer außer­ordentliche schweren sozialen Bürde zu leiden habe. Trotz­dem habe die deutsche Ausfuhr nach England zugenommen, während die englische nach Deutschland abgenommen habe. Deutschland brauche wohl ausländisches Kapital, aber wahr­scheinlich bedeutend weniger, als man allgemein annehme. Würbe das Kapital wieder nach Deutschland zurückfließen, das aus Steuer- und anderen Gründen ins Ausland geführt sei, und auf fünf bis acht Milliarden geschäht werde, so wären ausländische Anleihen kaum notwendig.

Polnischer Generalstabsmajor nach Veruntreuungen inS Ausland geflüchtet. Aus Lemberg wird ein neuer großer Militärskandal gemeldet. Der polnische Gcneralstabsmajor des Lemberger Korpskommandos, Krause, ist mit einer grö­ßeren veruntreuten Summe ins Ausland geflüchtet.

Rußland kommt zur Abrüstungskonferenz. Die Sowjet- regiernng gab dem Generalsekretär des Völkerbundes offi­ziell ihre Beteiligung an der Tagung der vorbereitenden Abrüstungskonferenz, die am 6. November beginnt, bekannt und ersuchte den Generalsekretär, von der schweizerischen Regierung, mit der Sowjetrnßland keine diplomatischen Be­ziehungen unterhalte, die Paßvisa zu verlangen. An der Spitze der Delegation wird der Volkskommissar des Aus­wärtigen, Litwinow, an den Verhandlungen teilnehmen.

Blutige Arbeiterzusammeustöße in Spanien. In Badalona in der Provinz Barcelona kam es zu blutigen Zusammen­stößen zwischen arbeitswilligen Arbeitern einer Metallfabrik und Kommunisten. Von beiden Seiten wurde geschossen. Es gab zwei Tote und zahlreiche Verletzte.

Bau eines neuen RiesenlustschifseS in Amerika. Das Ma- rinemtnisterium fordert im Haushaltsentwurf für das nächste Jahr die Bereitstellung von 6 Millionen Mark für den Bau eines zweiten Niesenluftschiffes. Die Fertigstellung des ersten Luftschiffes wird für April 1931 erwartet.

Schlagwetter bei Ccharleroi

TU. Brüssel, 31. Okt. In der Kohlengrube Montigny bei Charleroi ereignete sich am Donnerstag eine schwere Schlag­wetterexplosion. Bisher konnten 5 Tote geborgen werden.

Aus aller Welt

Drei weitere Schwerverletzte von Grube Maybach gestor-e«.

Im Fischbachcr Krankenhaus sind drei weitere schwerver­letzte Opfer von der Grube Maybach gestorben. Wie die Lei­tung des Krankenhauses mitteilt, ist mit dem Ableben weite­rer Verletzter nicht mehr zu rechnen. Die jetz noch im Kran­kenhaus untergebrachten Bergleute befinden sich auf dem Wege der Besserung. Die Verwaltung der französischen Saar­gruben hat den Familien der Hinterbliebenen und Verletzten 100 000 Mark bewilligt.

Im oberschlesischen Hochwasser ertrunken.

Das Hochwasser hat nun auch im Kreise Ratibor ein To­desopfer gefordert. Allerdings ist dieses Unglück auf den Leichtsinn der Beteiligten zurückzuführen. Zwei junge Leute aus Roschkau bet Oderberg fuhren in einem großen Vieh­trog im Ueberschwemmungsgebiet herum, um Hasen zu jagen. Dabet geriet das eigenartige Fahrzeug in einen Strudel und schlug um. Während einer der Insassen gerettet werden konnte, ist der andere ertrunken.

Kommunistischer Mordversuch in Paris.

In der Nähe des Pariser Vorortes Sarrouville wurde ein italienischer Staatsangehöriger mit einer schweren Schuß­wunde im Kopf auf der Straß« aufgefunden. Bei seiner Ver­nehmung ließ er sich nur zu der Erklärung bewegen, daß er von zwei Landsleuten überfallen worden sei. Die Polizei vermutet hinter der Angelegenheit ein politisches Attentat. Es gelang ihr, in einer unbewohnten Villa in Sarrouville, in der nach Aussage von Nachbarn italienische Staatsange­hörige verkehrten, eine weitverzweigte kommunistische Pro­pagandazentrale zu ermitteln. Umfangreiche Schriften, falsche Auswetspapiere, Lehrbücher über Klassenkampf und Bürgerkrieg wurden aufgefunden. Im Keller des Hauses war ein frisch ausgehobenes Grab, bas für den, glücklicher­weise nur verletzten Italiener bestimmt war.

Schiffbrüchige auf offener See aufgefischt.

In Newyork trafen sechs Ueberlebende einer im Ozean gesunkenen Jacht namens Barbados an Bord eines englischen Dampfers ein. Sie wurden auf offener See in einem Ret­tungsboot treibend entdeckt und von dem Dampfer ausgenom­men. Sechs Personen hatten gleich beim Untergang der Jacht ihr Leben verloren, drei weitere waren im Rettungs­boot gestorben. Die Ueberlebende« haben furchtbar unter de» Qualen des Durstes -n leiden gehabt. Mehrfach solle«

Dampfer ziemlich nahe an ihnen vorbeigefahren sein, ohne sie jedoch zu bemerken. Erst »ach drei Tagen wurden sie aus­genommen.

Das große Erdbeben von Lissabon

(1. November 1755.)

Von Ernst Herbert Petri.

Wie stets, wenn derartige Katastrophen über die Mensch­heit Hereinbrechen, so fanden wir auch kürzlich gelegentlich des Erdbebens in Mittelitalien in unseren Zeitungen kurze Ueber- blicke über die wichtigsten Naturereignisse dieser Art, soweit sie in geschichtlicher Zeit eingetreten sind. Unter allen diesen Erdbeben, die nicht in unsere Epoche selbst fielen, ist das von Lissabon im Jahre 1755 für uns von höchstem Interesse. Es stellt die erste große derartige Katastrophe dar, die von ernst zu nehmenden Wissenschaftlern untersucht wurde. So war fine.r ^r ersten, der eine Abhandlung über die wahr- schemuch im Zusammenhang mit Lissabon erfolgten späteren Erderschutterungen des Jahres 1755 schrieb. Ihr verdanken wir es nicht zum geringsten Teil, wenn die Aufmerksamkeit des großen Publikums erregt und im Zusammenhang damit dank sofort ecnsetzender Nachforschungen eine Fülle wertvoller Angaben über den Verlauf des Erdbebens gesammelt wurde und uns erhalten blieb.

Greifen wir hier die Schilderung eines Augenzeugen heraus, des englischen Kaufmanns Braddock. Sie beginnt mit den Worten:Keinen schöneren Morgen konnte man gesehen haben als den des 1. November." Er saß um halb zehn Uhr vormittags an seinem Schreibtisch, als dieser in sanft zitternde Bewegung geriet. Gleich daraus wurde oas ganze Haus er­schüttert, als rolle ein schwerer Lastwagen durch die Straße. Braddock horchte auf und vernahm ein Getöse, das aus der Erde zu kommen schien und dem Grollen fernen Donners glich. Ein Erdbeben! Er warf die Feder fort und sah einen Augenblick lang durch das Fenster hindurch, wie die gegen­überliegenden Häuser zusammenbrachen. Er stürzte die Treppe hinunter und erreichte die Straße in dem Augenblick, da sein eigenes Haus zusammenstürzte. Er kroch auf Händen und Füßen über die Trümmer hinweg und erreichte das Ufer des Ta;o. Wenige Sekunden später erfolgte der zweite Stoß, der Wohl schwächer als der erste, aber immer noch stark genug war, um die schon beschädigten Gebäude vollends zu zer­trümmern.

Braddock wollte sich an den neuen Hafenkai retten, aus dem schon Tausende von Menschen Zuflucht gesucht hatten, weil die Trüminer der stürzenden Hauser sie dort nicht er­reichen konnten. In diesem Augenblick schien es. als wolle sich das Meer von oer Küste zurückziehen, vor dem Erdbeben fliehen. Es saugte eine Anzahl Boote und größerer Fahrzeuge mit sich. Gleich darauf aber brauste eine ungeheure Welle heran von verschiedenen Zeugen wird ihre Höhe auf rund zwanzig Meter angegeben, riß die Anker der im Hafen liegenden Schiffe hoch, daß sie oben auf dem Wasser zu schwim­men schienen, und begrub den ganzen Kai unter sich. Als die Woge zurückgeflutet war, blieb weder von der Hafenmauer noch von den Tausenden, die auf ihr gestanden hatten, eine Spur zurück.

Sechs Minuten dauerte das ganze Erdbeben. Es vernich­tete eine Stadt, die damals weit größere Bedeutung hatte als heute und noch der Mittelpunkt eines riesigen Kolonialreiches war, es kostete 60 000 Menschen das Leben.

Dies war, mit kurzen Worten geschildert, der Verlauf der Katastrophe in unmittelbarer Nähe des Erdbebenherdes. In den nächsten Monaten konnte nun durch sorgfältige Sammlung gleichzeitiger Beobachtungen festgestellt werden, daß sich das Schüttergebiet des Lissabonner Erdbebens über ganz Westeuropa ausdehnte und somit größer war als das irgend einer gleichartigen Katastrophe. Es erstreckte sich südlich bis auf den dreißigsten Breitengrad, die heutige Grenze zwi­schen Marokko und Rio de Oro. So stürzte bei Tanger ei« Teil eines Vorgebirges ein, und die Stadt selbst wurde be­schädigt. In der Stadt Marokko fielen einzelne Straßenzüge ein. Unweit der Stadt soll ein Dorf versunken sein. Vor dem Hafen von Mvgador, der bis dahin nur für flachgehende Boot» benutzbar war, versanken die Klippen, so daß me Reede seit­dem eine durchschnittliche Tiefe von dreißig Metern besitzt.

Auf der ganzen Pyrenäenhalbinsel, in Frankreich, in der Poebene bis östlich von Mailand wurden Erdstöße verschiedener Stärke wahrgenommen. Mittel- und Unteritalien blieben vo» Erschütterungen verschont, doch die Rauchwolke über dem Vesuv,, die seit einigen Tagen stärker geworden war, schlug im Augenblick des Erdbebens in den Krater zurück.

In der Schweiz zogen sich verschiedene Seen für Se­kunden vom Ufer zurück. Dutzende von Quellen wurden trübe, Waflerläufe stauten sich für Augenblicke. Der Untersee stieg bei Stein um mehrere Fuß. Auch ganz Schwaben verzeichnet« Erderschütterungen. In Teplitz m Böhmen warf die Haupt­quelle Plötzlich derartige Wassermengen aus, daß kurz daraus alle Bäder uberliefen. Die Seen der Mark Brandenburg wiesen ähnliche Erscheinungen auf wie die der Schweiz. In Hamburg schwankten die Kronleuchter in den Kirchen. Die Eider staute sich. Noch zahlreicher waren die Begleit­erscheinungen des Erdbebens auf den britischen Inseln. Dort entstand in einem Bergwerk bei Bakewell ein mit der Erz­ader parallel laufender Riß von 450 Fuß Länge und einem halben Fuß Breite. Auch Schweden und Norwegen wußten von Erschütterungen zu melden. Im Götatal sollen sogar Bäume entwurzelt worden sein. So erstreckte sich das Schütter­gebiet auf rund zweieinhalb Millionen Quadratkilometer des europäischen und des afrikanischen Kontinentes. ^

Die Flutwelle wirkte sich noch in weit größerem Maße aus. Sie erreichte etwa zwanzig Minuten später Madeira und war neun Stunden später an der Küste der westindischen Inseln Antigua, Barbados, Martinique elngetroffen. Aus diesen beiden Zeitangaben ist zu ersehen, daß die Schnellig- keit der wellenförmigen Fortpflanzung allmählich nach Westen abnahm, so daß der Herd des unterseeischen Bebens unmittel- bar an der portugiesischen Küste zu suchen war. ^

Aus allen diesen Beobachtungen ging hervor, daß Me Lissabonner Katastrophe durch eines der heftigsten Erdbeben hervorgerufen worden war, die je unsere Erdrinde erschm- terten. Eine lange Reihe ähnlicher, wenn auch längst nicht so bedeutender Naturereignisse ging ihm voraus. Die Er­klärung für diese starke Erdbebenhaufigkeit des Unterlaufes des Tajos finden wir im geologischen Aufbau der portu­giesischen Küste. Das Gebiet ist eine Erdscholle, die im Nord- osten durch den großen Stufenabsall der Gebirge um die Sierra da Estrella begrenzt wird, der ursprünglichen Fort­setzung der Küstenlinie. An diesen Steilabhängen enden un­vermittelt die kristallinischen Massengesteine, während das Land zu ihren Füßen jüngeren geologischen Formationen an­gehört, die noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Diese Scholle ist in verhältnismäßig neuer Zeit aus dem Atlantischen Ozean emporgehoben worden und setzt sich in südwestlicher Richtung unter dem Meere fort, wo in unmittelbarer Nahe der Kn>tL Ltt Herd des Lissabonner Erdbebens zu suchen ist, . "