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Württemberg

Stuttgart. 12. September.

Eingaben an den Landtag. In der Zeit vom 18. Juni bis 14. August 1929 sind beim württ. Landtag 40 Angaben eingegangen. Die Gesamtzahl der beim württ. Landtag in dieser Landtagsperiode eingegangenen Eingaben hat sich damit auf 516 erhöht.

Rechnungsergebnis des Württ. Staatshaushalts im Jahr 1827. Nach der dem Württ. Landtag vorgelegten Nach­weisung der Rechnungsergebnisse des Württ. Staatshaus­halts vom Rechnungsjahr 1927 (1. April 1927 bis 31. März 1928) ergab sich im ordentlichen Dienst eine bare Mehr­einnahme von 11 809 629.39 RM., ein Mehrbetrag der Aus­gabereste von 6 794 181.93 RM., somit eine Mehreinnahme (Ueberschuß) im Soll von 5 015 447.46 RM. Nach dem Vor- onschlag für 1927 war ein Fehlbetrag von 6 318 767 RM. errechnet worden. Gegen den Voranschlag beträgt das Rechnungssoll 11334 214.46 RM. mehr. Bei der Rest- Verwaltung ergitt sich eine bare Mehreinnahme von 5110136.61 RM., ein Mehr der Einnahmereste von 34 284 651.60 RM. und eine Mehreinnahme in Soll von 39 394 788.21 RM. Das verfügbare Restvermögen betrug am 31. März 1928 4 021 892 RM.

Erweikerungspläne für das Stuttgarter Rathaus. Das vor 25 Jahren erbaute Stuttgarter Rathaus ist bei der Ent­wicklung Stuttgarts die Bevölkerung hat sich inzwischen fast verdoppelt unzureichend geworden. Für die Erwei­terung kommen vorerst vier Projekte in Betracht. Der erste Plan sieht ein« Zusammenziehung der ganzen Verwaltung beim Rathaus durch Ueberbauung des bisherigen Rathauses und verschiedener umliegender Gebäude vor. Dieser Plan würde 14 000 Quadratmeter Raum neu erfordern mit einem Bauaufwand von 6K Millionen Mark. Nach dem zweiten Plan soll auf dem alten Bahnhofgelände zwischen dem Hoch­hags der Oberpostdirektion und dem Ufa-Palast ein großes Stadthaus mit 9100 000 Quadratmeter Raumfläche ent­stehen. Die Baukosten werden auf 4,7 Millionen Mark ge­schätzt. Der dritte Plan ist der billigste und sieht vor einen Geschäftshausneubau für die technischen Werke etwa an der Lautenschlagerstraße oder auf dem Gelände hinter dem Wil- helmspolast mit einem Aufwand von 2 275 000 Mark, ferner eine kleine Rakhauserweikerung durch Anbau oder Auf­stockung mit etwa 1,8 Millionen Mark Baukosten. Zuletzt ist noch folgende Zwischenlösung aufgetaucht. Die Oberpost­direktion denkt daran, nach dem Durchbruch der Rotestraße auf den ihr gehörigen Platz des alten Katharinenstifts Ecke Schloß- und Friedrichstraße ein Hochhaus für Büros und Läden zu errichten. Der 4. Plan ist nun, einen Teil dieses Hauses an die Stadt zu vermieten, die dafür ein Darlehen zur Finanzierung des Neubaues geben soll.

Vertreterversammlung des Württ. Beamkenbunds. Am Sonntag, 20. Oktober findet hier im Siegle-Haus die Ver­treterversammlung des Württ. Beamtenbunds statt. Dabei wird Bundesdirektor Lenz vom Deutschen Beamtenbund einen Vortrag überDie Zukunft des Berufsbeamtentums" halten.

Kommunistische Ausschreitungen. Anläßlich einer natio- nalsozialistischen Versammlung im Wullesaal hatten die Kommunisten für gestern abend Kundgebungen angesagt. Ein durchweg aus Jugendlichen bestehender Demonstrations­zug mit Fackeln und großer Trommel bewegte sich von der Urbanstraße zum Kernerplatz. Hier wollten die Demon­stranten mit Gewalt die Landhausstrahe abwärts, um vor den Wullesaal zu ziehen, wurden jedoch von der Polizei mit blanker Waffe daran gehindert. Es kam zu erregten Szenen, da die Polizei hier sehr schwach war, Fackeln wurden ge­worfen, ein wüstes Geschrei setzte ein. Schließlich gelang cs doch, den Zug von der Landhausstraße wegzuhalten. In­zwischen war die Neckarstraße zwischen Schillerstraße und Neckartor mit Demonstranten besetzt. Die Polizei zerstreute mehrmals die singenden und johlenden, fast nur aus jungen Burschen bestehenden Gruppen, die durchfahrende Autos belästigten und bedrohten, ja sogar gegen Fußgänger und Fahrgäste der Straßenbahn in unerhörter Weise ausfällig wurden.

Cannstatt, 12. Sept. An Blutvergiftung ge­storben. Im Cannstatter Krankenhaus ist gellern nach­mittag der hiesige Kriminalkommissar Ioh. Müller gestor­ben. Am 1. August hatte er seinen Urlaub angetreten, er­krankte aber während desselben an Grippe. Zu dieser Krankheit kam dann noch eine Zahnfistel. Durch Vereite­rung trat eine Blutvergiftung ein, die den Tod herbeiführte.

Nagolder TagblattDer Gesellschafter"

Aus dem Lande

Vaihingen a. E., 12. Sept. Neuer Krankenhaus- Ar z t. Es ist dem Bezirksrat gelungen, den langjährigen Oberarzt beim Bezirkskrankenhaus Göppingen, Dr. Jun­gin g e r, als leitenden Arzt und Chirurgen für das hiesige Bezirkskrankenhaus zu gewinnen.

Böblingen, 12. Sept. Einweihung der höheren Bezirksschule. Am Samstag, den 14. September treffen sich anläßlich der Einweihungsfeier des Teilbaus für die Höhere Bezirksschule die ehemaligen Latein- und Realschüler und Lehrer. Bei der Feier wird durch dieselben eine aus ihren Reihen gewonnene Stiftung überreicht werden. Die Sindelfinger und Döblinger Schul­kameraden von einst treffen sich mit Lehrern und Gästen am Nachmittag zu einer Besichtigung auf dem Flugplatz. Der Abend vereinigt sie im Hotel Post zu gemütlichen kamerad­schaftlichen Stunden.

Reresheim, 12. Sept. Hochzeit im für st l. Hause. Auf Schloß Taxis fand die Hochzeit des jüngsten Sohnes des Fürsten Albert von Thurn und Taxis und der Fürstin Margarete geb. Erzherzogin von Oesterreich, des Prinzen Philipp Ernst mit der Prin­zessin Jlla statt. Die Gemeindevertretungen und Vereine der umliegenden Orte bereiteten dem Fürstenhaus zahlreiche und herzliche Ehrungen. Die kirchliche Trauung in der Schloßkapelle vollzog der Abt des Klosters Neresheim, der mit Pater Emeran (Prinz Max Emanuel von Thurn und Taxis) an den Festlichkeiten teilgenommen hatte.

Dietingen OA Rottweil, 12. Sept. Brand. Dienstag nacht brach in dem etwas abseits des Dorfes gelegenen An­wesen des Alb. Finkbeiner ein Brand aus, der das Gebäude in kurzer Zeit zerstörte.

Langenschemmern OA. Biberach, 12. Sept. Zweitöd- liche Unfälle. Letzter Tage fiel ein kleines Kind aus dem Fenster. An den erlittenen Verletzungen ist es alsbald gestorben. In Rissegg wurde ein Knecht von einem schlagenden Pferd so unglücklich getroffen, daß er andern Tags nach Einlieferung ins Bezirkskrankenhaus starb.

Pforzheim. 12. September. Zwei Einbrecher ver­haftet. In den letzten Tagen wurden hier verschiedene Einbrüche in Verkaufshäuschen begangen. Dienstag gelang es einem Polizisten, die Einbrecher auf frischer Tat zu er­tappen. Während ein Einbrecher flüchten konnte, wurde der andere festgenommen. Auf seiner Flucht warf der Ver­brecher eine Aktentasche weg, di« Diebesgut und Einbrecher­werkzeuge enthielt. Er konnte jedoch noch am Abend im Kanzler-Wald gestellt und dingfest gemacht werden. Die Diebe hatten im Kanzler Wald ein Diebeslager errichtet. Eine Menge Diebesgut, von auswärtigen Einbrüchen her­rührend, wurde sichergestellt. Es handelt sich um zwei reisende Einbrecher, die auswärts schon lange gesucht wur­den. ., .

Die Landwirtschaftliche Ausstellung in Marbach

Marbach, 12. September. Tages- und Fachzeitungen aller Art mL Ausstellungsplakat« werben schon seit Wochen in Aufrufen und Aufsätzen und treffenden Bildern für die Landwirtschaftsschau des 5. Gauverbands vom 13. bis 16. September. Für den 15. September ist noch ein« ganz be- sondere Sache vorgesehen: Ein Festzug, der in verfchie- denen Gruppen andeutungsweise den Gang der Entwicklung unserer Landwirtschaft auszeigen wird, von den Steinzeit­bauern vor 6000 Jahren bis zur Notzeit nach dem Krieg. Zwischen diesen beiden Bildern find ausgenommen im Fest­zuge die bedeutenden Wendepunkte in der Entwicklungs­geschichte unserer Landwirtschaft: die Zeit der Römer und Germanen, die Zeit der Abhängigkeit der Bauern von ihren Grundherren, die Kämpfe eines Matern Feuerbacher und seiner Bauern von Großbottwar vom Jahr 1525, die Ein­führung der Kartoffel in Kleinbottwar vom Jahr 1760, die Festjagd Herzog Karl Eugens von 1744, die Hungerjahre 1816/17, eine Bauernhochzeit aus dem Bottwartal um 1850, Tabakwagen aus Pleidelsheim, Hopfenernte aus Höpfig­heim, altdeutsche Weinlese aus Benningen u. a. m.

Deutsche Tropenmediziner in Tübingeu

Tübingen, 12. Sept. Am Mittwoch abend wurde in Tübingen die 9. Tagung der Deutschen Tropenmedizinischen Gesellschaft in den Räumen des Deutschen Instituts für ärzt- liche Mission von dessen Direktor Prof. Dr. Olpp eröffnet. 70 Teilnebmer hatten sich zu den Beratungen zusammen-

__ Freitag 13. September 1929. ^

! gefunden.' Unter den Ehrengästen sah man den Vorsitzen- >' j den der Malariakommission des Völkerbunds, Vertreter' der . ^

j Reichs- und Landesregierung, der Marine, der Universität - F

; und der Stadt Tübingen, sowie eine Anzahl ausländischer L j Vertreter. A

I Der Vorsitzende des Verwaltungsrats des Missionsärzt- f

j lichen Instituts, Fabrikant Paul L e ch l e r - Stuttgart, be- f grüßte die Gäste. Die Grüße und Wünsche des Reichs- /

Ministeriums des Innern, des Auswärtigen Amts, des E

Reichsgesundheitsamts, des Reichsarbeitsministeriums und j

der Reichmarine überbrachte Ministerialrat Prof. Dr. !

Taute. Dankbar anerkannte er die Verdienste des Ham- ^

burger Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheit und der ! beiden konfessionellen missionsärztlichen Institute, des evan- j gelischen in Tübingen und des katholischen in Würzburg. i Auch der Vertreter des Württ. Kultministeriums, Min.Dir. ! Dr. Meyding, gab seiner lebhaften Freude darüber Aus- ! druck, daß mit dieser Tagung die offizielle deutsche Tropen­medizin, die bisher fast immer mit ihrem Tagungsort zwi­schen Berlin und Hamburg abgewechselt hatte, zum ersten Male die Mainlinie überschritten habe. Weiter sprachen der Rektor der Universität, Dr. Henning, der Dekan der medizinischen Fakultät Professor Dr. Oertel. Oberbürger­meister Schees, als Vertreter des Deutschen Ausland- Instituts Prof. Dr. Uhlig. Zum Schluß dankte der Vor­sitzende der Gesellschaft, Geb.Rat Dr. Rocht- Hamburg, für die warme Aufnahme der Tagung in der schwäbischen Uni- versitätsstadt.

Aus Stadt und Land

Nagold, den 13. September 1929.

Wie viele, die wir nicht zu Zeitgenossen hatten,

Vorüber glitten sie wie leere Schatten.

Doch die Unsterblichen, die längst Verklärten

Sind Ewigkeitsgefährten.

Abklänge

Der Sommer hat sich an Lichtströmen verschwendet. Braune Schnitterinnen banden die bunten Farben zwi­schen dem Korn in die Fesseln der Garben. Der Ruch der Rosen in den Gärten welkte in den Kerkerwänden des Glases hin. Die Wiesenbänder sanken unter dem Schnei­den der Sense.

Nebel, Stille und Sinnen . . Undurchsichtig wird das Land, das einst so weit war. Rote Beeren schimmern vom Hang, Silbern-guick will der Bach der leisen Melancho­lie entfliehen. Alle Morgen langt der feuchte Dunst nach den weißen, roten und blauen Tupfen auf dem Rain, alle Morgen.

Noch ist es Sommer. Aber das Blühen ist übersättigt. Noch scheint die Sonne wohlig und warm, daß die Müt­ter auf allen Wegen die Kleinen ausfahren. Doch die Schatten sind nicht mehr so blau.

In dem kleinen Vorgarten fließt das Himmelsbunt der Wicken ineinander. Die Sonnen der Rudbeckias stellen an das Staket eine brennende Wand. Im Earteneck prahlt rot-roter Phlox, als hätte das Leben für ihn erst jetzt seinen Sinn bekommen. Als der Star von der Stange seines Kastens in dem großen Apfelbaum sein erstes Lied probierte, war es im Garten schön. Aber auch die herb­heiteren Blumenfarben von heute liebe ich. Ich will hin­unter gehen, mich neben die Großmutter auf die ein we­nig standmüde Bank setzen und mich von der letzten Som­mersonne umwärmen lassen.

Die Holzplatten leuchten, als ständen sie in Flammen. Na, willst du wohl! Ein Epätzlein äugelt aus dem Apsei- baumschatten so vertraut zu den drei großen Rädern der Sonnenrosen hin, daß selbst der alten Frau seine Absicht klar wird. Was murmelt sie? Sonnenblumenkerne will sie im nächsten Jahr nicht wieder legen, weil doch nur die Spatzen und Drosseln die Köpfe leer fressen. Ja, wo­zu anders sind sie denn da! Das kann sie auch nicht im Ernst gemeint haben, denn mit den blanken Sonnen­schilden würden dem Garten die frohesten Augen genom­men sein.

Großmutter läßt übrigens in ihm wachsen, was da und wo es eben will. Sie kann keiner Pflanzenseele das Glück des Lebens nehmen. So sind denn die paar Händevoll Gartenerde ein richtiger Wundergarten. Er bringt den Schmelz der Schneeglocken und den steifen Buchsbaum hervor, das wehe Neigen der Narzissen. Der dunkle Traum der Schwerter und das Blumenblut von Mohn

Anselm Feuerbach und feine Mutter

Zum 100. Geburtstag des Künstlers am 12. September Von Dr. Otto Conrad.

Mit Recht schreibt Uhde-Bernays:Die Erscheinung der edlen Stiefmutter bildet in der Tragik des Feuer- bachschen Schicksals den menschlich erschütternden, göttlich versöhnenden Abschluß." Wenn heute Anselm Feuerbach als Künder deutscher Kunst gefeiert wird, so gebührt auch der edlen Frau ein Ruhmeskranz. Nicht von den Werken des Sohnes soll hier die Rede sein, sondern von der ein­zigartigen Verbundenheit mit seiner Mutter, der er, wie er es immer wieder aussprach, das Veste seines Wesens verdankte. Ihre Persönlichkeit tritt uns in dem ergreifen­den Bildnis von Anselms Hand, das sich jetzt in der Ber­liner Nationalgalerie befindet, in aller Lebendigkeit ent­gegen. Ein weiteres Zeugnis haben wir in ihren Brie­fen. Dazu kommen diejenigen Anselms an seine Mutter, die zwei starke Bände füllen.

Henriette. Feuerbach war nicht die leibliche Mutter An­selms. Doch die Stiefmutter hat dem Sohne ihres Gatten gegeben, was nur jemals Muttertreue vermag. Seine ei­gentliche Mutter hat Anselm nicht gekannt, da sie nach kurzer Ehe gestorben war. Da kam Henriette Heydenreich, eine Freundin des Feuerbachschen Hauses, als zweite Mut­ter in das verwaiste Haus des damaligen Eymnasialpro- fessors Feuerbach. 2n seinemVermächtnis" schreibt der Stiefsohn:Grenzenloses Mitleid mit dem kläglichen An­blick eines unpraktischen Mannes und zweier Waisen mag unsere zweite Mutter zu diesem gesegneten Schritt, ver­anlaßt haben". Unter Aufopferung persönlicher Wünsche, zeitweilig sogar in dürftigen Verhältnissen, hat sich Frau Feuerbach für den immer kränklichen Gatten und die Stiefkinder abgemüht. Der Vater Anselms wurde nach langem Warten, das ihn innerlich verbitterte, endlich auf Grund seines bedeuteden BuchesDer vatikanische Apoll"

als Professor der Philologie und Archäologie nach Frei­burg berufen; doch seine Kraft ging bald zu Ende, und er dämmerte mutlos dem Tode entgegen. Von seinen letzten Stunden berichtet Frau Feuerbach in einem Brief an ihren Sohn, der uns ihr tiefstes Wesen erschließt. Sie mahnt Anselm:Das beste Andenken, das Du Deinem Vater be­wahren kannst, hast Du selbst in Deinem letzten Briefe be­zeichnet, den der Vater als Dein Gelöbnis mit ins Grab genommen hat. Darum gib keiner allzu großen müßigen Betrübnis Raum, sei Mann und Künstler und verdiene dem Namen Deines Vaters durch eigenes Schaffen einen neuen Kranz". Die Witwe zog mit der Tochter nach Hei­delberg, wo sie gute Beziehungen zu den Professorenfami­lien und die Möglichkeit hatte, durch literarische Arbeiten und Klavierunterricht zu ihrer kleinen Pension etwas hinzu zu verdienen. Anselms Ausbildung erforderte große Kosten: Die kleine Mitgift Emiliens und das Honorar für die zweite Auflage desVatikanischen Apoll" wurden ihm geopfert. Seine Briefe zeigen, daß seine Mutter unermüd­lich für ihn tätig war. Sie führte den ganzen geschäftli­chen Verkehr mit Kunsthändlern, Kunstvereinen, Mu­seumsleitern, Redakteuren und Spediteuren. Alles ist durch ihre nimmermüde Hand gegangen. Seine Leiden und Enttäuschungen teilte ihr Anselm mit. Henriette scheute sich nicht, für den Sohn Bittgänge zu machen, die der feinfühligen Frau manche Demütigung eintrugen. Alle Sorgen und Opfer waren für sie um so schwerer, als An­selms Empfindlichkeit nichts davon wissen durfte. Dabei leistete Frau Feuerbach noch eine bedeutende literarische Arbeit. In Gemeinschaft mit den bekannten Gelehrten Hermann Hettner gab sie die gesammelten Schriften ihres Gatten heraus. Sie übernahm auch die gesamten Korrek­turen und die selbständige Bearbeitung einzelner Ab­schnitte über griechische Kultur der Weberschen Weltge­schichte. Doch schloß sie sich nicht etwa von der Welt ab. In ihrem Hause verkehrten bedeutende Menschen wie Karl Spitteler und Johannes Brahms. Sie verehrten die ein­zigartige Frau als die Verkörperung treusorgender Müt­

terlichkeit und echter Weiblichkeit. Für die Selbstlosigkeit und Bescheidenheit Henriettes zeugt unter anderem die für uns leider schmerzliche Tatsache, daß sie ihre eigenen Briefe an Anselm bis auf wenige verbrannt hat, weil sie hinter dem Genie ihres Sohnes ganz und gar zurücktreten wollte.

Man kann von hier aus verstehen, welchen furchtbaren Schlag der frühe Tod Anselms am 4. Januar 1880 für die bedeutete. Die tiefe Tragik seines Lebens und Strebens hatte sie mitgefühlt, ein Schwert war durch ihre Seele gegangen. In einem Briefe an Allgeyer schreibt sie:An­selm war nicht krank, er ist am gebrochenen Herzen gestor­ben." Wie sie sein tiefstes Wesen erfaßt hat, davon zeu­gen ihre Worte.Anselm war ein Genie im höchsten Sinne des Wortes. Sein ganzes Wesen in seiner Großartigkeit, Liebenswürdigkeit, Reinheit und in seinem Eeistesadel, in seiner Einseitigkeit, Eigentümlichkeit. . . war der un­mittelbare, ungemischte, unberührte Ausfluß seines Ge­nies. Es hat nie einen Menschen gegeben, der so rein er selbst war wie Anselm". Von nun lebte sie der großen Aufgabe, dem künstlerischen Namen ihres Sohnes Aner­kennung zu verschaffen. Sie erwarb den gesamten künstle­rischen Nachlaß Anselms und übernahm auch die darauf ruhenden Schulden. Dann gab sie den schriftlichen Nachlaß als seinVermächtnis" heraus. Dieses Werk hat, wie Friedrich Haack bemerkt, zuerst die allgemeine Aufmerk­samkeit auf den Künstler gelenkt, der während seines Ge­bens nicht beachtet worden war. So kämpfte Hemrette Feuerbach bis zu ihrem Tode unermüdlich für den Ruhm ihres Stiefsohnes. Das Versöhnende an ihrem tragischen Geschick war die Ueberzeugung, die sie kurz vor rhrem Tode aussprechen konnte, daß ihr Ziel erreicht sei. Daoer hat sie die künstlerische Bedeutung Anselms nur geahnt, aber die wirkliche Bedeutung des Künstlers und des Men­schen für unsre Gegenwart nicht erkannt.

In ihrer letzten Lebenszeit mußte sie schwer leiden, oa sie das Augenlicht verlor. Am 5. August 1892 ist ste stm und gottergeben entschlafen.