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Mit den illustrierten Leil«>e« .Feierstunden" Unsere Heimat", .Die Mode »om Tage"

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Nr. 233 Gegründet 1827 Freitag, den 4. Oktober 1V2V Fernsprecher Nr. 29 133. Jahrgang

Zum Tode Dr. Stresemanns

UeberrafchenD kam am Donnerstag früh die Meldung, daß Reichsaußenminister Dr. Stresemann einem Schlag- ansall erlegen sei. Es war bekannt, daß die Gesundheit Dr. Stresemanns schon seit einigen Jahren durch ein Nieren­leiden geschwächt Sar, das ihn nötigte, die Amtstätigkeit öfters auf längere Zeit zu unterbrechen. Jede Konferenz, an der er im Rahmen der VMerbundstagungen oder aus an­deren Anlässen teilnahm, nahm seine Kraft so sehr in An­spruch, daß er sich jeweilig einer Kur unterziehen mußte. Schon in Lugano machte er den Eindruck eines kranken Mannes. Die Anstrengungen der letzten Konferenzen gin­gen offenbar schon über seine Kraft; aus der mehrwöchigen Erholung in Bühlerhöhe kehrte er nicht wesentlich gestärkt nach Berlin zurück, wo ihn neue Anstrengungen, neue Auf­regungen erwarteten.

An dem innerpolitischen Kampf um die Arbeits­losenversicherung war Stresemann als Führer der Deutschen Volkspartei unmittelbar be­teiligt. Und die scharf ablehnende Haltung, die die Reichs- tagssraktion gegenüberden beiden dem Reichstag vorgelegten Entwürfen vertrat, sachte ihm Sorge. Es handelte sich für ihn in letzter Linie ja um die Frage, ob die gegenwärtige Regierungskoalition überhaupt weiterbestehen könne, wenn die Deutsche Volkspartei das Abänderungsgesetz geschlossen ablchnte. Das Zentrum jedenfalls erklärte, daß es im Fall der Ablehnung die Koalition als gelöst betrachten würde, denn das Gesetz sei von so schwerwiegender Bedeutung, daß die Verantwortung dafür dem deutschen Volk gegen­über von der Gesamtheit der Regierungsparteien getragen werden müsse. Stresemann kam aber alles darauf an, im gegenwärtigen Augenblick, wo es sich um Poungplan und R äumung handelte, auch aus außenpolitischen Grün­den eine Regierungskrise zu vermeiden. Er bemühte sich, die ablehnenden Vorbeschlüsse und Anträge seiner Fraktion umzulegen, und er scheint auch erreicht zu haben, daß die Fraktion die Endabstimmung über das Gesetz frei­gab, d. h. daß ein Teil der Fraktion aus höheren politischen Gründen auch für das Gesetz stimmen konnte. Dieser Frak­tionsbeschluß ist aber nur nach erregtem Kampf zustande gekommen, und auch jetzt noch war der Widerstand inner­halb der Fraktion noch stark. Es trat eben in diesem Fall die Tatsache in die Erscheinung, daß Dr. Stresemann schon einige Zeit nicht mehr die ungeteilte Fraktion und die ganze Partei hinter sich hatte, die ihm schon so oft das jakrificium intellectus gebracht und ihre Meinung der seinigen unter­geordnet hatten. Selten hat ein Parteiführer einen solch beherrschenden Einfluß in seinen Kreisen besessen wie Dr. Stresemann. Aber, wie gesagt, »die Anzeichen waren da, daß der Einfluß bereits im Abnehmen war. So hat in den letzten Tagen der Reichsausschuß der Partei in Berlin nach einem Vortrag Stresemanns zwar beschlossen, das Volks­begehren, das unmittelbar eine Verurteilung seiner Außenpolitik enthält, offiziell zu bekämpfen: gegen diesen Beschluß erhob sich aber sofort in der Partei im Lande ein zum Teil scharfer Widerspruch. Es entbehrt nicht der Tragik, daß der Kampf gegen widerstrebend« Elemente in der eige­nen Partei zum äußeren Anlaß seines Todes geworden ist.

Die Außenpolitik Stresemanns hat viel Tadel und Befehdung erfahren. Sein Bestreben war darauf gerichtet, die besetzten Gebiete um jeden Preis zu be­freien. Von diesem Standpunkt aus hielt er die Mit­gliedschaft Deutschlands im Völkerbund für eine Not­wendigkeit, und er war für sein Ziel zuOpfern bereit wie Locarno, Thoiry, Dawesplan und sogar dessen wesentliche Verschärfung: Poungplan. Der Streit geht darum, ob der Preis nicht zu hoch bezahlt sei. Stresemann hat selbst verschiedene Male sich darüber beklagt, daß dis Gegenseite die Verträge nicht so ausgelegt und eingehalten habe, wie es abgemacht und versprochen worden sei. Und in allerletzter Zeit mußte er noch die Erfahrung machen, daß auch sein Abkommen über die Räumung in Frankreich amtlich eine erheblich verschiedene Auslegung erfährt, als er es sich selbst gedacht hat, ja daß die Räumung der dritten Zone vorläufig noch ganz in der Luft schwebt. Auch diese letzte Enttäuschung eines guten Willens mag dem Gesundheitszustand des Reichs­außenministers einen verhängnisvollen Stoß versetzt haben.

Daß Dr. Stresemann ehrlich bemüht war, dem Vater­land in seiner trostlosen Lage mit ganzer Kraft zu dienen, darüber wird in Deutschland wohl kaum ein Zweifel sein. Ebensowenig aber auch darüber, daß die Erfolge seiner Politik seinem Wollen nicht immer etnsprachen. Begeisterte Anhänger haben ihn mit Bismarck verglichen. Von dem großen ersten Reichskanzler unterscheidet ihn aber vor allem eines: sein übergroßer Optimismus, der ihn gar zu leicht jeneSilberstreifen" aufdämmern sehen ließ, wo in Wirklichkeit Gewitterwolken sich zu türmen drohten, und ferner die Gepflogenheit, in dem Vertragsgegner immer denselben ehrlichen und aufrichtigen Men­

schen zu erblicken, der er selber war. Gerade dies hat Stresemann die meisten Enttäuschungen bereitet und ihn ver­führt, bei all seiner eigenen glänzenden, aber ehrlichen Be­redsamkeit den dialektischen Kniffen eines Briand und anderer nicht immer die genügende skeptische Vorsicht ent­gegenzusetzen. So in Locarno, in Thoiry und jetzt wieder bei der Räumung der dritten Zone. Bismarck war auch Optimist im Wollen; im Erkennen und Erfor­schen aber war er Pessimist. Bismarck ließ sich nicht hinters Licht führen; er durchschaute den Gegner oft besser, als dieser sich selbst. Ferner hatte Bismarck ein feines Ge­fühl für dieImponderabilien" auf jedem Gebiet, und diesem Gefühl verdankt der erste Reichskanzler nicht zum wenigsten seine Erfolge. Stresemann war geneigt, den Imponderabilien wenig Wert beizulegen: er hielt sie für eine Nebensache, die in der modernen Politik keine große Bedeutung mehr haben. Poincarö, Briand und Mussolini denken darüber anders.

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Ueber die letzten Tage des Reichsministers wird noch gemeldet, daß er gewissermaßen den Todesstc: pel schon an der Stirne trug. Die Gesichtszüge hatten den A druck eines Schwerleidenden, die Stimme war matt, uno das Sprechen schien ihn anzustrengen. Trotzdem hielt er in der Fraktionssitzung am Mittwoch vormittag noch eine längere Rede. Abends nach 10 Uhr trat ein Schlaganfall ein, der ! eine rechtseitige Lähmung und Bewußtlosigkeit zur Folge ! hatte. Die Frau und die beiden Söhne Stresemanns blieben i die ganze Nacht am Krankenbett, bis ein erneuter Schlag­anfall am Donnerstag früh 5.25 Uhr den Tod herbeiführle.

Dr. Stresemann trug sich, wie in Reichstagskreisen ge­sprochen wird, mit Rücksicht auf seinen leidenden Zustand schon einige Zeit mit dem Gedanken, nach Annahme des Toungplans zurückzutreken. Nach der Ansicht der Aerzte war mit der Möglichkeit eines Schlaganfalls infolge ! der Venenverstopfung, an der Dr. Stresemann ebenfalls litt und die ihm viel zu schaffen machte, schon seit zwei Jahren zu rechnen.

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i Gustav Stresemann ist 1878 als Sohn eines Flaschen- s bierhändlers in Berlin geboren. Er studierte in Berlin und > Leipzig Staatswissenschaft und wurde 1901 Syndikus des j Verbands der Schokoladefabrikanten und 1903 des Verbands s der sächsischen Industriellen. 1907 wurde er als Mitglied ! der Nationalliberalen Partei in den Reichstag gewählt und übernahm nach dem Tod Bassermanns die Führung der Partei. Nach der Revolution gründete er die Deutsche Volks­partei und bekannte sich in dem Glückwunschtelegramm an Kaiser Wilhelm U. in Doorn am 27. Januar 1919 als Mo­narchisten. Nach dem Ruhreinbruch trat Stresemann für die Große Koalition mit der Sozialdemokratie ein. die er nach dem Rücktritt Cunos am 12. August 1923 als Reichs­kanzler auch bildete. Da jedoch trotz der von Stresemann verfügten Einstellung des Ruhrwiderstands die Franzosen j im Ruhrgebiet weiterwüteten, mußte er Anfang Oktober ! zurücktreten. Er wurde kurz noch einmal als Kanzler be- i rufen, doch wurde er Ende November von Kanzler Marx ! abgelöst, verblieb aber im Kabinett als Außenminister und ' behielt diesen Posten unter den folgenden Kanzlerschaften ! Luther, Marx und Müller bei. Im Jahr 1926 erhielt Stresemann mit Chamberlain und Briand den Friedens­nobelpreis, nachdem er im gleichen Jahr den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund herbeigeführt und in Thoiry mit Briand die bekannte Verständigung vereinbart hatte (17. September), die von der Gegenseite allerdings noch auf - sich warten läßt. Seit 1903 war Stresemann mit der Toch- s ter des Berliner Bankiers Kleefeld verheiratet.

Das Beileid des Reichspräsidenten

Lenin, 3. Okt. Der Herr Reichspräsident, der zur Zeit in der Schorfheide weilt, hat an F r a u S t r e s e- mann das nachfolgende Beileidstelegramm gerichtet: Ties bewegt sende ich Ihnen und den Ihren den Ausdruck meiner herzlichen Teilnahme an dem plötzlichen Tode Ihres Gatten, der bis zum letzten Atemzuge so treu für sein Vaterland gearbeitet hat. (gez.) v. Hindenburg.

Der Herr Reichspräsident hat sich entschlossen, seinen Ausenthalt auf dem Land abzubrechen. Er wird morgen vorm stetig nach Berlin zurückkehren.

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Das Reichskablnett und der Reichsrat hielten heute nachmittag Trauersitzungen ab. Bereits in den frühen Morgenstunden haben sämtliche ausländi­sche Diplomaten in Berlin ihr Beileid zum Tod Dr. i Stresemanns ausgesprochen.

j Aus dem ganzen Ausland sind in Berlin amtliche und private Beileidstelegramme eingegangen.

Die deutschen Gesandtschaften im Ausland haben tele­graphische Anweisung erhalten, bis einschließlich Sonntag Halbmast zu flaggen.

; Im Reichstag traten heute vormittag die Mi nister- I Präsidenten und Minister der Länder zu der

angekünvigten Konferenz über den Poungplan zusammen. Die Sitzung wurde von Reichskanzler Müller mit einem herzlichen Nachruf auf Dr. Stresemann eröffnet.

Auf Anordnung der Reichsregierung werden die Behör­den aus Anlaß des Todes des Reichsaußenministers bis ein­schließlich Sonntag Halbmast flaggen.

In der Sitzung der Reichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei widmete Abg. Dr. Zapf dem Ver­storbenen mit bewegter Stimme einen Nachruf. Der Tod Stresemanns sei für die Partei ein unersetzlicher Verlust.

Der Parteitag der Deutschen Volkspartei, der in der zweiten Oktoberhälfte in Mannheim stattfinden sollte, wird wahrscheinlich ausfallen.

Der Empfang des «Graf Zeppelin" abgesagt

Aus Anlaß des Ablebens Stresemanns haben die Reichs­regierung, die preußische Staatsregierung und die Reichs­hauptstadt Berlin den für Samstag und Sonntag vorgesehe­nen Empfang des LuftschiffsGraf Zeppelin" abgesagt. Die Landung des Luftschiffs in Berlin wird unter diesen Umständen unterbleiben.

Staatsbegräbnis Stresemanns

Das Reichskaöinett und der Reichsrat haben beschlossen,' daß dem verstorbenen Reichsminister Dr. Stresemann ein Staatsbegräbnis zuteil werden soll. Die Bei­setzung erfolgt aus dem alten Luisenstädtischen Friedhof an der Bergmannstraße, und zwar nicht vor Montag. Es ist anzunehmen, daß die sterbliche Hülle Dr. Stresemanns im großen Sitzungssaal des Reichstags aufgebahrt wird. Vor der Beisetzung wird im Sitzungssaal eine Trauerkundgebung stattfinden. Bevor sich der Wa­gen mit dem Sarg in Bewegung setzt, werden Voraussicht- lich am Reichstagsgebäude die letzten Abschiedsworte ge­sprochen werden. Die Beisetzung auf dem Friedhof wird nur im Beisein der Familienmitglieder und der engsten Freunde des Verstorbenen erfolgen.

Professor Lederer wird die Totenmaske abnehmen.

Beileid des Völkerbunds

In dem einzig derzeit tagenden Völkerbundsausschuß der Kohlensachverständigen gedachte Sir Sidney Lhapman des Ablebens Dr. 6 tresemanns mit herzlichen Worten. Der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Völkerbundssekre­tariats, Satter, gedachte der besonderen Verdienste, die sich Dr. Stresemann als wirtschaftlicher Berichterstatter des Völkerbundrats auf dem Gebiet der wirkschaftspolitischen Betätigung des Völkerbunds erworben habe,

Beileid Briands

Paris, 3. Okt. Ministerpräsident Briand fuhr heute vormittag um AllZlhr an der deutschen Botschaft vor und brachte dem Geschäftsträger Dr. Rieth im Rlamen der französischen Regierung und in seinem persönlichen Namen das Beileid zum Ableben des Reichsaußenministers Dr. Stresemann zum Ausdruck. Er beklage den Tod um so mehr, als er mit Dr. Stresemann ausgezeichnete persönliche Beziehungen unterhalten habe.

Deutscher Reichstag

Ehrung Stresemanns

Berlin. 3. Oktober.

Der Ministerplah Dr. Stresemanns ist mit schwarzem Flor umhüllt. Auf seinem Abgeordnetenplah liegt ein großer Strauß weißer Chrysanthemen. Am Regierungs­tisch haben der Reichskanzler und die übrigen Kabinetts- Mitglieder Platz genommen. Die Kommunisten und Natio­nalsozialisten fehlen. Die Trauersihung wird ION Uhr er­öffnet.

Vizepräsident Esser (Ztr.): Der Deutsche Reichstag trauere um eines seiner hervorragendsten Mitglieder. Dr. Stresemann habe mit zäher Willenskraft sich Für seine Politik eingesetzt: das bleibe sein geschichtliches Verdienst. Was er als Außenminister für Deutschland geleistet habe, stehe in ehernen Lettern in das Lebensbuch des deutschen Volks eingegraben.

Reichskanzler Müller: Stresemann habe sich im wahr­sten Sinn des Worts für sein Volk und sein Land verzehrt. Es sei ein tragisches Geschick, daß er den Abschluß seines Werks nicht erlebt habe. Die Befreiung Deutsch­lands sei immer sein Ziel gewesen. Er sei ein Streiter und Kämpfer gewesen, und er habe deshalb viele Gegner und Feinde gehabt. Die Geschichte werde ihm gerecht wer­den als einem Mann, der erfolgreich für sein Volk gelebt un- gearbeitet habe.

Dritte Beratung der Arbeitslosenversicherung

Die Sitzung wird um 11 Uhr eröffnet. Abg. Rädel (Komm.) nennt die Einsparung von 100 Millionen an der Arbeitslosenversicherung einen Diebstahl an der Arbeiter­schaft. Die Anträge der Sozialdemokraten seien nur Täu­schungsmanöver.