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Drenstag, den 13. August 1929

103. Jahrgang

Gegründet 1827

Fernsprecher Nr. 29

Das Ergebnis der

Woche

Die Haager Konferenz

Haag, 12. August. Die Auffassung auf deutscher Seite über die Lage läßt sich etwa folgendermaßen kennzeichnen: Die deutsche Abordnung will, wie seinerzeit bei der Sach- verständigen-Konferenz in Paris,

Forderungen der Gegenseite in greifbarer Form ab- warten,

die Brian- bezüglich der Ueberwachung auch zugesagt haben soll. Französische Forderungen,

die über die gegenwärtigen Reberwachungsverhältnisse wesentlich hinausgingen,

St man willens, abzulehnen. Der deutsche Standpunkt stützt sich auf die Tatsache, daß er rechtlich, moralisch und politisch wohl begründet ist, ferner darauf, daß Henderson die Zu­rückziehung der britischen Befatzungstruppen bis spätestens 31. Dezember d. Js. im Unterhaus bestimmt angekündigt hat. Endlich glaubt man in der deutschen Abordnung, daß der Verlauf der Auseinandersetzungen über den Toung- Fan die diplomatische Stellung Briands auf der Konferenz etwas verschoben, die deutsche Behauptung von der

Leberflüssigkeik eines neuen Aeberwachungsausschusscs etwas gestärkt Habe.

Die ungeheueren Vorteile, die der Toungplan für Frank­reich in Aussicht stellt, würden nicht ohne zähen Kampf er­reichbar sein. Durch den scharfen Vorstoß des englischen Schatzkanzlers Snowden würde nach der Ansicht der deutschen Abordnung die Annahme des Toungplans für die öffentliche. Meinung in Frankreich an Wert gewinnen, und man hält es für denkbar, daß sich Briand auf das Kernstück der Haager Konferenz, den Toungplan zurückziehen, d. h. mit ihm begnügen würde, wenn er sich mit seinen Ueber- wachungsforderungen vor einer Mauer sähe.

Vorerst allerdings dürfte weder Briand noch sonst je­mand auf der Gegenseite zu dieser Ueberzeugung gekommen sein. Das Verhalten der deutschen Vertreter im politischen Ausschuß ist daher abwartend, während die Franzosen in der Aussprache einen allgemein gehaltenen Vorschlag nach dem anderen, eil! Beweisstück nach dem anderen zur Wider­legung anbieten, um Zeit zu gewinnen, bis sich die Ver­handlungen über den Toungplan im Finanzausschuß geklärt haben.

Allmählich wird es sich auch aufklären, wie es um die zweite französische Bedingung für die Räu­mung bestellt ist: ob allenfalls geräumt werden soll, wenn der Toungplan überhaupt angenommen würde, oder ob vorher sogar der ungeschützte Teil des deutschen Tributs auf den Weg derKommerzialisierung" gebracht werden müsse. Auf die Aussprache über die Räumung, die am Montag ftattfinden soll, haben sich die Franzosen ja nur unter der Bedingung eingelassen,

- man so lue. als ob der Toungplan bereits an­genommen sei.

Man glaubt aber annehmen zu dürfen, daß die Franzosen vielleicht schon darin eine ausreichende finanzielle Voraus­setzung sehen, wenn eine

Umwandlungsanleihe von etwa 80g Millionen Gold- mark

zustande käme, an der sich auch das deutsche Kapital beteiligen müßte.

Der lleberroachungsplan

Der Vorschlag Frankreichs für den neuen Ueberwachungs- ausschuß geht darin, daß ein Ausschuß von fünf Mit­gliedern von den sogenannten Rheinvertragmächten (Frankreich, England, Deutschland, Belgien, Italien) er­nannt werden soll. Der Vorsitz soll vom Völkerbund be­stimmt werden.

Der Ausschuß soll zwar aus Zivilisten bestehen, aber

das Recht zur militärischen Ueberwachung, zu Haus­suchungen und Schnüffeleien aller Art in den Rhein­landen erhalten.

Die rechtliche Einsetzung soll durch einen Zusatz zum Locarnovertrag erfolgen und für die Dauer dieses Vertrags, d. h. endlos, mindestens aber für 62 Jahre bestehen.

Ein Vorschlag des Engländers Henderson will den ! Völkerbund als oberste Instanz bestehen lassen und I > die Ueberwachung einer Völkerbundskommission ! von drei Mitgliedern anvertrauen. Aber auch Hendersons Kommission soll von möglichst langer Dauer sein. Da in einer Dreierkommission (England, Frankreich Deutsch­land) der englische Vertreter ausschlaggebend sein würde, verlangt Frankreich eine Erweiterung der Kommission.

Es ist kennzeichnend, daß die sehr gut unterrichtete holländische ZeitungHed Vaderland" dazu schreibt:Die Juristen sollen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten sme Formel finden, die sich in Paris als gut französisch und m Berlin als gut deutsch verteidigen läßt."

Die Ehre Frankreichs berührt"

Am Samstag abend kam es im Finanzausschuß der Konferenz zu einem

aufsehenerregenden Zwischenfall.

Auf die abschweifenden und nichtssagenden Einwände des französischen Vertreters Cheron gegen den Standpunkt Snowdens hatte dieser in -er Vormittagssitzung am Freitag erklärt,

die von Cheron vorgebrachken Beweise seiengrotesk und lächerlich".

Diese in der Diplomatensprache zwar nicht üblichen, sachlich in diesem Fall vollauf berechtigte Bezeichnung

brachte die Franzosen erst am Samstag in Harnisch, denn die Worte waren vom Uebersetzer aus dem Englischen ins Französische unterdrückt worden. Briand wandte sich nun an den Vorsitzenden des Finanzausschusses, Houtart, mit der Beschwerde,die Ehre Frankreichs sei durch diese Be­leidigung berührt" worden. Houtart verhandelte lange mit Snowden, der aber nichts zurücknehmen wollte. Endlich er­langte der Vorsitzende von Snowden eine Erklärung, die jedoch Briand nicht genügte. Neue stundenlange Verhand­lung. Endlich stimmte Snowden zu, daß ein Bericht aus- gegeben werde:Die Worte, die Herr Snowden gebraucht hat, sind in der englischen Sprache in keiner Weise ver­letzend oder unparlamentarisch. Er hat nicht gewußt, daß sie in der französischen Sprache einen beleidigenden Sinn haben. Hätte er gewußt, daß sie als verletzend aus­gelegt würden, so hätte er sie nicht gebraucht." Mehr als diese fadenscheinige Erklärung war von Snowden nicht zu erreichen, die Franzosen spielten daher weiter die Beleidig­ten.

Am Sonntag vormittag trat der Finanzausschuß wieder zusammen und Snowden gab nun mit versteck­tem Spott die Erklärung ab, es habe ihm fern gelegen, die französischen Gefühle zu beleidigen. Item, die französische Ehre war wieüerhergestellt und man beschloß, die Arbeiten am Montag bei dem KapitelSachlieferungen" fortzusetzen. Die sachlichen Gegensätze bestehen aber fort-

*

Der Zwischenfall ist um deswillen von Bedeutung, weil er zeigt, daß es auf dieser Konferenz einen Mann gibt, der der französischen Gerissenheit und Wortspitzfindigkeit mutige Ehrlichkeit entgegenzusetzen wagt.

Mac Donald an Snowden

London, 12. August. Er st mini st er Mac Do­nald sandte an Snowden einen Brief. Ueber dessen Inhalt erklärte er in einer Unterredung dem Vertreter desDaily Expreß":Angesichts der auf dem Kontinent verbreiteten Ansicht, daß Snowden bluffe, wollte ich es vollkommen klar machen, daß der von ihm ein­genommene Standpunkt, daß Großbritannien jetzt die Grenze des Ertragens ungerechter Lasten erreicht hat, d i e Unterstützung von uns allen erhält. Ich er­kläre, daß dies ohne Rücksicht auf die Partei so ist.

Mac Donald betont in dem Schreiben, der Finanzaus­schuß mache einen ernsten Fehler, und die Aussichten für eine baldige Lösung müßten sofort scheitern, wenn man sich nicht endlich dazu verstehe, den Toungplan zu än­dern, um den berechtigten Forderungen Englands ent- gegenznkommen. Die britische Regierung habe ihren guten Willen für eine Ordnung der europäischen Verhältnisse auf politischem wie auf finanziellem Gebiet bewiesen, aber die Grenze ungerechter Lasten für England sei nun erreicht.

Lloyd George hat in einer Mitteilung an den Daily Expreß" gleichfalls seine Unterstützung des Schatz­kanzlers Snowden zum Ausdruck gebracht.

Unmittelbares Einvernehmen zwischen Briand und Strefemann

Der Franzose Pertinax meldet dem LondonerDaily Telegraph" aus dem Haag, die langen Unterredungen zwi­schen den Führern der verschiedenen Abordnungen am Sonntag haben in Wirklichkeit nichts an der Konferenzlage geändert. Eine Lösung der Krise scheine nicht näher als am Samstag. Wenn es zum schlimmsten kommen sollte, so werde Briand zu einem unmittelbaren Einver­nehmen mit Strefemann zu gelangen suchen, um den Zeitraum zu Überdrücken, der bis zur Annahme und Durchführung des Toungplans vergehe. Es könne aber noch nicht gesagt werden, was der Inhalt eines solchen Ein­vernehmens sei.

Nach demPetit Parisien" soll Montagu H o r m a n, der Präsident der Bank von England, in einer Unterredung mit Mac Donald dessen Aufmerksamkeit auf die Nach­teile eines Abbruchs der Haager Konferenz gelenkt haben. Dieser Unterredung habe auch der stellvertretende Direktor der Morganbank, Lamont, beigewohnt.

Curtius über die Sachlieferungen

In der Montagssitzung des Finanzausschusses ergriff Reichsminister Dr. Curtius das Wort zur Frage

der Sachlieferungen. Ein sofortiger Abbau der ink Doungplan vorgeschlagenen Sachlieferungen sei nicht mög­lich. Man dürfte an Deutschland nicht Zumutungen stellen, die sogar noch über das Opfer des Toungplans hinausgehen, weder in bezug auf Sachlieferungen noch auf andere Dinge. Die englischen wie die deutschen Gründe müßten ehrlich an­erkannt werden. Dieselben Industriezweige, die in England notleidend seien, befinden sich auch in Deutschland in einer N o t l a g e. Dazu komme, daß die deutsche Landwirtschaft in einer Krise stehe. Die gewaltige Zahl von 3 Millipxen Arbeitslosen sei in Deutschland erst seit kurzem erheblich abgebaut. Aber man wolle nicht Klage­lieder an einem Opferalter anstellen. Die Sachlieferungen feien vorläufig unentbehrlich. Im letzten Dawesjahr feien Sachlieferungen im Betrag von 1150 Millionen Mark ge­leistet worden. Die im Toungplan vorgefchlagenen Sach­lieferungen von 750 Millionen würden nach Abzug des eng­lischen Recovery Aktes nur 540 Millionen ergeben, also we­niger als die Hälfte. Die Verminderung auf 750 Millionen rufe ohnehin schon größte Schwierigkeiten für die deutsche Wirtschaft hervor, um so notwendiger sei es, wenigstens an Len vorgeschlagenen 750 Millionen festzuhalten.

Der italienische Vertreter Pirelli erklärte, vom italie­nischen Standpunkt aus werden die englischen Bedenken ge­gen die Sachlieferungen nicht geteilt.

Die nächste Sitzung des Finanzausschusses, in der der Franzose Louchcur sprechen wird, finde: am Mittwoch vormittag statt.

Der Zoungplan untragbar"

DerManchester Guardian" schreibt, es bestehe kein Zweifel, daß der Toungplan für Deutschland auf die Dauer antragbar sei. Nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen an Haag müsse immerhin mit der Möglichkeit gerechnet iverden, daß die Konferenz scheitere. Dann werde der Dawes- vlan in Kraft bleiben und Deutschland werde in kurzer Zeit ;u erklären gezwungen sein, daß es außerstande sei, die Zahlungen zu erfüllen. Dann werde man den Dawesplan abändern und durch einen besseren Plan als den Doung- plan ersetzen müssen.

Neueste Nachrichten

Die Verfassungsfeier in Berlin

Berlin, 12. August. Die 10. Derfassungsseier wurde gestern mit einem Fe st gottesdien st in der Dreifaltig­keitskirche eingeleitet, an dem nur Reichspräsident v. Hin- denburg, Reichswehrminister Grön.er und die preu­ßischen Minister Becker, Schreiber und Häpker- Aschoss teilnahmen. Zur Feier im Reichstag war der Sitzungssaal reich geschmückt. Die in Berlin anwesenden Reichsminister und die preußischen Minister waren voll­zählig anwesend, ebenso das diplomatische Korps, mit Aus­nahme des Vertreters von Sowjetrußland, Krestinski. Um 12 Uhr erschien der Reichspräsident in Begleitung des Reichswehrministers. Reichsminister Seoering hielt di« Festrede, in der er auch auf schwebende politische Fragen einging. Darauf hielt Reichswehrminister Gröner eine Ansprache. Die Feier wurde von verschiedenen musikalisch«! Darbietungen umrahmt.

Nachmittags 4 Uhr fand eine Feier im Stadion statt, an der etwa 100 000 Schulkinder und verschiedene Vereine mitwirkten. Abends folgten Veranstaltungen in drei Ber­liner Opernhäusern. Abgesehen von einigen Zusammen­stößen zwischen Reichsbannerleuten und Kommunisten ver­lies der Dag in Berlin in Ruhe.

Begrüßungskelegramme anläßlich des Verfassungskags

Berlin, 12- August. Reichsminister Dr. Stre se­in an n sandte aus dem Haag anläßlich des BerfassungstagS ein Begrüßungstelegramm an den Reichspräsidenten von Hindenburg, das dieser wie folgt erwiderte: .Herzlichen Dank für das freundliche Meingedenken am heutigen Ber- fassungstage. Ich erwidere Ihre Grüße mit den besten Wün­schen für Ihre Arbeit auf der für unser Bakerland so bedeut­samen Konferenz im Haag. gez. v. Hindenburg, Reichsprä­sident.'

Anhaltende Besserung im Befinden des Reichskanzlers

Berlin, 12. August. Die Besserung im Befinden deS Reichskanzlers Müller hält an. Er konnte gestern zum ersten Mal seit Wochen einige Stunden außer Bett verbringen. Es ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, daß er Anfang der nächsten Woche die Klinik verlaßen darf. Reichspräsident v. Hindenburg hat kurz vor seiner Abreise nach Dietramszell in einem Schreiben an den Reichskanzler nochmals herzliche Wünsche auf baldige Genesung ausge­sprochen. Auch Reichswehrminister Gröner hat ein ähn­lich lautendes Schreiben an den Reichskanzler gesandt.

Mssell und Severing nach dem Haag abgereist

Berlin, 12. August. Die Reichsminister Wissell und Seve- ring sind am Sonntag abend nach dem Haag abgereist. Halb­amtlich wsrd dazu mikgeteilt, daß die beiden Minister sich mit den im Haag weilenden Reichsministern über die Acnderung des Arbeitslosengesetzes besprechen wollen.