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Gegen diese außerordentlich hohen Ansprüche, die die für den Vizekanzler a. D. Dr. Helfferich bezahlte Entschädigung um ein Mehrfaches überstiegen, erhoben die Bundesbahnen mit Erfolg Widerspruch, Das Bundesgericht setzte di« Fürsorgerente für die Mutter Wertheim aus jährlich 5000 Mark fest; diese Rente soll nach ihrem Tod auf die Kinder übergehen. Für diese ist eine jährliche Rente von je 3800 Mark und vom Tod der Mutter an von je 5000 Mark Mark bis zum zurückgelegten 24. Altersjahr zu entrichten. Als „Genugtuung" wurden jedem Kind 20 000 Franken und der Mutter 10 000 Franken zugesprochen. Die Bundesbahnen haben ferner 10 000 Franken für das Gepäck, 2000 Franken an Gerichtskosten, sowie die Beerdigungskosten der Eltern zu bezahlen. Alle andern Entschädigungsansprüche aus diesem großen Eisenbahnunglück (meist von Reichsdeutschen) sind durch gütlichen Vergleich erledigt worden.
Ser Sklarek-Rmdal
Die deutschnationale Reichstagsfraktion mißbilligte in einer Entschließung scharf, daß die Abgeordneten Wols- Oppeln und Bru hn-Berlin gesellschaftliche Beziehungen zu den Sklareks gehabt haben. Wenn auch durch die Untersuchung erwiesen worden sei, daß Bruhn mit dem Verwaltungsskandal nichts zu tun habe, sei er vorläufig aus der Fraktionsgemeinschaft zu beurlauben, bis er die Beweise erbracht habe, daß die gegen ihn von parteigegne- rischer Seite erfolgten Angriffe gegenstandslos seien.
In dem Kassenbuch der Sklareks fand sich der Eintrag, daß sie an die Firma Textilfabrik Gebrüder Zöppritz in Mergelstetten OA. Heidenheim zwei Millionen Mark gezahlt hätten. Die Kriminalpolizei har festgestellt, daß kein Pfennig an die Gebr. Zäppritz abgeführt worden ist. Auch diese Millionen sind offenbar von Sklareks verschoben worden.
Die verschwundenen Bilanzbücher sind bei einer „Freundin" gefunden worden. Das Finanzamt macht auf Grund der Bücher ein« Steuernachforderung von 2,7 Millionen Mark geltend.
Die „Studienreise" nach Amerika wird, wie Bürgermeister Scholtz in einer stürmischen Sitzung der Stadtverordneten mitteilte, etwa 80 000 Mark kosten. Sie habe den Zweck, „deutsche und amerikanische Städte einander näher zu bringen". Da die Reise eine Angelegenheit der „laufenden Verwaltung" sei, habe man die Stadtverordneten nicht vorher befragt.
Württemberg
Stuttgart. 16. Oktober. '
Ernennung. Der Reichspräsident hat an Stelle des Se- natspräsidenten Sarwey, der in den dauernden Ruhestand getreten ist, den Amtsgerichtspräsidenten Klöpfer beim Amtsgericht Stuttgart 1 zum Präsidenten der Reichsdiszi- plinarkammer in Stuttgart ernannt.
Berufung. Ministerialrat Dr. Löffler beim Kultministerium ist vom Staatsministerium auf Ersuchen des Reichsministeriums des Innern auf ein halbes Jahr zur Dienstleistung bei diesem Ministerium beurlaubt worden. Als sein Stellvertreter wurde Oberreg.-Rat Dr. Le uze von der Ministerialabteilung für die höheren Schulen in das Kultministerium berufen-
Don der Württ. wohnungskredikansialk. Das Innenministerium hat im Einverständnis mit dem Finanzministerium an Stelle des Ministerialrats Bäuerle den Oberregierungsrat Riekert im Finanzministerium als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand der Württ. Woh- nungskreditanstalt berufen.
Zur Eingemeindung Zuffenhausens. In der gestriger, nichtöffentlichen Sitzung des Stuttgarter Gemeinderats wurde der Vertrag über die Eingemeindung von Zuffenhausen nach Stuttgart mit 33 gegen 25 Stimmen angenommen. Dafür stimmten die beiden kommunistischen Fraktionen, die Sozialdemokraten, der Christliche Volksdienst und die drei Bürgermeister. Die Demokraten enthielten sich der Stimme. Damit ist Zuffenhausen jedoch noch nicht ein- gemeindet; es steht noch eine Volksabstimmung in Zuffenhausen bevor. Im Hintergrund steht noch die Regierung mit der Amtskörperschaft Ludwigsburg, deren ablehnendes Verhalten bekannt ist.
Einweihung des Neubaus der Evang. Töchterschule. Gestern vormittag wurde der Neubau des Evang. Töchterinstituts in der Arminstraße feierlich eingeweiht. Unter den Gäste befanden sich Kultminister Dr. Bazille, Finanzminister Dr. Dehlinger, Kirchenpräsiden! v. Wurm, Landtagspräsident Pflüger, Oberbürgermeister Dr. Lautenschlager. Studiendirektor Dx. Ela ß, der Leiter des Instituts, begrüßte die Gäste. Präsident Bracher überbrachte die Glückwünsche des Kultministeriums. Weitere Ansprachen hielten Kirchenpräsident v. Wurm, Oberbürgermeister Dr. L a u t e n s ch l a g e r, der Baumeister, Architekt Weippert und Prälat v. Groß.
Dortrag über Bienenhonig. Im Rahmen der Ausstellung für Ernährung und Körperpflege» hält der Landessachverständige für Bienenzucht, Rentschler, am Samstag, 19. Oktober, nachm. 6 Uhr, im Börsensaal der Gewerbehalle einen Lichtbildervortrag „Der Bienenhonig und seine Verwertung im Haushalt.
Aus dem Lande
Dlöckmühl, 16. Oktober. Gewässerte Milch. Seil einiger Zeit wurde beobachtet, daß die von der Sammelstelle Dippach an die hiesige Sammelstelle der Mannheimer Be- zugsgenossenschast abgelieferte Milch stark gewässert war. Der Verdacht lenkte sich auf die Lydia Go : tert, Tochter des Stabhalters Gottert in Dippach, bei der die Landwirte die Milch ablieferten. Schließlich konnte ihr nachgewiesen werden, daß sie durchschnittlich ein Drittel Wasser zusetzte, einmal mischte sie sogar auf 125 Liter Milch 77 Liter Wasser. Aus einer anderen Milchsammelstelle entwendete ein Angestellter der dortigen Genossenschaft Milch. Wahrscheinlich hat er den Ersatz für die fehlende Menge an der Wasserleitung geholt. Der Angestellte wurde sofort entlassen.
Ahldorf OA. Horb, 16. Oktober. Unvorsichtiger Schütze. Als der hiesige Bürgerssohn Viktor Hertkorn von der Jagd zurückkehrte und noch einmal nach seinem Gewehr schauen wollte, entlud sich dieses und die Kugel drang ihm in das Knie ein. Der Verunglückte mußte ins Krankenhaus eingeliefeit werden.
Nagoldrr TagLlatt „Ter Gesellschafter"
> Erbach OA. Ehingen, 16. Okt. Der Stand des Erbacher Falls. Die Lage der Gemeinde gestaltet sich ! immer ungünstiger; sie ist jetzt durch das Oberlandesgericht ; Karlsruhe verurteilt worden, Wechselforderungen im Be- j trag von 80 000 Mark als für sie verbindlich anzuerkennen, i da Schultheiß Dehner diese Wechsel zwar zunächst auf die Mühlegenossenschaft und die Erbacher Bank, aber immer zugleich auch auf die Gemeinde ausgestellt hatte. Wenn nun i die Schweizer Banken, die unbestrittene Forderungen in- ! Höhe von etwa 360 000 Mark gegen die Gemeinde haben, nicht einen ganz erheblichen Teil Nachlassen, so sieht sich dis Gemeinde vor die Frage der Konkurserklärung gestellt.
Empfingen in Hohenz., 16. Oktober. Räuberischer Ueberfall. Schweinehändler August König, der sich auf der Heimfahrt von Horb befand, wurde auf der Straße beim sog. Hochgerüst abends von zwei unbekannten Burschen überfallen und mißhandelt- Dem König, der sich zur Wehr setzte, wurden von den Burschen die Kleider zerrissen. Er konnte fliehen, bevor die Burschen ihre Absicht, ihm das Geld zu rauben, hatten ausführen können.
Bei der Ortsvorsteherwahl in Ochsenberg OA. Heidenheim wurde der seitherige Schultheiß Heinrich Schee- rer mit 172 von 193 abgegebenen Stimmen wiedergewählt. — In Erisdorf OA. Riedlingen wurde der bisherige Amtsoerweser Anton Maichel mit 108 von 197 abgegebenen Stimmen zum Ortsvorsteher gewählt. — In Rechten st ein OA. Ehingen erhielt Gemeindepfleger Schauder 48, Stationsvorstand Baizer 37 und Landwirt Mayer 35 Stimmen. Ersterer ist somit gewählt. — In Talheim OA. Tuttlingen wurde der seitherige Ortsvorsteher Köhler mit 379 von 381 abgegebenen Stimmen wiedergewählt. — In Reinerzau AO. Freudenstadt erhielt Landwirt Max Beilharz 112, der Gegenkandidat Oberganzbauer I. G. Arm brüst er 105 Stimmen. Beilharz ist gewählt. — In Poltringen OA.
Herrenberg erhielt Verw.-Praktikant R ö m e r-Rottenburg 199, Anton Ege 62 und Florian Wellhäuser 35 Stimmen. Römer ist gewählt.
Meckenbeuren» OA. Tetknang, 15. Okt. Explosion. Bei der Vorführung eines Feuerlvschapparats einer Lindenberger Firma (Bavaria) ereignete sich ein folgenschweres Ilnglück. Nach Vornahme der Löschprobe, hei der der Apparat gut wirkte, wollte der Vorführende noch einige Erklärungen geben, stellte den Apparat auf den Boden und hielt die Sprihdüse offen. Plötzlich explodierte der Apparat. Dem Vorführenden wurde hierbei die rechte Gesichts- Hälfte aufgerissen. Der Verunglückte wurde nach Ravensburg verbracht. Ob das Auge erhalten werden kann, ist fraglich. .... l
Von der bayerischen Grenze, 16. Okt. Beim Kam- merfensterln erstochen. — Selbstmord. — Tödlicher Unfall. In einer Sommernacht an einem Julisonntag begab sich der 19jährige Güterssohn Georg Thalmeier aus Jrsching, Bezirksamt Pfaffenhofen, in angeheitertem Zustand an das Kammerfenster eines Mädchens, das er seit längerer Zeit mit Liebesanträgen verfolgte. Dieses aber wollte von Thalmeier nichts wissen, da es die Braut des Landwirtssohns Reichart war, der sofort mit Thalmeier in Streit geriet. Thalmeier, der der Schwächere war, zog sein Messer und verletzte Reichart tödlich. Thalmeier wurde nun zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt. — Der 60jährige Landwirt Albert Vogg in Oberwaldbach hatte eine Dreschmaschine, die nicht recht funktionierte. Darüber ärgerte sich Vogg derart, daß er auf den Scheunenboden stieg und sich erhängte. — Auf dem Bahnhof Treuchtlingen geriet der Maschinenhausgehilfe Wilhelm Belzner, der die Drehscheibe zu bedienen hatte, zwischen zwei Lokomotiven und wurde tödlich verletzt.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 17. Oktober 1929.
Wer erst die Vor- und Nachteile einer Liebe abschätzen mutz, bevor er sich entscheidet, der wird niemals die Liebe erleben können.
Zum Zeppelinbesuch.
Wie uns die Reichseisenbahn mitteilt und wie auch aus dem Anzeigenteil zu ersehen isch wird anläßlich der Zeppelinlandung in Böblingen am Sonntag, den 20. Oktober ein Sonderzug ebendorthin ausgeführt. Um den Sonderzug 9.25 in Calw zu erreichen, müßte man den 8.43 Uhr-Zug ab Nagold benützen. — Aber auch Autoverbindungen nach dorthin sind vorgesehen, und zwar durch die Firma Benz L Koch-Nagold, Tel. 2. (Siehe gestrigen Inseratenteil).
Familienabend des Schwarzwaldvereins.
Der Schwarzwaldverein sieht sich genötigt, seinen Familienabend bereits am Samstag, den 26. Oktober abzuhalten anstatt erst am 23. November, wie es ursprünglich im Wanderplan verzeichnet war. An diesem Abend wird der Kriegsblinde Dr. Hans Ebbecke aus Heidelberg, der uns ja Fremder sondern ein lieber Bekannter ist, Lieder zur Laute singen.
Beleuchtung von Treppenhäusern. Zu Beginn der Win- terzeit wird wieder darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die laufenden Entscheidungen der Rechtsprechung jeden Hausbesitzer verpflichten, Hausflur und Treppenaufgänge während der Dunkelheit so lang zu beleuchten, als ein regelmäßiger Verkehr stattfindet. Im Fall der Unterlassung einer genügenden Beleuchtung ist der Hausbesitzer für allenfalls entstehenden Schaden haftbar.
Der „gesalzene" Schnaiter. Aus Wirtskreisen schreibt man uns: Es gibt Heuer wieder keinen Schnaiter zum Preis von 50 Pfg. das Viertelliter in den Wirtschaften, weil der Einkaufspreis zu hoch ist. Die Schnaiter Weingärtner wären bereit gewesen, den Wein zum Preis von 350 Mark pro Eimer abzugeben. Der Schultheiß von Schnait setzte aber den Preis auf 400 Mark fest.
Calw, 17. Okt. Auch ein Jubiläum. Gestern jährte es sich zum 400mal, daß durch die Hellhörigkeit eines Calwer Bäckergesellen, der beabsichtigte Sturm der Türken unter j Sultan Suleiman II. auf Wien rechtzeitig entdeckt und so- "
___Denneretss. 17. 27ll.P.-r 1370. j
mit abgeschlagen werden konnte. Diese vergebliche Bela ; gerung Wiens bewog den Sultan, endgültig sein Heer zu-'
! rückzuziehen. Fünf Jahre später eroberte er Bagdad i Nichtig wäre es, wie sich das Calwer Tagblatt äußert' i wenn die Calwer Väckerzunft um die Jetztzeit, statt um ! Lichtmeß, das traditionelle sog. „Bäckerläuten" veranstal- > ten würden. — Nach einer anderen Ueberlieferung habe ! Leopold I., röm.-deutscher Kaiser, der Bäckerzunft 'ein - Ehrengeläute verliehen, weil bei einer späteren Belage- U rung Wiens, 1683, durch die Türken ein Bäcker während st seinem nächtlichen Geschäft die unterirdischen Minierer belauschte und rechtzeitig so genaue Anzeige erstattete daß schnell Eegenarbeiten gemacht werden konnten, welche Wien retteten. Authentisches Material über die Mitwirkung des Calwers ist von den Wiener oder sonstigen Ar- j chiven nicht zu bekommen. ' .
Affstätt, 17. Okt. Nagolder Besuch. Ein prächtiges neues Kirchlein schmückt das Dorfbild unseres schönen Baue'rnsleckens Feundlich grüßt der dicke Turm mit seinem Staffelgiebel j,i i die friedliche Nachbarschaft und weithin ins fruchtbare Gäu und ^ zu den dunklen Waldhöhen des Nagoldtales glänzt der gor- 1 Vene Turmhahn. Im stilvollen Jnnenraum dieses lichtdurch- > fluteten Gotteshauses aber ertönt immer wieder der deutsche Choral, erklingen die Akkorde der neuen Orgel, dieses Meister- ' wertes gegenwärtiger Orgelbaukunst. Sonntag ists. Der Drei- klang der Kirchenglocken lautet so schön. Im weiten Langschis, '
füllen sich die letzten Plätze. Auf der ausladenden Orgelem- t
pore sammelt sich der Nagold er Kirchenchor. Unter Leitung von Stud.-Rat K. Schmid will die sangesfreudige i
Jugend einen liturgischen Gottesdienst weihen. Wer wollte t
nicht Zeuge sein von solch erhebendem Erlebnis. In wessen !
Herz rührten sich nicht die zartesten Saiten, wenn der Liederschatz alter Meister sein gülden Tor öffnet! Ist das nicht mehr als das Sonnengold eines Oktobertages, als der Herbstschmuck des Laubes und der Landschaft? Das Liedgut, das ins 18. uns 17. Jahrhunoert, in die höchste Pflege des Gesanges zurück- i
greift, überragt alle Schönheit und Naturbegeisterung. Der Ausdruck tiefster Religiosität und ernster fröhlichster Gläubigkeit ist es, geprägt in die Edelmünze des Chorals, des gehst ! lichen Liedes in seiner Kraft und Größe, seiner Versunkenheit !
und Andacht, in seiner Anbetung und Liebe. Freudige Welt- s
bejahung klingt in den beschwingten Rhythmen eines I. H. Schein: „Wie schön leuchtet der Morgenstern". Bald im schwellenden Creszendo, bald in der Zartheit eines feingetöntm Pianos macht sich des Sängers Herz Luft und bahnt sich den steilen Weg zu einem Aufstieg ins Ewige. „Hoch und wundervoll erhaben" dies ist das Bekenntnis, das sich dem demmi- gen Christen auf die Lippen drängt. Es ist die Königin Or
gel, welche diese Erundstimmung der Seele weiterführt. Wie der Pinsel des Künstlers Farben und Formen schafft, so rut es hier die Meisterhand des Organisten Stud.-Rat Schmid. . Wohlgebunden an die bleibenden Werke eines Johann Gottfried Walther, Pachelbel und Reger, aber dennoch lebendig und frei und in Freiheit voller schöpferischer Gestaltungskraft. Das Technische und seine Schwierigkeiten sind überwunden, es siegt die Kunst, die Kunde jener Meister, es wird das Erlebnis.
Wie jauchzt der Orgel Lied in den Churalvorspielen von Walther und Reger. Wie springt das Herze und seine goit- suchende Freude in einer Toccata von Pachelbel und wie ringt lm zweiten Werk dieses Meisters menschlicher Geist um die legten Ziele des Höchsten! Ihm ergeben und voller Sehnen sucht es seine Ruhe in Gott. „Verzage nicht, o Häuflein klein" das ist einer der Meilensteine, welche an diesem schmalen Wege stehen. Weit liegt er ab und nicht ohne Mühsal zu erwandern. Aber er ist des Schweißes der Besten wert. Ilmrankt von der : Blumen Einfalt und Sorglosigkeit, belebt von des Himmels ! Bläue und der Vöglein Singen mag jede Last dorthin leicht werden. Das spürte man auch diesem gottvertrauten Liedlein ! von Kindermann an. Unter Orgel- und Geigenbegleitung s schreiten die Frauenstimmen fort und ziehn fröhlich ihre Straße. Mehr Trost als Verzagtheit, mehr Eottvertrauen als Klage und Plage und Menschenfurcht klingt aus dieser schönen Weise, die jo innig und mit lieöerfrohen Herzen erklungen ist. „Domine refugium" von Gumpelzhaimer, das ist die Sammellinse des ersten Teiles der Liturgie. O Herr, du biit s meine Zuflucht! Was Lied und Gemeindegesang, Orgel, Geigen unv Schristwort bis hierher errungen und ersungen, oas verdichtet sich in dem lateinischen „Domine refugium" zur hingehenden Vollendung im geweihten Dienste des Göttlichen. „Komm heiliger Geist, Herre Gott" von I. H. Schein ist ein Höhepunkt der stillen andächtigen Stunde. In seiner Vielstimmigkeit und Beschwingtheit offenbart es ganz und gar resor- matorischen Geist. Ist es aber neben dem prächtigen polyphonen Satz nicht auch die Kraft und Deutschheit des Textes, was die>em geisterfüllten Lied sein Wesen gibt? Das heurige Gedenkjahr des lutherischen Katechismus wäre dazu ein zwin- ! gender Anlaß, unsre deutschen Lutherlieder in Schule, Kirche, Familie und Verein wieder zu erlernen. Sie sind ein Grundstein unseres Protestantismus, ein Eckstein des Deutschtums und ein Edelstein des Choralgesangs. Als Schlußlied schenkt uns der Cbor „Gloria sei dir gesungen" von I. S. Bach. Dieser Siegeschor schließt den Ring des harmonischen Ganzen. Es war eine köstliche trostreiche Gabe, welche der Nagolder Kir- ! chenchor aus dem reichen Schatz seiner religiösen Lieder einer > andächtigen dankerfüllten Gemeinde geschenkt hat. Mit offenem Herzen haben wir sie empfangen und mit frohem Gemüts be- i wahrt in dem starken Glauben eines fröhlichen Wiedersehens ^ im kommenden Jahre. G. F.
Aus aller Welt
Todesfall bei der Baden-Badener Konferenz. In Baden-Baden tagt bekanntlich gegenwärtig der Houng-Aus- schuß für die Einrichtung der Tribukbank. Der belgisch? Vertreter Delacroix erlitt am Dienstag früh einen Herzschlag. Die Leiche wird nach Paris überführt, wo er in den letzten Jahren seinen Wohnsitz hatte. — Delacroix war längere Zeit Vorsitzender der Reparationskommission und hat sich als solcher deutschen Wünschen und Nöten gegenüber oft, namentlich bei der Vertretung belgischer Forderungen von unnachsichklicher Hartherzigkeit gezeigt. Aach Annahme des Dawesplans wurde er Treuhänder für die Reichsbahn-Schuldverschreibungen.
Richard Strauß gegen die Steuerbehörde. Zwischen dem österreichischen Finanzministerium und dem Komponisten Richard Strauß ist ein Streit ausgebrochsn, weil die Steuerbehörde von dem Komponisten die Zahlung einer großen Steuer verlangt. Die Angelegenheit hat folgende Vorgeschichte: Vor zwei Jahren wurde zwischen dem Komponisten und dem österreichischen Staat ein Vertrag abgeschlossen, demzufolge der Baugrund der Straußschen Villa in den Besitz des Künstlers übergeht. Dieser ist aber verpflichtet, die Originalpartitur seiner Aegyptischen Helena der Nationalbibliothek zu vermachen und außerdem fünf Jahre hindurch je zwanzig Abende im Jahr in der Oper ohne Entgelt zu dirigieren. Beide Teile haben den Vertrag bisher püntt- lich erfüllt. Jetzt aber hat die Steuerbehörde die Absicht kundgegeben, diesen Vertrag zu besteuern. Sie hat der Veranlagung den großen Dollarbetrag zugrundegelegt, der Strauß für die Partitur der Helena angeboten wurde und außerdem hundert Dirigentsnhonorare in der Höhe seines Dirigentengehalts in Deutschland in Anrechnung gebracht. Strauß, der voraussetzte, daß der Vertragsabschluß mit dem Staat ihm niemals eine Steuerverpflichtung auferlegen würde, hat die Angelegenheit seinem W-ener Rechtsanwalt übergeben.