Seite 2 — Nr. 185
Nagoldcr Tagblatt „Der Gesellschafter"
Freitag, 9. August 192g.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 9. August 1929.
In der Welt aufrichtig sein, heißt mit ungleichen Waffen den Kampf beginnen und sich mit entblößter Brust einem gepanzerten Manne entgegenzustellen, der den Dolch zückt. (Honore Gabriel Riqueti).
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Etwas von der Höflichkeit
„Häusel, zieh' <s Käppel ab, es kostet nichts und bringt doch großen Nutzen ein". Das Sprichwort ist sehr altmodisch geworden. „Häusel" und auch „Eretel" kennen es gar nicht mehr, und wenn sie es hören sollten, würden sie es für törichte, längst überholte Erotzmütterweisheit halten. Sie haben gelernt, sich selbst sehr wichtig und großartig zu nehmen und sich überall die nötige Ellenbogenfreiheit zu verschaffen. Ihre Eltern haben sehr viel Achtung vor der Eigenart dieser Kinder und im allgemeinen weder Lust noch Kraft, sie zu allerlei altmodischen Tugenden, so auch zur Höflichkeit zu erziehen.
Im Laufe der Zeit und gegebener Entwicklung sind die Respektsgrenzen im Verkehr der Kinder mit den Eltern immer mehr gefallen. Die Zeiten, wo die Kinder Vater und Mutter mit Sie anredeten und strenge Zucht und Züchtigung Gesetz und Sitte waren, sind vorüber. Dann hat sehr stark die Gegenströmung eingesetzt, die Eltern haben die Pflichten gegen ihre Kinder viel tiefer und gütiger aufgefaßt und die Kinder sich rasch alle Rechte in Herz und Haus erobert. Heute steht man meist durchaus kameradschaftlich miteinander — ja, in manchen Häusern bestimmt die tatkräftige, selbstüberzeugte Jugend Stil und Ton.
Das soll man weder bejammern noch bewundern: es sind Erscheinungen, die mit der ganzen Zeitentwicklung Zusammenhängen und ihre Dauer und ihren Ablauf haben werden. Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Schade ist nur, daß mit vielem kleberlebten und Veralteten dabei auch so manches Gute an Pietät und Tradition verloren geht, so auch ein gut Teil der überlieferten Formen der Höflichkeit. Natürlich braucht es nicht nur und wirklich das „Käppelziehen" zu fern — Hans und Grete laufen ohnehin mit Vorliebe ohne Kopfbedeckung umher —, aber ein freundlich und anmutig Grüßen, ein Aufstehen, wenn es älteren Leuten an Sitzplätzen fehlt, ein Rücksichtnehmen im Gedränge, ein Auge haben für freundliche Hilfeleistungen, ein Schweigenkönnen, wenn Aeltere reden — das sind alles Formen der Höflichkeit, die unserer Jugend stark abhanden gekommen sind.
Freilich tut es die äußere Form da nicht allein — sie kann leicht erstarren und sinnlos werden, wenn hinter diesen Aeußerungen nicht jene Höflichkeit steckt, die aus dem Herzen kommt und zu Herzen geht, die der selbstverständliche Ausdruck einer liebevollen Gesinnung ist. Ist diese lebendige Herzenshöflichkeit da, so wird sie auch unvollkommene Formen durchleuchten — ist sie nicht vorhanden, so hilft auf die Dauer kein äußerliches Bemühen.
Der tiefste Grund, warum die Höflichkeit unter der Jugend so selten ist, liegt an dem Mangel an Ehrfurcht, der sich auch sonst heute auf allerlei Gebieten bemerkbar macht. Man lese, wie Hohes Goethe in den „Wanderjahren" von der Erziehung zur Ehrfurcht und ihrer Ausübung sagt. Wer sein Kind zur Ehrfurcht, zum liebevollen Bewundern höherer Werte anleiten kann, der gibt ihm Kostbares und starke Entwicklungsmöglichkeiten mir auf den Lebensweg. Dazu gehört freilich, daß die Kinder zunächst nach dem alten Gebot Vater und Mutter ehren lernen. Und wie dies Gebot seine Verheißung hat, so verspricht auch unser bescheidenes Sprichwort dem, der danach tut, Gutes: „es kostet nichts und bringt doch großen Nutzen ein".
Es sollte die Regel sein, was heute als Ausnahme erscheint: daß ein mir fremder junger Mann ganz bereitwillig und selbstverständlich mir den schweren Einkauf- ckorb abnahm und heimtrug, und als ich dann ganz verwundert fronte, wie er dazu käme, einfach sagte: „Ich habe eine Mutter daheim, die kann auch nicht so schwer tragen".
Diese unbekannte Mutter hatte verstanden, ihren
Sohn das vierte Gebot zu lehren und der Segen seiner > Verheißung wird ihm nicht fehlen. >
Im allgemeinen ist freilich — und auch daran krankt unsere Zeit — der Einfluß der Frau und Mutter viel zu ' sehr in den Hintergrund getreten. Es sind da Pflichten ! und Rechte, die wir viel tiefer, geschloffener wahren müs- i sen —als Vewahrerinnen von Sitte und Sittlichkeit ! durch alle Unrast, allen Unfrieden unserer Zeit. Aber auch hier wird ein Besinnen, ein Kräftesammeln und Starkwerden einsetzen. Es hat eben alles seine Zeit. Hän- sel und Eretel kommen auch bald genug in die Jahre, wo sie von der Jugend gern Liebe und Höflichkeit nehmen möchten — vielleicht erziehen sie dann die eigenen Kinder besser und geben ihnen mehr von jener Höflichkeit des Herzens, die der Liebe verwandt ist.
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Besitzwechsel
Das Herrn Stadtbaumeister Lang gehörige in der Freudenstädterstraße gelegene Wohnhaus wurde zum Preise von 28 000 Mark von der Möbelfabrik Martin Koch-Nagold käuflich erworben.
Gewerbeveeer» und Landwirtschaft!. Hauptfest
Zur Erreichung einer möglichst zahlreichen Beteiligung von Handwerk und Gewerbe am Landwirtschaft!. Hauptfest ladet der Gewerbe-Verein auf heute Abend zu einer Besprechung in den Easthof zur Traube ein. Eine geschlossene Beteiligung von Handwerk und Gewerbe wäre schon im Interesse der Verbundenheit zwischen Landwirtschaft und Handwerk zu wünschen, damit dies bei dem Fest auch nach außen zum Ausdruck kommt. Im übrigen verweisen wir auf die Anzeige der heutigen Ausgabe.
Reichsbund-Sprechstunde
Infolge unvorhergesehener Verhinderung des Sprech- stundenleiters konnte die am letzten Samstag fällig gewesene Sprechstunde nicht abgehalten werden. Dafür findet solche morgen Samstag im bisherigen Lokal und zur üblichen Zeit statt. (Siehe Inserat).
Württ. Bolkstheater
Man schreibt uns: Wir wollen nicht verfehlen, auf Jarnos reizende, weltberühmte Operette „Försterchristl", welche im Raimundtheater in Wien über 300 Aufführungen erlebte, besonders hinzuweisen. Den Besuch wird niemand gereuen. Dienstag Abschiedsvorstellung.
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Calw, 8. Aug. Räderdiebstähle. In der Nacht auf 7. August war ein Motor- und Fahrradmarder in unserer Stadt an der Arbeit. Aus der Garage eines hiesigen Gasthofes wurde ein eingestelltes Motorrad gestohlen. Hie- für ließ der Dieb ein guterhaltenes Fahrrad zurück. Bei den angestellten Erhebungen wurde dann von der Polizei festgestellt, daß dieses zurückgelassene Fahrrad ebenfalls hier aus einem Hof gestohlen worden war: es konnte dem Eigentümer gleich wieder zugestellt werden. In einem weiteren Fall wurden aus einer Garage Werkzeug und Kleidungsstücke gestohlen. In allen drei Fällen kommt unzweifelhaft der gleiche Täter in Frage.
wildbad. 8. August. Enz-Promenade-Beleuch- tung. Die Stadt, die ihren vielen Kurgästen dieses Jahr. Kreits einige besondere Genüsse geboten hat, veranstaltet am Freitag, 9. August, eine große Enz-Promenade-Veleuchtung. wobei auch zwei Musikkapellen Mitwirken werden. Die Veranstaltung findet, günstige Witterung vorausgesetzt, ab 20.30 Uhr statt. ^ '
Aus aller Welt
Nochmals: 1 das?I„zahlungsfähige" Deutschland!!
Die Minrfkerpensionen in Deutschland. Rach der Der- offentlichuna der Zeitschrift „Volksrecht und Aufwertung" beziehen folgende Reichsminister, die im öffentlichen Dienst wieder Stellungen einnehmen, folgende Pensionen: Der bayerische Landwirtschaftsminister Dr. Fehr 14603 ^t, der frühere Präsident des Reichsgerichts Simons 24 960 .4t, Sch lieben, Präsident eines Landesfinanzamts, 21 528 -4t, Oberprüsident Roste 28 800 -4t. der frühere Reichsjustiz-
... ... c, ^ ^iruyere r-werburqer»
burgermeister Iarres 20 904 -K. Volle Pension, weil sie keine neue Stellung im öffentlichen Dienst mehr einnehmen beziehen: der frühere Reichsverkehrsminister v Guerard 28 800 frühere Reichsjustizminister Frenken
28 800 -4t, Giesberts (Gewerkschaftsführer) 18800 -4t der frühere Reichskanzler Marx 18 800 -4t, Staatssekretär De rnburg 10920 -4t, der frühere Reichsarbeitsminister Br auns 28 800 -4t. der frühere Reichswehrminister Geß- ler 28 800 -4t, der frühere Oberbürgermeister Scholz 21 528 -4t, der frühere Reichsernährungsminister Hermes 10 920 -4t, Graf Kanitz 16 536 -4t, der frühere Reichsjustizminister Hergt 28 800 -4t. der frühere Landrat K e u d e l k 18 800 -ll, der frühere Reichsernährungsminister Schiele 10 920 -4t, der frühere Reichskanzler Bauer 28800 -4t In die Privatwirtschaft traten über: Luther (Bankwesen) 18285 -4t, Schiffer (Bankwesen) 24 960 -4t. Albert (Anwalt für deutsch-amerikan. Vermögensfreigabe) 21840 (jetzt in der Elektritizitätsindustrie) 15 912 -4t, Krohne (jetzt Stettiner Hafendirektor) 28800 Mark, Cuno (jetzt Direktor der Hapag) 18885 -4t; von den Letztgenannten haben einige auf ihre Pensionen verzichtet.
Die Bekämpfung der Tuberkulose durch Diät. Versuche der Bekämpfung der Tuberkulose durch eine bestimmte Ernährungsweise, die Prof. Abderhalden- Halle angestellt hat, haben ergeben, daß Knochentuberkulose und Hauttuberkulose (Aussatz) geheilt, Tuberkulose des Darms und der Lungen wesentlich gebessert wurden. Bei Kehlkopftuberkulose scheint durch das Heilverfahren noch keine Beeinflussung erzielt worden zu sein.
80 Jahre Tierschutz. Der Alte Tierschutzverein in D r e s- den feiert am 9. August sein 90jähriges Bestehen. Er ist der älteste Tierschutzverein des Deutschen Reichs und des europäischen Festlands. Der Verein wurde am 9. August 1839 von Legationsrat Freiherrn von Ehren st ein gegründer, der im sächsischen Ministerium des Auswärtigen beschäftigt war. Sein Plan, ihn ursprünglich als Landesverein wirken zu lassen, mußte nach einiger Zeit wieder aufgegeben werden, da sich der Tierschutzbewegung Schwierigkeiten entgegenstellten, weil sie noch zu neu war. Das Wirken Ehrensteins führte dazu, daß der preußische Justizminister v. Kamptz die Satzungen des Vereins und Ehrensteins Studie „Schild und Waffen gegen Tierquälerei" erbat und beides als gesetzgeberische Grundlage für zwei Tierschutzparagraphen im preußischen Strafgesetzbuch benutzte. Insofern hat der Verein bereits in seinem Gründungsjahre den denkbar größten Einfluß auf die Gestaltung des Tierschutzes im Strafrecht gehabt^
Anschuldig im Zuchthaus? Die Brüder Otto und Parck Kung in Allenstein in (Ostpr.), die im Jahr 1922 wegen Ermordung des Holzhündlers Paul Kuchenbecker aus Hohenstein zum Tod verurteilt und dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt wurden, betrieben ihr Wiederaufnahmeverfahren. Sie haben während ihrer langjährigen Zuchthausstrafe fortwährend ihre Unschuld beteuert. Jetzt ist ihnen unerwartet Hilfe gekommen. Der Berliner Kriminalkommissar Johannes Müller, der vor kurzer Zeit den Händler Baginski aus Ostpreußen überführte, dort einen Mord verübt zu haben, hat jetzt festgestellt, daß Baginski dringend verdächtig ist, auch den Mord verübt zu haben, wegen dessen die Brüder Kung verurteilt wurden.
Fmnilienkragödie. Wegen seines unheilbaren Leidens erhängte der tschechische Oberleutnant Franz Kondr in Brüx seine beiden kleinen Kinder. Darauf begingen er und seine Frau gemeinsam Selbstmord durch Erhängen.
Flugzeugabsturz. Am Mittwoch stürzte bei einem Uebungsflug in der Nähe von Pistyan (Tschechoslowakei) ein Militärflugzeug ab und bohrte sich mit dem Propeller tief in die Erde. Die Besatzung, ein Artillerieoffizier und ein Zugführer, wurden schwer verletzt.
Blinde Passagiere an Bord eines französischen Dampfers. An Bord des französischen Dampfers „Normanville" sind drei blinde Reisende entdeckt worden, die angeblich die Absicht gehabt haben sollen, in die Fremdenlegion einzutreten, und zwar zwei Deutsche, nämlich der Seemann Wilhelm Hagedorn aus Hamburg und der 24jährige Kellner Paul Hermann, sowie ein Estländer, der 28jährige Schlosser Paul Schmitt. Die Leute, die nur Wasser und Brot besaßen» sind den französischen Behörden übergeben worden.
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(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 61)
Lore-Lies war ganz Staunen. Es gab doch nur einen einzigen. Wie konnte der Großpapa da fragen. „Papas Bruder doch!" sagte sie naiv.
„Papas Bruder?-"
„Ja, Großpapa!" — Ihre Augen lachten ihn an. Sie wunderte sich über ihn. Der General wußte genug. Niemand hatte ihm davon gesagt. Was suchte er hier? — Andere Leute arbeiteten sich die Hände blutig um diese Zeit, und er saß hier und ließ sich von den Schwiegereltern seiner Schwester füttern! Das sah ihm ähnlich! — Er hatte es weit gebracht, sein Zweiter! Hatte sein Weib geschlagen — den Bruder vor die Pistole geliefert, und nun verlebte er in Dorfbach in süßem Nichtstun den Sommer. Es war beschämend, wenn man vor seinem eigenen Fleisch und Blute ausspeien mußte.
Er streifte den bequemen Liegestuhl mit einem verächtlichen Blick. Den Leuten drunten auf den Feldern und Wiesen rann der Schweiß von der Stirne, sein Herr Sohn lag hier oben und faulenzte. Es war unverantwortlich von Karl, daß er das duldete. Denn er mußte doch davon wissen. Er war erst gestern und all die anderen Tage hier gewesen. Trude mutzte sich schämen vor ihrem eigenen Manne, dah ihr Bruder sich hier satt fratz, wahrscheinlich für eine Bagatelle.
Es war ihm nur lieb, daß er ausgekniffen war. Er hatte wohl noch genug von ihrem letzten Beisammensein. Nicht eine Stunde noch hatte er bereut, was er damals getan hatte.
Als Mutier Dorfbach von den Wiesen kam, saß der General auf der großen Bank vor der Haustüre und hatte Lore-Lies auf den Knien sitzen. Ihre Augen suchten den Garten entlang. — Max hatte sich also noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können. — Wenn nur die Kleine nicht geplaudert hätte.
Aber da kam es schon, was sie im stillen fürchtete.
Kaum war der Kaffetisch unter dem Nußbaum gedeckt, sprang Lore-Lies in die Höhe und rief zu dem offenen Fenster, das die Weinreben fast verdeckten, nach oben hinauf. „Onkel Max!"
Aber kein Gesicht kam dahinter zum Vorschein.
„Ich hole ihn!" Sie lief nach dem Hause und kletterte die Stiege hinauf. Der General und Mutter Dorfbach sahen sich an. Sie rückte verlegen an ihren Schurzbändern. „Hat alles seine Zeit. Man mutz auch einmal wieder vergeben. Wir sind allzumalen Sünder, und es wäre schlecht um uns bestellt, wenn der Herrgott nicht verzeihen könnte."
„Was ich gesagt habe, bleibt!" war Ebrachs Erwiderung.
Sie sprach kein Wort darüber. Vielleicht gab es einmal eine Stunde, die ihn weicher stimmte. Da muhte man dann wieder den Hebel ansetzen. Wäre jammerschade um den Menschen, wenn er das immer mit sich schleppen mützte, datz er nicht sein dürfte, wo sein Vater war.
Lore-Lies hatte verweinte Augen, als sie wieder an den Tisch kam. „Er hat mir nicht aufgemacht, Großpapa und hat auch kein Ja gesagt. Aber ich habe schon gehört, datz er drinnen ist".
„Latz nur!" tröstete die Greisin. „Er wird müde sein!"
Das Kind staunte. „Wir haben aber seit zwei Uhr geschlafen, Tante!"
„Er war aber vormittag mit dir im Wald, Kind!"
„Eine große Leistung!" Der Spott saß dem General um den Mund.
„Für ihn schon!" sagte die Greisin und hielt die Augen fest auf ihn gerichtet. „Wenn einer zwischen Leben und Tod gehangen hat, reißt er sich auf eine Woche nicht heraus. Das will alles seine Zeit haben".
Er fragte nicht. Es war ihr ganz recht so. Sie kannte ihn besser als alle seine Kinder. Er war einer der alten Schule: eisern gegen sich selbst und gegen andere. Immer erst das Recht, dann die Liebe. — Der riß dem Sohn das Herz aus dem Leibe und warf das seine hinterdrein — nur damit der Gerechtigkeit Genüge getan war.
Wenn er jetzt etwas wissen wollte, brauchte er nur eine Frage zu tun. Tat er sie nicht, dann hatte er Zeit, darüber nachzudenken. Kam er dann nicht aus den Grund, würde er wohl kommen und Bescheid haben wollen, und den sollte er kriegen.
Wenn das Kind nicht gewesen wäre, hätten sie nun ganz schweigsam gesessen.
Zwei verschiedene Welten, aber doch zwei Menschen der alten Generation, die im Aussterben begriffen war. Die neu Heranwachsende hatte keinen Sinn mehr für die Probleme, welche die Alten erfüllt hatten. Datz der Ebra- cher Soldatenblut in sich trug und die Dorfbachschen das geruhsam Ueberlegende der Bauern, tat nichts zur Sache. Von hüben nach drüben ging eine Brücke. Die Jungen suchten danach und fanden sie nicht. Für sie lag der Ueber- gang im Nebel. Sie tasteten nur und kamen immer weiter davon ab, bis sie schließlich erkannten, daß sie völlig allein standen.
Ebrach hatte von Trude eine Karte erhalten, die er nun aus der Tasche nahm und sie der Dorfbacherin reichte.
Sie lächelten sich an. Es gab doch noch Glück in der Welt.
„Meine Kinder brauchen mich nicht mehr", sagte der General und ließ seine Augen nach dem Eezweige gehen, das leise über ihm schaukelte.
Die Dorfbacherin sah zu dem Fenster hinauf, dahinter der eine war, der ihn gebraucht hätte. Man belog sich immer selbst, glaubte entbehrlich zu sein, und es fand sich immer wieder jemand, der vor der Türe stand und Einlaß begehrte. Man brauchte nur seine Kammern aufzutun, es gab genug Hände, die gierig nach dem griffen, was man noch zu verschenken hatte. Aber man wurde geizig mit den Jahren. Dem anderen verschloß man sich. Und das war weder recht noch gut.
Als die Sonne die Wipfel des Waldes streifte, erhob sich Ebrach. Er war länger geblieben, als er gewollt hatte. Lore-Lies gab ihm noch mit der Tante eine Strecke das Geleit, dann schieden sie. Die Greisin aber hatte vergeblich auf ein gutes Wort gehofft. Kein Gruß wurde ihr auft getragen, keine Frage nach dem Sohn gestellt. „Was ich gesagt habe, bleibt!" stand in dem ernsten Soldatengesicht zu lesen.
Es brauchte eben alles seine Zeit.
Der Besuch des Generals hatte das wieder zerstört, was die Lore-Lies, ohne es zu ahnen, aufzurichten begonnen hatte. Er kam an diesem Abend nicht mehr zu Tl)cy
herunter. . . .
Fortsetzung folgt.