Deutschlands Verelendung
TU. Paris 8. Sept. Der frühere amerikanische Senator von Missouri, James A. Ree -d, der von einer Autotour durch Deutschland nach Paris zurückgekehrt ist, hat einem Vertreter der „Chicago Tribüne" eine erschütternde Darstellung über die gegenwärtige Lage in Deutschland gegeben. Senator Reed, so fügt das Blatt hinzu, habe mit uneingeschränkter Ueberzeugung über die Ungerechtigkeit gesprochen, die Deutschland durch seine früheren Feinde erlitten habe. Er habe ein tragisches Bild von einem verarmte« und von den Forderungen der Gläubigerstaaten erdrückte» Land gezeichnet, das einen harten Kampf führe, «m sich der nieder» schmetternden Verpflichtungen, die ihm dnrch die Repara- tionskommiffio« auferlegt wurden, z« entledige«.
Der Senator habe erklärt, Deutschland sei gegenwärtig mit einem Menschen zu vergleichen, dessen Körper aus 30 Wunden blute, während seine Aerzte — die alliierten Staaten — ihn zu heilen versuchen, indem sie andere Wunden öffnen. Er.sei ehrlich davon überzeugt, daß kein Staat, nicht einmal ei» kräftiges «nd abgehärtetes Volk wie die Deutschen, i» der Lage sei, sich wieder aufznrichtc«, wenn ihm nicht eine Zeit gewährt werde, sich von seiner Niederlage z« erholen. Er sei der Ansicht, wenn ein Krieg vorbei sei, er wirklich vorüber sein solle. Der ehemalige Feind sollte wieder als Freund gelten und der Sieger sollte dem Besiegten eine hilfreiche Hand entgegenhalten.
Der Senator gab dann eine ausführliche Schilderung über die Eindrücke in Deutschland, über die hoffnungslosen Lebensbedingungen der Arbeiter, über verödete Bauernwirtschaften und Güter und über Bauern, die mit veralteten Geräten unter entmutigenden Bedingungen arbeiten müßten. Deutschland habe eine» prachtvolle» Geist und es werde sich niemals aufgeben. Man sollte ein Programm entwerfen, «m seine Industrie zu belebe», damit bessere Löhne an die Arbeiter gezahlt werden könnten. Es würde dies eine wahre Geste der modernen Humanität sein. Gegenwärtig werde aber Deutschland ausgesangt. Dagegen seien die französischen Kriegsschulden an Amerika seinerzeit aus Sympathie mit einem zusammengebrochenen Staat so gut wie annulliert worden. Die gegenwärtige Rückzahlung betrage nur 20 Cents für den Dollar, d. h. nur ein Fünftel des seinerzeit geliehenen Betrages. Desgleichen habe auch Amerika große Zugeständnisse an England gemacht.
Steigende Ausfuhr nach Frankreich
TU. Berlin, 8. Sept. Die „Vossische Zeitung" berichtet aus Paris: Der französischen Ausfuhr ist es gelungen, sich nunmehr den ersten Platz auf der Liste der französischen Einfuhren zu sichern. Sie hat nacheinander die belgisch-luxemburgische Zollunion, England und die Vereinigten Staaten überflügelt. Nach der französischen Zollstatistik hat Frankreich in den erste« sieben Monaten des Jahres 1636 deutsche Waren im Werte von 4,7 Milliarden Franken gegen 3,6 in dem gleichen Zeitraum des Vorjahres eingeführt. Demgegenüber ist sowohl die englische als auch die amerikanische Einfuhr zurückgegangen.
Die Memelbeschwerde an die Ratsmächte
TU. Genf, 8. Sept. In der Beschwerde des Memelgebiets, die jetzt in Genf eingegangen ist, wendet sich der Landtag an die im Völkerbundsrat vertretenen Mächte mit der Bitte, den Entschluß des Rats, dem Memelgebiet Autonomie zu verleihen, zu der bisher immer noch verhinderten völligen Durchführung zu verhelfen, und die Regierung der Republik Litauen zu veranlassen:
1. Die Bildung einer Regierung auf parlamentarischdemokratischer Grundlage zuzulassen, 2. den Gouverneur anzuweisen, sich nicht in die autonomen Angelegenheiten einzumischen, und sein Veto gegen die vom Landtag angenommenen Gesetze zu begründen, 3. die autonome Justizhoheit des Memelgebiets in jeder Beziehung zu achten, 4. den dem Memelgebiet nach Artikel 38 des Statuts zustehenden Finanzanteil zuzubilligen, 8. den Kriegszustand und die Pressezensur aufzuheben und 6. die Herausgabe von Gesetzen zur Erweiterung der Befugnisse des Gouverneurs zu unterlassen. _
Der Konflikt mit Thüringen
Wahlkampffolgen für die Thüringer Koalition.
TU. Weimar, 8. Sept. Der Vorsitzende des thüringischen Kabinetts, Staatsmintster Dr. Baum, sprach in einer Vertrauensmännerversammlung des Weimarer Bauernbundes über den Polizeikonfltkt zwischen dem Reich und Thüringen. Die Behandlung, die Thüringen von Seiten des. Reiches erfahren habe, zeige, daß Thüringen keine Veranlassung habe, der jetzigen Reichsregierung allzuviel Vertrauen entgegenzubringen. Wenn das Vorgehen des Reichs gegen Thüringen damit begründet werde, daß Natio- naloszialisten in der Landesregierung säßen, so müsse dem Reichsinnenmnister doch bekannt sein, daß die Nationalsozialisten nur einen Teil der Staatsregierung ausmachten und ihr Einfluß dementsprechend auch begrenzt sei. Das, was der Reichsinnenminister den Nationalsozialisten zum Vorwurf glaube machen zr können, könne niemals auf die gesamte Regierung übertragen werden. Das Vorgehen des Reiches gegen Thüringen sei geradezu feindlich gewesen.
Der Minister befaßte sich auch mit dem Wahlkampf der Thüringer Regierungsparteien, um festzustellen, daß die Nationalsozialisten und die übrigen Regierungsparteien sich wie „Hund und Katze" gegenüberständen. Dieser Kampf werbe in einer Weise geführt, daß eine weitere Zusammenarbeit der thüringischen Koalitionsparteien nach den Retchstagswuhlen auf bas Aeußerste erschwert und gefährdet sei.
Auswüchse des Wahlkampfes
Mit Stühle« und Biergläsern.
In Greifswald kam es in einer nationalsozialistischen Wahlversammlung zu einer schweren Schlägerei zwischen Reichsbannerleuten und Nationalsozialisten. Nachdem tn der Aussprache der Führer der Nationalsozialisten ge
sprochen Hatte, wollten die Nationalsozialisten unter Absingen eines ihrer Kampflieder den Saal verlassen. In diesem Augenblick schlugen Reichsbannerleute mit Stöcken, Stühlen und Biergläsern auf die Abziehenden ein, wobei zahlreiche Nationalsozialisten schwer verletzt wurden. Drei von ihnen mußten ins Krankenhaus überführt werden. Auch die Polizeibeamten, die die Streitenden trennen wollten, wurden zum Teil verletzt. Nach der Versammlung kam es an zehn Stellen der Stadt zu Zusammenstößen.
Zu einer heftigen Schlägerei kam es auch in Freital tn einer nationalsozialistischen Wahlversammlung, zu der sich neben etwa 160 uniformierten SA.-Leuten zahlreiche Kommunisten eingefunden hatten. Als nach dem nationalsozialistischen Redner der kommunistische Redner die ihm zugestandene Redezeit überschritt und von der Versammlungsleitung darauf hingewiesen wurde, zum Schluß zu kommen, setzte zwischen SA.-Leuten und Kommunisten eine heftige Schlägerei mit Stühlen und Biergläsern ein, bei der mehrere Personen verletzt wurden. Nach Räumung des Saales bildeten sich Ansammlungen, die von der Polizei immer wieder zerstreut wurden. Die Polizei wurde mehrfach mit Steinen beworfen. Nach den bisherigen Feststellungen beträgt die Zahl der Verletzten 16.
Blutige Wahlschlacht. Bei einer von den Nationalsozialisten nach Riesa (Sachsen) einbcrnfenen Wählcrversamm- lung versuchten Kommunisten die Versammlung zu sprengen. Als ein Kommunist durch den nationalsozialistischen Saalschutz entfernt werden sollte, ergriffen die Kommunisten Stühle und Biergläser und schlugen auf die Nationalsozialisten ein. ES entstand eine wilde Schlacht, in deren Verlaus, eine Anzahl Personen verletzt wurde, darunter 2 schwer. Die Polizei griff ein und schloß die Versammlung. Auf der Straße kam es noch zu Reibereien.
Kommunistischer Uebersall auf Sozialdemokraten. Nach einer Meldung des „Hamburger Echo" haben 200 Kommunisten vor dem Altonaer Arbeitsamt einen planmäßigen Uebersall auf 30 Sozialdemokraten verübt, die wie alltäglich das „Hamburger Echo" an die Erwerbslosen verteilen wollten. Die Kommunisten hätten mit Stahlrutcn und anderen harten Gegenständen auf ihre Gegner eingeschlagen und die am Boden Liegenden mit Füßen getreten. Zehn Sozialdemokraten seien mehr oder weniger schwer verletzt.
Kleine politische Nachrichten
Oberreichsanwalt ««d Nationalsozialisten. Wie der Ober- reichsanwalt mittcilt, ist es selbstverständlich, daß die in der Denkschrift der Neichsregierung enthaltenen Angaben über die Betätigung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom Oberreichsanwalt einer genauen Nachprüfung in der Richtung unterzogen werden, ob die Betätigung strafrechtlich zu verfolgen ist oder nicht. Im übrigen werde vom 21. September ab der Prozeß gegen die nationalsozialistischen Ulmer Reichswehroffiziere vor dem Reichsgericht geführt werden. Diese Verhandlung werde wohl weitgehenden Ausschluß auch über die Frage bringen, ob die Oberrcichs- anwaltschaft gegen die Nationalsozialisten wegen Hochverrats vorgehcn müsse oder nicht.
Belgischer Thronfolger geboren. Auf Schloß Stuivenber wurde die belgische Kronprinzessin Astrid von einem gesunden Knaben entbunden. Der Eintritt des Thronfolgers ins Leben wurde durch 101 Kanonenschüsse bekanntgegebcn.
Zusammenstöße in Smyrna. In Smyrna fanden bei Ankunft des Führers der türkischen Oppositionspartei Kundgebungen statt, bei denen es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Drei Polizisten wurden von der aufgeregten Menge ins Meer geworfen. Wegen tätlichen Vorgehens gegen die Polizei wurden 300 Verhaftungen vorgenommen.
Die letzte Fahrt Andrees
In Tromsö wurden die sterblichen Ueberreste der Teilnehmer der Ervedition Andres vom Scliiff nach der Kirche
überführt, wo sie aufgebahrt wurden und der Trauergottes- dtenst stattfinden wird.
Katastrophe
in einer französischen Pulverfabrik
TU. Paris, 8. Sept. Eine furchtbare Explosion ereignete sich am Samstag in einer Pulverfabrik i« Anbouc bei Nancy. Die große Fabrik wurde in die Lnft geschlendert. Nach de« bisherigen Meldungen wnrde« 16 Tote «nd eine große Anzahl Verletzte ans den Trümmer« geborgen.
Erdstöße in Italien und Spanien
TU. Nom 8. Sept. InMelfi und Umgebung, wo sich LaS große Erdbeben vom 23. Juli ereignete, wurde in der ver- gangenenNacht um 22 Uhr 30 Min. ein starkes Beben von 6 Sekunden Dauer verspürt. Die Bevölkerung eilte fluchtartig ins Freie. Die Behörden sorgten für Ruhe und Ordnung. Personen- und Sachschäden sind nicht verursacht worden.
In der weiteren Umgebung von Murcia und in der Stadt selber werden seit mehreren Tagen häufige Erdstöße verspürt, die bereits einigen Sachschaden anrichteten. Die Bevölkerung ist aufs höchste beunruhigt und geängstigt. Bei dem geringsten Beben, das fühlbar wird, stürzt alles auf die Straßen und freien Plätze. Viele wagen die Häuser gar nicht mehr zu betreten.
Petroleumexplosion auf Curacao
TU. Berlin, 8. Sept. In den auf der Insel Curacao liegenden Pctrvleumraffinerien der Curacaoer Petroleum- Maatchappij ereignete sich eine heftige Explosion, durch die mehrere Personen ans der Stelle getötet wurden und ein« große Anzahl mehr oder weniger schwere Verletzungen davontrug. Nach den bisherigen Feststellungen betrug die Zahl der Toten 7.
Orkankotastrophe auf Haiti
Uehersichtskarte des Weges» de» der Tornado genommen hat.
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Von Haiti bewegte sich der Orkan in nordwestlicher Richtung weiter, streifte die Westküste von Kuba, wo ebenfalls mit erheblichen Schäden gerechnet werden mutz, und bedroht nun die Südostspitze von Florida, bas bekanntlich wiederholt von folgenschweren Sturmkatastrophen heimgesucht wurde.
Aus- aller Well
Das vermißte österreichische Verkehrsflugzeug in der Nähe von Partenkirchen gefunden.
Das verschollene österreichische Verkehrsflugzeug wurde von der österreichischen Maschine „A 22" am Osthaugc des Rotenkopfes, nördlich von Partenkirchen, zwischen der Isar und dem Loisachtal entdeckt und von den zur Bergung aufgestiegenen Vergrvacht-Expeditionen aufgefunden. Das Flug- zeug ist im Nebel gegen eine Felswand angeprallt und vollkommen zerschmettert worden. Der Führer muß sofort tot gewesen sein.
Ein Bettler mit 88 066 Mark Vermöge«.
In Metz ist kürzlich ein völlig zerlumpter und ausgehungerter Mann, Emile Decouvil, wegen fortgesetzten Bettelns verhaftet worden. Die Polizei fand bei ihm ein Scheckbuch, aus dem hervorgeht, daß er bei einer Bank ein Konto von über eine halbe Million Franken (etwa 86 000 Mark) besitzt. Decouvil war früher Eisenbahnbeamter und bezog eine staatliche Pension. Trotzdem lebte er in größter Armut und soll seit Jahren auch einen großen Teil seiner Bettlererträge auf sein Bankkonto einbezahlt haben.
Blitzschlag in eine Arbeitergrnppe.
In Köln-Longerich schlug der Blitz in eine Gruppe Arbeiter, die mit Dreschen beschäftigt war. 6 Personen wurde» schwer verletzt. Ein Pferd wurde getötet. Der Getreideschober und die zum Dreschen aufgestellten Maschinen gingen in Flammen auf.
Festnahme einer Verbrecherbande.
Die Aachener Kriminalpolizei ist einer weitverzweigte« Verbrecherbande auf die Spur gekommen, die ihre Straftaten u. a. in den Städten Aachen, Münster, Osnabrück, Bochum, Reydt und Hamburg verübt hat. Bisher gelang es, st^ ben Mitglieder der Verbrecherbande festzunehmen, während zwei weitere Verbrecher, deren Namen jedoch bekannt sind, noch gesucht werden. Der Bande konnten bisher 70 Schwerverbrechen, darunter Raubüberfälle, Geschäfts- und Kircheneinbrüche, Erpressungen und Juwelendiebstähle nachgewte-
sen werden. . ...
Schwerverbrecher in Breslau gefaßt.
Der von der Kölner Kriminalpolizei schon seit längerer Zeit gesuchte Schwerverbrecher Josef Neunzig ist in Bres- lau endlich gefaßt worden. Er ist ein noch jüngerer Bursche aus Köln und soll der Anführer einer weitverzweigten Autodiebesbande sein, die in allen Städten des Reiches mit gestohlenen Autos Schaufenstereinbrüche usw. verübt hat. Er hat es bisher immer wieder verstanden, sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen.
Großes Schadenfeuer in der Londoner City.
Ein gewaltiges Großfeuer in der Londoner City zerstörte ein Lagerhaus, in dem u. a. Kakao, Kolonialwaren, Gewürze und andere Waren aufgestapelt waren. Obwohl 70 Hydranten grobe Wassermengen über die Gebäude ergossen, breitete sich das Feuer mit großer Geschwindigkeit weiter aus, so daß nach einigen Stunden das Dach etnbrach und das ganze Gebäude brennend zusammenstürzte. Der Wert der Waren belief sich auf 20 Millionen Mark. Dieses Schadenfeuer wird der größte Brand sein, von dem London tn diesem Jahr hetmgelucbt worden iS.