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834 Gegründet 1827
Samstag den 5. Oktober 1929 Fernsprecher Nr 29 163. Jahrgang
Tagessmegel
Der Abgeordnete von Troilo und die übrigen Mitglieder der deutschnationslen Reichstagsfraktion haben an den Vorsitzenden des Kriegsbeschädigtenausschusses ein Schreiben gerichtet, in dem sie den Antrag auf schleunige Einberufung des Ausschusses stellen zum Zweck der Herbeiführung einer Erklärung -er Regierung über die in der Kriegsbeschädigtenfürsorge eingetrekene Stockung, im besonderen bei den Kapi- kalabfindungen
Der demokratische Reichsparteitag ist am Freitag in Mannheim eröffnet worden. Abg. Koch und Reichsminister Dietrich hielten Ansprachen.
Der Hcktige Stuhl hat die Apostolische Nuntiatur in Berlin beauftragt, die wärmste Teilnahme zum Hiuscheiden des deutschen Auszerrministers Dr. Stresemann der Reichsregierung zum Ausdruck zu bringen.
Der schweizerische Nationalrat genehmigte heute den Vertrag mit Deutschland über die Rheiaregulierung Basel— Stratzburg.
Der Schnelldampfer Berengaria" mit Erfimimsier Mac- donatd an Bord ist am Freitag morgens 7 Ahr an der Quamnkäneslation in Neuyork ««getroffen.
Politische Wochenschau stehe Seite 5
die Abstimmung über die Arbeitslosenversicherung
Deutscher Reichstat»
Berlin, 4. Okt. Bei der Schlußabstimmung über die Arbeitslosenversicherung wurden insgesamt 433 Karten abgegeben, 40 Abgeordnete der Deutschen Volkspartei enthielten sich der Stimme, die andern stimmten für das Gesetz. Das Ergebnis der letzten Einwirkung des Parteiführers Dr. Stresemannwar also, daß die Fraktion davon Abstand genommen hat, gegen die Vorlagen zu stimmen. Für das Gesetz stimmten demgemäß 238, gegen das Gesetz 155 Abgeordnete (Deutschnationale, Wirtschafts- Partei, Kommunisten und Nationalsozialisten.
Die demokratische Reichstagssraktion hatte in ihrer Sondersitzung am Mittwoch abend beschlossen, für das Gesetz zu stimmen, nachdem auch die Deutsche Dolkspartei ihren Widerstand gegen die Vorlage ausgegeben habe.
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Nach der Krise vom Montag ist in der Frage der Reform der Arbeitslosenversicherung schneller, als man erwarten konnte, die Lösung gefolgt. Die Lösung ist eine politische, kein« wirtschaftliche. Wirtschaftlich betrachtet, bleibt der Kompromißvorschlag, der angenommen wurde, ein erster Schritt. Mit den Stimmen der Sozialdemokratie ist die erste Regierungsvorlage, die Beschränkung der Mißbräuche der Versicherung vorsieht, angenommen worden: ihr ist der Paragraph 1 und 2a der befristeten Sondervorlage über die strittigen Fragen der Saisonarbeiter, der Leistungsdauer und der Beitragshöhe eingefügt worden. Dieser Paragraph 1 sieht vor, daß die Saisonarbeiter im allgemeinen Unterstützungen in Höhe der Krisensürsorge erhalten; der Paragraph 2a bestimmt, daß ein Unterstützungsempfänger, der zum erstenmal die Versicherung in Anspruch nimmt, mindestens 52 Wochen Beiträge- gezahlt hat, für spätere Unterstützungen wird bestimmt, daß der Arbeitslose mindestens 26 Wochen im Jahr in Arbeit gestanden haben müsse. Die Frage der Beitragserhöhung ist vertagt worden. Das Reich wird zunächst weiter einspringen müssen, bis über die Breitragshöhe entschieden ist.
Diese Entscheidung muß im Zusammenhang mit der Finanzreform erfolgen. Die nächsten Wochen werden weitere Klarheit bringen. Sie werden vor allem die Erkenntnis in weite Kreise des Volks tragen, welche sozialpolitischen Maßnahmen und Ausgaben tragbar sind. Es handelt sich um keine Abbauaktion als Selbstzweck; jedes ist für eine Unterstützung der unfreiwillig Arbeitslosen, soweit es unsere wirtschaftliche Lage nur irgend erlaubt. Es handelt sich vielmehr darum, die Arbeitslosenversicherung so zu gestalten, daß sie ihren sozialen Zweck erfüllt, ohne daß die Gesundung der Wirtschaft sie beeinträchtigt.
Die Ersparnisse, soweit sie durch die Bestimmungen des jetzt verabschiedeten Gesetzes gewährleistet werden, dürsten etwa 60 bis 80 Millionen Mark betragen. Wieviel Ersparnisse durch innere Verwaltungsmaßnahmen der Reichsanstalt erzielt werden, ist ungewiß. Sicher ist nur das eine, daß diese zweite Gruppe von Ersparnissen kaum noch in der bevorstehenden Wintersaison wirksam wird. Denn die ReichsanUalt wird in den bevorstehenden Wintermonaten nicht nur die saisonmäßige Mehrarbeit, sondern auch die Durchführung der neuen gesetzlichen Bestimmungen leisten müssen, und wird keine Muhe zur strafferen Führung der Geschäfte haben.
Die Trauer um Dr. Stresemann
Dr Curtlus als Nachfolger
Das Staatsbegräbnis für Dr. Stresemann
, Berlin, 4. Oktober. Bei der Trauerseier im Reichstag ° wird Reichskanzler Müller die Trauerrede halten. Bei ^ der Kundgebung vor dem Reichstag wird in Abwesenheit , des Reichstag-Präsidenten Loebe der Reichstagsvizepräsident j v. Kardorff sprechen. An der Trauerseier im Reichstag j wird Reichspräsident v. Hindenburg teilnehmen. Das i Philharmonische Orchester wird den musikalischen Teil der ; Feier bestreiten.
> Der Trauerzug geht vom Reichstag durch die Wilhelm- straße und hält einen Augenblick vor der Arbeitsstätte des s Reichsaußenministers, geht dann weiter über die Blücherstraße zum Friedhof der Luisenstädti-schen Gemeinde. Für die Trauerseier im Reichstag wird ein großer Baldachin errichtet; auf dem Sarg, in dem Stresemann aufgebahrt wird, liegt die Dienstslagge des Reichsaußenministers, die den Schild und den Reichsadler zeigt. Zur Toftnparade wird ' voraussichtlich eine Kompagnie der Reichswehr kommandiert werden.
Die Leiche wird am Samstag spät abends von der Villa des Ministers nach dem Reichstag übergeführt werden, wo l sie aufgebahrt wird. In der großen Loge werden der Reichspräsident und die engste Familie des Verstorbenen der Feier beiwohnen. Reichspräsident v. Hindenburg wird dem Leichenwagen zu Fuß dis zu seinem Palais folgen.
Ludwigshafen, 4. Oktober. Sämtliche Dienstgebäude der französischen Besatzungsbehördc in Ludwigshafen a. Rh. und anderen Orten der Psmz haben aus 'Anlaß des Ablebens des deutschen Reichsaußenministers Dr. Stresemann die Flaggen aus Halbmast gesetzt.
Locarno, 4. Oktober. Aus dem Gebäude, in welchem die Konferenz von Locarno tagte, wurden die Fahnen zu Ehren des verstorbenen deutschen Reichsaußenministers aus Halbmast gesetzt. Der Stuhl, auf dem Dr. Stresemann bei der Unterzeichnung des Locarnopaktes sah, wurde mi> Trauerflor umhüllt.
Berlin, 4. Oktober. Reichspräsident v. Hindenburg Hat aus Vorschlag des Reichskanzlers den Reichswirtschafts- minister Dr. Curtius mit der einstweiligen Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsaußenmimsters beauftragt.
Dr. Curtius gehörte zu den engeren Anhängern Stre- semanns; es ist daher anzunehmen, daß er seine Außenpolitik fortsetzen wird. Das Reichswirtschastsministerium ist nun mit einem anderen Mitglied der Deutschen Dolkspartei zu besetzen.
Aus der Reichswahlliste der Deutschen Vokks- partei steht als nächster Kandidat nach Dr. Stresemann Malermeister Haoemann (Hildesheim). Havemann war während der ersten Wahlperiode 1920—1924 Mitglied des Reichstags, wurde 1924 wiedergewählt, unterlag aber bei der Wahl im Jahr 1928. Ob er die Nachfolge Stresemanns annehmen wird, ist noch nicht bekannt.
Der Kanzler beim Reichspräsidenten Berlin, 4. Okt. Reichspräsident v. Hindenburg ist heute vormittag aus seinem Erholungsurlaub zurückgekehrt. Um 11-30 Uhr empfing er den Reichskanzler, der ihm über das Hiuscheiden Dr. Stresemanns und die dadurch entstandene politische Lage einen langen Vortrag hielt.
(Siehe auch „Letzte Nachrichten").
Decker gegen die höheren Schulen Goslars
Goslar, 4. Okt. Bei den Reichsjugendwettkämpsen, dn in Goslar bei der Verfassungsfeier im August d. I. abgehalten wurden, haben Schüler und Schülerinnen der höheren Schulen von ihren Siegerkränzen die schwarzrotgoldenen Schleifen entfernt. Die betreffenden Schüler und Schülerinnen wurden mit der Androhung der Entlassung bedroht. Außerdem sandle der preußische Kultusminister Becker drei Ministerialbeamte nach Goslar, die den Fall acht Tage lang an Ort und Stelle untersuchen mußten, und auf ihren Bericht verfügte er in einem Erlaß, daß dem Städtischen Gymnasium und Realgymnasium in Goslar das Recht, die Reifeprüfung an der Schule selbst durch den eigenen Lehrkörper vorzunehmen, und dem Städtischen Lyzeum das gleiche Recht für die Abschlußprüfung entzogen werde. Fer
ner zouen oie Lehrer von den genannten Anstalten entfernt werden. Der Stadtverwaltung wurde zugleich eröffnet, daß vom Minister nur solche neu gewählte Lehrer bestätigt werden, die „genügende Gewähr gegen die Wiederholung derartiger beschämender Vorkommnisse bietet".
Ganz Goslar ist über diesen Erlaß in großer Erregung. Die Blätter verurteilen den Erlaß aufs schärfste; der Landtagsabgeordnete Schellknecht (Wirtschaftspartei) hat sofort eine Anfrage an die preußische Regierung gerichtet, in der es u- a. heißt: „Billigt das Staatsministerium diese Maßnahme? Sind die Eingriffe in die Rechte der Elternschaft mit der Verfassung vereinbar? Ist dem Staatsministerium bekannt, welcher große wirtschaftliche Schade durch diese Maßnahme der Stadt Goslar entsteht?"
Neueste Nachrichten
Lin Antrag des Einzelhandels zur Lohnpfändung
Berlin, 4. Okt. Der „Vorwärts" teilt mit, die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels habe einen vorläufigen Entwurf eines Gesetzes über Lohn- und Ge- haltspsändung ausgearbeitet, der eine Staffelung des der Pfändung unterworfenen bzw. pfändungsfreien Betrags vorsehe. Von der Pfändung befreit sollen 100 Mark monatlich oder 22 Mark wöchentlich oder 3.50 Mark täglich sein. Bezüglich der Pfändung des übersteigenden Betrags sei, je nach der Höhe des Mehrbetrags, dessen Staffelung zu 10, 20, 30, 40 und 50 Prozent vorgesehen. Ein gewisser Schutz des Arbeitseinkommens solle aufrechterhalten werden, die höheren Einkommensstufen seien aber eher in der Lage, einen entsprechend höheren Prozentsatz des 100 Mark übersteigenden Mehrbetrags für den Gläubiger zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend sei weiter vorgesehen, daß bei Arbeitseinkommen von mehr als 400 Mark lediglich 200 Mark geschützt und der Pfändung nicht unterworfen sind. Der genannte Prozentsatz solle sich dann für Unterhaltungsberechtigte um je 1 Prozent, jedoch höchstens um 7 Prozent ermäßigen. Ferner soll auch die mitverdienende Ehefrau eines nicht arbeitslosen oder nicht arbeitsunfähigen Ehegatten bei der Pfändung mitberücksichtigt werden.
Zustimmungsgesetz zum Aeberenckommen über den Achtstundentag
Berlin, 4. Okt. Der Aeichsarbeitsminister und der Reichsmiuister des Auswärtigen haben unter dem 1. d. M. dem Reichsrat einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem die Zustimmung zu dem Washingtoner Aeberei «kommen über den Achtstundentag ausgesprochen wird. Das Zustimmungs
gesetz soll gleichzeitig mit dem Arbeiksschutzgeseh und dem Bergarbeitsgesetz in Kraft treten, weil die Bestätigung erst erfolgen kann, nachdem die Uebereinstimmung des deutschen Rechts mir dem Inhalt des internationalen Üeberernkom- mens durch die Verabschiedung der vorgenannten materielk- j rechtlichen Gesetze herbeigeführt ist. Der Gesetzentwurf wacht die Bestätigung durch Deuffchland nicht abhängig von der gleichzeitigen Bestätigung durch andere Staaten.
Rückgabe von Deuksch-Ostafrika?
Berlin, 4. Okt. Die „Weserzeitung" und einige Blätter bringen eine Meldung, wonach die englische Regierung sich mit dem Plan trägt, den südlichenTeilvonDeutsch- Ostafrika an Deutschland zurückzugeben. An zuständiger stelle ist von einer solchen Absicht der englischen Regierung oisher nichts bekannt. — Man wird hinter die Meldung ein Fragezeichen setzen dürfen.
Die Großbankea-Verschmelzung und die Angestellten
Berlin, 4. Oktober. Wie der Deutsche Bankbeamtenverein mrtteilt, wird am 8. d. M. im Reichsarbeitsministerium eine Besprechung mir dem Deutschen Bankbeamtenverein und den chnst im Dankgewerbe vertretenen Angestelltenverbänden stattftnden, in der die Auswirkungen der Verschmelzung der Deutschen Bank und der Discontogesellschast aus die Arbeitnehmer behandelt werden sollen.
Was hat das deutsche Volk aufzuvringen?
Die heutigen Leistungen Deutschlands an Ausgaben sind gegen früher erstaunlich. Der Finanzbedars des Reichs beträgt jährlich rund 10, Milliarden, dazu kommen Soziallasten von rund 6 Milliarden, der Bedarf der Länder und Ge- meinden rund 7 Milliarden, der Tributbeftrag der Reichsbahn mit 660 Millionen, der Tribukbeitrag -er Industrie 300 Millionen, zusammen rund 24 Milliarden oder erheblich mehr als ein Drittel des heute auf 60 Milliarden