Seite 3 Nr. 286

Nagolder TagblattDer Gesellschafter-

Donnerstag, 3. Dezember 1929.

Aus Stadt und Tand

Nagold» den 5. Dezember 1929.

Viele Menschen führen beständig den Spruch Bismarcks: Wir fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt" im im Munde; in Wirklichkeit aber fürchten sie alles; die Öffentlichkeit, die Polizei, die Vorgesetzten, die Landes-, Stadt- und Dorf-Autoritäten, kurz: alles, nur Gott nicht! * Fischer-Friesenhausen.

Die bösen Sieben

Am Nachthimmel des Dezembers glitzert im Sternbild des Stiers, neben dem Widder, ein heiler Slernhaufe, der unter dem Namen Siebengestern, böse Sieben, sieben böse Geister oder Plejaden bekannt ist Der erste Name stammt aus dem alten Babylon. Die damaligen Sterndeuter glaubten in der Gruppe die sieben bösen Geitter zu sehen. Sowei: cs sich um die hellsten Sterne drin Yandsll. wurde schon im Altertum die Frage erörtert, warum der Haufe den Namen Siebengestirn trage, da doch nur lechs Sterne darin zu erkennen seien. Der Widerspruch erklärt sich ein­fach durch die ungleiche Sehschärfe der Beobachter. Wer über 'ehr gute Augen verfügt, erkennt nicht nur sieben Helle Sterne, sondern noch einige schwächere. Die durch ihre hohen Stufentürme im Beobachten unterstützten altbabytonischen Sternkundigen haben innerhalb der Gruppe zehn Sterne gesehen, heute zählt man einige hundert Sterne als Ge­fährten der bösen Sieben. Alle besitzen eine gleichgerichtete Bewegung von höchst geringem Maß, die a s Spiegelbild der eigenen Bewegung unserer Sonne zu erklären ist Wir lernen sowohl das dichte Gedränge der Ang'hörigen dieser Gruppe als auch ihre höchst geringe Bewegung verstehen, wenn wir erfahren, daß der blitzschnelle Lichtstrahl 230 Jahre gebraucht, um die Enfernung zwischen ihnen und der Erde zu durcheilen. .Wir sehen die Gruppe daher nicht so, wie sie heute ist, sondern wie sie vor 230 Jahren ausgejehen hat. -

Vorsicht! " ^

Die Handwerkskammer Reutlingen teilt ims mit, daß in letzter Zeit bei ihr immer wieder Anfra­gen um Auskunft über Kreditvermittlungsinstitute ein- gehen. Die bis jetzt eingezogenen Erkundigungen haben wiederholt ergeben, vor einzelnen Instituten zu warnen. Angesichts der Kapitalknappheit ist zu beobachten, daß sich die Kreditvermittlungsinstitute wohl vermehren, jedoch die Zuweisung von Krediten außerordentlich fraglich ist. Die Kammer ist gerne bereit, den selbständigen Handwer­kern Auskünfte zu erteilen, bevor Beiträge, Verwaltungs­kosten usw. abgeführt werden.

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Berneck, 4. Dez. Beerdigung von Oberlehrer Schwarz­maier.Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus . . ", so klang es durchs Tal, als heute mittag ein Erdenpilger, dem Berneck Heimat und Lebensinhalt gewe­sen war, seinen letzten Weg zu dem idyllischen am Ber­ges Hang gelegenen Friedhof machte. Am Samstag Abend war Oberlehrer Schwarzmaier infolge eines Unglücksfal­les, der das Gesamtbefinden des Verstorbenen sehr in Mitleidenschaft zog, im Bezirkskrankenhaus Nagold ver­storben. Es ist ein erschütternder Trauerfall, der den im­mer freundlichen, vielseitigen, herzensgütigen u. schaffens­freudigen Mann so ganz unvermutet in die Stille der To­desruhe geführt hat. Gerne waren wir alle, seine Bekann­ten und Fremde, in seiner Umgebung und verbrachten mit ihm ein Plauderstündchen. Groß ist daher allseits die Trauer um den Mann, der 36 Jahre lang als einziger Lehrer in Berneck waltete, in dieser Zeit auch den Orga­nistendienst versah, 36 Jahre als Rentamtmann der Frei­herrlich v. Eültlingenschen Gutsverwaltung sich bewährte und nebenher noch in mustergültiger Weise seit der Grün­dung des FischereivereinsOberes Nagoldtal" dessen Kassier- und Schriftführerposten versah. So war nicht wunder zu nehmen, daß man heute mittag aus nah und fern herbeigeeilt war, um diesem Manne das letzte Geleit zu geben. Im schön geschmückten Rathaus lag er aufge­bahrt, im Verwaltungshaus der Gemeinde, um die er sich große Verdienste erworben hatte, und dessen Ehrenbürger­recht er seit mehreren Jahren besaß. Der amtierende Geistliche sprach am offenen Grabe über das hohe Lied der Liebe Paulus, 1. Kor. 13Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht . . . ". Stadtschultheiß Kalmbach legte in dankbarem Gedenken einen Kranz nieder, ebenso die Eutsverwaltung durch Freih. A. v. Gültlingen, der des Verstorbenen aufop­ferndes Interesse an der Eutsverwaltung pries, der der Freude und des Leides in guter und schwerer Zeit ge­dachte und der versicherte, daß Dankbarkeit und Verehrung weit über das Grab hinausgehen werden. Für seine Ver­dienste als Organist wurde vom Kirchengemeinderat ein Kranz niedergelegt, sowie von seinen Schülern. Schulrat K n ö d l e r-Nagold pries unter Kranzniederlegung den Verstorbenen als Lehrer, Hauptlehrer L e u z e-Altenfteig fand im Namen des Bezirkslehrervereins Altensteig warme Worte für den Kollegen und Freund, dessen Güte, Freundlichkeit und gerades Wesen einen jeden gefangen genommen hätte und Oberlehrer Günther-Nagold dankte im Namen der Promotion 1886 dem Verblichenen für seine treue Freundschaft. Für den Landesfischerei-Ver­ein Württemberg und den Bezirks-Fischerei-VereinObe­res Nagoldtal" sprach Landrat Baitinge r-Nagold dem Manne den Dank aus, der lange Jahre an hervorragen­der Stelle tätig, dessen Rat geschätzt' war und dessen Name einen guten Klang hatte. Wort und Kranz soll­ten dem Andenken eines guten Mannes u. lieben Freun­des gewidmet sein. Die Trauerfeier wurde umrahmt von Weisen des Lehrerchores unter Leitung von Oberlehrer Schwarz-Altensteig, der Bläser, des Schülerchores und des Ktrchenchores. Friedrich Schwarzmaier ist nun von uns gegangen, eingereiht in die große Kette derer, die un­ser Erinnern suchen muß im Lande der Vergangenheit. Wir werden ihm auch als treuen und freudigen Mitar­beiter unserer Zeitung stets dankbares Gedenken weihen.

Wildberg, 5. Dez. Abschied. Gestern verließ uns Herr Stadtpfarrer Völler mit Familie, um seine Stelle als 1. Stadtpfarrer in Zuffenhausen anzutreten. Im Jahre 1915 wurde er von Schramberg aus hieher versetzt und hat in der schweren Kriegs- und Nachkriegszeit das nicht immer leichte Amt als Prediger und Seelsorger hier ausgeübt. Am Dienstag Abend veranstaltete die Gemeinde dem Scheidenden noch einen Abschied imSchwarzwaldsaal". Eine große Zahl von Abschiedsgästen fand sich ein und legte so Zeugnis ab von der Wertschätzung des scheidenden Geistlichen. Herr Stadtschultheiß Schmelzte beglück­

wünschte den Scheidenden zu der ehrenvollen Ernennung nach Zuffenhausen und dankte ihm im Namen der Ge­meinde für seine Verdienste um dieselbe und für das har­monische Zusammenarbeiten zwischen Gemeinde und Kirche. Herr Kirchengemeinderat Thomaß rühmte das schöne Verhältnis zwischen Kirchengemeinderat und Pfar­rer und dankte ihm für seine Arbeit und Mühe in der Kirchengemeinde. Herr Oberlehrer Rentschler dankte dem Scheidenden für seine Tätigkeit als Mitglied des Ortsschulrats und als Religionslehrer. Für das segens­reiche Zusammenarbeiten zwischen Seelsorger und Arzt an Kranken- und Sterbebetten dankte Herr Stadtarzt Dr. Vesenmayer. Zum Schluß nahm zuerst Frau Stadt­pfarrer Völter das Wort und erzählte in ihrer Art und Weise, was sie in Wildberg gelernt habe. Dann sprach Herr Stadtpfarrer Völter in packender Weise rückwärts­schauend über seine hiesige Tätigkeit. Er sprach den Dank aus für das freundliche Zusammenarbeiten mit den ört­lichen Behörden, besonders auch knit dem Kirchenge­meinderat, das ihm seine Arbeit hier wesentlich erleichtert habe. Beim Scheiden aber sehe man auch deutlicher die Mängel, die man habe, und die Fehler, die man gemacht habe. Er sei aber auch nur einirdisches Gesäß". Er hoffe aber, daß die kostbare Gabe, die er am Wort Gottes habe verkündigen dürfen, in der Gemeinde bleibende Frucht für die Ewigkeit bringen möge. Die Feier war umrahmt von Vorträgen des Liederkranzes und der Musikkapelle. Mit dem gemeinsam gesungenen Lied:Zieht im Frieden eure Pfade", nahm die schöne Abschiedsfeier ihren Ausklang. Herzliche Segenswünsche begleiten die Pfarrleute in ihren neuen Wirkungskreis.

Sulz, OA. Nagold, 4. Dez. Dienstjubiläum. Am 1. De­zember 1929 waren es 10 Jahre, daß Eemeinderat Kay er das Amt eines Eemeindepflegers und Eemeinde­rat Beßler dasjenige eines Waldmeisters übernahmen. Der Ortsvorsteher sprach den beiden Beamten in der Sit­zung des Eemeinderats den Dank und die Anerkennung für ihre Dienste, welche sie der Gemeinde während der 10 Jahre leisteten, aus.

Sulz, OA. Nagold, 4. Dez. Ergebnis der Viehzählung am !. Dezember. Pferde 74 (1928:77), Rindvieh bis 2 Jahre alt 209 (218), über 2 Jahre 491 (478), Schafe 222 (319), Schweine 677 (718), Ziegen 13 (14). Geflügel 3281 (2890), Bienenstöcke 252 (151).

Freudenstadt, 4. Dez. 75. Geburtstag. Am 3. Dezember feierte Hotelier Ernst Luz z.Waldlust" in alter Frische, körperlich und geistig gleich rüstig, seinen 75 Geburtstag. Herr Luz ließ sich u. a. auch unermüdlich die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse für Freudenstadt angelegen sein und bekannt ist sein zähes und erfolgreiches Bemühen um die Einführung des Eolfsports am hiesigen Kurplatz. Im Lauf der letzten Jahre sah er allerlei berühmte und hohe Gäste in seinem Hause aus- und eingehen.

Calw, 4. DöU Beim Langholzladen verunglückt. Fuhr­mann Bitz er jr. von Dachtel ist beim Langholzabla- den in Schönaich schwer verunglückt. Der Verletzte mußte ins Döblinger Krankenhaus überführt werden, wo er wohl für längere Zeit verbleiben muß.

Aus aller Welt Ser Sklorek-Skandal

Die Sozialdemokratische Partei hat den Bürgermeister Kohl, der durch die Sklarek-Untersuchung arg bloßgestellt ist, aus der Partei ausgeschlossen. Parteiausschluß dürfte auch dem Stadtrat Bedecke (Deutsche Volksp.) beoor- stehen, der zu den Jagdgästen der Sklareks gehörte und dessen Frau von ihnen sichRennwettgewinne" von 500 und 600 Mark geben ließ. Aehnliche Geschenke gingen an eine Frau Stadtrat Warschauer u. a.

Oberbürgermeister Büß bestreitet, daß er sich Webwaren für 1 Mark statt 5 Mark d. M. aus städtischen Beständen habe besorgen lassen. Der Oberpräsident hat jedoch die Untersuchung auch auf diesen und andere Punkte aus­gedehnt. Mehrere frühere städtische Beamte bezeugten, wenn irgendein städtischer Beamter auf die Betrügereien in der Verwaltung aufmerksam gemacht habe, so sei er sichergeflogen". So wie Navarra sei es noch manchem andern gegangen.

Ein schwäbischer Bankräuber ln Berlin. Aus Berlin wird gemeldet: In dem Bankgeschäft Lißner in der Jägerstraße machte ein aus Württemberg gebürtiger 22jähriger Ar­beiter namens Alois Donderer(?) einen Raubversuch. Er wurde aber überragt und verkraftet, worauf er Selbst-

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Der junge Mann war vor einigen Monaten nach Berlin gekommen, verlor aber seine Beschäftigung als Fensterputzer bald wieder. Die Not brachte ihn in der Welt­stadt zum Verbrechen.

Auf der Jagd tödlich verunglückt. Der Sack- und Jute­händler Gustav Schiller aus Mannheim, der sich mit zwei Ludmigshasener Herren auf der Jagd im Odenwald befand, wollte einen Habicht erlegen. Er verfolgte das schon durch einen Schuß verletzte Tier und schlug mit dem Ge- wehr, dieses am Laus packend, aus den Vogel ein. Dabei löste sich ein Schuß und tras Schiller in die Brust. Der Ver- unglückte war sofort tot.

Selbstmord eines Richters. Der 52jährige Amtsgerichts­rat Bartsch in Neumarkt hat seinem Leben ein Ende ge- macht. Bartsch war seit November 1925 in Neumarkt tätig, zuletzt als Aufsichtsrichter. Furcht vor dauerndem Siechtum scheint der Anlaß zu dem Selbstmord gewesen zu sein.

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Handel und Verkehr

- - Ausländsanleihe oder Schatzwechsel?

Wie verlautet, wird die schwebende Schuld des Reichs bis zum Jahresende auf mindestens 1300 Millionen Mark angewachsen sein gegenüber 770 Millionen Ende 1928. Aus dem Rechnungs­jahr 1928 besteht ein Fehlbetrag von 1S4 Millionen und für das laufende Jahr rechnet man bei der schlechten Konjunktur mit nnem Fehlbetrag von etwa 600 Millionen. Die Ausgaben des außerordentlichen Haushalts, die ordnungsmäßig durch Anleihen hätten gedeckt werden müssen, werden seit langem mit gegen wärtig insgesamt rund 910 Millionen aus laufenden Einnahmen, bestritten. Die aus dxm ersten Poungplanjahr erwarteten Min­derzahlungen von 46S Millionen sind also vorweg schon längst aufgevraucht. Besonders kritisch wird die Lage der Reichskass« am Jahresende durch das Anschwellen des üblichen Betriebsmittel­bedarfs, der diesmal auf einige hundert Millionen geschätzt wird. Ende Dezember ist auch die Tilgung von 180 Millionen Anleihe­auslosungsrechten fällig, wozu voraussichtlich ein Zuschuß an die Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung von 100 Millionen kommen wird. Im vorigen Jahr konnte der Reichskassenfehl­betrag größtenteils noch durch die Rxichsbahn und durch die Reichspost gedeckt werden, da diese Institute in den letzten Monaten schon von der Reichskasse in Anspruch genommen worden sind, und nun etwa 100 Millionen Reichsschatzanweisungen über­nehmen mußten, erscheint es kaum möglich, daß sie weiter nen­nenswert beispringen können. Bedenklich würde es sein, wenn die am 31. Januar 1930 fälligen Schatzanweisungen von 200 Millionen, die bereits im September verlängert wurden, noch­mals verlängert würden, denn dadurch würde der Geldmarkt weiterhin zum Schaden der Wirtschaft unter Druck gehalten. So ist, wie schon berichtet, in Erwägung gezogen worden, eine kurz­fristige Ausländsanleihe (auf die Zündholzanleihe) auf­zunehmen, oder bei den Großbanken bezw. den öffentlichen Kredit­instituten wieder einen größeren Bettag von Schatzwechseln unterzubringen.

1 ^ ociaei-Aiummuim) in Verkehr ge- bracht. Die Falschstucke sind durch ihre plumpe Prägüäa und Äen Stücke^"^ erkennbar, auch sind sie dünmr als di«

1 142 000 Arbeitslose

Nach dem Bericht der Reichsanstalt ist die Zahl der Haupt- Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenunterstützung in der Berichtswoche vom 25. bis 30. November 1929 um 88 000 aus 1142 000 gestiegen.

Passagierverkehr nach Canada.

Der Norddeutsche Lloyd in Bremen unterhält mit seinen großen Passagier- und Frachtdampfern während der Dauer des ganzen Jahres regelmäßige Verbindungen zwischen Bremen und den canadischen Häfen Halifax und Montreal. U. a. wer­den auch die bekannten DampferBerlin",Stuttgart" und München" in Halifax anlaufen. Die durch den Norddeutschen Lloyd gebotenen Reisegelegenheiten werden von Interessen­tenkreisen als überaus günstig angesprochen. Heber Einreise­bestimmungen für Auswanderer und Besuchsreisende, über Schiffsverbindungen nach Kanada üsw. erteilen der Nordd. Lloyd und seine Vertretungen kostenlos Auskunft.

Meder 10 Prozent Dividende und Aapikalerhöhung bet deß Brauerei Mulle AG Stuttgart. In der ÄR.-Sitzung am 3. De»,' wurde beschlossen, der am 4. Jan. 1930 stattfindenden HV. vorzM schlagen, wieder eine Dividende von 10 Prozent auf di« St.W zur Verteilung zu bringen; außerdem da, Skammakttenkapilq um 1,2 Mll. auf 3,0 Will, zu erhöhen und den Aktionären E Bezugsrecht 2:1 zum Kurs von 118 Prozent anzubieten.

Zu -e« Vorgängen in der Deulschnationalen Bolkspartei

Berlin, 5. Dez. Zu den Vorgängen in der Deutschna­tionalen Volkspartei nehmen noch einmal eine Reihe Ber­liner Morgenblätter Stellung. In der Vörsenzeitung schreibt Abg. Schlange-Echöningen zu seinem Austritt, es sei ihm zweifelhaft, ob Deutschland überhaupt noch zu ret­ten sein würde durch Fraktionsarithmetik und Auszählen von Stimmen. Vielleicht nehmen die Dinge einen viel drängenderen Verlauf, weil die Riesenprobleme, die vor uns ständen und bei denen es sich um Deutschlands Leben und Sterben handele, mit Fraktionsdisziplin oder Partei­schablonen überhaupt nicht mehr zu meistern sein würden. In solchem Augenblick dürften die Rechtskreise sich nicht isolieren. Der größte Aktivismus, den man für die kom­menden Stunden der Gefahr bekunden könne, sei der Wille zur Zusammenfassung aller Kräfte des Bürger­tums und der nationalen Arbeiterschaft über allzu enge Parteischranken hinweg, damit Deutschland nicht im Stru­del eines zweiten 9. November endgültig versinke. Die Deutsche Tageszeitung schreibt, nach wie vor gehörten der Partei und Fraktion maßgebende und führende Vertreter der Landwirtschaft an. Ihre Aufgabe werde sein, im Rah­men ihrer Parteizugehörigkeit dafür zu sorgen, daß sich die größte Partei der Rechten auch weiterhin als Rück­haltlose Vorkämpferin gegenüber den Nöten und Sorgen der deutschen Bauern fühle. Dazu werde es freilich einer Beeinflussung der Partei und insbesondere der Reichs- taasfraktion nach der realpolitischen Seite bedürfen, die sich auch klar sei über das Maß sachlich-praktischer Zusam­menarbeit mit anderen Parteien, das nun einmal nicht entbehrlich sei, wenn positive Ergebnisse auch aus der Op­positionsstellung heraus erreicht werden sollten. Die Deut­sche Zeitung schreibt, der Mittwoch habe die Deutschnatio­nale Volkspartei endgültig von dem Fluch des 20. August

1924 befreit. Mit reinem Gewissen könnten ihre Führer nun hinaustreten ins Land und den wahrhaft konserva­tiven Gedanken des Widerstandes gegen die Opportunität !>es Glaubens an eine deutsche Sendung im Großen und Grundsätzlichen wieder werben laßen gegen den Unglau­ben derjenigen, die immer aus demBoden der Tatsa­chen" ständen. Die D. A. Z. sagt, die ausgetretenen Abge­ordneten wollten eine selbständige Arbeitsgemeinschaft bilden und würden wohl insbesondere nach der christlich- nationalen Bauernpartei hin Anlehnung suchen. Die Bil­dung einer speziellen christlich-sozialen Gruppe sei ein überraschender taktischer Fehler. Fehler des christlich-sozia­len Gedankenkreises der Landwirtschaft, der Industrie und der intellektuellen Mittelschichten stellten die Ausgeschie­denen eine außerordentlich beachtliche Eesinnungsgemein- schaft dar, die bereit sei, auf dem Boden des heutigen Staates praktisch am Wiederaufbau mitzuarbeiten, die sich nun ihrerseits nicht nach noch so berechtigten Sonderinter­essen zersplittern sollte. Der Börsencourier spricht die Hoffnung aus, daß die Entwicklung zu einem Zusam­menschluß des Bürgertums in großen und festen Gebilden und zu einer bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft führen werde. Die Vossische Zeitung meint, man müsse sich vor Überschätzung hüten, aber es habe doch den Anschein, als ob dieLos von Hugenberg-Bewegung" mehr sei als eine Fronte.

Das Republikschutzgesetz im Rcchtsausjchuß.

Berlin, 4. Dez. Der Reichstag überwies am Mittwoch abend das Republikschutzgesetz dem Rechtsausschuß. Ein Antrag auf Aufhebung des Verbots des Rotfrontkämpfer­bunds, wurden abgelehnt.