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Nr. 256
Amts- unä Anzeigeblatt für äen vberamtsbezirk (alw
Samstag, den 1. November 1930
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In der Stadt 40Soldpfennig« wöchentlich mit ^rägerlohn Post-Sezugsprei» 40 Soldpfennige ohne Bestellgeld
Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags
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verantwort!. Lchriftleitung: Friedrich Han« Scheele Druck und Verlag der A. Oelschlöger'schen Suchdruckerei
Jahrgang 103
Um das neue Reformprogramm der Regierung
Verhandlungen des Reichskanzlers mit den Länderverlrelern
Berltu, 1. Nov. Dem Reichskabinett ist es, wie bereits gemeldet, in -er Nacht -um Freitag gelungen, die Arbeiten zum Reformprogramm abzuschließen. Der wesentliche Inhalt — mehr als zwei Dutzend Gesetzentwürfe, um die es sich im ganzen handelt — ist ja bereits aus den früheren Mitteilungen bekannt. Um nur das wichtigste aufzuzählen, dreht es sich dabei um die Gehaltskürzung im Reich, die Beschränkung des Personalaufwands in Ländern und Gemeinden, verbunden mit einem besonderen Spargesetz, die Anpassung des Haushaltsberichtes von Ländern und Gemeinden an das Reich, die Tabaksteuern, Zuschlag zur Einkommensteuer, Verlängerung der Ledigensteuer, Senkung der Realsteuern in den Ländern, Steuervereinheitlichungsgesetz, Senkung der Kapttalertragssteuer, Maßnahmen zur Regelung des Klein- wohnungsbaus, Umbau des Neichsmietengesetzes und eine provisorische Regelung des Finanzausgleichs. Davon sind mindestens die beiden Vorlagen über die Senkung der Real- fteueru und die Personalbeschränkung in den Ländern verfassungsändernd, weil hier ein Eingriff in dte Finanzhoheit der Länder in Frage kommt. Sie bedürfen also zur Annahme einer qualifizierten Mehrheit.
Vorläufig kämpft der Kanzler noch einen ziemlich hoffnungslosen Kampf um die einfache Mehrheit. Daß es ihm gelingen wird, auch die Nationalsozialisten, die mit den Kommunisten allein eine Sperrminderheit bilden könnten, dafür zu gewinnen, ist mehr als unwahrscheinlich, sodaß sich auch schon wieder aus diesem Gesichtswinkel die Notwendigkeit einer Einschränkung des Artikels 48 ergibt.
Gestern vormittag empfing der Reichskanzler und der Reichsftnanzminister die Vertreter der nord- und mitteldeutschen Länder zu einer eingehenden Besprechung des Finanz- und Wirtschastsprogramms der Neichsregierung. Der Zweck des Empfangs war, eine grundsätzliche Aussprache über den Inhalt der großen Gesetzesvorlagen der Neichsregierung.
Die Besprechungen haben in Regierungskreisen durchaus den Eindruck hinterlafsen, daß bei aller Kritik der Länder dennoch die Beratungen des Reichsrates wesentlichen ohne Schwierigkeiten vor sich gehen könnten. Der Grund liegt in der Hauptsache darin, daß das Wirtschafts- und Fi- uauzprogramm der Reichsregierung eine Fülle von aufein
ander angewiesenen Bestimmungen enthält, die nicht einzeln abgeänöert werden können, ohne das gesamte Gesetzeswerk zu gefährden. Endgültiges über das Schicksal der Regierungsvorlage im Reichsrat kann natürlich noch keineswegs gesagt werden,- man rechnet aber durchaus mit einer glatte» Erledigung.
Brüning und Dietrich heute in Dresden.
Reichskanzler Dr. Brüning begibt sich heute in Begleitung des Staatssekretärs in der Reichskanzlei, Dr. Pün- öer, nach Dresden, um der sächsischen Staatsregierung seinen Besuch abzustatten. Er benutzt seine Anwesenheit in Dresden dazu, um in gleicher Weise, wie dies mit den übrigen Ländern geschehen ist, zur Vorbereitung der in der kommenden Woche beginnenden Beratungen des Reichsrates die Hauptfragen des Wirtschafts- und Finanzplanes der Neichsregierung zu erörtern. Aus diesem Grunde schließt sich auch der Stellvertreter des Reichskanzlers, Neichsfinarlzminister Dr. Dietrich, Ser Reise an.
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Fortsetzung der Preisscnkunüs-Vesprechnngeu.
Bei einer gestern im Reichsernährungsministerinm stattgehabten Besprechung mit Vertretern dos Fleischergewerbes hat sich Las Fleischergewerbe bereit erklärt, in Zusammenarbeit mit den amtlichen Stellen, besonders der Reichsforschungsstelle, für das landwirtschaftliche Marktwesen in kürzester Zeit die Unterlagen für die sachliche Klärung der Preisbildung mit Fleischwaren zu schaffen. Dabei ergab sich, daß sich auch das Fleischergewerbe voll bewußt ist, daß im Hinblick aus die Uebererzeugung an Schweinen der Absatz von Schweinefleisch ganz besonders gefördert werden müsse.
Amtlich wird mitgeteilt: Im Rahmen des auf allgemeine Senkung der Gestehungskosten und Preise gerichteten Programms der Neichsregierung hat auch das Mitteldeutsche Braunkohlensyndikat Preissenkungen vorgenommen. Außer dem bereits bekannt gegebenen Nachlaß auf seine Listenpreise für Jndustriebriketts hat es auch auf Hausbranöbriketts und zwar auch außerhalb des bestritten Gebietes in frachtlich ungünstiger gelegenen Gebietsteilen einen Nachlaß gewährt. Die Nachlässe betragen durchschnittlich 1 Mark je Tonne.
Die Hochwasserkatastrophe in Schlesien
Schneeschirelze und Dauerregen verursachen neue Flutwellen
TU. Br«slan, 1. Nov. Am Donnerstag einsetzende Regenfälle haben in den letzten 24 Stunden in den Sudetenländeru erneut eine große Hochwasserwelle hervorgerufen. In den MittelgeVirgsorten wie Bad Neinerz, Oberschreiberhau und Flinsberg ist die 10 bis 25 Zentimeter hohe Schneedecke fast restlos verschwunden und außerdem sind starke Regenfälle ntedergegangrn, die meist 25 Zentimeter erreichten. Den Ge- birgsflüffen werden daher große Mengen von Schmelzwasser zugeführt, zumal das Tauwetter sich bis in die höchsten Lagen dor schlesischen Gebirge erstreckt.
Die Vorboten der neuen Hochwasserwelle, die Breslau erneut bedroht, machen sich bereits in einem enormen Ansteigen der Ohle, eines kleinen Nebenflusses der Oder, bemerkbar. Die östlichen Vororte Breslaus find bereits vom Verkehr mit der Stadt abgeschnitten. Die Lebensmittelznfuhr wird mit Kähnen aufrecht erhalten. Im oberen Stromgebiet der Oder ist die Nückgangsbewegung zum Stillstand gekommen. In Ratibor selbst ist eine wesentliche Besserung der Lage eingetreten, während sich das Fallen des Wassers in den Ortschaften des Kreises bisher weniger ausgewirkt hat. Der Scheitel der Hochwafferwelle hat sich inzwischen über Cosel bis nach Oppeln verschoben. Seit Freitag früh steht das Wasser in Oppeln auf 5,67 (Mittwoch 5,82 Meter). In -ex tief gelegenen Oppelner Odervorstadt sind mehrere Straße« überschwemmt. Eine Reihe von Häuser« wurde geräumt. In Cosel ist der Vahnhosvorplatz überflutet. In einer Reihe tief gelegener Häuser ist bas Wasser eingedrungen. Auch im Landkreise Cosel sind jetzt erhebliche Ueberschwemmungen zu verzeichnen. Mehrere Schulen mußten geschloffen werden.
Der Oderbamm bei Brieg gebrochen.
Eine von Oberschlesien her hereinbrechende Flutwelle hatte bereits in der Freitag Nacht einen Bruch des Oder- dammes bet ILndcn in der Nähe von Brieg in einer Breite von etwa 80 Meter zur Folge. Dte Oderstrombauverwaltuna hat sofort alle erforderlichen Maßnahmen zur Schließ«»« des Bruchs eingeleitet. "
Der Neichslandbnnd fordert Hilfsmaßnahmen für die ! Hochwaffcrgebicte.
, Das Präsidium -es Reichslanöbundes hat an den Reichs- lernährungsminister und den preußischen Landwirtschafts
Minister gleichlautende Schreiben gerichtet, in denen angesichts der großen Not in den Ueberschwemmungsgebieten Schlesiens und Brandenburgs um schnellste Einbeziehung der betroffenen Gebiete in die Osthilf« gebeten wird. Weiter wlrd gefordert, di« Niederschlagung sämtlicher rückständiger und jetzt fälliger Steuern sowie der im Jahre 1926 bis 1927 gewährten Notstands- und Hochwasserkredit« und Einleitung einer staatlichen Notstandsaktion.
Die Zerstörungen im italienischen Erdbebengebiet
TU. Rom, 1. Nov. Nach den letzten Meldungen aus dem Erdbebengebiet ist Senegallia zu einem Drittel völlig zerstört und zu einem zweiten Drittel unbewohnbar. Die Bevölkerung ist in Zelten untergebracht, soweit sie nicht anderweitig Obdach gefunden hat. In Ancona ist die Wirkung des Erdbebens weniger verheerend gewesen, doch sind auch dort dte meisten Häuser beschädigt. Zahlreiche beschädigte Kirchen mußten geschloffen werden.
Um 4.20 Uhr und um 9 Uhr vormittags wiederholten sich die Erdstöße, ohne jedoch weiteren Schaden zu verursachen. Die Verlustziffern haben sich nur wenig geändert. Ancona beklagt nach Meldungen italienischer Blätter 5 Tote und 60 Verletzte, Sinogallia 11 Tote und 276 Verletzte und die Provinz Pesaro 2 Tote und 36 Verletzte. Der »Offer- vatore Romano" weiß allerdings zu berichten, baß in Sine- gallta schon 15 Tote unter den Trümmern hervorgeholt worden seien und die Zahl der Verwundeten etwa 300 betrage. Aus Rom sind Carabinieri zrri Verstärkung der AuffichtS- truppen ins Erdbebengebiet entsandt worden.
Prälat Schofer -s-
TU. Freiburs, 1. Nov. Am Donnerstag albend ist der Führer des badischen Zentrums, Prälat Dr. Josef Scho- f er, im Alter von »4 Jahren plötzlich gestorben. Mit Dr. Schofer ist eine der markantesten Persönlichkeiten des badischen politischen Lebens der Bor- und Nachkriegszeit aus dem Leben geschieden. Bekanntlich ist er mit allem Nachdruck afür eingetreten, daß sich in Baden Zentrum, Sozialdemokraten und Demokraten i« der Regierung vereinten.
Tages-Spiegel
Reichskanzler Brüuing verhandelte gestern mit Le« Vertretern nord- und mitteldeutscher Länder über das neue Reformprogramm der Reichsregierung. Heute begibt sich der Kanzler nach Dresden.
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Die Ministerpräsidenten -er einzelnen Länder sind z« einer Aussprache a«f nächste« Dienstag von der Neichsregierung nach Berlin eingela-e» worden.
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Als einzige SteuererhShuug bringt Las neue Finanzprogramm eine Erhöhung der Tabaksteuer, von der m«u 16? Millionen Mark Mehrertrag erwartet
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Im Vombenlegerprozetz «mrde« 18 Angeklagte vom Schwurgericht in Altona zu Zuchthausstrafen von 7 Jahren bis Sü Mark Geldstrafe wegen Verbrechens gegen das Spreug- stoffgesetz verurteilt.
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Das bulgarische Sönigspaar ist am Freitag mittag feierlich in Sofia eingezogen und in der Kathedrale «ach orthodoxem Ritus getränt worden.
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Zur Belebung des amerikanischen Arbeitsmarktes find über 4 Milliarden Mark für Notstandsarbeite« mobilisiert worden.
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Die französische Regierung weigert sich, ihre in de« Jahren 1915 bis 1917 in England anfgenommene« Anleihen in Goldwährung znrückznzahle«. Der Verlust, der dadurch für England entsteht, beträgt 59« Millionen Mark.
Aus dem Reichshaushallsplan 1931
Der nunmehr vorliegende Haushaltplau der Reichsmini» sterien, des Reichskanzlers und der Reichskanzlei bringt, wie der »Demokratische Zeitungsdienst" mitteilt, insgesamt eine Ersparnis von rund einer Million Mark. Wegen der Notlage im Rechnungsjahr 1931 hat die Neichsregierung beschlossen, den bei der zweiten Beratung des Haushaltplanes 1930 gefaßten Beschluß des Reichstages, die Vertretungen der Retchsregierilng in München künftig Wegfällen zu lassen, schon jetzt zu verwirklichen. Der Vertreter der Reichsregie, rung in München, v. Hantel, wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Die übrigen Beamtenstellen werden auf andere Reichsverwaltungen übertragen werben. Weiter wird wegen der finanziellen Notlage das Aufgabengebiet der Reichszentrale für Heimatdienst vorübergehend wesent- lich eingeschränkt werden. Infolge der Kürzung der Gehälter um 20. v. H. bezieht der Reichspräsident nunmehr noch 48 009 Mark Gehalt und 120 000 Mark Aufwamdsgelder. Im Haus- halt des Reichstages sind die Aufwandsentschädigungen für die Mitglieder des Reichstages auf 4 083 200 RM. festtgeseht worden gegenüber 4 365 000 RM. im Vorjahr. Die Entschädi- gung an die Eisenbahn für die Freifahrt der Reichstagsab- geordneten hat sich Infolge der Vermehrung der Zahl der Abgeordneten um 220 000 RM. erhöht,- sie beträgt jetzt rund Ich Mill. RM. Der Reichstagspräsident fordert für den weiteren Grunderwerb und ersten Teilbetrag eines Neubaues für di« Reichstagsverwaltung 1 Million Mark an.
Das Reparalionsproblem
TU. Reuyork, i. Nov. DaS »Journal of Commerce" erklärt in einem Leitartikel über das Reparationsproblem, es bestände kein Zweifel mehr, daß di« Reichsregierung die interessierten Stellen inoffiziell von der Unwahrschetnlichkeit in Kenntnis gesetzt habe, den Transfer der aufschiebbaren Reparationszahlungen über die nächsten drei Monate hinaus fortzuführen Dte Europareise Owen Youngs stehe hiermit im Zusammenhang. Auch in Washington werde der ganze Fragenkomplex ernsthaft erörtert. Deutschland sei am End« seiner Kraft, die Halsstarrigkeit Amerikas «nb de, ehemals alliierte» Mächte könne sehr leicht in Mitteleuropa ei« Chaos herdeiführen. Natürlich sei eine Umorientiernng der Washingtoner Regierung in der Frage der interalliier, ten Salden die Voranssetznng für eine Lösnng dieses brennenden Problems.
Die Ausführungen des »Journal os Commerce" find rein sttmmungsmäßig außerordentlich bezeichnend für die Haltung weitester Kreise der amerikanische Ftnanzwtrtschaft zur Tribut- und Schuldenfrage, wenn auch der oben erwähnte Schrit der Reichsregierung, wie an zuständiger Stelle erklärt wird, nicht getan worden ist. Die Abstimmung im Auswärtigen Ausschuß über die Aounganträge ist, wie ausdrücklich betont wird, keineswegs als ein Verzicht auf die mögliche Stellung von Moratoriumsanträgen aufzufaffen. Ein solches deutsches Vorgehen hänge einzig und allein ab von der Durchführung des Finanzprogrammes und vor allen Dingen von -er wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Vielleicht wird sich schon im Frühjahr übersehen lasse«, welche Schritt« zu tun sind