Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter"
Seite 3 — Nr. 191
Stiftung. Anläßlich der 200. Wiederkehr des Geburts- tags von Moses Mendelssohn (6. September) haben Nachkommen des Philosophen, darunter Bankier Franz v. Mendelssohn in Berlin eine Stiftung von 250 000 Mark zur Förderung der Wissenschaft errichtet.
Todesfall. Der aus dem Weltkrieg bekannt gewordene englische General Lord H o r n e ist am 14. August auf einem Jagdausflug plötzlich gestorben.
Der dicke Kaminfeger im Kamin stecken geblieben. In
Stühlingen bei Waldshut blieb ein etwas beleibter Kaminfeger beim Fegen im Kamin stecken und konnte erst nach längeren Bemühungen aus seiner Lage befreit werden.
Zwei Knaben verbrannt. In Lauenburq entstand in einer mit Stroh gefüllten Scheune des Händlers Holznagel ein Brand, bei dem zwei Knaben, der Sohn des Besitzers und Spielkamerad, mitoerbrannten. Die Kinder haben anscheinend in der Scheune mit Streichhölzern gespielt.
Zugzusammenstoß. Auf dem Bahnhof Breslau-Brockau überfuhr der Führer des Triebwagens Breslau-Lattern das Haltesignal und stieß aus einen Personenzug. Der Triebwagen wurde zertrümmert und der Zugführer getötet. Der Führer des Triebwagens und ein Fahrgast sind schwer, acht weitere Personen leicht verletzt.
Untergrundbahn in Wien. Eine Wiener Firma hat den Plan eingereicht, in Wien eine Untergrundbahn zu bauen. An dem Plan sind die Siemens-Schuckertwerke, Berlin- Nürnberg. die Deutsche Bank und die Pariser Untergrundbahngesellschaft beteiligt.
Durch Leichtsinn in den Tod. Der 23 Jahre alte Landwirt Josef Fesenmayer von Hubertshofen wollte mit seinem Motorrad in schneller Fahrt vor dem Triebwagen der Bregtalbahn bei Brüggen (Baden) den Bahnübergang überqueren. Er wurde von dem Wagen erfaßt, zur Seite geschleudert und erlitt einen tödlichen Schädelbruch.
Letzte Nachrichten
Um die Reform der Arbeitslosenversicherung. — Ein Ultimatum der deutschen Volkspartei?
Berlin, 16. Aug. Wie die D. A. Z. hört, hat die Deutsche Volkspartei in der Sitzung des sozialpolitischen Ausschusses des Reichstags keinen Zweifel gelassen, daß sie auf der beschleunigten Einbringung der Eesetzesvorlage besteht. Sie habe sogar eine Art Ultimatum bis Mitte nächster Woche gestellt und würde, wenn bis dahin der Entwurf noch nicht vorliegt, die Reichstagsfraktion einberufen, um zu der dann geschaffenen Lage Stellung zu nehmen. Dies umsomehr als nach Mitteilungen des Staatssekretärs Popitz auch die Kassenlage des Reiches keine weitere Verzögerung mehr zuläßt.
Französische Erregung. — „Keinen Deut preisgeben!"
Paris, 16. Aug. Je näher der entscheidende Samstag heranrückt, umso aufgeregter wird die französische Presse. Die Hoffnung auf eine Einigung zwischen dem englischen Standpunkt und der Mehrheit der anderen Konferenzteilnehmer beginnt zu schwinden. Falls nicht int letzten Augenblick etwas Unerwartetes eintrete, schreibt die „Li- berte", sei der Abbruch der Konferenz unvermeidlich. Eine Anzahl Abendblätter glaubt, daß die Genfer Vollversammlung nur zwei Wochen dauern werde, und daß man in der dritten Septemberwoche sich wieder zusammenfinden werde, um die Verhandlungen fortzusetzen. Auch die französischen gemäßigten Blätter, die bisher die Möglichkeit eines französischen Nachgebens durchblicken ließen, sind verstummt. Snowden wird alle Schuld für einen gefürchteten Abbruch aufgeladen und immer wieder betont, daß Frankreich, Belgien und Italien sich gegenseitig verpflichtet hätten, keinen Deut ihrer Forderungen preiszugeben. Der „Jntransigeant" meint sogar, aus den Haager Verhandlungen gehe das eine unzweifelhaft hervor,
_Freitag, 16. August 1929.
daß man hart sein müsse bis zur Gewaltsamkeit, wenn man die Ächtung der anderen erwerben wolle. Die Vertreter der englischen Arbeiterregierung würden mit lautem Triumph aus dem Haag heimkehren. Der Leidtragende würde die entente cordinale sein, die trotz Hender- sons Wort über ihr Fortbestehen starken Schaden leiden würde. Frankreich hätte im Haag anders auftreten sollen und hätte es auch getan, falls Poincare dagewesen wäre.
Spiel und Sport
S. D. N.
Am kommenden Sonntag findet hier in Nagold der Eausporttag des Neckar-Nagold-Eaues des südd. Fußball- und Leichtathletikverbandes statt. Es ist das erstemal, daß in unserem Neckar-Nagold-Eau ein solcher Tag abgehalten wird, der nur leichtathletischen Wettkämpfen dient und es ist dies eine Auswirkung des im letzten Jahr erfolgten Zusammenschlusses des südd. Fußballverbandes und des südd. Leichtathletikverbandes. Der Gedanke leichtathletischer Hebungen wird mehr und mehr auch in die kleineren Vereine, die sonst nur Fußball spielen, hineingetragen, wobei es verständlich ist, daß Jugend, die Leichtathletik treibt, ihre Kräfte auch einmal im Jahre mit anderen messen will, um eigenes Können zu prüfen und vor allen Dingen Erfahrungen zu sammeln und Ansporn zu bekommen für weiteres Arbeiten und Streben. So werden sich am kommenden Sonntag eine ganze Reihe junger Sportler in Nagold zusammenfinden, um in scharfem aber friedlichem Wettkampf ihre Kräfte zu messen. In Verbindung mit diesem Eau-Sporttag hält der Sportverein von 1911 E. V. Nagold seine jährlichen Vereinswettkämpfe ab, wobei es sich entscheiden soll, ob der Vereinswanderpokal nun endgültig seinen Besitzer finden wird.
Auch die Jugend und die Schüler des Vereins wollen das im letzten Jahr Erlernte im Wettstreit mit Gleichaltrigen erproben. Es wird gebeten, Hunde während des Etaffellaufes und auch während der Läufe in der Calwer- stratze an der Leine zu halten. Abends 8 Uhr versammelt sich die Sportvereinsfamilie, wie jedes Jahr, zu einem Vereinsabend im Löwensaal (Näheres siehe Anzeige).
Der Europarundflug. Am Mittwoch nachmittag zwischen 3 und 6 Uhr sind in Orly 25 Teilnehmer am Rundflug, darunter 11 Deutsche, eingetrossen. Innerhalb 4 Minuten landeten 18 Maschinen.
Ueber die Aussichten auf den Siegerplatz läßt sich bis jetzt nur sagen, daß hinsichtlich der Durchschnittsgeschwindigkeit und absoluten Schnelligkeit die B 3 (Raab-Katzen st ein) mit Carberry und Störig weitaus zuvorderst steht. Ihr am nächsten kommt der Havilland H 5 von Kapitän Broad dank seiner leichten Landungsfähigkeit. Auch Delmotte auf einem E 7 (Caudron) machte sehr gute Zeiten. Lusser mit seinem Klemm-Flugzeug hat in der zweiten Klasse die schnell st e Zeit herausgeholt, da aber auch die Ergebnisse der Vorprüfung zur Errechnung des Ergebnisses herbeigezogen werden, läßt sich im Augenblick nichts sagen. Bon den 46 Teilnehmern blieben 34 im Runöflug, so daß noch neun Nachzügler erwartet werden. Die unbefriedigende Gestaltung des Rund flugs in den letzten drei Tagen wird dem etwas mißglückten Reglement zugeschrieben. Es habe in der letzten Etappe die Austragung des geordneten Wettbewerbs, soweit er sich auf die Schnelligkeit bezog, beeinträchtigt.
Handel und Verkehr
Berliner Dollarkurs, 15. August. 4,1945 G., 4,2025 B. .
Dt. Abl.-Anl. 51.
Dt. Abl. ohne Ausl. 11.30.
Berliner Geldmarkt, 15. August. Tagesgeld 6,5—8,5 o. Monatsgeld 9—10,5 o. H., Warenwechsel 7,75 o. H.
Privatdiskont: 7,125 v. H. kurz und lang.
Eine neue Inlandsanleihe plant die Stadt Breslau. Beabsichtigt ist die Ausgabe von achtprozentigen Schatzscheinen im Betrag von mindestens 15 Will. RM.
Die Reichspost hatte im ersten Vierteljahr 1929 (April bis Juni) Einahmen von 536, Ausgaben von 540 Millionen Mark. Die Zahl der Postscheckkonten ist bis 30. Juni auf 964 586 gestiegen. In dem Vierteljahr wurden 184 Millionen Buchungen über 37,6 Milliarden Mark ausgeführt, davon wurden 30,1 Milliarden oder 80,2 v. H. bargeldlos beglichen. Ende Juni bestanden 3 040 700 Fernsprechstellen.
Zeppelin macht gute Fahrt
Friedrichshofen, 15. Aug. In der ganzen vergangenen Nacht kam die Stadt nicht zur Ruhe. Das war ein Kommen und Gehen, ein Stoßen und Drängen! Wohl über 100 000 Menschen waren in dem alten Buchhorn zusammengeströmt, um den »Graf Zeppelin" zum Flug um die Erde starten zu sehen. Die Nacht war hell und sternenklar. Im Kurgartenhotel, wo die Fahrgäste sich befanden, war Tanzvergnügen. Nach 3 Uhr wurden sie im Kraftomnibus zur Werfthalle abgeholt. Es geht los. Die Bewegung unter den Massen wird stärker, die Ordnungspolizei hat strengen Dienst, aber nirgends wird die Ordnung gestört. Die Mannschaften und die Fahrgäste gehen an Bord, um 4.18 Uhr auch Dr. Eckener, nachdem er sich von feiner Gemahlin verabschiedet hat. An Bord befinden sich 40 Mann Be- tatzung und 20 Fahrgäste. 4.30 Uhr steht das Luftschiff startbereit im Freien. Ein Kommando und stolz erhebt sich „Graf Zeppelin" 4.35 Uhr in die Luft, begleitet von den tosenden Hurrarufen der Menge.
Nordwärts geht der Flug über Ulm (5.30 Uhr), Nürnberg (6.45), Bayreuth (7.20), Hof (8.30), Gera l8.55), Leipzig (9.06), Potsdam (1020), Berlin (10.30). In der Reichshauptstadt erwarteten ungeheuere Menschenmassen in den Straßen und auf den Dächern das Luftschiff, das zunächst zum Brandenburger Tor die Richtung nahm und dann in etwa 200 Meter Höhe eine Schleife ausführte, worauf es mit großer Geschwindigkeit sich nach Nordosten wandte. Um 12.10 Uhr wurde es in Stettin, 2.30 nachmittags in Bütow (Pommern) mit Kurs auf Danzig gesichtet. Die Windrichtung (westliche Winde) ist günstig, dürfte sich aber über Polen wesentlich verschlechtern.
Die G e s a m tst r e ck e, die der „Graf Zeppelin" zurückzulegen haben wird, wird auf rund 30 000 Kilometer geschäht. Sie kann je nach der Wetterlage länger oder kürzer sein, wenn das Luftschiff etwa über Sibirien und über das Beringmeer mehr südliche oder nördliche Richtung nehmen muß. Im einzelnen betragen die Strecken Friedrichshafen—Tokio 16500 bis 11000 Kilometer, Tokio—Los Angeles 8450 bis 9000 Kilometer, Los Angeles—Lakehurst 3200 Kilometer, Lakehurst—Friedrichshafen 7000 Kilometer.
In großer Höh« wurde 2.45 Uhr Danzig überflogen. Das Luftschiff wurde von den Sirenen der im Hafen liegenden Dampfer begrüßt und beschrieb einen Bogen über der Stadt.
Graf Zeppelin über Königsberg
Der «Graf Zeppelin" kam kurz nach 4 Uhr nachmittags aus westlicher Richtung über Königsberg. Von Flugzeugen umkreist und jubelnd begrüßt führte es eine Schleife aus und entschwand 4.30 Uhr in nordöstlicher Richtung.
Moskau und Leningrad haben Funkverbindung mit dem Zeppelin.
Kowno, 15. Aug. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat die Leningrader Wetterdienststelle nach 18 Uhr den ersten Funkspruch mit dem „Graf Zeppelin" ausgetauscht. Gleich darauf bekam auch die Moskauer Wetterdienststelle Fühlung mit dem Luftschiff. Aus Leningrad wurde dem Luftschiff ein Funkspruch über die Wetteraussichten in Nordwestrußland übermittelt. Moskau begnügte sich zunächst mit einem Gruß an das Luftschiff über russischem Boden.
Moskau in Erwartung des Zeppelins.
Kowno, 15. Aug. Wie aus Moskau gemeldet wird, sammelten sich bereits in den ersten Abendstunden auf allen Plätzen der Stadt große Menschenmengen an, um den Zeppelin, mit dessen Eintreffen zwischen 24 und 1 Ilhr nachts gerechnet wird, zu begrüßen. Vor dem Gebäude der „Jswestija" verkündet ein großes Plakat, daß die Funkverbindung mit dem „Graf Zeppelin" von der Moskauer Funkstation bereits hergestellt sei. Um 23.15 Uhr leuchten in den verschiedenen Stadtteilen die Scheinwerfer auf, um dem Luftschiff den Weg zu zeigen. Die Moskauer Funkstation steht in ständiger Verbindung mit dem „Graf Zeppelin".
»Graf Zeppelin" bei Polozk.
Hamburg, 15. Aug. Die Hamburg-Amerika-Linie teilt mit: Das Luftschiff „Graf Zeppelin" befand sich um 21 Uhr M. E. Z. nördlich von Polozk.
Graf Zeppelin 30V Km. nordwestlich Moskau.
Hamburg, 16. Aug. Die Hapag teilt mit: das Luftschiff befand sich um 1.05 MEZ. über Wychniy-Wolotschek (Gouvernement Twer). An Bord ist alles wohl.
Nach dieser Meldung bestätigt es sich, daß Graf Zeppelin die Absicht aufgegeben hat, Moskau anzusteuern. — W. liegt etwa 300 Km. nordwestlich von Moskau.
TSciEiobÜ-fosskLIt.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 66)
„Der General von Ebrach-"
„Nein, Vater! —" Rita sprang auf und warf den Stift auf den Tisch. „Dann lieber nichts, wenn du sonst keine Worte für ihn hast".
Er drückte sie an den Schultern zurück. „Du ließest mich nicht aussprechen, Rita. — Schreibe weiter: Der General von Ebrach dankt seinem Sohne für das freundliche Eedenken".
„Vater!" Rita warf sich ihm an die Brust, daß es ihn gegen die Wand riß. Er hatte Mühe, sich aufrecht zu erhalten. Dann ließ sie ihn los, küßte seine Hände und war aus dem Zimmer. Der kleine Zettel Papier war mit ihr vom Tische verschwenden.
Am übernächsten Abend, als die Glocken den Frieden der Nacht einläuteten, kam Max Ebrach zu Fuß von der Station herübergegangen — der Sohn zum Vater — wie es sich gebührt.
Rita hielt für einen Augenblick seine beiden Hände Wischen den ihren.
„Ist es dein Werk.?" fragte er und neigte sich über ihre timger.
Sie verneinte, sah, wie er aufatmete und die Treppe hinaufschritt. Nun, da er wußte, daß der Vater aus eigenem Fühlen heraus ihn wieder „Sohn" nannte, wollte er sich allem, was jetzt kommen würde, willig unterwerfen. Zwei Stunden blieb der General mit seinem Zweitältesten allein. Niemand störte die Zwiesprache. Auch den Kindern war verboten worden, zum Großpapa hinaufzugehen und ihm Gute Nacht zu sagen, wie sie es gewohnt waren.
Als sie gegen zehn Uhr herunterkamen, hatten Lena I
und Rita den Tisch festlich geziert. „Kannst du Max behalten?" sagte der General zu seinem Jüngsten, der Sekt in die Gläser goß.
„Solange er will!"
„Nur bis morgen", sprach Max. „Dann möchte ich für ein paar Stunden nach Dorfbach und dann zu Trude und hernach noch zu Eiesberts".
Nach dem Abendtisch spielte er auf dem großen Flügel aus seiner Oper. „Findest du sie gut, Vater?" Er wandte den Kopf nach dem General zu.
„Warum hast du früher nie derlei geschaffen?" Die Stimme des alten Ebrach zitterte.
Der Sohn wußte keine Antwort darauf.
„Es hat alles seine Zeit", würde Mutter Dorfbach gesagt haben.
Am andern Abend war das Ebrachsche Haus wieder leer von Gästen. Der General war mit Max nach Dorfbach gefahren, und von dort begleitete er ihn zu Trude und zu den Eiesberts. Rita und Ernst wollten noch bleiben. „Das hätte ihr früher nicht genügt. Es wäre ihr zu langweilig gewesen bei uns"! sagte Karl.
„Es hat alles seine Zeit", sprach Lena, denn sie war auch eine Dorfbacherin dem Blute nach.
Eine Woche später kam Max noch einmal, um Abschied von dem alten Vater zu nehmen. Wieder, wie schon so oft, rang sich ihm die Bitte von den Lippen: „Vater, wenn du weißt, wo ich Lore-Lies finden kann, dann sags mir".
„Ich weiß es nicht, mein Junge".
„Vater!-"
„Ich kann dir nicht helfen, Max, so gern ich wollte. Ich besitze ihre Adresse nicht".
Während Ernst mit Karl und dem General nach den Wiesen ging, die als Weideplätze für die Fohlen dienten, saß Max auf einer der Bänke im Parke und starrte in den Kies vor sich. Was half nun all sein Schaffen? — Die beiden, für die er sein ganzes Leben, sein ganzes innere Selbst umgestürzt hatte, blieben ihm unerreichbar. Das Schweigen von Lore-Lies war der untrüglichste Beweis dafür. Sie hatte ihr Kind und keinerlei Bedürfnis mehr.
mit dem Vater desselben irgendwelchen Verkehr zu pflegen. Wäre es auch nur auf schriftliche Art. Ein Schritt hinter sich ließ ihn umsehen. „Führe mich nicht in Versuchung, Rita!" sagte er mit einem Blick, aus dem sie trotz des Scherzes seine ganze Stimmung las.
„Komm rasch — ehe die anderen zurück sind".
„Was soll's?"
Sie sah sich nach allen Seiten um. „Komm!"
Er stand auf und folgte ihr ins Haus. Sie lief die Treppe hinauf, daß er springen mußte, Schritt mit ihr zu halten. An der Türe horchte sie, drückte auf die Klinke und schob ihn voran. Ehe sie dieselbe schloß, lauschte sie noch einmal nach unten. Beim Aermel führte sie ihn nach der Wand, die dem Fenster gegenüberlag. Der Eoldrahmen funkelte rötlich in der niedergleitenden Sonne, die durch die Scheiben kam. „Das Bild ist ein Geschenk von Lore- Lies zu Vaters Geburtstag. Das Köpfchen ist kein anderes als das ihres Knaben und des deinen. Sieh dirs mit Ruhe an — ich stehe draußen Wache".
Als Max von Ebrach nach einer Viertelstunde wieder herauskam, war das Weiß seiner Augen stark gerötet. Rita bemerkte, wie er sich mühte, ruhig zu sein. „Wenn Vater mir das Bild gäbe!"
„Ausgeschlossen! — Aber ich verschaff dir eine Kopie davon!"
„Rita!-"
„Ja — für morgen hat sich der Maler Kunert angesagt. Der begeistert sich für den Kinderkopf. Er muß ihn mir abmalen — für mich. Ich möchte ihn in mein Wohnzimmer haben; Ich brauch nur ein bißchen nett mit ihm zu sein und mir ein paarmal die Hand küssen lassen".
„Hast du noch immer nicht genug-?"
Sie unterbrach ihn lachend. „Nein, noch immer nicht! Man lernt nicht auf einmal um, wie du weißt. Ernst darf ich nichts davon sagen, daß ich Vaters Geheimnis kenne, also muß ich meine Wege hier allein gehen. Kunert ist übrigens ganz ungefährlich! Ein eingefleischter Junggeselle. Der würde mir lieber zwanzig Kopien schenken, als mich zur Frau nehmen".
(Fortsetzung folgt).