Seite 2 Nr. 188

Ragoldcr Tagblatt »Der Gesellschafter

Auslösung der Fideikommisse. Der Rechtsausschutz des Landtags nahm heute die zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Auflösung der Fideikommisse vor. Nach Art. 3 Abs. 4 (Regelfall der Auflösung) soll nach dem An­trag des Abg. Dr. G öz das Fideikommißverinögen 30 Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in der Hand der gegenwärtigen Inhaber freies Vermögen werden. Justiz­minister Beyerle stimmte dem Antrag zu. Der Antrag Göz wurde mit 5 Ja gegen 4 Nein angenommen. Im übrigen gab es noch verschiedene kleinere Aenderungen.

Eingaben au den Landtag. In der Zeit vom 11. März bis 17. April sind an den Landtag 43 Eingaben gerichtet worden.

Gemeindeanteile an der Einkommen-, Lörperschasts- und Umsatzsteuer. Die Staatshauptkasse hat heute den Gemeinden überwiesen: 1. als Abschlagszahlung auf die Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer-Anteile für 1929 0,16 RM. auf den Kopf der Wohnbevölkerung: 2. als vorläufige Schlußzahlung auf die Umsatzsteueranteile für 1928 0,08 RM. auf den Kopf der Wohnbevölkerung. Auf die Anteile für das Rechnungsjahr 1928 sind hiemit insgesamt abschlägig überwiesen worden 2,91 RM. auf den Kopf der Wohn­bevölkerung.

Das neue würlk. Landesschulgeseh. Dem Lehrerbeirat ist der Entwurf des neuen Landesschulgesehes zugegangen. Der Lehrerbeirat wird Ende Mai in besonderen Sitzungen den Entwurf durchberaten. Vorher wird der Gesamtvor­stand des Württ. Lehrervereins ebenfalls dazu Stellung nehmen.

Gedenksteinweihe für das Württ. Sanikäkskorps. Am Himmelfahrksfest wurde auf dem Waldfriedhof das Ehren­mal für die über 800 Gefallenen des Kgl. Württ. Sanitäts­korps 1914/18 in Anwesenheit einer großen Zahl von Fest­esten und ehemaliger Angehöriger des Korps feierlich ge­weiht. Nach einem Choral hielt Oberregierungs-Medizinal- rak und Generalarzt a. D. Dr. Faißt die Meiherede. Bei der Mobilmachung eilten 77 aktive württ. Sanitätsoffi­ziere, 233 Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes. 588 Spilal- und Militärärzte, 131 Felduntrrärzte, zusammen 1055 auf ihre Posten. Unter Generalarzt Dr- Lasser wur­den 4 Sanitätskompagnien, 16 Feldlazarette. 1 Kriegs- und 1 BereinÄazarett mobil gemacht. 3m ganzen fielen 42 Sanitäts­offiziere, 1 Zahnarzt, 2 Apotheker, 260 Sanitütsunteroffiziere. 44 Krankenwärter, 125 Krankenträger. 244 Hilfskrankenträ­ger, 56 werden vermißt.

Lab Mergentheim. 10. Mai. Gasversorgung. Der Ecmeinderat beschloß, die Gasversorgung durch einen G.m.b.H.-Vertrag zu erstreben. Bei einer etwaigen Gruppengasoersorgung, die auch noch Lauda und Tauber- bifchofsheim umfassen würde, soll das Gaswerk nach Mer­gentheim kommen. Es liegen zwei Angebote vor. Eine Thüringer Gesellschaft veranschlagt die Gasversorgung mit Lauda und Tauberbischofsheim auf 800 000 -ll, eine Heidel­berger Gesellschaft will die Gasversorgung von Mergentheim allein mit 500 000 -K einrichten.

Tübingen. 10. Mai. Todesfall. Kunstgärtner Guido Beischle, der an der Waldhäuserstraße eine mustergültige Gärtnerei betrieb» die er aus kleinen Anfängen heraus zu einer stattlichen Anlage entwickelte, ist im Alter von 85 Jahren verschieden.

Eßlingen a. R.. 10. Mai. Industrieverband und städtischer Etat. Die Mitgliederveersammlung des Jndustrieverbands für Eßlingen hat sich besonders mit de-m städtischen Etat beschäftigt. An dem städtischen Haushalts­plan wurde fcharse Kritik geübt, vor allem an dem übergroßen Beamtenapparat, den Eßlingen zu tragen hat. und die damit verbundenen Kosten. Die Besoldungs- liste weise Gehälter auf, die übermäßig hoch sind. Ge­hälter, wie sie Oberbuchhalter, Obersekretäre, Inspektoren. Oberinspektoren, Oberkontrolleure in der Stadtverwaltung erhielten, werden in der Industrie nur ganz wenigen her­vorragenden Kräften bezahlt, die nicht, wie die Beamten, auf Pensionierung zu rechnen haben. Die Lage der Industrie wird durch die wachsenden Belastungen, zu denen auch im wesentlichen die Umlage gehört, von Jahr zu Jahr schlechter. Etwas mehr kaufmännischer Geist wäre dem Stadtkollegium wohl zu wünschen. (Die Umlage ist auf 26 v. H. erhöht worden.)

Reckarsulm. 10. Mai. Neuer Abt. Zum Mt des Benediktiner-Klosters Neuburg bei Heidelberg wurde Pa­ter Adalbert Graf v. Neipperg ernannt. Er ist der 3. Bruder des jetzigen Schloßherrn in Schwaigern. 3m Kloster Beurvn war er lange Zeit Klerikerpräfektor und Moral­professor.

Metzstetten OA- Balingen, 10. Mai. Bon einer Kuh zu Tode gedrückt. Am Mittwoch wollte der 57 3. a. Bauer und Gemeinderat Gottlieb Kiesinger eine Kut­in den Farrenstall verbringen. Etwa 25 Meter von seinem Haus entfern! sprang die Kuh gegen ihn und drückte ihn über eine 70 Zentimeter hohe Mistlegemauer. Die sofort herzugeeilten Nachbarn zogen die Kuh von Kiesinger wcg- konnten aber zu ihrem größten Schrecken nur noch den Tod des Mannes feststellen.

Leutkirch. 10. Mai. Bielbegehrter Posten. Zur Stadtbaumeisterwahl sind 41 Bewerbungen, darunter 19 aus Württemberg, eingegangen. Unter den Bewerbern be­finden sich nicht nur Baumeister und Wasserbautechniker, sondern auch Diplomingenieure, Stadtbauräte und Regie­rungsbaumeister.

Boa der bayerischen Grenze, 10. Mai. Goldmün- en aus dem 30jährigen Krieg. Aus einem Acker vi Weinried fand ein Mädchen zwei kleine Bleigefäße, die Goldmünzen aus der Zeit des 30jährigen Kriegs ent- hielten.

Aus Ltadt und Land

Nagold, den 11. Mai 1929.

Sollt' aller Irrtum ganz verschwinden, so war' es schlimm, ein Mensch zu sein.

^ Christ. Fürchtegott Eellert.

Zum Muttertag

Wer wohl den ersten Gedanken an einen Muttertag hatte? Gewiß ein Mensch, der einmat erbebte unter dem tiefen Gehalt des Wortes Mutter, dessen Herz dabei in Dankbarkeit. Wehmut oder Reue erzitterte. Oder ein Mensch, dessen Herz innerlichst erschrak über eine Entwicklung unserer Zeit, die immer weiter weg von der Mutter führt. 3n wie viel tausend Fällen ist die heutige Frau unter der Notlage der Verhältnisse, aber auch unter dem Einfluß des herrschenden Zeitgeistes in erster Linie die Frau des Berufs, der Gesellschaft, der Mode: erst in zweiter und dritter Linie steht sie als Mutter. Ein heißes Erschrecken muß den Menschen erfassen, der die Tragweite dieser Entwicklung sieht. , ...

Ich habe noch eine Mutter und in ihrer Person verkör­pert sich mir eine unaussprechliche Fülle von Güte, Fürsorge, liebevollster Selbstlosigkeit. Ausbildung und Beruf haben mich seit meiner frühen Jugend räumlich von ihr getrennt. Und doch die Erinnerung an sie, ihr Wesen, das den Namen Mutter mit Leben füllt, wirkt veredelnd, beschämend. Wo findet sich in unserem Wesen diese Selbstlosigkeit in der Hingabe? Wie soll ich nur Worte finden, um diese edle Mutterliebe zu schildern? Ich kenne kein schöneres als das unserer schwäbischen Dichterin Anna Schieber:

Die Mütter sind

nun einmal so: sie rechnen nicht mit uns, und für ein Meer von Liebe wollen sie nichts als ihr Teil an unserer Lebenslast."

Darum ihr h n e, die ihr noch eine treue Mutter habt, windet euren Müttern Kränze der Dankbarkeit und der ver­geltenden Liebe! Im Verkehr mit dem anderen Geschlecht aber vergeht nie, daß dieses das Geschlecht eurer Mutter ist. Den mütterlichen Sinn achtet als das höchste menschliche Erbe! Denn rechte Mütter sind Königinnen.

Ihr Töchter aber geht in euch! Ich kann nur sagen: werdet Mütter! Das könnt ihr. auch wenn euch die leibliche Mutterschaft verjagt bleibt. Diese ist und bleibt ein Gottesgeschenk, das man nicht leichtfertig erzwingen kann. Um diese Mütterlichkeit ringet, die Balsam ist für brennende Wunden, die selbstlos und rein für alle da ist, die ihrer bedürfen, die den Gistzahn einer brutalen 3chwelt ausbricht und sie bester! durch hingebungsvolle rettende und vergebende Liebe. Dazu seid ihr berufen. Darin liegt eure Bestimmung. An rechten Müttern kann ein Volk genesen, ohne sie wird es zugrunde geh-n.

Schwarzwaldvereinsausfiug a» Himmelfahrt zur Kirschenblüte ins Remstal

Man schreibt uns:

Eine stattliche Anzahl von beinahe 30 Mitgliedern hatte sich zu diesem Ausflug zusammengefunden und Punkt halb 7 Uhr fuhren wir in schneidigem Tempo mit dem bequemen Reiseomnibus der Firma Benz L Koch Herrenberg zu. Wenn auch der Wettergott kein gerade freundliches Gesicht machte, war die Stimmung doch eine ganz gute, so daß das Ziel in­

Samstag, 11. Mai lg-zg.

folge der Unterhaltung und landschaftlichen AbweMluna erre.cht war Die Fahrt ging über Hildrizhausen" Weil Im Schonbuch, dann über die Filderorte Echterdinqen Pi e» ? gen, Nellingen. Wahrend dieser Fahrt hatten wir eine ladtt lose Fernsicht auf die chwäbischen Albberqe Fetzt aina<- unter in- Neckartat da lag Gingen in ei.. MtLeer^ bettet, durch das sich der Neckar bewegte. Nachdem Eklina-n durchquert war, wurde um 9 Uhr das Jägerhaus erreicht Von hier aus wurde sofort d.e Wanderung angetreten, wir mo, schielten zunächst durch einen Wald und nach 20 Minuten ^ traten wir das Kirschenland bei Schanbach. Dieser Ort bald hinter uns und wir gelangten durch das berühmte Kir schenwaldchen nach dem von einem Obstbaumwald umrahmt^ Strümpfelbach. Trotz der vorgeschrittenen Zeit war der An blick der Blüten noch prachtvoll. In Strümpfelbach machten wir eine Vesperpause und versuchten den dortigen Rebensaft Nun wurde der Weg nach Schnait unter die Füße genommen Nachdem eine Höhe, von welcher aus man eine herrliche Aus­sicht ins Remstal hatte, erklommen war, erreichten wirack 1 Uhr den bekannten, oielbesuchtenKirschen- u.Weinort Schnait welcher eine liebliche Lage in einem Seitental der Rems zwischen Wein- und Waldbergen des Schurwaldes hat hier ist der Meister des schwäbischen Volksliedes Friedr. Silcher ge­boren. Die Magenfrage wurde imOchsen" aufs beste gelüst Das Mittagessen schmeckte allen vorzüglich und dazu selbstver^ stündlich auch der Schnaiter. Wie ihm zugesprochen wurde wird nicht verraten, auf alle Fälle war alles in bester Stim­mung. Um 3 Uhr sollte der Marsch weitergehen, doch stehe da es regnete. Petrus hatte einen Hahnen zu viel und zu lana geöffnet. Also wurde um 4 Uhr weitergefahren nach Steinreinach, wo ein Mitglied Bekannte getroffen hatte. Do« wurde die im 30jährigen Krieg von den Schweden zerstörte Kirche, wovon noch die Mauern u. der Turm stehen, besichtigt Immer noch regnete es seinen Lauf und das immer noch köst­liche Naß konnte die Stimmung nicht trüben. Etwa um 8 Uhr hatten wir das Remstal verlassen und erreichten nach einem kleinen Aufenthalt in Stuttgart um halb l2 Uhr die Hernml- stadt. Aus wars; wir hoffen für die Psingsttour begeres Wet­ter und die gleiche heitere Gesellschaft wie zur Kirschenblüte.

Konzert an der Nagoldpromenade

Soweit ists nun glücklich gekommen, daß wir als OA,- Stadt uns freuen müssen, wenn aus kleineren Städten und Orten unseres Bezirkes Kapellen kommen, um uns mit einem Promenadekonzert zu erfreuen. Diesmal ist es die Stadtkapelle Altensteig, die nach einem Ausflug über Walddorf und Rohrdorf um die Mittagsstund«, wahrscheinlich zwischen 1112 Uhr, an der Korrektion konzertieren wird. Die Kapelle steht unter der Leitung ihres bekannten Kapellmeisters Maier, der mit seiner Kapelle weit und breit einen guten Ruf besitzt. Nachmit­tags spielt die Kapelle, so wie es im Anzeigenteil ange­geben war, im Saalbau zum Löwen.

Unsere »Feierstunden"

bringen auf dem Titelblatt einen Schäfer in der Mans- felder Schäfertracht mit seinem Hund, sodann: Die klei­nen Gebirgler, Halbinsel Jseltwald, Die Explosionskata­strophe in Nürnberg, Das größte Schiffshebewerk, Sven Hedin auf dem DampferResolute", Beisetzung Prinz Heinrichs von Preußen, Die Erneuerung des Dresdener Zwingers, Die neue Stadthalle in Mühlheim a. Ruhr, Mutter und Kind aus dem Maienwald schreitend, Deutschlands erster Wasser-llmsteigebahnhof usw. Auch des Muttertages gedenkt unsere Bilderbeilage vor allem durch die ArbeitenMutter" undDeutscher Mutter­tag".

Unterhaltung und wissen'

enthält:

Zum Muttertag 1828

Deine Mutter

Mutterliebe, Skizze

Traum, Eine Mutter-Skizze

Das Ende des eisernen Zeitalters

Paul Eifings Schicksal, Skizze

Das liebe, liebe Publikum

Horb, 10. Mai. Schon wieder ein Todesopfer der Bildechin­gersteige. Der Landwirt Adam aus Sielmingcn, der an der Bildechingersteige bei einer Autofahrt infolge Versagens der Bremsen vor 10 Tagen verunglückte, ist seinen Verletzungen im Krankenhaus Horb erlegen.

Freudenstadt, 10. Mai. Unfall. Mittwoch nachmittag 4.45 Uhr stürzte ein 37 Jahre alter Gipser bei der Vor­nahme von Ausbesterungsarbeiten am Dache des Kur-

Bon allen Toten geschrieben?

Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque ist ein erschütterndes Buch über das Kriegserleben, das uns Deutschen 10 Jahre nach dem Kriege in die Hand gegeben wurde.Im Westen nichts Neues", wieviel Ungeheuerliches an Jammer, körperlicher und seelischer Zerrissenheit. Todesschrei and Röcheln halbvertierter Daseinsgewohnheit liegt in diesem Wort, Remarque gestaltet all dies. Wahrheit, die kehlenzu- sammenpressendes Alpdrücken unserer Träume heute noch ist, wird Wort und Bild. Kampf Mann gegen Mann, entnerven­des Trommelfeuer, Eranateneinschläge, Tod im Trichter. Tod im lbasnebel, im Graben, im Unterstand - Grausiges ist grausig wiedergegeben. Ls würgt einen am Hals und die Au­gen fiebern. Wir leben und zittern und atmen mit den Zwanzigjährigen, die von der Schule weg sich freiwillig gemel­det haben, angespornt von ihrem Lehrer Kantorek. Des Schriftstellers Walter von Molo Urteil ziert den Umschlag des Buches zum Geleit:Remarques Buch ist das Denkmal unseres unbekannten Soldaten. Bon allen Toten geschrieben".

Diesesvon allen" ist aber nicht wahr! Und wenn das Buch in bald der OOOtausendsten Auflage oorliegt, ist es doch nur halbe Wahrheit. Millionen leben, denen der Krieg doch das große erschütternde Erleben war, Millionen find gefallen, die den Krieg als Schicksal empfunden haben, die singend oder in dem Bewußtsein einer heiligen Pflicht dem Tod entgegen ge­stürmt sind oder entgegengeharrt haben, für die der Dienst am Staat, am Volk, für die Heimat größer war als die Todes­angst, Ich kenne solche aus der Schlacht bei Langemark, ich weiß von Sterbenden, halb zerrissen von Granatsplittern, oder mit den Wellen den letzten Kampf kämpfend, deren letztes Watt war: Wenn es nur voran geht! Auch das ist Wahrheit, wie Remarques Kriegserleben Wahrheit ist. Aber er kennt nur die eine Seite. Er schreibt das Denkmal derer, die tot oder lebend am Herz zerbrochen sind, deren Weltanschauung im ersten Trommelfeuer zusammengeftürzt ist. Wenn Fritz von Unruh in dem großen buchhändlerischen Erfolg dieses Buches die Tatsache sieht, daß das Erlebnis der Millionen zwischen Argonnen und Flandern nicht vergessen ist, nicht vergessen

werden kann, sieht auch er nur die eine Seite. Will man auch die andere Seite sehen, so halte man sich an andere Schrift- steller, an Renn, lese die packenden und wundervollen »Kriegsbriefe deutscher gefallener Studenten", die auch un­trügliches Zeugnis des Kriegserlebens deutscher Jugend sind oder man vertiefe sich in Walter Flex. Auch Walter Fler ist Wahrheit! Aber sein Erlebnis ist anderer Art.Leutnants­dienst tun, heißt seinen Leuten Vorleben, das Vorster­ben ist dann wohl einmal ein Teil davon", er ist gestorben noch bei der Eroberung der Insel Oesel. Er hat sein Erlebnis des Krieges mit dem Tod besiegelt. Nein, nicht müde, zerfal­len, ausgebrannt, wurzellos und ohne Hoffnung, wie Remar­ques Krieger heimkehrt er ist kein Mensch, der von Hause aus nur auf das Nächste eingestellt ist, er ist Dichter und ver­mißt in der Kaserne feine vier Bände Schopenhauer. Der Krieg war für viele auch anderes als nur Unterdrückung, nur innere Vernichtung wie bei Remarque. Von nationalen oder im wohlverstandenen Sinne sittlichen Forderungen der Be­griffe Kameradschaft und Vaterland, zu denen das Erlebnis des Krieges führen mußte, weiß Remarque nichts zu berich­ten. Gedanken an Ewiges und Jenseits tauchen in diesem Buch des nur Riederdrückenden nicht auf. Kleines und Ge­meines aus dem Leben der Kaserne und im Feld ist zusam­mengetragen und zur Regel erhoben. Wie sagte Goethe: Wanderer gegen solche Not wolltest du dich sträuben? Wir­belwind und trockener Kot laß ihn dröhn und stäuben!" Daß das Heer trotz aller bedauerlichen Einzelheiten doch eine Er­ziehungsschule war, wer wagt das zu bestreiten? Aber alle starken Gedanken, die im Felde oder in der Heimat uns Mit­erlebende bewegt haben, fehlen diesem schwarz in schwarz ge­malten Buch. Auf diesem Denkmal steht kein Name Tannen­berg oder Hindenbura. Rach einer Besprechungverdient das Buch, politisch betrachtet, in allen Schulen Deutschlands zur obligatorischen Lektüre gemacht zu werden". Wahnwitz, soll dasnächtliche Abenteuer" oder derBesuch im Lazarett" un­sere Jugend verseuchen? In jeder Buchhandlung sollte, in der das Modebuch ,Im Westen nichts Neues" verlangt wird, als Gegengewicht Ernst JüngerZn Stahlgewittern" oder Walter FlexDer Wanderer zwischen beiden Welten" angeboten wer­den. Rur aus dem Gebiet dieser beiden Kriegsbücher kann Deutschland wieder geboren werden.

Auch imSchwäbischen Merkur" schreibt ein H. O. Roecker

sehr Bemerkenswertes über dieses Modebuch. So lesen wir dort unter anderem: Der jetzige Präsident der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste, Walter von Molo, behauptet dort:Remarques Buch ist das Denkmal unseres unbekannten Soldaten. Von allen Toten geschrieben!" Das ist ein großes Wort Herr Präsident! Ich weiß nicht, aber ich bezweifle, ob Herr Reichsritter von Molo jemals einen Schützengraben gesehen hat: wenn nicht, so hat er nicht das Recht, sich zum Anwalt unseres unbekannten Soldaten zu er­heben, Remarque will unter der Suggestion seines Lehrers zum Kriegsdienst überredet worden seiiü Seinem Alter nach scheint es eher, daß es sich um eine zwangsläufige Einziehung zum Militär handelte. Auf alle Fälle ist er ungern Soldat, er hat an der Front nur das letzte Jahr, höchstens zwei Jahre erlebt und ist dabei, obwohl erEinfähriger" war, merkwür­digerweise nicht einmal zum Gefreiten aufgerückt. Von dem Humor, der doch so manche Stunde des Feldsoldaten über­strahlte (siehe Walter Flex vor den russischen Graben, als er mit seinen Soldaten die bunten Laternen aufpflanzte und deutsche Lieder sang), ist in dem ganzen Buch auch nicht eine j Spur zu finden. Wo Remarquehumorvoll" wird, will er zu- ' gleich verletzen und treffen. Von Renn's Buch steht dort: Sein Buch ist männlich in jeder Zeile, Remarque bleibt ein weicher, vielleicht weichlicher, wehleidi­ger Schwärmer. Ressentiments füllen das ganze viel­gerühmte und vielgelesene Buch Remarques, klagselige Be­trachtungen über die Sinnlosigkeit des Kriegsgeschehens, die einer schwächlichen und haltlosen Zeit wie Musik in den Ohren klingen. War denn nicht das Geschehen nach dem Kriege, die sogenannte Revolution, und alles was mit ihr zusammen­hängt nicht viel sinnloser? - Es kommt ihm bei allem in er­ster Linie auf die Wirkung, nicht auf die Wahrheit an.

Seltsam ist, daß Remarques Held 1917 und 1918 in den deutschen Schützengräben Soldaten mit Vollbärten auftreten läßt. Jedes Frontschwein weiß, daß es im Gaskrieg keinen Vollbart gegeben hat. - Es ist möglich, daß er die Dinge ge­rade so erlebt hat, mir selbst klingt kein verwand­tes Erlebnis daraus entgegen. Zum Schluß heißt's dann noch: Vielleicht versteht man das noch besser, wenn man erfährt, daß Remarque vor seinem Krieasouch e«n anderes geschrieben hat, das sich mit der Kunst, Schnäpse zu mixen, befaßt.