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Nr. 223 Gegründet 1827 Montag, den 23. September 1928 Fernsprecher Nr. 2 g 103. Jahrgang

Die Krise der Arbeitslosenversicherung

Die vielen Sitzungen und Beratungen in der Frage der Aenderung der Arbeitslosenversicherung m den letzten Wo­chen sind bis jetzt jo gut wie ergebnislos geblieben. Am 30. September, auf welchen Termin ja nun der Reichs­tag für einige Tage einberufen wird, läuft aber die Son- derfllrsorge ab, pnd die Reichsanstalt hat für diesen Tag eine Sitzung des Verwaltungsrats anberaumt, in der zu dem dann zu verzeichnenden Stand des Reformwerks Stellung genommen werden soll. Es erscheint angebracht, in kurzer Zusammenfassung einen Ueberblick über die Entwicklung der Frage zu geben.

Die Hoffnungen, die man auf die Beschlüsse der Länder­regierungen gesetzt hatte, sind nicht in Erfüllung gegangen. Nur der grundsätzliche Gedanke, die zwischen den Parteien am heftigsten umstrittenen Fragen in einer befristeten Sonderregelung zusammenzufassen, scheint bei einer Mehr­heit des Reichstags Anklang zu finden. Eine Anzahl von Mißbräuchen und Mißständen, die sich aus der bisherigen Fassung des Gesetzes ergaben, sind zwar durch den neuen Entwurf ausgeräumt worden, aber der Entwurf des Reichs­arbeitsministers genügt bei weitem nicht, auch die finan­zielle Gesundung der Versicherungsanstalt herbeizuführen. Nach der amtlichen Berechnung dürften durch Beseitigung gewisser Mißstände 20 Millionen hereingeholt werden, der Fehlbetrag beläuft sich aber auf 279 Millionen. Neben einer Beitragserhöhung von H Prozent hatte der Sach­verständigenausschuß in seinem Bericht vom Juli dieses Jahres Ersparnisse in Höhe von 160 Millionen vor­geschlagen, während der Wissellfche Entwurf nur solche von 90 Millionen vorfah.

Der Reichsarbeitsminister machte sich die Vorschläge der Sachverständigen nicht zu eigen, sondern überließ es den weiteren Verhandlungen, also zunächst dem Reichsrat, den Fehlbetrag zu decken. Die im Reichsrat gefaßten Beschlüsse wurden jedoch auf die Veranlassung der preußischen Regie­rung zu Fall gebracht, indem die Stimme Lippes im letzten Augenblick für das K o m p r o m i ß zwischen der preußischen und der Reichsregierung dadurch gewonnen wurde, daß man Lippe eine Erhöhung seines Reichszuschusses für die pro­duktive Erwerbslosenfürsorge versprach.

Nunmehr liegen zwei Gesetzentwürfe vor. Der erste enthält alle Bestimmungen, die nicht im Brennpunkt des Parteikampfes stehen und endgültig in das Versiche­rungsgesetz ausgenommen werden sollen. Allerdings ist die Sozialdemokrate nicht bereit, diese Vorschläge anzunehmen, da sie bisher die Verlängerung der Wartezeit bei allein­stehenden Erwerbslosen, ferner die Anrechnung der Sozial­renten über 20 RM. sowie die Angleichung der Unter­stützungssätze an den Lohnstand des Wohnorts bekämpft hat. Das Schicksal dieserunbestrittenen" Fragen steht also noch keineswegs fest. Der zweite Entwurf bringt ein Son­dergesetz, dessen Gültigkeit am 31. März 1931 abläuft. In diesem befinden sich die Vorschriften über die Beitrags­erhöhung, ferner die Sonderregelung für Saisonarbeiter, dis bisher auch der Wissellfche Entwurf vvrgeschlagen hatte. Durch Senkung der Saisonarbeiterrenten während einer be­stimmten Zeit auf die Höhe der Krisensürsorge sollen 21 Mil­lionen Reichsmark eingespart werden.

Hinzugefügt hatte der Reichsrat weiter Ersparnisse in

Höhe von 17 Millionen Reichsmark, die dadurch erzielt wer- j den, daß auch außerhalb der Saisonorbeiterschast allein­stehende Erwerbslose in den oberen Lohnklassen und unter dem 15. Lebensjahr auf Krisensätze gestellt werden, sofern sie in den letzten zwei Jahren nicht die Anwartschaft von 52 Wochen erreicht haben; ferner wurde die Wartezeit für Sai­sonarbeiter um etwa eine Woche über die sonst geltende Frist hinaus verlängert.

Wie stehen nun die Parteien des Reichstags? Ohne Aus- , nähme lehnen sämtliche bürgerlichen Parteien den G r u n d- zuschlag für das Baugewerbe um in auf IN vom Hundert entschieden ab. Ein Zentrumsantrag Riesener geht dahin, über die Gruppe der Saisonarbeiter hinaus alle kurzfristigen Anwartschaften mit geringeren Unterstützungs­sätzen zu verbinden, während der Regierungsentwurf und noch mehr der des Reichsrats die Hauptbslastung auf die berussübliche Erwerbslosigkeit legen wollen. Die Sozial­demokraten kündigen den schärfsten Widerstand gegen die Reichsratsbeschlüsse an. Außerdem le'rien sie die Gleich­stellung alleinstehender Arbeitsloser mir den Saisonarbeitern rundweg ab. 'Durch die Abstriche, die sie bereits in der Re­gierungsvorlage vorgenommen haben, ist der in dieser Vorlage vorhandene Fehlbetrag von 47 Will. RM. um etwa 30 Mill. RM. vergrößert worden.

Die Arbeitslosenzahl beläuft sich zurzeit auf rund 735 000. Sie steht also nur wenig unter der Grenze, nach deren Ueberschreitung die Rentenaufwendungen den Prämienein­gang übertreffen. Die Kassenbestände in den Landesarbeits­ämtern und Arbeitsämtern konnten in der belebten Som­mersaison niedrig gehalten werden. Sie müssen bei Beginn der W'mtersaison erheblich aufgefüllt werden. Das wird allein die geringen Beträge aufzehren, die die Reichsanftalt in diesem Sommer anzusammeln vermochte. Wäre die Ge­setzesänderung bereits am 1. Juli in Kraft getreten, so hätte die Reichsanstalt täglich eine halbe Million, also in der Zeit vom 1. Juli bis 30. September 45 Millionen Mark für die finanzielle Mehrbeanspruchung in der stillen Winterzeit zurücklegen können. Selbst wenn ein Gesetz über die Re­form der Arbeitslosenversicherung, das rechnerisch das Gleichgewicht herstellt, vor Beginn der kalten Jahreszeit verabschiedet werden sollte, werden sich die Auswirkungen erst nach Monaten geltend machen. Das Reich wird dann der Reichsanstalt mit rund 100 Millionen Mark beispringen müssen.

Die politische Kernfratze, nämlich die allge­meine Beitragserhöhung um .'4 o. H.. die 140 Millionen einbringen soll, und die Scndererhöhung für das Ban ge werbe um 1 v. H. auf 4)4 v. H. steht nach den Erklärungen aller bürgerlichen Parteien erst am Ende des Reformwerks. Erst wenn sich herausstelle, daß wirklich all»- Wege zur Verminderung der Ausgaben bis an die letzte Grenze befchritten seien, solle geprüft werden, ob eine ge» j ringe Erhöhung der Beiträge möglich und nötitz sei. Die. j Voraussetzungen sind bis jetzt nicht erfüllt. Dazu kommt, daß j die aufs äußerste angespannte deutsche Wirtschaft, wie auch der Reichsfinanzminister zugegeben hat, nicht nur kein» Mehrbelastungen vertrage, sondern in Auswirkung des Poung-Plans einer wesentlichen Entlastung bedürs- ! tig sei. >.>

Neueste Nachrichten

Rückkehr des Reichskanzlers

Berlin, 22. Sept. Reichskanzler Müller wird seinen Erholungsurlaub auf Bühlerhöhe am nächsten Mittwoch abschließen und nach einem kurzen Besuch in Heidelberg die Rückreise nach Berlin antreten, um an der am 30. September stattfindenden Reichstagssitzung teilzunehmen.

Der Reichsfinanzrefarmplan

Berlin. 22. Sept. Hier verlautet, der preußische Fincmz- winister Höpker-Aschoff (Dem.) habe dem Reichskcmz- A in einer Denkschrift Vorschläge für eine Finanz- und Steuerreform übergeben. Im ReichsfiNanzministerium wird darüber Stillschweigen bewahrt. Die Voraussetzung für eine Steuerreform wären allerdings Ersparnisse aus einer neuen Reparationsläsung, von denen angesichts des Fehlbetrags bn Reichshaushalt aber wohl kaum mehr gesprochen wer­den könne.

Der Syfshäuserbund zum Volksbegehren

Berlin, 22. Sept. Die 28. Verirc^rvorlammlung des Reichskriegerbunds Kyffhäuser ba! die wiederholte Er­klärung abgegeben, daß der Bund offiziell zum Volks­begehren gegen die Kriegsschuldlüge und den Toungplan nicht Stellung nehmen könne. Dadurch werde aber die selbstverständliche Pflicht jedes einzelnen Kameraden, sich '"dieser Lebensfrage des deutschen Volks nach bestem Russen und Gewissen zu entscheiden, nicht beeinflußt. Der Kampf gegen die Kriegsschuldlüge werde vom -Lund mit allem Nachdruck fortgesetzt.

Skurm auf die Frankfurter Sparkasse

Frankfurt a. Al., 21. Sept. Gerüchte, die im Laufe des Freitags die Stadt durchschwirrten, haben einen Sturm die Schalter der Frankfurter Sparkasse von 1882 (Polytech^ nische Gesellschaft) verursacht. Am Samstag früh wartet«« schon zwei Stunden vor der Eröffnung zahlreiche Spareq in der Hauptsache Frauen, vor dem Tor des Sparkassei»- lokals, um bei Schalteröffnung ihre Guthaben abzuhebea. Die Auszahlung ging glatt oonstatten.

Vom Völkerbund

Der Zollwaffenstillstand

Genf, 22. Sept. Der zweite Ausschuß der Völkerbunds­versammlung hat eine Entschließung für die Einleitung des Wirtschastsfriedens angenommen. Danach hängt die Ein­berufung einer Weltkonserenz jener Regierungen, die bereit sind, einen zwei- bis dreijährigen Zollwaffen­stillstand abzuschließen, ganz vom Völkerbunds- rat ab, der in seiner nächsten, am 20. Januar 1930 begin­nenden Tagung darüber zu bestimmen haben wird, ob die > Einberufung dieser Konferenz als aussichtsreich angesehen werden kann. Die Antworten der Regierungen sollen bis Jahresende beim Völkerbundssekretariat eingereicht werden. Die Konferenz selbst soll möglichst schon im Februar zusam» : mentreten. Nach dem Abschluß des Zollwaffenstillstands s sollen sofort die Verhandlungen über den Abschluß non Kol- j tektivverträgen zur Erleichterung des internationalen Wir». > schaftslebens im Weg desallgemeinenZollabbaus > und der Beseitigung sonstiger Handelshindernisse beginnen.

Diese Verhandlungen dürfest sich über zwei bis drei Jahre erstrecken, woraus eine Schlußkonferenz einzuberufen ist, zu der alle Staaten eingeladen weilen sollen.

Der englische Abrüstungsantrag zurückgezogen

Genf, 22 Sept. In der Samstagssitzung des dritten (Ab- rüstungs-Musschusses des Völkerbunds gab Lord Cecil unter allgemeinem Erstaunen die Erklärung ab, daß er seinen Vorschlag zur Abrüstung zurückziehe. Die Haupt» punkte der Abrüstungsfrage seien bis jetzt vom vorbereiten­den Ausschuß nicht gelöst werden. Bezüglich der aus­gebildeten Reserven halte er nicht an der bisheri­gen Methode der Herabsetzung fest, es könnten auch andere Wege geprüft werden. Entscheidend sei jedoch die Herab­setzung des Kriegsmaterials, ohne die eine allgemeine Ab­rüstung nicht denkbar sei. Es habe keinen Zweck, sich darüber zu einigen, daß man nichts machen wolle.

Gras Bernstorff erklärte, die deutsche Abordnung hätte eg vorgezogen, wenn der Ausschuß den Antrag Cecil angenommen hätte, der, wie es scheine, nach seiner grund­sätzlichen Seite wieder ausgenommen werden solle. Nun­mehr nehme die deutsche Abordnung den griechischen An­trag Po litis an. Die Deutschen halten aber an der Forderung der Herabsetzung der ausgebildeten Reserven fest.

Rücktritt der Regierung Streeruwitz

Men, 22. Sept. Es verlautet bestimmt, daß Bundes­kanzler Streeruwitz zwar den Entwurf der Verfassung änderung in dem an:. Sept. zusammentretenden Nauo- nalrat vertreten, die Durchsetzung der Vorlage auf parla­mentarischem Boden einem andern überlassen werde. Als sein Nachfolger wird der Wiener Polizeipräsident Schober genannt.

Eine große Tagung des Niederösterreichischen Bauernbunds nahm nach einer Rede des Bundes­kanzlers Streeruwitz und anderer Führer eine Entschließung an, die den marxistischen Klassenkampf verurteilt und die Vundesgenossenschaft mit der Heimwehr erklärt, um mit allen gesetzlichen Mitteln den Reinigungsprozeß in Oester­reich und den idealen Zweck des Heimatschutzgedankens durch­zuführen und den bodenständigen Arbeiter in gemeinsamer wirtschaftlicher Kampffront zum sozialen Aufstieg zu bringen. Es wird erwartet, daß das Parlament ganzeArbeitfür Wirtschaft und Kultur leiste. Streeruwitz wurde das Vertrauen ausgesprochen; das Parlament könne und müsse seinen Wegen folgen.

Verringerung des Personals der Rheinlandkommissiou

Paris, 22. Sept. DemMatin" wird aus Koblenz ge­meldet, daß das Personal der verbändlerischen Rheinland­kommission für die nach Wiesbaden zu überführenden drei Oberkommissariate zusammen etwa 50 Personen um­fassen werde. Gegenwärtig besteht das Personal aus etwa 200 Beamten. Es gab auch eine Zeit, in der die Kommission 1000 Beamte umfaßte; die fetten Gehälter gingen auf deutsche Kosten.

Der Kurswechsel ln Litauen

Memel, 22. Sept. Der neue Ministerpräsident Tubo- l i s wird im Sinn des Staatspräsidenten Smetona eine Verständigung mit der Opposition der Christlichen Demo­kraten (dem deutschen Zentrum entsprechend) Herstellen. Woldemaras, der immer für die strenge Aufrechterhal­tung der Diktatur war, will sich ganz von der Politik zu- rückziehen.

Ein polnischer Milikärlieferungsskandal vor Gericht

Marschau, 22. Sept. Wie aus Thorn gemeldet wird, ist dorr nach 14tägiger Dauer ein Prozeß gegen drei polnische Offiziere und einen Fähnrich wegen verschiedener Betrüge­reien und Unterschlagungen bei Militärlieferungen zu Ende gegangen. Oberst Brzoza ist zu einem Jahr, Major Sucho- dolski zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Die anderen zwei Angeklagten, ein Hauptmann und ein Fähn­rich, kamen mit je drei Tagen Hausarrest davon.

Englands Kampf gegen die Arbeitslosigkeit

London, 22. Sept. Der Großsiegelbewahrsr Thomas, dem di« Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in England als Sonderausgabe übertragen ist, kehrte in voriger Woche von seiner Reise nach Kanada zurück. Er wollte dort sich nach Möglichkeiten umsehen, um englische Arbeitslose zu beschäftigen. Das Ergebnis ist aber eine starke Enttäu- schung. Kanada braucht eigentlich nur landwirtschaftliche Arbeiter, und zwar nur für einige Monate und bei verhält­nismäßig niederen Löhnen. Der englische Arbeiter ist aber für diese Verhältnisse zu anspruchsvoll und zu wenig lei­stungsfähig; daher kommt die Auswanderung von Arbeitslosen auf Kosten der englischen Regierung kaum in Betracht. Der englische Arbeiter hat auch keine Neigung hiezu. Thomas kündigte an, er habe die kanadische Regie­rung bewogen, mehr Kohlen, Stahl ufw. von England zu beziehen. Aber auch dies wird nur in beschränktem Maß -md vorübergehend der Fall sein, weil Kanada diese Stoffe von den Vereinigten Staaten billiger kaufen kann.