9. August 192g.

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Nr. 2SS

Gegründet 1827

Freitag, den 30. August 1820

Fernsprecher Nr. 29

183. Jahrgang

Deutschland bezahlt alles

Briand und Snowden Arm in ArmAufbesserung" des Poungplans um 800 Millionen Annahme des Planes durch die deutsche Abordnung

Die Haager Konferenz

Deutschland soll nur ja in Zukunft keineKonferenz" mehr besuchen! Abgesehen von den ungeheuren Kosten die deutsche Abordnung zog z. B. 96 Köpfe stark noch dem Haag, ist die traurige Tatsache festzusiellen, daß auf jeder Konferenz, so viele ihrer waren» der bestehende Zustand für Deutschland immer stark verschlechtert wurde. Um nur einige wenige Beispiele her-auszugreifen: Die Bestimmungen des in seiner vernichtenden Kraft in der Weltgeschichte einzig dastehenden Versailler Diktats wurden durch die Verträge von Locarno mit Frankreich und Belgien noch wesentlich verschärft. Die versprochenenAuswirkungen" blieben aus. Und statt daß das vollends in Ketten gelegte Deutschland nun­mehr, wie man in Berlin hoffte, in Ruhe gelassen wurde, wurde die Begehrlichkeit der ehemaligen Kriegsfeind-e erst recht angestachelk. Wie die Londoner Konferenz vor fünf Jahren durch den Dawes-Plan die Reparationsschuld des Versailler Vertrags außerordentlich verschärft hatte, so ist durch die Pariser Sachverständigenkonferenz dieses Jahrs der Dawes-Plan entstellt und verschlechtert worden, daß man versucht ist, zu bezweifeln, ob diejenigen, die den Poung - Plan zusammengeschmiedet haben, noch bei Sinnen waren. Der Dawesplan gewährte wenigstens noch die vertrags­mäßige Wcherstellung der deutschen Währung durch den sogenannten Transferschutz und eröffnet« dem Buch­staben nach die Möglichkeit von Atempausen im Fall der Zahlungsunfähigkeit Deutschlands, die ja im laufenden Jahr bereits zur Tatsache geworden ist. Der Noung-Plan be­seitigte den Tr-ansferschutz zum großen Teil durch die berüch­tigte und in ihren Auswirkungen noch gar nicht zu über­sehendeKommerzialisierung" des Kriegstributs: die Entschädigungen wurden weiter um 1 v. H. erhöht, die hiefür angesetzten Zahlungsjahre von 32 aus 37 gesteigert und obendrein Deutschland die gange Kriegsschulden- last der Feind st aaten unter sich und besonders an England und Amerika auf-geladen. Unter dieser Schuldenlast, von der im sogenannten Friedensvertrag auch mit keiner Silbe die Rede ist, soll Deutschland 53 Jahre lang d-ahin- fiechen, wenn es nicht vorher erliegt.

Aber noch war es nicht genug. England, dessen Hauptkriegszweck ausgefprochenermaßen die wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands war, war mit dem Noung-Plan noch nicht zufrieden: es verlangte aus die ersten 37 Jahre eine Mehreinnahme von 48 Millionen jährlich. Dreieinhalb Wochen stritten sich die Verbündeten im Haag um diese Mil­lionen, bis sie sich am 28. August dahin einigten, daß Eng­land 40 Millionen mehr erhalten und daß Deutschland sie bezahlen solle; ferner habe Deutschland die Besatzungskosten nach dem ersten September zu tragen, die auf etwa 110 Mil­lionen Goldmark veranschlagt werden wenn Frankreich überhaupt räumt der ungeschützte Teil des deutschen Tributs wird nochmals erhöht, d. h. der Transserschutz wei­ter eingeschränkt. Und dazu vor allem: Deutschland wird nunmehr unter dauernde Ueberwachung gestellt. Was es mit -der Räumung wird, das werden wir ja sehen.

Das ist also das Ergebnis der berühmten Haager Kon­ferenz. Wozu war es nötig, um einen solchenErfolg" her- auszu-holen, eine fast hundertköpfige Abordnung nach dem Haag und nach Schevenin-gen zu schicken? Die bisherigen Er­fahrungen hätten uns belehren können, daß wir im Haag Wie gewöhnlich schlecht abschneiden werden. Und wenn man dasHaager Abkommen", wie es ohne Zweifel zustande kommt, von vornherein sich hätte diktieren lassen, wäre es auch nicht schlimmer geworden, als es ist.

Aber Briand und Snowden haben sich ausgesöhnk auf deutsche kosten und wenn Macdonald nach Genf kommt, wird die alte englisch-französische Entente cordiale wieder­hergestellt sein. Snowden hatte zu Anfang der Konferenz erklärt, er nehme kein Opfer von Deutschland an. Das letzte Angebot der Vier, das dasOpfer" tatsäch­lich Deutschland aufbürdete, lehnte er am Sonntag nur des­halb ab. weil Deutschland seine Zustimmung noch nicht gegeben habe. Als man unter sich einig geworden war, daß man die deutsche Abordnung schon mürbe machen werde, Zog Snowden seine Ablehnung prompt zurück. Die Kon­ferenz ist nun also wieder auf das bekannte Geleise geschoben: d:e Verbündeten sind einig: wenn die Konferenz demnach scheilern sollte, so sind die Deutschen schuld. Da Stresemann selbst die Mächtevertreter beschworen hat. die Konferenz mcht scheitern zu lassen, wird der deutschen Abordnung jetzt Himmel und Erde vorgestellt, sie dürfte sich des Weltver­brechens nicht schuldig machen. Italien hat ein kleines Opfer" gebracht, indem es seine noch bestrittenen -Ansprüche an die Tschechoslowakei an England abtritt und

vorläufig eine Jadreszahlung an England von 7 Millionen Mark verbürgt. Frankreich aber hat bis jetzt noch keinen Pfennig geopserk.

Französische und englische Ausgleichskünste

Bei der Vereinbarung der fünf Gläubigermächte Handel! es sich um folgende drei Punkte:

Erstens soll der von Deutschland zuviel bezahlke Ueber- schuß von 30g Millionen wenn nämlich am 1. Sept. der Boungplan in Kraft tritt der sich im ersten Toung-Iahr dadurch ergibt, daß fünf Monate lang die höheren Dawes- Zcchlungen geleistet worden sind, völlig zugunsten der Er­füllung der englischen Vorbehalte verwendet werden.

Zweitens ist über -einen Betrag von 78 Millionen ans dem ersten Toung-Iahr noch nicht verfügt, und an diesem Betrag möchten die Deutschen ebenfalls beteiligt sein; zum mindesten aber möchten sie wieder, daß der Betrog mit zur Deckung der Besetzungskosten, die der Wungsche Plan Ideale nicht mehr vorsiehk, herangezogen werde-

Drittens handelt es sich darum, daß die Verschiebung ston 42 Millionen aus dem geschützten in den ungeschützten Teil die Bedenken namhafter Kenner des Toungplans und der deutschen Finanzverhältnisss hervorgerufen hat.

Der Verzicht Deutschlands läuft darauf hinaus, datz Dculschlaud die Besetzungskosten bis zur Räumung außer­halb des Houngplans trägt. Außerdem ist keinerlei Rück­lage mehr vorhanden, um wenigstens mittelbar den Teil der BesehungSschädcn zu decken, die Deutschland noch dem Pa­riser Abkommen vom 5. Mai 1925 anzusprechen hat. Es handelt sich also um sehr bedeutende Summen- Snowden hatte selbst vorgeschlagen, daß der 300 MWvnen-Ueberschuß mr Deckung der Besehungskosten verwendet werden solle. Nachher wollte er nichts mehr davon wissen, als er zugunsten Englands in die Opfermasse" überwiesen wurde.

Wie die englische Abordnung mitteilt, ist den Englän­dern zugestanden worden, daß sie mit 96 Millionen am u n - geschützten Teil beteiligt werden sollen (an Stelle der völligen Ausschaltung, die der Toungplan für ste vorsah, und statt der 120 Millionen, die Snowden auf Grund des Sp-aschlüssels verlangt hatte), daß außerdem ihr Anteil am ungeschützten Teil um 40 Millionen erhöht werden soll (was 78 v. H. der 48 Millionen ausmacht, die Snowden verlangte hatte). Diese 'Summen befriedigen die Ansprüche Snowdens in weitgehendem Umfang. Die wichtigste Frage, die der Beteiligung der Engländer am unge­schützten Teil, wird nach Mitteilung aus der englischen Abordnung folgendermaßen gelbst: Die Engländer erhalten 18 Millionen aus den 30 Millionen, die von den 660 Mil­lionen des ungeschützten Teils noch nicht verteilt sind, außer­dem werden ihnen von den Belgiern, Franzosen und Ita­lienern 36 Millionen, die aus dem geschützten Teil kommen, so verbürgt, daß'sie praktisch ungeschützt sind. Schließlich sollen vorerst aus dem geschützten Teil 42 Millionen in den ungeschützten Teil übernommen werden, die im Lauf der nächsten Jahre in dem Maß in den geschützten Teil wieder zurückkehren, in dem Verzinsung und Abzahlung der Da- wesanleihe sich ermäßigt.

Der BerlinerLokalanzeiger" berechnet dieAuf­besserung" des Poungplans zu Lasten Deutschlands auf 809 Millionen Goldmark.

Die Angriffe auf die deutsche und englische Währung

Auf ein Zwischenspiel soll noch besonders hingewiesen sein: Während der Pariser Sachverständigen-Konferenz wurde Deutschland für sein falschesJa" bekanntlich mürbe gemacht durch einen Angriff der französischen Finanz­kraft auf die Mark. Während der Konferenz im Haag ist die englische Hartnäckigkeit erschüttert worden durch einen Angriff der französischen Finanzkraft auf das Pfund Ster- ling. Mit Schrecken sahen die Engländer ihr gutes Gold aus der Bank von England nach Paris fließen. Beide Mal sah die amerikanische Fincmzwelt dem Vorstoß, den die französische Finanzkraft zur Stützung der politischen Vorherrschaft Frankreichs unternahm, mit verschränkten Armen zu. Auch das ist eine Tatsache, die nicht übersehen werden will: Amerika konnte den Zwang brechen, den Frankreich kraft seiner finanziellen Uebermacht nicht nur auf das ausgepowerte und wehrlose Deutschland, sondern jetzl auch schon auf die Weltmacht England ausübt, Amerika aber denkt nicht daran, etwas derartiges zu tun.

Die Räumung

Die Engländer erklären, bis Ende des Jahres bedin­gungslos räumen zu wollen, rechnen aber darauf, daß als Belohnung dafür für sie ein Geschäft bei der Be­gleichung der Besatzungsschäden heraus­

springt. Frankreich und Belgien haben keine Lust, bedingungslos zu Zäumen. Briand spielt mit einem Termin im Avril oder Juli. Er braucht diese Svannung, um die Deutschen bei der Schlußverhandlnng gefügig zN erhalten. Die Dauerüberwachung ist bereits zugestanden. Daß auch die französiscke und belgische Räumung zum guten Teil auf deutsche Kosten gehen müsse, wird von de« Vesatzungsmächten als selbstverständlich betrachtet.

Wir werden nun an. die Riesenarbeit gehen müssen, di« deutschen Finanzen für den Roungtribut in Ordnung zN bringen. Wie das möglich sein wird, darüber ist man noch völlig im unklaren.

DasUeberemkommen von der deutschen Abordnung angenommen?

Haag, 29. August. Aus der heutigen Sitzung des poli­tischen Ausschusses wird mikgekeilk. daß der Zeitpunkt für den Beginn der Räumung -er dritten Jone (Mainz) auf den 30. Juni 1930 festgesetzt worden sei.

Daraus scheint hervorzugehen, daß die deutsche Abord­nung ihren Widerstand gegen das Uebereinkommen der fünf Gläubigermächte, den man auf der anderen Seite nicht sehr ernst genommen hat, tatsächlich aufgegeben hat.

Ein weiteres Zentr ^Mitglied im Haag

Berlin, 29. August. Im Haag befinden sich bekanntlich verschiedene Reichstagsabgeordnete der Koalitionsparteien» die an den Sonderbesprechungen der deutschen Abordnung teilnehmen, um ihr gewissermaßen die Verantwortung zu erleichtern. Gestern ist als weiterer Zentrumsvertreter Abg. Brüning zu Besprechungen mit dem Reichsminister Wirth nach dem Laag abgereist? Brüning soll am Sams­tag in der Fraktionssitzung des Zentrums anläßlich des Frei­burger Katholikentags Bericht über die Lage im Haag er­statten.

Geheimrak Quaah drängt auf Antwort

Berlin, 29. August. Abgeordneter Dr. Ou a a tz"hat den Reichsfinanzminister Dr. Hilferding um schleunige Be­antwortung der von ihm gestellten Frage über die wirk­liche Höhe der Belastung des deutschen Volkes durch den Pariser Tributplan gebeten, da die deutsche Oeffentlichkeit ein Recht auf »chleunige Auf­klärung habe.

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Er kann schrecklich werden

Haag, 29. August. In der gestrigen Abendsitzung sagte Briand, als die deutsche Abordnung Miene machte, die weitere Uebernahme der Besatzungskosten durch Deutsch­land abzulehnen, wörtlich:Ich bin ein friedlicher Mann. . aber ich kann auch schrecklich werden."

Diese Bemerkung kennzeichnet die Haager Konferenz vollkommen. Die Verbündeten balgen sich erst, unter Vel- seiteschiebung der Deutschen um die Toungbeute, und nach­dem sie sich endlich geeinigt haben, gilt die Vereinbarung als Werk, an dem nicht gerüttelt werden dürfe.

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Das Doppelgesicht Snowdens

Haag, 29. August. Dem PariserMatin" wird be­richtet: In der gestrigen Nachtsitzung der sechs Mächte erklärte Snowden, die Forderungen der Gläubigermächte an Deutschland sind unanfechtbar und Deutschland hat die Pflicht, sie zu bezahlen. Stresemann bemerkte erstaunt, Snowden habe vor noch nicht langer Zeit eine ganz andere Ansicht kundgegeben und erst in den letzten Tagen habe er doch erklärt, daß er von Deutschland keine weiteren Opfer verlange. Snowden erwiderte: Die Rede und Ansicht eines Abgeordneten ist etwas anderes als die eines Ministers, und als englischer Minister Hab« ich das Recht, eine andere Meinung zu haben denn als Ab­geordneter.

England ist zufrieden

London. 29. August. In allen Londoner Zeitungen wird das Ergebnis der Haager Konferenz mit den Worten ge­feiert:Unser eiserner Schatzkanzler hat ge­wonnen!" Tiele Tausende haben ihm Glückwünsche ge­sandt. In der Kohlenindustrie berechnet man, daß durch die Einschränkung der deutschen Kohlenlieferungen an Italien mindestens 4000 englische Kohlenarbeiter mehr eingestellt werden können.

Zmn ersten Mal seit den Tagen des Lord Curzon habe ein englischer Minister wieder den Mut zu einem .ehr­lichen Nein" gefunden.

Die Haager Konferenz wurde am Donnerstag nachmittag geschlossen. Die deutsche Abordnung hat das Uebereinkom­men angenommen. Stresemann beglückwünschte den Bor- sitzenden des politischen Ausschusses zu dem vollbrachten Werk.

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