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104. Jahrgang
Nr. 80
Gegründet 1827
Samslcrtz, den 5 . April 1930
Fernsprecher Nr. 29
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75°o Biersteuer-Erhöhung - Gaststättengesetz
Berlin, 4. April. Ärmlich wird mitgeteilt: Das Reichskabinett befaßte sich in seiner heutigen unter dem Borsitz des Reichskanzlers Dr. Brüning stattgehabten Sitzung mit den inzwischen vom Reichsrat verabschiedeten beiden Gesetzesvorlage« betreffend »Vorbereitung der Finauz- reform" und »Uebergangsregelung des Finanzausgleichs'. Beide Vorlagen gehen sofort dem Reichstag zu, so daß ihre erste Lesung bereits am kommenden Dienstag stattfinden kann. Das Reichskabineit erörterte sodann das weitere Borgehen im Steuerausschutz des Reichstags, dessen Beratungen mit größter Beschleunigung zu Ende geführt werden müssen. An dem Vorschlag der 78prozeu- tigen Biersteuererhöhung hält die Reichsregierung fest.
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Deutscher Reichstag.
Berlin, 4. April.
Abg. Diez (Z.) wies cmf die große volkswirtschaftliche Bedeutung des Gastwirtsgewerbes hin, das in Deutschland 430 000 Gaststätten umfasse. Eine Trockenlegung nach amerikanischem Muster würde für Deutschland nicht angebracht sein. Wichtig sei aber der Schutz der Jugend vor dem Alko- holmihbrauch. Der Redner beantragte im Paragraph 26
eine Aenderung dahin, daß die Konzessionspflicht nicht' auk den Kleinhandel mit Wein ausgedehnt werden kann.
Reichswirtschaftsminister Dietrich- Die jetzt vorliegende Lösung bedeute einen Mittelweg. Die Vorschrift, nach der die Klagbarkeit von Forderungen, die aus der wiederholten Kreditierung von Branntwein herrühren, ausgeschlossen wird, sei grundsätzlich zu billigen. Der Ausschank selbsterzeugten Weins oder Apfelweins in sogenannten Besen- wirtschaften sollte mit Genehmigung der obersten Landesbehörden aus die Dauer von höchstens 4 Monaten zugelassen werden. Die Polizeistunde sollte als äußerste Grenze 1 Uhr sein, abgesehen von Ausnahmefällen. Die Bestimmung, wonach schnapsfreie Tage angeordnet werden können, soll aus den Kleinhandel in verschlossenen Flaschen mit einem gewissen Mindestgehalt keine Anwendung finden. Ein Reklameverbot für den Alkohol in den Berkehrsanstalten empfehle sich nicht.
Ministerialdirektor Dr. Klausner: Für eine einheitliche Regelung der Polizeistunde sei kein Bedürfnis vorhanden. Die Regelung müsse auch fernerhin den Landesbehörden überlassen bleiben.
Abg. Loibl (Bayr. BP.) forderte, daß die Prüfung der Bedürfnisfrage auch weiterhin den Landesbehörden überlassen bleibe. Das gleiche gelte für die Polizeistunden- regelung.
In Japan haben in den letzten Tagen Feierlichkeiten anläßlich -er Vollendung des Wiederaufbaus der am 1. September 1923 durch Erdbeben und Feuer zerstörten und verwüsteten Städte Tokio und Dokohama staikgefunden. Aus diesem Anlaß hat die japanische Regierung durch ihre Berliner Botschaft dem Reichspräsidenten, der Reichsregierung und dem deutschen Volk den Dank für die damals erwiesene Anteilnahme und werklägige Mithilfe aussprechen lassen.
Den gegenwärtigen Manövern der 11. schweizerischen Znfanteriebrigade wohnen auch ausländische Offiziere bei. Die Reichswehr ist durch Generalleutnant Frhr. von dem Vusiche und seinem Adjutanten, Hauptmann hünermann, vertreten. Vom 7. bis 12. April wird auch General Reinhardt in Zivil anwesend sein.
Das englische Gesetz über die Kohlenbergwerke ist mit einigen von den Liberalen beantragten Aenderungen vom Unterhaus mik 277 gegen 2Z4 Stimmen angenommen worden.
Der südamerikanische Staat Paraguay wird gemäß einem Vermikklungsvorschlag Uruguays am 1. Mai die vollen amtlichen Beziehungen mik Bolivien wieder aufnehmen. Damit wird der nun fast anderthalb Jahre dauernde Streik um die Grenze im Gran Ehaco beendet sein.
Ein bokumeiil zm kriegsschuldsrage
Die Lebensgeschichte Lord Carnocks
Die Antwort des Gesandten macht es klar, daß man dabei an einen Durchmarsch englischer Truppen durch Belgien dachte, „bevor die Deutschen tatsächlich belgischen Boden betreten hätten'.
Eingehend werden in dem Buch auch die Tage des Kriegsausbruchs behandelt. Es geht daraus u. a. hervor, daß Sir Edward Grey Frankreich die Unterstützung der britischen Flotte versprach, bevor überhaupt von der Verletzung der belgischen Neutralität die Rede war.
Nicolson ist. der Ansicht, daß die verhängnisvolle Schwachheit der britischen Politik vor dem Krieg ihre tatsächliche Verschwommenheit gewesen sei. Abkommen seien getroffen worden, deren Ergebnis derart gewesen sei, daß, während Grey glaubte, England habe sich vollkommene Handlungsfreiheit gesichert, Poincare überzeugt war, England habe sich unwiderruflich gebunden.
Der „Daily Herald", das Blatt der englischen Arbeiterpartei, weist in einem Leitaufsatz auf diese Stelle des Buches hin und meint, es gebe zwar heute nicht wie in den Jahren vor 1914 geheime Verpflichtungen, von denen die Öffentlichkeit nichts wisse, aber es gebe Verpflichtungen aus Grund des Völkerbund- und des Locarno-Vertrags, die meistens die Möglichkeit einer Aufforderung Englands zur Beteiligung am Krieg enthielten. Einige von ihnen seien in Urkunden enthalten, deren Sprache absichtlich und gefährlich unbestimmt sei. England müsse bei diesen Verträgen genau wissen, woran es sei und wieweit diese Verpflichtungen bindend seien. Es könne nicht wiederum unbestimmte Verpflichtungen eingehen, die auf „Ehre" und „Loyalität" aufgebaut seien, oder irgendein Versprechen geben, von dem andere annehmen, daß es mehr enthalte," als die Engländer glaubten. Wenn England unter
gewissen Umständen zu kriegerischen Maßnahmen verpflichtet sei, so müsse England und die Welt genau wissen, daß England zu diesem oder jenem nicht verpflichtet sei. sondern zu was es tatsächlich verpflichtet sei und dabei genau wann, warum und bis zu welchem Ausmaß.
Diese Ausführungen des „Daily Herald" enthalten natürlich einen sehr deutlichen Hinweis auf die zurzeit im Gang befindlichen englisch-französischen Verhandlungen über eine sogenannte Sicherhritsformel. unter der beide Parteien sich etwas ganz anderes denken oder wenigstens denken möchten.
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Von seiten der Reichsregierung wird erklärt, daß die Annahme der Deckungsvorlagen die unbedingte Voraussekmig kür die Durchführung des Aqrarprogrmnms bilde, das gleichfalls noch vor Ostern verabschiedet werden ioll.
^Neueste Nachrichten
Die weitere Arbeit des Reichstags
Berlin, 4. April. Rach dem bisherigen Arbeitsplan soll der Reichstag bis zum 12. April .zusammenbleiben. Er wird» falls nicht doch vorher seine Auflösung kommen sollte, Anfang Mai seine Beratungen wieder aufnehmen.
Die deutschen Mitglieder -es Verwallungsrats der Tributbank
Berlin, 4. April. Der neue Reichsbankpräsident Dr. Luther hat den Bankier Melchior in Hamburg und den Kommerzienrat Dr. Reusch in Oberhausen (Rheinpr.) zu Mitgliedern des Derrvaltungsrats der B.J.Z. berufen und zu seinem eigenen Stellvertreter im Verwaltungsrat den Geh. Finanzrat Dr. Wocke, Mitglied des Reichsbankdirektoriums, ernannt.
Die Preußenkroaliklon bleibt
München» 4. April. In der „Postzeitung", einem führenden Blatt der Bayerischen Volksparkei, schreibt ein Mitglied der preußischen Zentrumsfraktion, die Auslösung der bisherigen Koalition im Reichstag habe die Frage erstehe« lassen, ob nicht auch in Preußen die Weimarer Koalition beendet und^eine Verbindung ähnlich der im Reichstag geschaffen weinen solle. Man müsse aber sich erinnern, daß Deutschnationale und Deutsche Volkspartei in Preußen das Konkordat abgelehnt, die Sozialdemokraten es angenommen haben. Das Zentrum wisse, was es in Preußen bei der Verbindung mit der Sozialdemokratie erreicht habe und noch erreichen könne, nicht aber, was werden würd«, wenn diese Verbindung nicht mehr vorhanden sein sollte. Freilich sei das Zentrum angesichts der religiösen Zersetzungserscheinungen schärfste Wachsamkeit nötig, und gewiß könne eine Verschiedenheit zwichen der Regierung des Reichs und der Preußens Schwierigkeiten herbeiführen. Die Verbindung des Zentrums mit der Sozialdemokratie in Preußen habe man als das kleinere Hebel erkannt» und darin sei auch ihre Fortdauer begründet.
Tschechoslowakischer Parlamentsausschuß für die nationalen Minderheiten
Prag, 4. April. Im Abgeordnetenhaus wurde von allen Minderheitsparteien ohne Unterschied der politischen Zugehörigkeit ein Antrag aus Einsetzung eines Ausschusses für
Die überalterte Flottenkonferenz
Bisher einziges Ergebnis: französisch-italienische Spannung
Der frühere britische Botschaftsrat in Berlin, Harold Nicolson, der jetzt zum Stab der Beaverbrook-Presse gehört, hat eine Lebensgeschichte seines 1928 gestorbenen ! Vaters Lord Carnock geschrieben, die am 3. April er- ! schienen ist. Lord Carnock, früher Sir Arthur Nicolson, war ^ von 1905 bis 1910 britischer Botschafter in Petersburg und hat am 31. August 1907 das britisch-russische Abkommen unterzeichnet. Bei dieser Gelegenheit übersandte ihm Eduard VII. ein privates Anerkennungsschreiben, worin er das Abkommen mit Recht als einen „großen Triumph ! der britischen Diplomatie" bezeichnte. In der Lebcns- geschichte ist auch eine Reihe von Mitteilungen enthalten, die für die Kriegsschuldsrage außerordentlich wichtig sind.
Im September 1911 wurden Vorbereitungen für die Landung von 4 oder 6 britischen Divisionen auf dem Festland bis in die kleinsten Einzelheiten ausgearbeitet. Im Jahr 1912 ist die französische Regierung überzeugt, daß der Krieg voraussichtlich „nächstes Jahr oder später" kommen werde. Im Jahr 1913 sind die französischen Militärs „der Meinung, daß es viel besser für Frankreich sein würde, wenn der Krieg nicht zu lange hinausgeschoben würde".
Die wichtigste Stelle in der Lebensbeschreibung ist aber die Feststellung, daß im Jahre 1913 Großbrtannien und Frankreich, was von deutscher Seite immer behauptet worden ist, eineVerletzungderNeutrali- ^ tät Belgiens ernsthaft ins Auge faßten. „Wir und Frankreich", schrieb Carnvck, der damals ständiger Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt war. an den bri- tischen Gesandten in Brüssel, „dürften Truppen über die belgischeGrenzezu schicken haben, um das Vordrin- aen deutscher Truppen von der andern Seite aufzuhalten".
London. 4. April. Die Flottenkonferenz gerät immer ! mehr in einen Zustand der Gereiztheit und der Ver - ftimmung. Man hat den Eindruck, daß jeder der Teilnehmer nur darauf wartet, daß der andere den Vorwand zr.n Abbruch der längst gescheiterten Konferenz liefert. Englands Entgegenkommen gegenüber den französischen Sicherheitswünschen sollte die Konferenz, auf die Mac Donald so große Hoffnungen gesetzt hatte, retten. Aber eine ehrliche Formel, die den Franzosen militärische Unter- stützung gesichert und den Engländern keine neuen Verpflichtungen auferlegt hätte, ließ sich natürlich auch auf dem Wege der „Auslegung" des Artikels 16 der Völkerbundssatzung nicht finden, und überdies stellte sich heraus, daß die französische Abordnung jetzt, wo man auf die Sicherheitsfrage einging, plötzlich keinen Zusammenhang zwischen ihr und der F l o t t e n a b rü st u n g anerkennen wollte. Damit ist auch für England jedes Interesse an weiteren Verhandlungen mit Frankreich geschwunden, und es ist wohl kein Zufall, daß Briand, der im Laufe des gestrigen Tages mit Henderson zusammenzukommen hoffte, zu seiner Enttäuschung hören mußte, daß der britische Außenminister durch die ägyptischen Verhandlungen zu sehr in Anspruch genommen sei und nicht eine halbe Stunde erübrigen könne. Briand ließ darauf erklären, er würde es für das besle halten, wenn die 'Konferenz vor Ostern abgeschlos^ ssn würde, da eine allzulange Fortsetzung unerwünschte Folgen zeitigen würde. Einige dieser Folgen seien bereits in einer sehr beklagenswerten Verschärfung
Ser französisch-italienischen Beziehungen sichtbar. Diese Verschärfung ist tatsächlicb fast das einzige, was mit Sicherheit als Ergebnis der Konferenz feststeht, denn das Streben nach einem Mittelmeerpakt auf französischer und die Forderung nach Gleichheit auf italienischer Seite haben das ganze Mißtrauen, das die „kaieinischsn Schwestern" gegeneinander hegen, vor aller Oeffentlichkeit enthüllt. Jedenfalls ist es ein Erfolg der Abgesandten Mussolinis, die gleichfalls schon zum Ausbruch rüsten, eine moralische Aus-die-Seite-Stellung Italiens in London verhindert zu haben.
Italien wirst die Karlen auf den Tisch
Mailand, 3. April. Die Erbitterung der italienischen Presse über die Londoner Seekonferenz nimmt täglich heftigere Formen an. Mussolinis „Pvpolo d'Jtalia" richtet nicht nur grimmige Vorwürfe gegen die Franzosen, sondern beschuldigt auch die Engländer, durch Drohungen mit einem Viererabkommen die Unterschrift Italiens erpressen zu wollen. Italien aber bleibe fest und werfe die Karten auf den Tisch. Ihm sei es wohler allein als in einer Gesellschaft non Verächtern des Kellogg-Pakts und der Dölkerbundsver- rsjung. Das vorauszusehende Wettrüsten habe übrt-
grns die Rüstung der Entwaff rieten zur Folge. Der in L^mdon in seiner brutalsten Form auftretende Imperialismus laufe auf die Bewaffnung Frankreichs und die Entwaffnung Italiens hinaus.