Montag. 13. Januar 193«

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Telegr.-Adresse: Gesellschafter Nagold. In Fällen höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Rückzahlung des Bezugspreises. Postsch.-Kto. Stuttgart 5113

Ur. 10

Gegründet 1827

Dienstag» den 14. Januar 1930

Fernsprecher Nr. 29

104. Jahrgang

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Deutschland gibt nach

Borstoß Dr. Schachts

Haag, 13. Jan. Das englische Büro Reuter meldet, dis deutsche Abordnung habe bezüglich des Zahlungstermins nachgegeben und den 15. jedes Monats als Zahlungstermin angenommen. Die Zahlungen der Reichsbahn sollen jedoch jeweils am ersten Tag des folgendest Monats xrsolgen. Die Reutermeldung fährt fort, nachdem in diesem wichtigen Punkt eir-e Verständigung erzielt-sei, erwarte man auch in den übrigen noch strittigen Punkten eine rasche Einigung.

Die Gegenseite scheint ihrerseits auf die Umwandlung desnegativen Pfands" in einpositives" wenigstens teil­weise verzichten zu wollen. Allerdings ist die Frage der im Uoungplan genanntenNebensicherheiten" stoch nicht ge­klärt. Die Forderung der Erhöhung der Reichsbahnkarifc soll, wie die deutsche Abordnung glaubt annehmen zu dürfen, von der Gegenseite zurückgezogen werden.

Ungeklärt ist ferner noch die Frage, ob bei einem etwaigen Zahlungsaufschub die gestundeten Summen sofort nachbezahlt werden sollen. Den Einspruch gegen dis Zünd­holzmonopolanleihe (Kreuzer) sollen die Franzosen aufzu­geben gewillt sein, nachdem Reichsfinanzminister Molden­hauer sich bemüht hatte, darzulegen, daß diese Belastung des Geldmarktes dieMobilisierung" der Poung-Schuld- verschreibungen nicht gefährden werde. Ueber diese Frage wurde aber noch in der Montagsitzung gesprochen.

Auf höhere Weisung zeigen nun auch die Pariser Blätter wieder eine große Zuversichtlichkeit und sie erwarten, daß die Deutschen auch in der Sanktionsfrage nach­geben werden, -oofür ihnen von Tardieu vier Formeln vorgelegt worden sind. Danach sollen zwar militä­rische Sanktionen nicht mehr ängewendet we'kden, aber die Gläubigermächte sollen die vollen Ver­geltungsrechte wieder erhalten, die im Versailler Vertrag vorgesehen sind, falls der Doungplan nicht zustande kommt oder später einmal von Deutschland aufgehoben würde. DieVerbandsjuristen" sind, wie derMatin" schreibt, nicht ganz sicher, ob der Poungplan eineErwei­terung" des Versailler Vertrags sei, der dann seine Gültig­keit verlieren würde oder ob er nur eine Aendsrung ein­zelner Paragraphen des Versailler Vertrags darstelle, so daß also dieser Vertrag grundsätzlich weiterbestünde.

Ultimatum Snowdens

Havas meldet, dasgünstige Ergebnis" der stürmischen Sitzung am Samstag sei im wesentlichen dem ent­schiedenen Auftreten des englischen Schatz­kanzlers Snowden gegen die Deutschen zu- zuschreiben. Snowden habe erklärt, er müsse mit aller Schürfe und voller Offenheit sagen, die Aussprache habe bereits viel zu lange gedauert. Es sei unerträglich, daß man niemals zu einem Abschluß komme. So gefällig die hollän­dische Gastfreundschaft auch sei, könne man doch nicht das ganze Leben im Haag zubringen. Wenn Beauftragte ein­mal mit Vollmachten als Unterhändler ausgestattet seien, dürfen sie doch nicht, wie er die -Deutschen tim, unaufhörlich ihre Regierung um Rat fragen oder Persönlichkeiten wie Dr. Schacht. Snowden machte dann kurzerhand folgenden Vorschlag:Wir (die Gläubigermächte) legen unsere Willens­meinung in einem Prvtokollentwurf schriftlich nieder. Die Deutschen können uns dann Mitteilen, ob sie den Entwurf annehmen wollen oder nicht. Wenn sie die Fortsetzung des Dawesplans dem Joungplan vorziehen, so stehen wir zu ihrer Verfügung."

Die Antwort des Dr. Curtius

Reichsaußenminister Dr. Curtius antwortete auf die ungewöhnlich unfreundliche und barsche Rede Snowdens: Er müsse auf die Tatsache verweisen, daß nicht die Deut­schen, sondern die Gläubigermächte von den Vorschlägen ihrer eigenen Juristen abgerückt seien. Die Deutschen seien bereit gewesen, den Juristenentwurf anzunehmen. Nach­träglich seien dann noch die Forderungen der Erhöhung der Reichsbohntarife, derpositiven Pfänder", die zugestan­denermaßen eine Abänderung des Poungplans seien, des Zahlungstermins am 15. des Monats erhoben worden. Ueber den letzteren Punkt habe er den Reichskanzler be­fragen müssen, und die Reichsregierung sei mit dem 15. ein­verstanden, wenngleich die deutschen Zahlungen dadurch empfindlich erhöht werden. Die Herbeirufuna Dr. Schachts sei in erster Linie auf den Wunsch der Gläu > biger möchte erfolgt. Zu der Erregung (Snowdens) und zu seinem Ultimat um liege also keine Veran­lassung vor.

Dr. Schacht ist Montag früh im Haag eingetroffen.

Vor der Entscheidung

Paris, 13. Jan. Obgleich noch acht wichtige Fragen, wie Sanktionen, Nachzahlung im Fall eines Zahlungsaufschubs, Mobilisierung u. a., der Lösung harren, spricht die Pariser

Presse die Ansicht aus. daß man nun vo'r der'Ent­scheidung stehe. Die Cläubigermächte werden der deutschen Abordnung eine energische Erklärung zustellen, die nach demPetit Pcuisien" am Montag über­geben werden soll. DerMatin" schreibt, wenn man nicht zu einer Mobilisierung, d. h. rein kaufmännischen und börsengeschäftlichen Regelung der deutschen Reparationen komme, wenn diese vielmehr ihren politischen Charakter behielten, io sei die ganze Arbeit im Haag umsonst gewesen und kein Bevollmächtigter der Gläubigerstaaten könne o«"- seinen, Land bestehen.

Vorstoß Schachts im Haag.

Die Ausschutzsitzung unterbrochen

Haag, 13. Jan. Der Organisationsausschuß für die VJZ. trat am Montag nachmittag zu seiner ersten Sitzung zusammen. Den Vorsitz führte der Präsident der First Na­tional Bank Reynold. In der Sitzung waren die sieben Notenbankpräsidenten der Cläubigermächte, sowie Ameri­kas vertreten. Reichsbankpräsident Dr. Schacht nahm an den Verhandlungen teil. Die Verhandlungen wurden streng geheim geführt, jedoch wurde kurz nach dem Beginn der Sitzung bekannt, daß es gleich zu Beginn der selben zu einem unerwarteten Vorfall gekommen war. Reichsbank­präsident Dr.Schacht hat nämlich dem Führer der Aussch. vertretenen amerikanischen Vankengrnppe ein Schreiben überreicht, in dem Zweifel über die endgültige Beteiligung dor-4D»utschon Reichs-bank an vcr- zum Ausdruck ge­bracht werden. In dem Schreiben erklärt der Reichsbank­präsident ferner, über die endgültige Stellungnahme der Reichsbank zur VJZ. werde das Direktorium der Reichs-

Lagessmegek

Zn der Provinz Rivera (Uruguay) an der brasilianischen Grenze soll ein Aufstand ausgevrocheu sein.

Die spanischen Botschafter in London. Pari» und Rom haben den Regierungen amtlich mltgeteili, falls auf der Londoner Flotterckonferenz die Mittelmeerfrage angeschnitten würde, r-sinsche Spanien als erheblicher Interessent an der Konferenz beteiligt zu sein. Zn London wird dazu erklärt, die Frage eines Mittelmeerabkommens werde schwerlich so­fort zur Erörterung kommen, die spanische Erörterung sei also noch keine eilige Frage.

bank in der nächsten Zeit zu entscheiden haben. Im Hin­blick aus dieses Schreiben Dr. Schachts ist die Sitzung des Ausschusses unterbrochen worden.

Einzelheiten aus dem Schacht-Brief.

Haag, 13. Jan. Ueber den Inhalt des Schreibens vom 30. Dezember 1929 werden folgende Einzelheiten bekannt:

1. Verzicht Englands auf die Sequestrierung deutschen Eigentums.

2. Verzicht Frankreichs auf alle militärischen und poli­tischen Sanktionen.

3. Rückkehr zum Poungplan in der ursprünglichen aus der Pariser . Sachverständigenkonferenz ausgearbeiteten Fassung.

Es besteht keine volle Klarheit darüber, wer über dieses Schreiben vor seiner heutigen amtlichen Bekannt­gabe unterrichtet war. Es verlautet jedoch, daß der Repa­rationsagent und eine Reihe anderer maßgebender Per­sönlichkeiten den Inhalt des Schreibens kannten.

In der heutigen Montagssitzung der sechs Großmächte wurde übereinstimmend beschlossen, daß dem Eingreifen des Reichsbankpräsidenten keine Folge geleistet werden soll, und daß VchMndluygen fortgeführt werden. Es wurde weiter betont, daß ein Eingreifen des Reichsbank- präfidenten in die Fragen, in denen bereits eine prakti­sche Uebereinstimmung erzielt worden sei, nicht geduldet werden könne.

Bagatelle

In der Karikatur tritt die Wahrheit einer Auffassung, meist schärfe-- zutage als im sachlichen Bericht. Einer der besten Karikaturisten, der Zeichner des LondonerDaun Expreß", har kürzlich seine Auffasiunci von der Lage im Haag mit dom Stift nieder gelegt. Er sieht die Konferenz als Gerichtsverhandlung an. Vorsitzender des Gerichts ist der englische Schatzkanzler Snowden, Beisitzer sind Frankreich, Italien und Japan. Deutschland sitzt auf der Anklagebank und der Obmann Snowden fährt den Angeklag­ten an:Hören Sie zu! Wir haben keine Lust, uns länger mit Ihren Bagatellen zu befassen. Kommen Sie gefälligst hier an den Tisch und helfen Sie uns, das Urteil gegen Sie auszufertigen!"

Schlagender kann der ganze Widersinn des Verfahrens im Haag nicht dargestellt werden. Wenn die deutsche Ver­tretung sich g-wissenhaft gegen eine weitere Verschlechterung des Toungplans wehrt, dann ist Herr Snowden der Erste, der ungeduldig wird und sie beschuldigt, die Verhandlungen ohne Not auMhalten. Derselbe Snowden, der auf der ersten Haager Konferenz drei Wochen lang um ein paar Millionen schacherte, die das reiche England auf Kosten des ausgeplünderten Deutschlands für sich mehr herausschlagen wollte.

Das Stichwort, daß es sich bei den Sanktionen um eine Bagatelle" handle, die der Rede nicht wert sei, hat leider der BerlinerVorwärts" gegen die deutsche Vertretung aus­gegeben, und Tardieu und Snowden haben den Ball, der ihnen hier zugeworsen wurde, bereitwilligst ausgegrifsen. Wo in aller Welt ist es aber schon dagewesen, daß in einem rein wirtschaftlichen Vertrag, der nur Wert hat, wenn er mit beiderseitiger freier Zustimmung geschlossen'wird, Bestim­mungen hineingearbeitet werden, was geschehen soll, wenn der eine der beiden Partner den Vertrag böswilligzer­reißt"? Worum es den Franzosen zu tun ist, ist freilich ganz klar. Es ist wahrscheinlich, daß Deutschland eines Tages die Revision in-. Poungplanes wird fordern müssen, weil sich hernusstellt, daß setm Erfüllung einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist. Für diesen Fall sollen wir heute schon einwilligen, daß dann nicht neu verhandelt wird, son­dern daß dann Frankreich zunächst das Recht haben soll, das Rheinland mied e^ zu besetzen, damit die Verhandlungen, die hinterher wohl oder übel -beginnen müßten, von vornherein unter militärischem Druck stehen. Das ist dieBagatelle".

250 000 Hektar deutschen Eigentums in Polen enteignet

DieDeutsche Rundschau" in Bromberg veröffentlicht eine genaue Aufstellung der bisher vom polnischen Staat vorgenommenen Zwangsenteignungen,Liquidationen" ae-

nannt. Danach sind bis jetzt rund 160 000 Hektar deutschen Bodens bereits der Liquidation verfallen. Dazu kommen rund 60 000 Hektar von enteigneten deutschen An­siedlern, die aus einer anderenRechtsgrundlage" weg­genommen wurden und die mehr als 30 000 Hektar deut­schen Bodens, die bisher der sogenannten polnischen Agrarreform" zum Opfer fielen.

Im Versailler Diktat wurde bekanntlich den Polen das Recht verliehen, für den aus Grund des preußischen Ent­eignungsgesetzes seinerzeit enteigneten Grundbesitz auf deut­schem Gebiet zurWiedergutmachung" entspreckienden deut­schen Besitz in Neupolen, d. h. in den dem Reich entrissenen Gebieten zu liquidieren. Damals waren vier Güter mit zu­sammen 1600 Hektar polnischer Großgrundbesitzer, die in Paris lebten und ihre Güter verkommen ließen, gegen hohe Entschädigungszahlungen zwangsenteignet und' mit deut­schen Bauern besiedelt worden. Die Polen haben dafür 250 000 Herlar, also etwa das Hundertsechsundfünfzigfache, enteignet.

Nun wurde kürzlich halbamtlich mitgeteilt, bisher seien von Polen 45000 Hektar deutschen Grundbesitzesliquidiert" worden. Wie diese ganz unrichtige Berechnung entstanden ist, ist noch nicht aufgeklärt. Bekanntlich wird der deutsch­polnische Vertrag, in dem von deutscher Seite ans die Rück­erstattung von rund 2,5 Milliarden Mark verzichtet werden sollen, u. a. damit begründet, daß man durch das Entgegen­kommen gegen Polen den Rest deutschen Eigentums vor der Liquidation bewähren wolle. Von Polen wird dieser Rest­bestand aus 30 000 Hektar angegeben. Aber auch das ist nicht richtig. Denn inzwischen hat davon Prinz Biron von Kurland seinen Besitz von 12 000 Hektar freihän­dig an Polen verkauft und' weitere rund 6000 Hektar sind bereits der.Agrarreform verfallen. Als restlicher deutscher Besitz in Neupolen kommen also höchstens noch 12000 Hektar in Betracht; über 93 v. H. des deutschen Besitzes sind bereits liquidiert oder verkauft.

Neueste Nachrichten

Der Reichskanzler beim Reichspräsidenten

Berlin, lL. Jan. Reichspräsident v. Hindenburg empfing heute den Reichskanzler zum Borttag.

Weiterer Anstieg drr Arbeitslosigkeit am Jahresende

Berlin, 13. Jan. Die Zahl der Hauptunterstützungs­empfänger in der Arbeitslosenversicherung ist in der zweiten Dezemberhälfte um 340 000 Personen, das sind rund 24 v. H., gestiegen. Sie betrug am Schluß des Jahres 1929 etwas über 1A Millionen und laa damit um