Samstag. 4. Mai 1923.

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deutschen und schweizerischen Waldgebieten. Samstag. 11. Mai: Besuch der PrivatwaldungenSolwald" bei Schömberg; von da nach Zwieselberg, Begang desRoß­bergwaldes". Weitersahrt zum Stadtwald von Freuden- § stadt; Besuch desTeilhelwaldes". Die zur Behandlung i vorgesehenen Gegenstände beiressen zeitgemäße Fragen > der Waldwirtschaft, so daß auf eine vielseitige Teilnahme zu rechnen sein wird. Die Landesorganisation der Wald besitzenden Gemeinden und Privaten verfolgt mit diesen Veranstaltungen und Waldbefuchen den Zweck, die verairt- wortlichen Vertreter des Waldes, auch Nichtfachleute, in möglichst gemeinverständlicher Weise über die neuzeitigen Fragen der Waldwirtschaft zu unterrichten und dadurch das Verständnis und die Liebe für den Wald in weitere streife hincinzutragen.

Bouernfiedlung

Für das im vergangenen Jahr von der Deutschen Ge­sellschaft für innere Kolonisation in Berlin-Dahlem für Siedlungszwecke erworbene 6,'>00 Morgen große Ritter­gut Wartin bei Casekow vor Stettin wurde der Eintei­lungsplan von der Landeskuliurbehörde festgestellt. Da­nach werden 91 Familien angesiedelt. Insbesondere werden 60 Morgen große Rentengüter gebildet, die mit friedensmäßigen Gebäuden, kompletten lebenden und to­ten Inventar sowie voller Ernte ausgestattet werden. Sie sollen zweiten Bauernsöhnen sowie aufstrebenden kleinen Landwirten die Möglichkeit geben, sich eine Existenz zu gründen. Infolge der hohen Baukosten sind zum Erwerb einer solchen Stelle 12 000 RM. eigenes Kapital als An­zahlung erforderlich. Das Restkaufgeld wird durch Ueber- nahme auf die Landesrentenbank gedeckt. Außerdem wird ein Hauszinssteuerdarlehen gewährt. Evangelische Kirche und Schule befinden sich im Dorf. Die Durchführung des Verfahrens erfolgt unter Leitung des Preuß. Kulturamts in Stettin.

UnsereFeierstunden".

Nicht nur in den mit besonders günstiger Vegetation gesegneten Gebieten ist der Frühling schön, auch im Ge­birge hat er seine Reize, seine blühenden Schönheiten. Am Titelblatt unserer Bilderbeilage dürfen wir diese Be­hauptung bewiesen sehenBlühende Gebirgswiese". Ero­tische Gestalten machen auch nicht vor denFeierstunden" halt. Wir sehen da einen 107 Jahre alten Indianer­häuptling, der sich auf einer Europareise befindet. Weiter­hin: das erste Autorennen in Monaco, Eisenbahnkata­strophe in Belgien, Gas und Wasser, Jndienstellung des neuen KreuzersKönigsberg", Zum Tode Prinz Hein­richs von Preußen, Hundertjahrfeier im Archäologischen Institut, Brand desPalais für Volksfleiß" in Amster­dam. Wandern aus der Schwäbischen Alb usw.

Rcchtsauskunslstelien. Bei den Amtsgerichten sind seit einige» Jahre» für die minderbemittelte Bevölkerung Rechtsauskunftsstelle» eingerichtet. Es besteht Veranlas­sung, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß diese Auskünfte nur unverbindlich, d. h. ohne Garantie für ihre Richtigkeit, erfolgen. Während ein Rechtsanwalt bei falschen Aus­künften, fehlerhafter Prvzeßführung oder mangelhafter An­fertigung von Vertragen. Testamenten und dergl. in vol­ler Höhe schadenersatzpflichtig ist. besteht eine solche Ver­pflichtung für den betreffenden Beamten Richter oder Sekretär oder den Staat nicht.

Feiern am 1. Mai berechtigt zu fristloser Entlassung. In der letzten Ausgabe derDeutschen Juristeuzeiiung" wird eine Entscheidung des Neichsarbeitsgerichts (446/28 vom 6« 3. 1929) veröffentlich!, die u. a. ausfübrt.Der Kläger hatte am 30. April dem Arbeitgeber initgeteilt. daß er am 1. Mai von Mittag au nicht arbeiten werde. Trotz des Hinweises auf die Folgen der Arbeitsverweigerung blieb er von der Arbeit fort. Er wurde fristlos entlassen. Ein allgemeines Recht zum Feiern an diese»! Tag, der nie­der im Reich noch in Preußen Anerkennung als gesetzlicher Feiertag gefunden Habs, bestehe nicht. Auch die Erwägung, der Arbeitgeber habe den politischen Ansichten der Arbeiter Rechnung tragen müsse», treffe nicht zu. Der Klüger sei auch nicht wegen der politischen Betätigung, die in der Teil­nahme an der Maifeier liege, entlassen worden, sondern wegen der Arbeitsverweigerung aus diesem Anlaß. Die Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag würden durch das Recht zur politischen Betätigung nicht berührt. Nur in­soweit es sich um die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Ehrenämter handle, müsse nach Art. 160 der RV. das Recht des Betriebs auf Arbeit zurückstehen. Davon ab­gesehen habe der Arbeitgeber das Recht, den Fortgang seines Betriebs von Parteibestrebungen neutral und durch Kundgebungen und andere volitische Betätigungen un­gestört zu erhalten."

ikr

Jselshauscn, 3. Mai. Tödlicher Motorradunfall. Ge­stern nachm. 1.15 Uhr fuhr auf der Kreuzung Neckarstr. Eannstatterstr in Stuttgart ein Motorradfahrer (Gottl. Mäntele, Wirt von hier) auf einen Bierkraftwagen auf. Der Fahrer wurde vom Rad geschleudert, ohne ver­letzt zu werden, während (Wilh. Mäntele, Flaschner, zur Zeit am Gaswerk Stuttgart) unten den Lastkraftwa­gen geriet. Ihm wurde die Oberfchenkelarterie zerrissen, ohne daß der Knochen beschädigt wurde. Nach Anlegung eines Notverbandes wurde er nach dem Cannstatter Krankenhaus gebracht. Wilhelm Mäntele ist nunmehr heute nacht X12 Uhr an seinen schweren Verletzungen ge­storben.

Der Unfall trug sich nach Aussagen eines Augenzeu-

Ein Bierauto kam die Neckarstraße abwärts und wollte in die Cannstatterstraße einbiegen. Gerade an dieser Stelle ist die Neckarstraße zur Behebung eines Wasserrohr­bruches auf ein kurzes Stück aufgegraben. Der Führer des Wagens fuhr infolgedessen die Kurve etwas weiter links an, ohne daß dies aber dem Verkehr in dieser Straße, die gerade hier ungefähr 23 Meter breit ist, hinderlich gewe­sen wäre. Ein Motorrad kam in raschem Tempo der Fahrer gab bei seiner späteren Vernehmung selbst 40 Stundenkilometer an. Zeugen wollen ein schnelleres Tempo beobachtet haben die Neckarstraße herauf. Auf dem Motorrad saß als Führer der Jselshauser M., hinter ihm auf dem Soziussitz sein Bruder. Gleichzeitig kam die Eannstatterstr. aufwärts ein Lastkraftwagen der Reichs­wehr in besonders langsamem Tempo. Der Führer des Motorrades glaubte noch vor dem einbiegendcn Bierfuhr­werk über die Straßenkreuzung kommen zu können, geriet zwischen dieses und den Kraftwagen der Reichswehr, das Rad wurde vom Vorderrad des Bierkraftwagens erfaßt und zur Seite geschleudert. Der Beifahrer geriet dabei un­ter das Hinterrad des Vierfuhrwerks, das ihm am Ober­schenkel die Arterie zerriß. Der Führer des Motorrades

Nagolder TagblattDer Gesellschafter"

wurde vor das Reichswehrauto geworfen, das jedoch noch rechtzeitig zum Stehen gebracht werden konnte. Die In­sassen des Reichswehrautos nahmen sich sofort des Schwer­verletzten an, schnürten die Arterie ab und brachten ihn auf eine in der Nähe stehende Bank. Binnen kurzem er­schien der Arzt Dr. Gerber, der dem Verletzten einen kunstgerechten Verband anlcgte. Die Kriminalpolizei war auch kurz daraus mit dem Photographen an der Stelle und stellte die nötigen Erhebungen an. Dabei wurde un­ter anderem festgestellt, daß die Handbremse des Bierau- tos, das eine Bremsspur von zehn Metern nur auf einem Rad aufwies, nicht in Ordnung war.

Gerichtssaal

Tübingen, 3. Mai. Ein Mejserheld. Karl R o in m i n- g e r, 32 Jahre alt, verh. Hilfsarbeiter in Bondorf OA. Herrcnberg hatte sich gestern vor dem Gericht zu verant­worten. Der Tatbestand ist folgender: Der Angeklagte ging am 22. Dezember v. Js. abends in die Wirtschaft zur»Adler" in Bondorf. Etwa nach 10 Uhr kam der Flaschner Wilhelm Haller auch dorthin. Die beiden, welche sich schon seit längerer Zeit feindlich gegenüber standen, sind miteinander in Streit geraten. Der Wirt hat die bei­den dann aus dem Lokal gewiesen. Haller ging mit seinem Freund Braun zuerst weg, Romminger folgte kurz darauf nach. Vor dem Adler kam es zwischen den beiden wieder zu einem Wortwechsel bezw. einer gegenseitigen Beschimp­fung, wie Lausbub, Feigling usw., in dessen Verlauf der Angeklagte dem Haller mit einem Taschenmesser einen Stich in den Rücken versetzte. Braun hat Haller dann so- scrt in denAdler" getragen und holte den Arzt. Haller war durch die Verletzung 3 Wochen arbeitsunfähig, die Lunge wurde auch etwas verletzt, weitere Folgen sind aber nicht zu befürchten. Etwa X12 Uhr wurde R., nicht un­weit vom Adler, vom Polizeidiener auf der Straße auf­gefunden, von welchem er mit Hilfe von andern Leuten nach Hause gebracht wurde, denn er war bewußtlos. Am andern Morgen wurde der Angeklagte vom Polizeidiener vernommen und gab diese»! an, daß er die Tat nicht aus­geführt habe, der man ihn beschuldige; auch vor Gericht bestritt er dieselbe entschieden; durch die Aussagen der Zeugen wurde er aber überführt. Der ärztl. Sachverstän­dige Dr. M. Eyrich, Ass.-Arzt an der Nervenklinik hier, faßte sein Gutachten dahin zusammen, daß der Angeklagte an Anfällen leide, die sich mit der Zeit echten epileptischen Anfällen immer mehr nähern werden, er sei außerordent­lich leicht erregbar, worauf die Anfälle zurückzuführen seien, auch sei er psnchopathisch minderwertig, für die Tat sei er aber strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen und zu verurteilen. Das Gericht sprach folgendes Urteil aus: Der Angeklagte wird wegen eines Vergehens der ge­fährlichen Körperverletzung zu 3 Monaten Gefängnis ver­urteilt.

Aus aller Welt

Immerfort Wirbelstürme ein Amerika. Die Südstaaten wurden am 2. Mai wieder von furchtbaren Wirbelstürmen heimgesucht. In dem Städchen Riayeceve (Virginia) wurde ein Schulhaus, in dem sich 225 Kinder befanden, vom Sturm hochgehoben, zum Einsturz gebracht und schließlich durch Feuer zerstört. Viele Kinder wurden vom Sturm auf die Felder hinausgetragen, mehrere sind unter den Trümmern des Hauses begraben.

Die Zahl der Toten in Ryeceoe, die teilweise vom Sturm weit fortgeschleudert wurden, soll 100 übersteigen. Noch mehr Menschen sind verletzt worden.

Das Städtchen Morgantown in Westvirginia ist be­sonders schwer heimgesucht worden. Hier wurden 40 Häuser zerstört und 50 Einwohner verletzt.

In der Stadt Kolumbus (Ohio) wurde besonders das städtische Gefängnis schwer mitgenommen; zwei Wände des Gebäudes wurden vom Sturm niedergerissen, 4 Ge­fangene getötet und 6 verletzt; 12 werden vermißt.

Schneestürme und Frost haben in den Staaten Illinois und Missouri einen Schaden angerichtet, der in die Mil­lionen Dollar gehen soll.

Die Wirbelstürme in den Bereinigten Staaten sind eine dort regelmäßige Erscheinung, die nn Frühjahr und im Spätherbst mit der Temperaturänderung einzutreten pflegt, wenn die kalten und die warmen Luftströmungen des Nor- dens bzw. des Südens sozusagen aufeinander zu platzen pflegen. Da die Gebirge in Nordamerika alle nordöstliche Richtung haben, vollziehen sich diese Zusammenstöße nicht vermittelt und vermindert, wie es glücklicherweise in Mittel­europa durch die ost-westliche Lage der Alpen der Fall ist.

ISA) wieder eine Heiliginmssahrt in Aachen. Das Stistskapitel des Liebfrauemnünsters in Aachen hat be­schlossen, mit Rücksicht darauf, daß in der Kriegs- und Nachkriegszeit die seit Jahrhunderten bestehende siebenjäh­rige Wiederkehr der Heiligtumsfahrt unterbrochen werden mußte, im Jahre 1930 eine Heiligtumsfahrk zu veranstalten.

Blinde Muk eines Franzosen. Am 2. Mai nachmittags stürzte in Wollersheim bei Koblenz ein Besahungs- angehöriger von seinem Pferd. Er geriet dabei unter das Tier und trug einen Hufschlag an den Kopf davon. Hier­über geriet dcr Mann so in Wut. daß er das Pferd nieder- schoß und dem tolen Tier noch einige Messerstiche beibrachte.

Mehrere französische Soldaten haben im Stodtwatd von Saarbrücken wieder eine dort tätige Kulturarbeiterin tät­lich angegriffen. Erst als das Mädchen sich energisch zur Wehr setzte, ließen die Soldaten von ihr ab. Ein Schutz der Euarbevölkerung gegen diesen Bahn.schutz' wäre dringend notwendig.

Eine verhängnisvolle Ohrfeige. Auf dem Bahnhof Zoll­brück bei Kolberg (Pommern) ohrfeigte ein 45jähriger Eisenbahnschmied seinen 85 Jahre alten Vater, weil dieser angetrunken mit der Schwiegertochter in Streit geraten war. Der alte Mann, der nach der Mißhandlung zu Boden gestürzt war, zog sich eine Kieferverletzung zu und starb bald darauf.

Geschäftliches

Bollen Ersatz für das jetzt fehlende frische Suppen­grün bietet die altbewährte Maggi-Würze. Tatsächlich genügen wenige Tropfen, um faden Fleischbrühsuppen au­genblicklich frischen Wohlgeschmack zu verleihen. Ebenso überraschend verfeinert Maggis Würze in kleinster Menge zugesetzt Soßen, Gemüse und Salate.

Freund Konservaz schwelgt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er schreibt:

Schportlichs!

Jeder Mensch Hot jo seine oigane Passiona. So Han i persenlich beischbielsweis als Vua scho a ausgesprochane Vorliabe g'het, nämlich über andere Leut seine Gartazäu z'krebsla. L isch des allerdengs net grad einzig ond allei bloß wega de Gartazäu gwea. wenn i ofse sei will, em Psarr seine Virna ond em Schuallehrer seine Aepfel hent scho au nebaher no a bißle a Roll g'spielt. Aber des kan i ruhig saga: 's Krebsla war mei Leibsport. Selta, daß mr em hoimwärts amol dr Herr Pfarr hetHelsa" müaßa beim Herr Lehrer den i moischtens bloß z'Nacht krebslat' Mir isch au koi Fenschtersemsa en dr Schuol z'hoch gwea eigentlich weniger wegam Neikomma ens Lokal bloß wenn i zuafällig amol en dr SchualVerspütong" kriagt Han. Sogar, manche Kellerfenschterla Han i ausprobiert halt wegs 'in Dräniara! Aber net, daß i dr oinzig gwea wär; wenn ma sich domols au schon a bißle organisiert g'het het, no wär onser dritts Schualjahr zom mendasch iens en dr Bezirksliga krebslat. Ond heutzudag? Heitzu- dag tennat de beschte Butterbirna n halb« Meter vom Boda weg hanga, koim oinziga Buaba däts eifalla, des- wega 's Hrebsla z'brobiara. Heitzudag Hot mr als Kender- jchüaler sei gummibereift« Radlrutsch a' z'schbrecha ond sein Holländr mit oiganer Earasch. Vom Fuatzbällerklub Abtl. 1 Borschualpflichtige ganz g'schwiega. Ond de Halb- g'wagsane ond Psenntgledige? . . . dia sauat dr mit fus- zig bis sechzig Kilometer em Städtle rom ond streckat drs Hentrquardal en a ma stompfa Wenkl abseits, grad wia richtige brofessionierde Solitidrenner. .....

Do lob i mir solche Bestrebonga schon ganz gewaltig, wia se en letschter Zeit durch a g'sonde Richteng von der moderne Generazio Form ond Fasso a'gnomma hent. Hör i do neilich net sage i ka's fascht net glauba bei ans well ma, wia en de große Stadt vor'm Kriag, auf a berit- :ana Abteilong z'rickgreisa. Ma will gwafi n oigana Renirstall ond a Reithall ond so weiter en Aussicht ncmnia, ond nägschtdem soll a vorbereidends Komidee noch England zom Kronbrenze fahra ond sich an Ort ond Stell cnformiara lassa; ganz in erschter Linie natierlich au we- ga'n a ma echta, englisch« Vollbluat oder zwoi. Ma well -nuatmaßlich sogar nochhär bei enternazeonale Verastal- longa mitgalöppla. Meh isch bislang no nct ens Publikum g'sickert. Auf alle Fälle, deam Onternema ka ma direkt o.radaliaraü!

Letzte Nachrichten

Keine Auslösung des thüringischen Landtags.

Weimar, 4. Mai. Wider Erwarten ist am Freitag der von der Linksopposition gestellte Antrag aus Auflö­sung des Thüringer Landtags mit 29 gegen 26 Stim­men abgelehnt worden. Für den Antrag stimmten ledig­lich die Sozialdemokraten und Kommunisten, die übri­gen Parteien dagegen. Auf Antrag der Rechten wird am kommenden Dienstag die Wahl dcr neuen Regierung vorgcnommeii werden.

Streikeinfall der Kommunisten.

Berlin, 4. Mai. In Haverlands Festsälen in der Neuen Friedrichstraße fand am Freitag abend eine Konferenz der oppositionellen Betriebsräte und Betriebsdelegierten Eroßbcrlins statt. Vertreter der Großbetriebe der Berli­ner Metallindustrie waren überhaupt nicht erschienen. Der kommunistische Abgeordnete Heckert mußte feststellen, daß die Beschlüsse über den politischen Generalstreik bisher nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben. Nach scharfen Angriffen gegen den Polizeipräsidenten schlug Heckert vor, das sogenannte Maikomitee zu einem Zen tralstrcikkomitee zur Durchführung der Eeneralstreikpa- role zu erweitern. Darüber soll am Samstag in einer neuen Konferenz Beschluß gefaßt werden.

Ncuköln untermkleinen Belagerungszustand". Polizei im Stahlhelm.

Berlin, 4. Mai. Im 21 Uhr trat in Ncuköln der soge­nanntekleine Belagerungszustand" in Kraft. Eiligst suchte die Bevölkerung ihre Behausungen auf und Toden- stille senkte sich über den von der Polizei abgeriegelten Stadtteil. Alle Lokale schlossen und jeder Verkehr war ge­sperrt. Beide kämpfenden Parteien hielten sich zurück und gaben Schreckschüsse ab. Da die Straßenbeleuchtung von dem Mob außer Betrieb gesetzt war, hatte die Polizei viel­fach auf Balkons Scheinwerfer angebracht, die mit ihren mächtigen Lichtkegeln die Straßen beschienen.

Segen Mitternacht fielen die Schüsse nur noch verein­zelt und bei der Polizei wurde angenommen, daß den Aus­rühren die Munition ausgcgaugen sei. Ein Teil der Poli­zisten war inzwischen mit Stahlhelmen ausgerüstet wor­den. Die noch von den Ausrührern besetzten Straßen dürf­ten bis Samstag gesäubert sein. Man schätzte um Mitter­nacht die Verluste bei den Aufrührern auf sechs Tote uud zwölf Schwerverletzte. Ein Polizeiwachtmeifter wurde über­fallen und durch Schläge verletzt: er mußte ins Kran­kenhaus gebracht werden.

Neue Zusammenstöße in Reuköln.

Berlin, 4. Mai. Wie die Vossische Zeitung berichtet, kam es in Neuköln in dem besonderen Maßnahmen unter­stellten Bezirk zu Zusammenrottungen und Schießereien. Während die Panzerwagen dutch die Straßen fuhren, um mit ihren Scheinwerfern in die Fenster zu leuchten, und die Schützen ausfindig zu machen, stießen sie gegen 11 Uhr aus eine Barrikade in der Ziethenstraße, die unbemerkt er­richtet worden war. Die Täter hatten nicht nur Steine aufeinandergehäust, sondern diese mit Sand umgeben, um gegen Steinsplitter geschützt zu sein. Ein Panzerwagen überrannte die Barikade, die Beamten sprangen, ehe ihre Gegner zum Schießen gekommen waren, herab und nah­men fünf Ausrührer fest. Nach einer Zusammenstellung des Lokalanzeigers beträgt die Zahl der Todesopfer seit dem 1. Mai einschließlich der nachträglich an Verletzungen Verstorbenen insgesamt 21.