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Nr. 2S1 Gegründet 1827 Mittwoch, den 11. Dezember 1828 Fernsprecher Nr. 28 103. Jahrgang
Der Staalsgerichtshof spricht
Leipzig. 10. Dez. Das preußische Gesetz über die „Gemeinde-Neugliederung* des rheinisch-rvel'tiäkicken 5tnk-,Ur^-
Zweikampf Tardieu-Briand
gebiets bildete heute den Gegenstand eines Versassungsstreits vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich.
Durch dieses Gesetz, das am 10. Juli d. I. vom Preußischen Landtag nach heftigen Kämpfen mit 210 gegen 169 Stimmen angenommen wurde und das der Staatsrat in seiner Sitzung vom 23. Juli 1929 in einfacher Abstimmung genehmigte, wurde ein Gebiet von etwa 850 000 Hektar mit rund 6.2 Millionen Einwohnern neu gegliedert. Die Zahl der Landkreis« wurde um 11, der Stadtkreise um 6, der kreisangehörigen Städte um 12, der Aemter um 26 und der Landgemeinden um 49 verringert.
Namentlich wurden die Großstädte bedeutend vergrößert, andere Großstädte durch Zusammenlegung einer Anzahl kleinerer Städte und Landgemeinden neu geschaffen. Eine Reihe von Städten und Gemeinden, die durch die Neugliederung benachteiligt wurden, erhoben Klage vor dem Staatsgerichtshof gegen das Land Preußen aus Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Es sind dies die zum Teil nach Barmen-Elberfeld eingegliederte Stadt Lüttringhausen, sowie einige weitere Städte, Aemter und Gemeinden, die eine Vereinigung zum Zweck der Abwendung von Eingemeindungen mit dem Sitz k« Lüttringhaufen gebildet haben, ferner die Stadtgemeinden Rheydt, Barmen, Hamborn und Sterkrade und schließlich die Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei) des preußischen Landtags.
Die Klage stützt sich hauptsächlich darauf, daß das Gesetz, das verfassungsändernd sei, nur mit einfacher statt mit Zweidrittelmehrheit angenommen worden sei. In Verbindung mit dieser Klage verhandelte der Staots- gerichtshos auch eine Klage der Gemeinde Nieder- Gläsersdorf (Kreis Lüben in Schlesien), vertreten durch den Verband preußischer Landgemeinden, aus Versas- sungswidrigkeit des § 1 des preußischen Gesetzes über die Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechtes vom 27. Dezember 1927, das sich auf die Veränderungen von Grenzen von Stadt- und Landgemeinden und namentlich aus die Auslösung der Gutsbezirke bezieht und das Verfahren dabei regelt, sowie eiüe Klage der Fraktion der Deutschnationalen Volkspartei des preußischen Landtags auf Unzulässigkeit der Veränderung der Grenzen von Landkreisen durch Mimsterialbeschluß. In ß 1 des erwähnten Gesetzes sind derartige Veränderungen ,Mrch Beschluß des Staatsministeriums" vorgesehen, wenn hierdurch eine Gemeinde ganz aufgelöst oder eine neue Gemeinde geschaffen wird.
Briand. Er hat den Abbruch der Saarverhandlungen gefordert. Aus Tardieu wird ein Druck ausgeübt, Brian-d aus der Regierung zu entfernen und selbst das Außenministerium zu übernehmen. Vorläufig glaubt nur Tardieu, nicht auf die 50 Stimmen der Gefolgschaft Briands verzichten zu können.
Briand ist über die Absichten Tardieus vollkommen unterrichtet, ihn auszustoßen, sobald der Haushaltplan gesichert ist. Er oerstano es immer, ihn betreffenden Krisen zuvorzukommen. Aber die öffentliche Meinung ist zur Zeit unbestreitbar mehr für Tardieu als für Briand, und namentlich das Parlament ist in Frankreich in der allgemeinen Achtung stark gesunken. Briand hält vielleicht seine Zeit noch nicht für gekommen, um in dem Zweikampf mit Tar- dieu-Maginot den entscheidenden Schlag zu führen, aber es ist eine Tatsache, daß zwischen beiden vorsichtig und lauernd» aber mit scharfen Waffen gekämpft wird.
lagesspiegel
Dem ..Abend" zufolge verlangt die Reichsregierung neben der Verkrauenserklärung das Versprechen der Regierungsparteien, daß sie die Finanzreform in der vom Kabinett vorgeschlagenen Form annehmen.
Der Reichsfinanzminister beabsichtigt nach dem „B. T." den sehr starken Widerstand der Bayerischen Volkspartei gegen die Erhöhung der Biersteuer dadurch tu überwinden, daß von dem Aufkommen der Bierskeuer 70 Prozent den Ländern überwiesen werden sollen.
Der Reichssustizminister v. Guerard hak die Vertreter der Regierungsparteien auf Freitag nachmittag zur Besprechung über gesetzgeberische Maßnahmen zum Schuh der Inflations- Verkäufer von Grundstücken eingeladcn.
Der sächsische Landtag hat mit 49 gegen 44 Stimmen beschlossen, den Revoiutionstag 9. November als gesetzlichen Feiertag abzuschaffen.
Die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen aus Rußland und Polen keilt mit. daß sie auf Veranlassung der deutsch-stämmigen Bauern, die Rußland verlassen wollen, an den Völkerbund und an andere internationale Stellen eine Denkschrift gerichtet hat. 3n dieser wird die gegenwärtige Lage der deutschen Bevölkerung in der Sowjetunion auf stirund zuverlässiger Berichte geschildert und der Bitte der deutschen Kolonisten Ausdruck gegeben, dahin zu wirken, daß sie wieder zu einem erträglichen Dasein gelangen.
Der Präsident der griechischen Republik, Konduriokis, hak aus Gefundheiksrücksichken seinen Rücktritt erklärt.
Zn Chabarowsk begannen am Montag die russisch-chinesischen Vorverhandlungen zur Beilegung des Streiks um die Ostbahn.
Wie steht Deutschland zu Sowselkuhland?
Und umgekehrt? Nach Litwinow: ganz gut. Sagte Loch dieser in seinem Bericht im Zentralexekutiv: „Wir unterhalten mit Deutschland nach wie vor freundschaftliche Beziehungen. Nach wir vor verfolgen wir mit größter Sympathie seine Versuche, sich von den Fesseln freizumachen, mit denen es durch den Versailler Vertrag gebunden ist, und unter denen die werktätigen Klassen am stärksten leiden. Wir würden die Ergebnisse dieser Beziehungen heiß begrüßen, wenn sie wirklich zur Beseitigung oder wenigstens Lockerung der Versailler Fesseln führen würden."
Wer würde das nicht gerne hören! Namentlich von der Teilnahme, die Moskau angeblich unfern „Los-von-Ver- sailles"-Bestrebungen entgegenbringt. Unseres Wissens hat man noch nie solche Worte von den Lippen eines Sowjet- Machthabers gehört! Ja, überhaupt selten, sehr selten, von ausländischen Staatsmännern, gleichviel, ob sie ein neutrales Land oder einen ehemaligen Feindbundstaat in verantwortlicher Weife vertreten.
Litwinow beruft sich aus Rapallo und auf „unsere langjährige Freundschaft" und meint, diese „Grundlinie" würde auch durch „unvermeidliche Mißverständnisse und Differenzen in nebensächlichen Fragen" nicht gestört werden.
Wirklich nicht? Uns dünkt es anders. Die bolschewistische Werbearbeit durch Moskauer Agenten, die Verfolgungen — denn um nichts anderes handelt es sich — der deutschen Bauern, das sind stärkste ^Belastungsproben für die deutsch-russische Freundschaft. Wohl hat man diese Bauern nicht formell äusgetrieben, aber der Sowjetstaat hat diesen durchaus loyalen, fleißigen und stillen, seit einem Jahrhundert dort eingebürgerten Bauern so entsetzlich mit- gsspielt, ihnen Hab und Gut weggenommen, sie zu Bettlern heruntergesteuert, ihre Religion unterdrückt, daß ihnen nur die Wahl zwischen Flucht oder Hungertod übrig blieb. Wohl sind sie russische Staatsangehörige, aber Blut von unserm Blut, also Abkömmlinge eines Volks, mit dem Moskau Freundschaft zu halten vorgibt. Jedenfalls ist das alles nicht eine Behandlung, die man einein „guten Nachbarn", mit dem man im Frieden leben will, antun darf.
Aber nun auch die Frage: Haben wir Deutsche auch etwas von unserer russischen Freundschaft? Unter den 68 K o n z e s s i o n e n, d- h. ausländischen Betrieben, die in Rußland zugelassen sind, steht Deutschland mit 12 an der Spitze. Daneben gibt es noch Verträge über technische Hilfe in annähernd der gleichen Zahl. Sie verteilen sich auf Bergwerke, Transpvrtunteruehmungen, Wald- und Landwirtschaft, Bau- und Handelsunternehmungen, endlich auf die verarbeitende Industrie (22). Das ausländische Kapital, das auf diese Weise nach Rußland hereinkam, wird aus insgesamt 50 Millionen Rubel beziffert, daneben Kat Rußland noch cmoere Vorteile aus diesen Konzessionen: Förderung der Produktion, Muster- und Großbetriebe, hochgualifizierte Fachleute u. a. m. Und doch haben beide Teile sich von diesem Import ausländischer Kapital- und Geisteskräfte mehr versprochen, als tatsächlich in dieser langen Zeit — es handelt sich immerhin um nenn Jahre — erreicht wurde. Mögen dabei die Ausländer, mich di« Deutschen, selbst viele Fehler gemacht haben, z. B. zu wenig Kapitol mitgebracht, oberflächliche Verträge abgeschlossen, sich in «den Preisen
Die bayerische Titelverleihunq verfaffun"--widrig
Leipzig, 10. Dez. In der Anfechtungsklage der R e i ch s- regierung wegen der Titelverleihungen in Bayern, dis gestern vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich zur Verhandlung kam, verkündete Reichsgerichtspräsident Dr. Bumke abends 9 Uhr folgende Entscheidung:
Die Verleihung von Titeln zur Auszeichnung einzelner beamteter oder nichtbeamteter Personen (Ehrentitel) ist mit Artikel 109 Absatz 4 der Reichsverfassung unvereinbar.
In der Begründung^wird u. a. ausgeführt: Der Staatsgerichtshof hat verboten, daß das Wort „verleihen" von Titeln sowohl im engeren Sinn einer besonderen Verleihung gebraucht wird, wie auch in dem weiteren Sinn, daß die Verleihung einen wesentlich zugehörigen Bestandteil der Uebertragung eines Amts oder der Zulassung zu einem Beruf bildet. Für den Staatsgerichtshof kommt ferner in Betracht, daß es in Artikel 109 Absatz 4 heißt: Titel dürfen nur verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen. Der Staatsgerichtshof kann sich nicht der (bayerischen) Auffassung anschließen, daß dieses Erfordernis schon dann erfüllt fei, wenn der Wortsinn dieses Titels in irgendeiner Beziehung zu dem Amt oder zu dem Beruf steht, sei es durch seinen klaren Wortlaut, sei es durch geschäftliche Bindungen oder durch Prägung bestimmter Ausdrücke im Dolksmund, wie Justizrat für Rechtsanwälte, Sanitätsrat für einen Arzt, sondern der Staatsgerichtshof ist der Meinung, daß hier mehr gefordert werden muß und daß dieser Titel das Amt oder den Beruf ein für allemal zu bezeichnen hat.
Der Vertreter Bayerns, Staatsrat Dr. Jan, machte dis Mitteilung, daß frühere Reichsregierungen die Titelverleihung Bayerns keineswegs beanstandet hätten. In einem Gespräch des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Held mit dem preußischen Ministerpräsidenten Braun habe Braun erklärt, er selbst habe den Anstoß zum Vorgehen gegen Bayern gegeben, aber nicht etwa, weil er die Tite lv erl e i hu n g für verfassungswidrig halte, sondern weil er deren Verfassungsmäßigkeit durch den Staatsgerichtshof anerkannt sehen möchte.
Die rheimsch-westfälisHen Umgemeindungen vor dem Staatsgerichlshof
Paris, 10. Dez. Die letzte Vertrauensabstimmung in der Kammer, in der das Kabinett Tardieu nur die geringe Mehrheit von 23 Stimmen (295 gegen 272 Stimmen) erhielt, hat gezeigt, daß die Regierung Tardieu bereits auf schwankendem Boden steht. Bon den 28 Ministern und Unterstaatssekretären sind 24 zugleich Abgeordnete und sie haben natürlich für den Vertrauensantrag gestimmt. Zieht man ihre Stimmen ab, so ist die Regierung tatsächlich in der Minderheit geblieben. Die große Klippe für die Regierung wird der Haushaltplan für das Ministerium des Auswärtigen (Briand) sein, der voraussichtlich am Freitag zur Beratung kommt. Briand wird sich über die zweite Haager Konferenz (Noun'gplcm), über die Rheinlandräumung, die Londoner Flottenkonferenz und di« Saa r- f r a g e zu äußern haben. Im Kabinett selbst bestehen Meinungsverschiedenheiten, und der Großindustrielle Abg. Wendel, der der nationairadikaien Gruppe Marin ange- HLrk, hetzt wegen der Saargruben offen und versteckt gegen
verrechnet haben — sicher ist, daß die ganze, aus eine völlig andere Grundlage gestellte Wirtschaftspolitik der Sowjetunion so viele Schwierigkeiten, Unbeständigkeiten und Unsicherheiten bietet, daß nur in wenigen Fällen ausländisck - Unternehmungen, die zudem noch vielerlei Ausnahmen (z. B. bezüglich der Arbeiterlöhne) unterworfen sind, wirklich prosperieren können und werden. Solange Sowjetrußland sein Wirtschaftsslzstem nicht gründlich ändert, so lange wird auch Deutschland mst Moskau keine guten Geschäfte machen. Und so hat unsere „Orientierung nach Osten" nur insolange einen Wert, als dadurch ein politisches Gegengewicht gegen einen übermäßigen westeuropäischen Druck geschaffen ist. il.
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Die Vertrauensfrage
Sie Bayerische Volkspartei-Kvrrespondenz schreibt: Wenn der Poungphun durch neue zusätzliche Leistungen, wie Dr. Schacht mitteifte, so verschlechtert wird, daß alle Aussichten der angeblichen finanziellen Entlastung verschwinden, so ist wirklich nicht einzusehen, warum wir das schwere Risiko der Zustimmung aus uns nehmen sollten. Man kqnn
sich sehr wohl vorstellen, daß der Reichsauhenminister die Denkschrift Schachts bei den Verhandlungen im Haag sich unutze macht. Die Forderung Schachts, daß der Annahme es Doungplans eine gesunde Finanzreform voranzugehen habe, wird von der Bayerischen Volkspartei vollkommen geteilt. Sollte diese Finanzreform aber so aus- sehen. wie in den Blättern mitgeteilt wurde, so werde der Reichsfinanzminister Hilferding wissen, was er von der Bayerischen Volkspartei zu erwarten habe.
Die „Frankfurter Zeitung" schreibt, der Reichskanzler hätte jetzt die Gelegenheit, den stärksten Druck auf die Regierungsparteien auszuüben. Bei den gegenwärtigen Behältnissen fei eine andere Regierung als die jetzige wohl kaum möglich und keine der Regierungsparteien wünsche ein« Aenderung. Dies solle der Reichskanzler benützen, um die Regierungsparteien zuzwingen, für die V e r t r a u e n s e r kl ä r u n g für die Regierung zu stimmen: keinesfalls solle er sich auf die schwächere Form derBilligung einlassen.