Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Seite 2 — Nr. 135
Das endgültige Ergebnis der englischen Wahlen
London, 11. Juni. Das Ergebnis der englischen Wahlen ist folgendes: 288 Mitglieder der Arbeiterpartei, 259 Konservative, 58 Liberale, 9 Unabhängige. 5m Wahlkreise Rugby ist die Wahl durch den Tod des Arbeitertandidaten unmöglich gemacht worden. Am 13. 5uni findet eine Nachwahl statt.
Internationale Zusammenarbeit der Polizei
London, 11. 5uni. Der Polizeipräsident Ehiappe von Paris und derjenige von Berlin, Zörgiebel, befinden sich derzeit in London, um mit dem dortigen Polizeipräsidenten Lord Byng über ein Zusammenarbeiten der Polizei der drei Hauptstädte sich zu besprechen.
Truppenbewegungen in Marokko
Paris, 11. Juni. Gegen das Gebiet von Beni Mellal, wo bedeutende Strahenbauten vorgenommen werden, sind Truppenteile der Fremdenlegion, von marokkanischen und senegalischen Schützen, Reiterei, Artillerie und Flieger zu- sammengezogen worden. Es scheint, daß die Eingeborenen sich zur Wehr gesetzt haben.
Württemberg
Stuttgart, 11. Juni. Die Kampfansage der S o - ialdemokratie. Zuber Anrufung des Staatsgerichts, ofs durch chie Sozialdemokratie gegen die württ. Regierung schreibt das Landesorgan des Zentrums, das Deutsche Volks- vlatt: Diese Aktion der Sozialdemokratie kommt für die Regierung weder so unerwartet noch so ungelegen, wie ihr« Urheber wohl glauben. Nach den Auseinandersetzungen im April dieses Jahres rechnete man mit einem solchen Schritt der Linken, und die Freude an der Sache ließ in der letzten Zeit manchen sozialdemokratischen Politiker den bevorstehenden Schritt verkündigen. In Regierungskreisen nimmt man diese Aktion in aller Ruhe auf. Die Regierungsparteien haben selbst ein Interesse daran, daß in einigen Versassungsbestimmungen, über deren Auslegung Mei- nungsverschiedenheiten herrschen,, eine Entscheidung getroffen wird. Nur hätte die Sozialdemokratie den Antrag bezüglich der Geschäftsordnung aus dem Spiel lassen sollen. Denn die Geschäftsordnung der Parlamente wird von den Ländern ganz frei und selbständig festgesetzt. Kein Staatsgerichtshof hat darüber zu befinden. Diese Auffassung hat der Reichsstaatsgerichtshof selbst bekundet, als ein Mitglied der früheren Rechtsopposition im württ. Landtag sich nach Leipzig gewandt hatte.
Skrahenbahnausbau Eßlingen bis Heuhaufen a. F. Mit Ermächtigung des Staatsministeriums hat das Wirtschafts- Ministerium die nachgesuchte Genehmigung zum Bau und Betrieb einer schmalspurigen elektrischen Straßenbahn von Nellingen über Scharnhausen nach Neuhausen a. F. erteilt. Die Dahn ist für den Personenverkehr bestimmt. Das Win- schaftsministerium bestimmt, inwieweit sie auch dem Gepäck- und Güterverkehr dienen soll. Auf der Linie Eßlingen —Nellingen—.Denkendorf ist die Beförderung von Gütern -vgelassen. Ein Schnellbetrieb zwischen nicht benachbarten Haltestellen ist nicht zulässig.
Vas Freilichttheater auf dem Bopserwald wird nach vier- fähriger Pause diesen Sommer wieder bespielt. Bei günstiger Witterung findet die erste Aufführung am 22. Juni abends 7.30 statt, und zwar geht als Eröffnungsvorstellung Shakespeares Lustspiel „Der Widerspenstigen Zähmung" pater der Leitung des Direktors Wilhelm Nagelin Szene. Direktor Nagel hat sein Personal aus Künstlern namhafter auswärtiger Bühnen zusammengestellt.
Skutkgark, 11. Juni. Der Landtag ist henke nachmittag zur Sommertagung zusammengetreten.
Mühlacker, 11. Juni. Eisenbahnunfall beim Bahnhof. Zwischen dem Turm und Stellwerk 2 entgleisten kurz nach 6 Uhr bei einer Rangierbewegung über eine Weiche zwei K.-Lokomotiven mit Packwagen. Die folgenden Güterwagen blieben unversehrt.
Tübingen, 11. Juni. 4020 Universitätsbesucher. 3509 Studenten. 115 Hörer. Die endaültiaen Be
suchsziffern im gegenwärtigen Semester an der Universität Tübingen sind folgende: Evangelisch-theologische Fakultät 823, Katholisch-theologische Fakultät 171, Juristische Fakultät a) rechtswissenschaftliche Abteilung 772, b) wirtschaftswissenschaftliche Abteilung 105, Medizinische Fakultät 668, Zahnheilkunde 158, Philosophische Fakultät 737, Mathematik und Naturwissenschaft 409, Chemie 43, Pharmazie 19, zusammen 3905. Dazu kommen 115 Hörer. Insgesamt sind es also 4020 Besucher.
Eßlingen a. R„ 11. Juni. 7 0. Geburtstag. Am 12. Juni vollendet Oberbürgermeister Dr. v. Mülberger das 70. Lebensjahr. 37 Jahre steht er jetzt an der Svitze der Stadt, um deren Entwicklung er sich sehr große Verdienste erworben hat. 18 Jahre gehörte er auch dem Landtag an.
Mergentheim, 11. Juni. Wechsel in der Leitung des Bads. Wie die Tauberzeitung hört, wurde das Vorstandsmitglied der Bad Mergentheim A.-G. und der Leiter des hiesigen Bades, Direktor Gallion, vom Aufsichtsrat der Bad Pyrmont A.-G. zum alleinigen Vorstand dieser Gesellschaft und damit zum Leiter des ganzen dortigen Kurbetriebes gewählt.
Göppingen, 11. Juni. Freilichttheater. Im Reusch, dem neuen Stadtteil wurde das Freilichttheater für das Volksstück „D'r Sonnawirtle von Ebersbach" von Max Schilling erbaut. Die Uraufführung war durch die Ungunst -er Witterung und durch die Handwerkertagung, die mit ihrer Ausstellung und dem Festzug kurz vor der Theateraufführung hemmend einwirkten, weniger stark besucht, als erwartet wurde. Die Spielleitung hatte der Verfasser des Stücks, Max Schilling.
Friedrichshasen, 11. Juni. Tödlicher Unfall. Der etwa 18 Jahre alte in Vorsee, Gemeinde Wolpertswende wohnhafte Schlossergeselle Hermann Fürst wurde auf der Straße nach Lochbruck, wo er in Begleitung eines Freundes mit dem Fahrrad fuhr, von dem rechten Kotflügel eines Autos, einem Ulmer Geschäftsmann gehörend, erfaßt und mit Wucht gegen den Randstein geschleudert, so daß er einen schweren Schädelbruch erlitt. Fürst wurde mit dem Sanitätsauto ins Krankenhaus verbracht, wo er nach einigen Stunden starb. Der Autolenker behauptet, rechtzeitig Hupen- signale gegeben zu haben.
Leichenüberführung. Gestern nachmittag wurde die sterbliche Hülle des auf dem Flugplatz Böblingen tödlich verunglückten Polizeihauptmanns Fischer mittels Auto nach Friedrichshafen übergeführt, wo dieselbe gegen 9 Uhr eintraf. Von Löwental aus gab die Polizeibereitschaft dem Verblichenen das Geleit.
Von den „blinden Passagieren" des Gras Zeppelin. Wie erinnerlich, waren 4 junge Burschen festgenommen worden, die sich in der Luftschiffhalle eingefchlichen hatten, um den Amerikaflug mitzumachen. Die Abenteurer wurden dem Amtsgericht Tettnang überliefert, wo sich nur noch einer befindet, der noch etwas anderes auf dem Kerbholz zu haben scheint. Was die anderen betrifft, so wurde der Jüngste sofort dem Jugendgericht übergeben, das ihn in die Heimat abschob, die drei andern erhielten durch Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch oder unbefugten Waffentragens Freiheitsstrafen von 18—21 Tagen.
Durchschwimmung des Bodensees
Frledrichshafen, 11. Juni. Nachdem es bereits im Sommer v. I. mehreren Schwimmern gelungen war, den Bodenfee in seiner größten Breite zu durchschwimmen, ist dieses Wagnis am letzten Sonntag zwei jungen Damen aus Friedrichshafen geglückt. Die beiden Schwimmerinnen, Angestellte der Dornier-Werke, gingen, ohne vorher irgend jemand von ihrer Absicht Kenntnis zu geben, am Sonntag früh beim Friedrichshafener Strandbad ins Wasser und durchschwammen die Strecke Friedrichshafen —R omanshorn
ohne Bootsbegleitung in etwa 5)4 Stunden. Einige Hundert Meter vor dem Romanshorner Ufer wurden sie ziemlich erschöpft von einem Boot ausgenommen, das durch Signale auf die kühnen Schwimmerinnen aufmerksam geworden war. Da sie in Friedrichshafen Kleider und Fahrräder zurückgelassen hatten, die erst abends von dem Aufsichtspersonal gefunden wurden, vermutete man zuerst einen Unglücksfall und stellte auf dem See Nachforschungen
_ Mittwoch, 12. Juni 1 928.
an. Durch ein Telegramm an die Friedrichshasener Polizei- behörde, in dem die Schwimmerinnen ihre glückliche An- kunft in Romanshorn mitteilten, wurde dann der Sachverhalt aufgeklärt.
Tagung der württembergischen Gemeinde- und Körperschaftsbeamten
Rottweil. 10. Juni. Der Zentralverband württ. Ge- meinde- und Körperschaftsbeamten, der über 11000 Mitglieder zählt, hielt hier am 8. und 9. Juni seinen 9. Ver- tretertag ab. Der eigentlichen Vertreterversammlung gingen am Samstag vormittag Fachgruppentagungen voraus.
Sehr stark besucht war ein öffentlicher Vortrag von Ober- amtsbaumeister W e n g e r - Cannstatt über den Verkehr und seinen Einfluß auf den Straßenbau. Der Verbandsvorsitzende, Oberrechnungsrat Einsele, berührte in seiner Begrüßungsansprache insbesondere die Frage der Verwaltungsreform. Auch die Gemeindebeamtenschaft sei gewillk. zur Vereinfachung und Verbilligung der öffentlichen Verwaltung beizutragen, eine solche Vereinfachung müsse aber durchaus keinen beamtenfeindlichen Charakter aufweisen, auch müsse die Öffentlichkeit davor gewarnt werden, j von der Verwaltungsreform im Reich und im Land zu große ^ finanzielle Erleichterungen zu erwarten, l Von einer 10- oder 20prozentigen Verminderung der Staats- s ausgaben könne entfernt nicht die Rede sein. Verbandsdirektor N u d i n g - Stuttgart erstattete den Geschäfts- ^ bericht. Er betonte, daß die gegenwärtige Wirtschaftslage eine weitere allgemeine Besoldungserhöhung leider nicht zulasse und daß die neue Vollzugsordnung zum Körperschaft?- gesetz beachtliche Verbesserungen gebracht habe. Der Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand mit dem 67. Lebensjahr müsse unbedingt auch für den Körperschaftsdienst gefordert werden. Bezüglich der Laufbahn-Richtlinien sollte für den Eintritt in die gehobene mittlere Dienstlaufbahn das Maturum nicht gefordert werden. Der Redner ' wandte sich weiterhin gegen die Gründung eigener Beamten - Warenhäuser. Der Vertreter des Reichsbunds der ' Kommunalbeamten und -Angestellten Deutschlands, Dr. Bartsch, sprach über wirtschafts- und finanzpolitische Fragen der Gegenwart. Am 2. Verhandlungstag wurden zwei Entschließungen angenommen.
Eine Entschließung zur Besoldungsordnung besagt u. a.t
In der einen wird die Erwartung ausgesprochen, daß von den Aufsichtsbehörden den Gemeinden eine letzte kurz« Frist für die Gehaltszahlungen gefegt werde. Die zweite Entschließung wünscht in der neuen, an sich anerkennenswerten württ. Gemeindeordnung genauere Fassungen namentlich bezüglich der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand. — Das Verbandsvermögen beziffert sich aus 136 000 Mark. Oberrechmmasrat Einsele wurde einstimmig wieder ?um Vorsitzenden gewäbft. Der nächste Ve» bandstag 1930 findet in S t ut t aa rt statt.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 12. Juni 1929.
Man muh tun aus sich, für sich und wegen sich, aber keinem andern zu Gefallen weder lassen noch tun.
Armin.
Zum Tode des Polizeihauptmanus Tischer
Das „Seeblatt" schreibt zum Tode, des in Böblingen verunglückten Hauptmann Fischer: Hauptmann Alfons Fischer war am 22. August 1890 in Landshut geboren. 1910 trat er ins Heer ein. Am Krieg nahm er als aktiver Offizier bei der Fliegertruppe teil. Nach Kriegsende kam er zur württ. Polizeiwehr, wo er als Hauptmann nach Ulm und Stuttgart kommandiert war. Als Führer der Polizeischar Weingarten genoß der Verstorbene große Sympathien. Von Weingarten wurde Hauptmann Fischer nach Friedrichshafen versetzt, wo er seit 1. Februar 1928 die Polizeibereitschaft Löwental befehligte. In der kurzen Zeit seines Wirkens ist Hauptmann Fischer weiten Kreisen Oberschwabens bekannt geworden. Die Kleinkaliber-Schützenvereine verlieren in ihm einen Führer und
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i.sciE,oLk-fockS7i.
(Nachdruck verboten).
(Fortsetzung 15)
„Es ist ihm doch nichts-?"
Es war das erstemal, daß ihre Augen in seinem Gesichte zu forschen begannen, starr und erschrocken.
„Nicht das geringste", beruhigte er, „aber es ist doch gewissermaßen eine Aufregung für ihn, — in seinem Zustande meine ich. Wenn er nun das Telegramm erhält, wird er Hals über Kopf abreisen und womöglich hier krank ankommen. So aber ist er zu Hause gut aufgehoben und hat nur die Freude, wenn wir ihm deinen Jungen ankündigen".
Ein schwaches Lächeln ging über ihr Gesicht. „Dann laß es sein, Ernst! Ja! — Du hast recht, ich will gerne alles allein tragen, wenn er dadurch geschont wird. — Bitte!" stieß sie keuchend heraus.
Er griff nach seinem Hut, lief in den Flur, zog den Schlüssel, der an der Tür steckte, ab, ließ ihn in die Tasche gleiten und sprang die dunkle Treppe hinab, das Blatt mit der Adresse krampfhaft zwischen den Fingern haltend.
„Führ mich in die Trappentreustraße, mein Junge", sagte er zu dem schmutzigen Zwölfjährigen, der drunten im Hofe seinen Kreisel tanzen ließ.
„Kostet zehn Pfennige", gab dieser zurück und musterte den eleganten Herrn in dem dunklen Jackettanzug.
„Du sollst fünfzig haben! — Aber rasch!"
Der Knabe sprang auf, warf den Kreisel in einen versteckten Winkel und trabte neben ihm her, durch ein Gewirr von Gassen und Eäßchen.
„Noch weit?" fragte Ebrach, als sie wiederum in eine Straße bogen.
„Um Liese Ecke, gleich das zweite Haus! — Bleiben Sie, Herr, ich lauf mich leichter. Es sind ein bißchen ausgetretene Stiegen hinauf zu Frau Menthorn".
„Junge, wie weißt du?"
„Ach Gott, Herr, das ist nicht schwer zu erraten, wenn man das älteste von zehn Geschwistern ist. — Alle Jahre eins, Herr! — Da lauf ich immer den gleichen Weg. Im
mer hopp, hopp, daß die Mutter nicht lange warten muß, l weil der Vater nicht Zeit hat. Der kommt erst spät abends ^ aus der Fabrik. Ich habe Sie in die Wohnung der Frau Marbot gehen sehen, und als Sie bald wieder herauskamen, da Hab ich mir gleich gedacht, wie viel's geschlagen hat."
Ebrach erwiderte kein Wort darauf. Er sah dem Jungen nach, wie er leichtfüßig die Steinstufen hinaufsprang und hinter einer Haustüre verschwand.
Zehn Kinder, hatte er gesagt. — Alle Jahre eins! Er war das älteste. Die Reife, die er besaß, hatte ihm das Leben selbst vermittelt ohne jeden Winkelzug. Der Knabe war nicht verdorben dadurch, seine Augen waren noch die eines Kindes. Er fand es natürlich, so ganz in der Ordnung, wie die Dinge sich entwickelten.
Ebrach gedachte seiner toten Mutter. Wie liebevoll hatte sie ihm das Geheimnis seines Lebens entschleiert, als er sie einmal darum frug, woher die Kinder der Menschen kämen. Wie zartfühlend und mit welcher Liebe war sie dabei vorgegangen, daß er vor ihr niedergestürzt war und ihr die Hände geküßt hatte — immer und immer wieder. „Mutter, ich danke dir, daß du mich geboren hast — — ich danke dir!" Und wie hatte er sie geliebt von diesem Tage an. Er glaubte, früher wäre das gar nicht Liebe gewesen, nur Egoismus. Nun aber wußte er, daß er eins mit ihr gewesen war, von Anbeginn.Ein Teil ihrer selbst. Mit tausend Freuden empfangen, mit unendlicher Liebe unter ihrem Herzen getragen, mit Schmerz und Jauchzen an ihrer Brust zum Leben erwachend . . .
„Mutter!" — Er sah hastig zur Seite und fuhr sich über die Augen.
Atemlos kam der Junge gelaufen. „Sie ist nicht zu Hause. Vor einer Stunde ist sie weggegangen. Aber das macht nichts", setzte er auf Ebrachs erschrockenen Blick hinzu. „Ich weiß noch eine — auch gleich hier in der Nähe. Bleiben Sie noch ein bißchen, Herr, ich hole sie".
Ernst sah ihn resigniert an. „Und wenn die wieder nicht zu Hause ist?"
„Die ist daheim", versicherte der Knabe. „Das ist noch eine junge, die hat noch nicht viel Kundschaft".
In der nächsten Minute war er weg. Im Verlaufe der weiteren fünf, die nun folgten, war er mit einer jungen, sympathischen Frau zurück, die ohne zu fragen, neben ihm herging.
„Hab keine Angst, Trude", sagte er, als er mit der Fremden in den Flur trat und in die verschwollenen Augen der Schwester sah. „Ich bleibe hier, bis alles vorüber ist, und regle alles", versprach er, als sie den Mund zu einer Frage austat. „Du sollst dich um gar nichts sorgen ! jetzt".
Die Fremde legte den Arm um Trude und zog sie mit sanfter Gewalt in ihr Zimmer.
Er hörte ein leises Sprechen und ab und zu ein Stöhnen Trudes, als es zu laut wurde, flüchtete er in die dunkle Küche und lehnte sich gegen den kleinen Tisch.
„Wer brachte es ihr bei? — Wie konnte man ihr schonend sagen, was sie doch einmal wissen mußte? — Wenn sie wieder fragte, welche Antwort sollte er ihr geben? — Auf die Dauer ließ es sich nicht verheimlichen, nur für die Stunden, bis das Aergste vorüber war.
Seine Hände streiften einen Zettel zu Boden, den er aufnahm und wieder auf die Platte des Tisches legte. Ohne es zu wollen, entzifferte er die Buchstaben und drückte die Hand über die Augen.
Zu spät! — Arme, kleine Trude! — Zu spät! —
In der Stunde ,in der sie ihr Herz bezwang, für den Geliebten zu bitten, hatte vielleicht ein anderer bereits über sein Leben entschieden.
Die Klingel surrte rasch. Es war ein fester, energischer Druck, der sie in Bewegung setzte. — „Rita!" —
Was wollte sie? — Sie hatte sich doch zuerst gesträubt, mit hierherzukommen, in diese Armeleutewohnung, wie sie sagte. Was bewog sie nun, es doch zu tun? — Sollte schon Nachricht von zu Hause eingetroffen sein, daß alles vorüber war? —
„Alles vorüber!" — Von drinnen hörte er Trudes bittende Stimme. Aber er unterschied die Worte nicht. Es klang nur ein Flehen um Hilfe aus jedem Ton.
Als er die Tür öffnete, trat er erstaunt zurück. Max stand vor ihm, den Hut in der Hand, auf der Stirn dm« Schweißtropfen, die er mit seinem Taschentuch wegtupste. „Teufel noch einmal! Solch ein Getrappel da herauf m dem finstern Loch. — Und diese Luft! — Der ganze Hhl ein Zwinger. Jetzt begreife ich, woher der Marbot ore Schwindsucht gekriegt hat!" — Dann ein eilmes Atemholen und die rasch hingeworfene Frage: „Was macy Trude?"
(Fortsetzung folgt)