Seite 3 Nr. 118

NagolLer TagblattDer Gesellschafter"

Donnerstag, 23. Mai 1929

Abschluß der Reichsjugendtagung in Stuttgart

ii.

«r Stuttgart. 22. Mai.

ep. Der Pfingstmontagvormittag war ernster Arbeit ge­widmet. In 14 Arbeitsgruppen wurden unter der Leitung von Fachleuten und Führern des Werks Fragen der Gegen­wart in der Jungmännerarbeit besprochen.

Beim fröhlichen Nachmittag auf dem Bärenschlößle herrschte überall ein munteres, volksfestmäßiges Treiben. Die Tausende von Gästen hatten reiche Gelegenheit, das Spiel und den Sport der Turner, humorvolle Laienspiele, ein buntes Pfadfinderlager zu sehen oder den Klängen der Posaunen- und Männerchöre zu lauschen. Fünf Wald­kanzeln waren für die kurzen Gottesdienste errichtet-

Mit einbrechender Dunkelheit nahm das fröhliche Trei­ben ein Ende. Die Teilnehmer reihten sich zum Fackel- zu g, der sich durch die Stadt zog und auf dem Schloßplatz mit einem Fackelschwingen von 200 Turnern vor einer dichtgedrängten Zuschauermenge ein erhebendes Ende fand. Reichswart v. Stange sprach noch einmal vor feiner Jugend.

Bei der öffentlichen Sitzung der Reichsvertre- tung am Dienstag vormittag grüßten die Vertreter des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses und der würt- tembergischen Landeskirche, des Staatspräsidenten, des Kult- und Innenministeriums, des Oberbürgermeisters und der Stadt Stuttgart, sowie des Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände. Reichswart l). St an g e dankte mit warmen Worten und faßte seinen Bericht über die Arbeit unter die Frage:Sind wir bereit?" Der Vortrag war durchdrungen von dem starken Verantwortungsbewußt­sein evangelischer Jugendarbeit gegenüber der gesamten deutschen Jugend und getragen vom ernsten Willen, in be­weglicher Formgestaltung neue Wege zum gesteckten Ziel ju suchen.

Unerbetene Einmischung der Württ. Ortsvorsteher- Lereiiiigung bei Ortsvorsteherwahlen

Stuttgart, 22. Mai.

Der volksparteilicheSchwäbische Merkur" nimmt gegen die Einmischung der Bereinigung in Ortsvorsteherwahlen Stellung und gibt dem Vorstand, dem volksparteilichen Ab­geordneten Rath-Lustnau folgende Lehre: Die Orts­vorstehervereinigung hat in Fällen, wo die Wiederwahl des bisherigen Ortsvorstehers wirklich gefährdet schien, Gegen­bewerber durch öffentliche Erklärungen von der Kandidatur abgeschreckt oder gar durch die Zwangsmittel ihrer Ver­einigung zur Zurücknahme ihrer Bewerbung genötigt; und das hat in der Öffentlichkeit erhebliches Aufsehen erregt. Damit wird natürlich die freie Entscheidung der Gemeinden unterbunden und die Absicht des Gesetzes vereitelt Wenn die Mehrheit des Volkes die Aufhebung der Lebenslänglich- keit und die Möglichkeit, im Notfall zu wechseln, gewollt oder Lurchgesetzt hat, ist es undenkbar, daß die Standesorgani- ation durch ihren Einfluß auf ihre Mitglieder die Durch- ührung dieser Möglichkeit in der Praxis vereitelt. Sie müßte, wenn sie auf solchem Wege fortschritte, bald zum ernstlichen Schaden ihres Standes aus Grenzen ihrer Macht stoßen. -

Aus Stadt und Land

Nagold, den 23. Mai 1929.

Viele Leute wissen nur von dreierlei zu reden: was die andern für schlechte Menschen sind, was sie selber Großes geleistet haben und was sie alles lei­den und tragen müssen.

*

Höflichkeit

Es kommt vor, daß man glaubt, Menschen nach ihrem ersten Eindruck aus der Ferne beurteilen zu können. Das ist aber oft ein Reinfall. Läuft doch jeden lieben langen Tag eine Sorte von Menschen auf dieser Welt umher, die andere Menschen als gar nicht vorhanden betrachtet. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie diegute Erzieh­ung dieser lieben Leute sich darin ausdrllckt, zu denken, sie wären etwas Besonderes. Ich sitze neulich im Hotelsaal und denke über die Geduld der Uhr nach, das ihr vorge- gezeichnete Schneckentempo innezuhalten. Da steuert ein Jüngling auf meinen Platz zu, sieht mich groß an, pflanzt sich mir gegenüber auf einen Stuhl, steht mich wieder an und fängt an zu essen und zu trinken. Sagt man nicht auch fremden MenschenGuten Tag", wenn man sich an ihren Tisch setzt? Man kann aus diesem Einzelfalle, der sich täglich dutzendweise wiederholt, allerhand Lehren zie­hen!

Der gute Knigge hat seinenUmgang mit Menschen" nicht um bloßer Formen willen geschrieben, sondern weil das Verhältnis der Menschen untereinander ein wichtiger Grundstein für die Kultur eines Volkes ist. Wir machen uns um ein warmes Gefühl ärmer, wenn wir als Fremde unter Fremden herumlaufen. Wir spüren nicht mehr den Hauch einer lebensvollen Gemeinsamkeit, wenn wir die Höflichkeit aus unserem Leben streichen.

Höflichkeit ist schließlich ein Wert, auf den wir nicht verzichten können. Achtung vor dem Menschentum das ist doch der letzte Sinn der Höflichkeit. Und höfliche Men­schen sind wahrlich reicher in der Achtung vor dem Näch­sten als diejenigen, die sich fremd und gleichgültig ab­schließen von der Gemeinsamkeit einer Volkskultur.

Es würde nicht schaden, wenn Knigge wieder überall dort zu Ehren käme, wo die Menschen ihn nicht nur um der Formen, sondern noch mehr um des Kulturgutes der Herzensbildung wegen vergessen haben!

Unsere Heimat Nr. 5.

Es ist eine alte Geschichte, daß vor mehr als 100 Jah­ren überall in den verschiedensten Gegenden von Deutsch­land das Jaunertum blühte, besonders auch in Ober­schwaben. Den Kampf gegen das Jaunertum hat hier oben aufgenommenen der sog.Malefizschenk, Franz Ludwig Schenk von Castel, Reichsgraf zu Oberdischingen. Von ihm Näheres zu erfahren, ist geschichtlich interessant und menschlich sehr unterhaltsam und anziehend.

*

Altensteig, 22. Mai. Zusammenstoß. Auf der unteren Talstraße kamen letzter Tage bei der Zementbrücke ein Auto, Motorradfahrer und Radfahrer schwer ins Ge­dränge, als sie aneinander vorüber wollten. Dabei stürzte Motorradfahrer und Beisitzer und erlitten Verletzungen und Schürfungen.

Berneck, 21. Mai. Gestürzt. Am Pfingstmontag wurde ein hiesiger Bürger, als er mit seinem Fahrrad von hier nach Altensteig fahren wollte, in der Talstraße von einem Auto von hinten angefahren und zu Boden geworfen, wobei derselbe einen Armbruch davontrug. Der schuldige Autoführer ist, ohne sich um den Verletzten zu kümmern, unerkannt davongefahren.

Freudenstadt» 22. Mai. Ein schlechter Streich. Am Pfingstsonntag abend wurde zwischen Mitteltal und Obertal eine frevelhafte Tat verübt, indem gegen die Vorderschutzscheibe des Postautos, Obertal an 21.35, ein Granitstein geworfen wurde, der die Scheibe zertrüm­merte und neben dem Chauffeur in das Auto fiel. Wäre der Chauffeur getroffen oder durch Elassplitter im Gesicht oder Auge verletzt worden, hätte großes Unglück die Folge dieses schlechten Bubenstreiches sein können. Es soll sich übrigens, was den Täter anbelangt, um einen ver­heirateten Mann gehandelt haben.

Frcudensiadk, 22. Mai. Grundstücksverkäufe. Die Erben der Villa Kaulla verkauften ihre an der Lauter­bader Straße gelegene Villa mit einem 6 Ar großen Bau­platz an Otto Böhringer, Glasfabrikant, um 41 500 M. Ein zwisch^r diesem Grundstück und dem des Franziskaner­ordens gelegener Platz ging um 28 000 M an letzteren über. Damit hat der Orden ein schön arrondiertes Areal und kann das beabsichtigte große Kurhaus bauen. Stadtschultheiß Dr. Blaicher verkaufte sein an der Ringstraße gelegenes Anwesen an Holzhändler Rothfuß vom Kniebis um 40 000 Mark.

Hirsau» 22. Mai. Pfingsten in Hirsau. Der diesjährige Pfingstverkehr wurde schwer beeinträchtigt durch die mehr als ungünstige, naßkalte Witterung. Darunter mußten selbstverständlich die ersten Aufführungen unserer Klo­sterspiele schwer leiden, und die Leitung besann sich

Rückkehr des

Kapitän Lehmann meldete am Mittwoch vormittag aus Cuers, das Luftschiff sei fahrtklar. Er wurde darauf von Dr. Eckener beauftragt, das Luftschiff am Donners­tag früh nach Friedrichshafen zu führen, wo es abends eintreffen dürfte.

Außer vier Fahrgästen werden auf Einladung Dr. Ecke- ners noch 7 französische Marineoffiziere und Marine­ingenieure, darunter der Kommandant des Flugplatzes Cuers, Hamont, sowie aus Paris zwei Beamte des Luft­fahrtministeriums, Kahn und Leutnant zur See Per- queur, die Fahrt nach Friedrichshafen mitmachen.

*

Prof. Dr. Krell-Berlin glaubt das Versagen der drei bezw. vier Motoren auf Ermüdungserscheinungen zurück­führen zu dürfen, die möglich seien, wenn auch die Zahl der Betriebsstunden (2000) noch lange nicht erschöpft gewesen sei (nur 600). Die Möglichkeit nehme dadurch zu, daß die Drehzahl schon bei der Fahrt nach Wien, wie es scheine, wesentlich gesteigert worden und der gefährlichenkritischen Drehzahl" bedenklich nahe gekommen sei. Die Unterweisung durch den Konstrukteur (Maybach) an den Kommandanten (Dr. Eckener) über die Gefahr der Annäherung an die kri­tische Drehzahl scheine bei der Amerikafahrt versäumt oder vom Kommandanten nicht beachtet worden zu sein, sonst hätte er nicht nach dem Ausfall des ersten Motors die Dreh­zahl der übrigen erhöhen lassen. Auch die geplante Not­landung bei Balence oder im Drometal ohne auffangende Hilfe sei zu tadeln. Wenn Dr. Eckener dem Nordpolforscher Nansen versprochen habe, auf festem Eis bei Wind zu lan­den, so glaube er, Krell, nicht an die Möglichkeit einer sol­chen Landung ohne Gefährdung des Luftschiffs.

Von einer tollkühnen Verwegenheit Dr. Eckeners hat

am Pfingstfest ernstlich, ob sie überhaupt spielen lassen soll oder nicht. Und doch entschloß sich die Geschäftsführung und der unermüdliche künstlerische Leiter, Schauspieler Heinle von Pforzheim, in letzter Minute noch, eine Aufführung zu geben und sie sogar zu wiederholen. Trotz der Ungunst der Verhältnisse gelang sie sehr gut, gab doch jeder der Mitwirkenden sein Bestes. Das Stück selber spielt am Ende des 11. Jahrhunderts und stellt uns hin­ein in die Zeit des Jnvestiturstreits, in den Kampf um weltliche und geistliche Macht. Auf der einen Seite stehen König Heinrich IV. und seine Anhänger, darunter der Graf von Calw, auf der andern Seite Papst Gregor VII., Abt Wilhelm von Hirsau, der Eegenkönig Rudolf von Schwaben und andere. Im Verlauf des Spieles erleben wir packende und ergreifende Szenen. Kein Wunder durf­ten die Darsteller samt den Statisten lebhaften und freu­digen Beifall der Zuschauer entgegennehmen, die sich durchweg anerkennend über das Klosterspiel aussprachen. Ein düsteres, fast unheimliches, aber innerlich packendes Bild bieten die Totentänze im Kreuzgang. Es sind Bilder vom Leben und Sterben der Menschen. Die Dar­stellung in der gespensterhaften Beleuchtung läßt sich kaum beschreiben, man mutz das schon selber gesehen und miter­lebt haben. Der Tod holt sie alle, den Vogt, die Kräme­rin, den Bettler, den Landsknecht, Mutter und Kind, die Buhlerin, den Kaiser und den geistlichen Herrn. Jede Szene ist packend und ergreifend. Nichts spricht mehr für die innere Ergriffenheit der Zuschauer als die atemlose Stille, die während des ganzen Spieles herrscht. Wahr­lich, eine eindrucksvolle Predigt, der sich nicht jemand ent­ziehen wird.

An sonstigen Veranstaltungen über die Feiertage sind zu nennen das Promenadekonzert des hiesigen Musikvereins am Pfingstfest in den Kuranlagen, das Eröffnungskonzert am Pfingstmontag nach­mittag, ausgeführt von der Kurkapelle unter Leitung von Theaterkapellmeister Hornickel aus Pforz­heim.

Aus aller Welt

Der Prozeß gegen Menschenfresser von Moldawa. Am 21. Mai begann in Kaschau (Tschechoslowakei) der Prozetz gegen 17 Zigeuner und 2 Zigeunerinnen, die wegen 6 Raub­morden, verschiedener Rcmbtaten usw. angeklagt sind. Wei­tere 14 Morde konnten ihnen nicht nachgewiesen werden. Die Zigeuner haben ihre Opfer jeweils auch gekocht und verzehrt. Das Gesetz und die Anklage kennt keine Ver- brechen der Menschenfresserei, daher wird von diesen Scheußlichkeiten, so erschwerend sie sind, im Prozeß keine Rede sein. Die tschechoslowakische Regierung hat überdies ein Interesse daran, den Prozeß so unauffällig als möglich zu machen.

Verbot des Schönheitswettbewerbs in Italien ein« nachahmenswerte Anordnung Mussolinis. Das italienisch« Ministerium hat in einem Rundschreiben an die Regierungs­präsidenten der Provinzen die Veranstaltung sogenannter Schönheitswettbewerbe, bei denen eine .Königin' oder .Prinzessin' gewählt wird, als Unfug verboten. Der­artige Veranstaltungen seien nur geeignet, die weiblich« Eitelkeit in gefährlicher Weise anzustacheln und seien zu-

Graf Zeppelin"

man bis ietzt noch nichts oehört. Aber vielleicht weiß es der Herr Professor in Berlin besser.

»

Für die Rückfahrt desGraf Zenpslin" von Amerika nach DeMschsand ist bi-; jetzt keine Buchung rückgängch gemacht worden, dagegen haben sich zwei weitere Fahrgäste ang-m-ldet. Das Vertrauen in die Fabrtsicherheit des Luft- imiffs hat sich also nicht vermindert. Da aber seine gan-e Moschmenlmlclcie rn Fnebr'chshafen grün^l'ch durchgeprüft wird dürfte die Amerikafahrt nicht vor 3 Wochen vor sich gehen.

Dr. Eckener übernimmt doch die Führung des Luftschiffes.

Friedrichshafen, 22. Mai. Entgegen der heute Vor­mittag ausgegebenen Mitteilung des Luftschiffbaues Zep­pelin wird Dr. Eckener, wie er heut» Abend kurz nach 6 Uhr mitteilte, doch nach Toulon bezw. Cuers zurückfah- ren und zwar veranlaßte ihn dazu ein Telegramm, das er soeben von Kapitän Lehmann aus Cuers erhalten habe und das den Wunsch ausdrückt, Dr. Eckener möge die Führung von Toulon nach Friedrichshafen selbst überneh­men. Infolgedessen ist Dr. Eckener noch gestern Abend 7 Uhr in Begleitung von Graf Soden im Auto nach Zürich abgereist. Von dort aus wird er die Reise nach Toulon im Schnellzug fortsetzen. Er wird also am Donnerstag nach­mittag in Toulon eintreffen. Der Aufstieg des Luftschif­fes zur Fahrt nach Friedrichshafen wird somit nicht mehr in den Morgenstunden des Donnerstag, sondern wahr­scheinlich erst am Freitag früh erfolgen. Sollte diese Startzeit eingehalten werden, so dürfte das Luftschiff ge­gen Freitag Abend in Friedrichshafen eintreffen.

Im Ksssouront-

Im ttronksnrimrnsn

-Im krmili'snt'iscH

Osim SpOnt'

^ikvidocbk

Lituerling

Inmouer

äpollo-

Zpructel

^cinackep

l'

V, « ,

Ooldene Ltaatsmedaille

Interessen-Onternelimen des ttotel- und Qsstivirtsgewerbes

Vertreter an allen plätrs