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Gegründet 1827

Montag, den 29. April 1S2S

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103. Jahrgang

Abrüstungsrückzug der Amerikaner

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Die deutschnaiionale Fraktion des Landtags von Meck­lenburg-Schwerin bat auf Grund der Urteile des Slaaks- gerichlshofs über die Landtagswahlen in Württemberg und Sachsen die Auflösung des mecklenburgischen Landtags aus ZV. Juni beantragt.

Der allerdings sehr unzuverlässige PariserIntransi- oeon ' will wissen, Dr. Schacht habe sein Angebot von 16S0 auf 1750 Millionen RM. jährlich erhöht. Die Fran­zosen seien nicht abgeneigt, wenn er auch die Leistungsjahre von 37 aus 47 erhöhe.

Die Großhandelsmeßzahl vom 24. April ist mik 136L gegenüber der Vorwoche (136,9) um 0.4 v. H. gesunken.

In Dänemark wurde der Führer der Sozialdemokratie. Staunina, vom König mit der Kabinettsbildung beauftragt,

Polnische Marineoffiziere sollen auf sranzösischen Kriegs schiffen in Toulon ausgebildet werden.

In Bombay (Indien) befinden sich 130 000 Arbeiter wegen Maßregelung früher streikender Arbeiter !m Aus­stand. Nur sechs Spinnereien sind noch im Betrieb.

Re Akleikbegrimdmig des Sloalrgerichlshosr

Ark. 20 Abs. 2 des würkk. Landkagswahlgesehes verfassungs­widrig

Das Urteil des Staatsgerichtshofes in Leipzig ist der württ. Regierung zugestellt worden. In der Begründung des Urteils wird zunächst § 9 der württ. Verfassung und des Landtagswahlgesetzes vom 4. 4. 1924 besprochen und aus letzterem Art. 20 Abs. 2 hervorgehoben, der besagt:

Bei Zuweisung von Sitzen bleibt eine Wählervereinigung unberücksichtigt, deren Bezirksvorschlagslisten nicht wenigstens in einem Wahlbezirk ein Achtel der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen (Wahlzahl) oder in vier Wahlbezirken je ein Achtel der Wahlzahl erreicht haben."

Bei der auf Grund des Wahlgesetzes am 20. 5. 1928 statt­gefundenen Landtagswahl hätte beim Fehlen der Bestim­mung des Art. 20 Abs. 2

die Reichsparkei für Volksrechk 2 Bezirkssihe und die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei 1 Bezirks- sih erhalten.

Beide Parteien haben daher die letzte Wahl beim Staats­gerichtshof angefochten und die Ungültigkeitserklärung des Art. 20 Abs. 2 beantragt. Diesem Antrag hat der Staats­gerichtshof stattgegeben. In der Urteilsbegründung wird u. a. ausgesührt:

Bei dem engen Zusammenhang der württembergischen und der Reichsoerfassung kann nicht bezweifelt werden, daß die Verfassung Württembergs unter demgleichen Wahl­recht" dasselbe versteht wie die Reichsverfassung, und daß die Grundsätze der Verhältniswahl, deren Anwen­dung sie vorschreibt, keine andern sind, als die in Art. 17 der Reichsverfassung bezeichneten. Daraus folgt,

daß Art. 20 Abs. 2 des Landkagswahlgesehes, wenn er die Reichsverfassung verletzt, gleichzeitig gegen die Ver­fassung Württembergs verstößt.

Der einzelne Wähler nimmt durch das ihm zustehende Wahl­recht an der Bildung des zu wühlenden Vertretungskörpers teil. Wenn bei ihr alle Wähler in gleichem Maß Mitwirken, ist ihr Wahlrecht gleich. Dazu genügt aber noch nicht, daß jede abgegebene Stimme einmal, und nur einmal gezählt wird. Erforderlich ist vielmehr, daß jede Stimme auch bei der Bewertung der Stimmen das gleiche Gewicht be­sitzt. Nicht der sogenannte Zählwert, sondern der so­genannte Erfolgswert gibt der Stimme ihre wirkiick)e Bedeutung. Er muß also für jede abgegebene Stimme der gleiche sein. Eine ungleiche Ausgestaltung des Wahlrechts ist auch dann gegeben, wenn Erfordernisse aus­gestellt werden, denen jede Partei nur genügen kann, sofern sie di« dazu nötigen Stimmen erzielt. Denn auch eine Por- jchrist dieser Art hat die Wirkung,

daß sie die Zuteilung von Abgeordnetensitzen an Voraus­setzungen knüpft, die nicht bei jeder Partei oder Gruppe vorzuliegen brauchen,

die also von vornherein eine erfolgreiche Wahlbeteiligung der zu solchen Parteien oder Gruppen gehörigen Wähler aus­schließt oder wenigstens erschwert. Der strittig« Artikel 20 Abs. 2 des Landtagswahlgesetzes scheint zunächst alle Wähler, Parteien, Wahlgruppen gleich zu behandeln. Er eröffnet ihnen gleichmäßig den Weg zum Parlament, sofern n'm ihre Bezirksvorschlagslisten, wenigstens in »mein Wahlbezirk die Wahlzahl oder in vier Bezirken j e e i a A ch t e l der Wahl­zahl erreichen.

Indessen trügt dieser Schein.

Än Wirklichkeit vermögen die größeren Parteien dieser Bedingung sehr v e! leichter nochzukomm-n als die kleinen. Die Niederhalkung der kleinen Par­te i e n. die Verhinderung von kleinen Sekt-nbildungen war denn auch der ausgesprochene Zweck der Vorschrift.

Ein Triumph Frankreichs

Als !M Frühjahr 1927 im Vorbereitenden Abrüstungs­ausschuß in Genf die Streitfrage behandelt wurde, ob die ausgebildeten Reserven in einem internationalen Abkommen über die Landrüstung beschränkt werden sollen, da traten neben den Deutschen auch die Engländer und Amerikaner für diese Einschränkung ein. Inzwischen haben die Engländer in dem berühmten sogenannten eng­lisch-französischen See ab ko in men vom letzten Sommer ihren Widerstand gegen die Forderung Frank­reichs, das mit seiner Gefolgschaft verlangt, daß ausgebildete Landreserven nicht alsRüstung" zu betrachten seien Deutschland, Oesterreich und Bulgarien haben bekanntlich keine Reserven aufgegeben.

Zur größten Aeberraschung erklärte nun am letzten Frei­tag der amerikanische Vertreter Gibson im Namen des Präsidenten Hoooerim Vorbereitenden Ausschuß in Genf: Die Ansicht der Vereinigten Staaken ist die, daß ausgebil­dete Reserven zu den tatsächlichen Machtmitteln eines Staats gehören und saß sie ihm eine erheblich größere Angriffs­kraft und militärische Bereitschaft verleihen, als ein Skaak besitzt, der sie nicht hak. Nichtsdestoweniger sind die Ver­einigten Staaten bereit, hierin im Geist gegenseitiger Ver­ständigung ein Zugeständnis zu machen. Ich bin daher ermächtigt, zu erklären, daß wir unfern bisherigen Wider­spruch dagegen, daß die ausgebildelen Reserven nicht zur Abrüstungsverhandlungen stehen sollen, aufgeben.

Die Wirkung dieser unerwarteten Erklärung war außer­ordentlich stark. Mit sichtlicher Erregung drückte der Fran­zose Massigli seine Freude über den amerikanischen Gesinnungswechsel aus; Gibsons Erklärung werde die Aus­schußarbeitin wunderbarer Weise vorwärtsbringen". Der Japaner Sato bekräftigte die Worte des Franzosen. Der Deutsche Graf Bernstor ff saß bleich da. Er hatte sich für eine Rede zum Wort gemeldet, verzichtete nun aber darauf, da er die neue amerikanische Erklärung zuerst in sich verarbeiten müsse. Anscheinend gleichmütig verhielten sich die Engländer.

So ist für die Franzosen der letzte Gegner ausgeschieden, der ihnen in der Abrüstungsfrage wirklich lästig war. Der nun noch verbleibende Widerstand gegen den französischen Standpunkt dürfte sich, wie man befürchten muß, auf Deutsche, Russen, Türken und Chinesen beschränken. Diesen Widerstand nimmt man aber offenkundig in Paris nicht ernst. Man würde ein Rüstungsabkommen auch dann für rechtsgültig halten, wenn es die Unterschriften dieser Staaten nicht trägt. An den Dingen, wie sie jetzt auf dem Gebiet der Landabrüstungsfrage liegen, könnte sich vielleicht noch etwas ändern, wenn in den englischen Wahlen die Konservativen geschlagen und durch eine Parteigruppierung in der Regierung ersetzt würden, die zu der Politik Lord Cecils steht, der stets gegen die französische Forderung der Reserven aufgetreten ist. Der Umfall der Ameri­kaner wird bei den Anhängern für wirkliche Abrüstung und Frieden in der ganzen Welt schmerzliche Ent­täuschung Hervorrufen. Nach der ersten Rede Gibsons über die Seeabrüstung am Montag voriger Woche, in -er er so viel von derEhrlichkeit" in der Politik sprach, hätte man ein derartiges Fallenlassen der wichtigsten rüstungspolitischen Grundsätze nicht vermuten können. Die Amerikaner haben aber wieder gezeigt, daß sie nur die Seemachtverhältnisse interessieren und daß ihnen die Abrüstung im ganzen ziemlich gleichgültig ist.

Die Wirkungder Vorschrift erschöpt sich aber nicht in der Bevorzugung der großen Parteien, sie

schafft auch einen Unterschied zwischen den Parteien,

die in einzelnen Wahlbezirken festen Fuß gefaßt haben und dort über größere Wahlmassen verfügen. Ausgesprochen städtische und ebenso ausgesprochen ländliche Par- teien genießen einen Vorteil vor den über das ganze Land gleichmäßig verbreiteten Parteien.

Ebenso werden konfessionelle Parteien bevorzugt,

die sich je nach ihrem kirchlichen Bekenntnis in ungemischten Gegenden auf eine geschlossene Anhängerschaft stützen können. So hat beispielsweise der Christliche Volks- dienst, der mit seinen 43440 Stimmen nur rund 4000 Stimmen mehr erzielt hat als die leer ausgehende Volks­rechtpartei. drei Mandate gewonnen, weil er in fünf WaP- bezirken über die zur Erreichung des Achtels der Wahlzahl nötigen Wähler verfügte. Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus der derzeitigen Vorschrift noch

zugunsten der in den großen Wahlkreisen heimischen Parteien.

denn je größer der Wahlkreis, um so leichter ist es. in ihm das mehrerwähnte Achtel zusammenzubringen. Die Er- reichungderWahlzahlist außer in Stuttgart über­haupt nur in zwei bis drei großen anderen Wahlkreisen möglich. Bei der Wahl vom 20. Mai 1928 ist dies, von Stuttgart abgesehen, nur der Sozialdemokra­tischen Partei in Heilbronn gelungen. Die Wähler der weit-

Die deutschen Forderungen abgelehnt

Genf, 28. April. In der gestrigen Sitzung des vorberei­tenden Ausschusses forderte Graf Bernstoffdie Vertreter der Mächte auf, nunmehr ihrerseits bekanntzugeben, zu welchen Zugeständnissen sie bereit seien. Ein Abrüstungs­abkommen könne von Deutschland nur in Betracht gezogen werden, wenn es eine wesentliche Herabsetzung der st ungen bringe. Es sei unmöglich, die See - st ungen einzuschränken, bei den Landrüstungen es aber beim Alten zu lassen. Deutschland könne sich ter Ansicht des amerikanischen Vertreters Gibson, daß die ausgebildeten Reserven nicht in die Abrüstung einbegriffen werden sollen, nicht anschließen. Die logische Folgerung wäre, daß das System der allgemeinen Dienstpflicht überhaupt abgeschafft werden müßte, wodurch sich die Reservenfrage von selbst lösen würde. Deutschland habe aber diese Forderung nicht erhoben, und das sei ein wesentliches ZugMndnis seitens Deutschlands. Deutschland sei durch den Friedensvertrag das Mindestmaß von Truppen und die Anmöglichkeit, Re­serven zu bilden, auferlegt worden; ein Abkommen, das die Reserven nicht einschlösse, würde niemals gerecht sein.

Der holländische Vertreter Rüdgers erklärte, die Außerachlassung der Reserven bedeutet, daß auf die Ab- st ring verzichtet werde.

Schließlich stellte der Vorsitzende London (Holland) als Meinung der Mehrheit fest, daß sowohl die ausge- bildelcn Reserven als auch die militärisch organisierten Ver­bände außerhalb des Abrüstungsabkommens bleiben sollen.

Die deutschen Vorschläge sind also samt und sonders abgelehnk.

Die Neutralen geben nach

Genf. 28. April. Nach der etwas matten Rede des Grasen Leriistorff kamen der Holländer Nutzers und der Schmede W e st m a n n zum Wort. Sie erklärten, mit der Herausnahme der ausgebildeten Reserven aus der Ab­rüstung müsse man die Hoffnung auf die Abrüstung be­graben. Um sedoch die weiteren Verhandlungen nicht scheitern zu lassen, geben sie schweren Herzens ihre Unter­schritt.

Litwinow (Rußland) beantragte eine Abstimmung, wer gegen die Ausschaltung der Reserven sei. Der Vor­sitzende Loudou ließ den Antrag jedoch nicht zu.

Der Antrag Chinas, die allgemeine Wehrpflicht all­gemein abzuschasfen, wird am Montag abgelehnt werden.

Lin neuer Schlag gegen die Landabrüstuug

London. 28. April. DerDaily Herold" nennt die Rede Gibsons in Gens einen neuen Schlag gegen die Land­abrüstung. Die Frage der ausgebildeten Reserven sei tat­sächlich die Frage der allgemeinen Wehrpflicht. Eng­land habe seinen Widerstand geopfert, um mit Frankreich das Seeabkommen schließen zu können, und jetzt folge Amerika diesem Beispiel nach, indem es sich gegen Groß­britannien um die französische Freundschaft bewerbe. Der Kelloggpakt sei vergessen, dis Abrüstung sei zy Spott ge­worden und das feierliche Abrüskungsversprechen von Ver­sailles werde ein Fetzen Papier.

aus meisten Wahlkreise können die erste Bedingung des Art. 20 Abs. 2überhauptnichterfüllen. Aber auch die zweite ist ein starkes Hemmnis für die Parteien, die in den äußerst zahlreichen kleinen Wahlkreisen wurzeln. In einem Wahlkreis mit beispielsweise 25 000 Wahlberechtigten ist es leichter, 1751 Stimmen (das Achtel der Wahlzahi vom 20. Mai 1928) zusammenzubringen, als in einem mit nur, 15000 Wählern. Die strittige Bestimmung verteilt demnach' nach mehreren Richtungen hm das Gewicht der abgegebenen Stimmen verschieden. Das ist sicher nichts anderes Äs «in« ungleichmäßige und daher verfassungsmäßig unzulässigeAusgestaltungüesWahlrecht,.* Die Gesichtspunkte, denen Artikel 20 Abs. 2 seine Entstehung verdankt, mögen fachlich durchaus zu billigen sein. Auch werden sich Vertreter der Ansicht finden, daß der neuzeitlichen Entwicklung ein Vorrang der städtischen vor der ländlichen Bevölkerung entspreche.

Alle diese Erwägungen sind aber politischer, nicht recht- licher Art

und müssen deshalb für den Staatsgerichsthof, der Rechts­streitigkeiten nach Rechtsgrundsätzen zu beurteilen hat, aus- scheiden. Mt der Gleichheit des Wahlrechts sind alle der­artigen Vorschriften unvereinbar.

Ganz verfehlt ist der Hinweis des Antraggegners aus das vor der Staatsumwälzung geltende Reichs­tagswohlrecht und die Schlußfolgerung, daß, wenn diese» als gleiches Wahlrecht angesehen worden sei, erst recht da» gegenwärtige württ. Wahlrecht ein solches sei. Es ist aller-